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Politik

Mein Blog

Dienstag, 27. Februar 2024 - 14:56 Uhr
Ist das denn zu fassen?!?

Momentan haben wir offenbar ein Stadium erreicht, in dem europäische Staats- und Regierungschefs sich gegenseitig den Rang abzulaufen und in einen Überbietungswettbewerb bezüglich der Ukraine-Hilfen einzutreten entschlossen sind. Eilends hat der französische Staatspräsident E. Macron zu einer Konferenz in Paris eingeladen. Er will es anscheinend nicht auf sich sitzen lasen, dass Frankreich vorgeworfen wird, es habe nicht so viele Waffen geliefert, wie die Ukraine benötigt hätte. Selbst den Einsatz von westlichen Bodentruppen auf ukrainischen Schlachtfeldern will Macron nicht ausschließen. Hierzu gab es in Paris keinen Konsens, jedenfalls vorläufig nicht. Omnid Nouripour, Co-Vorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen, erklärte, er habe einen "launigen Macron" erlebt, der sich alle Optionen offenhält. "Launig" also! Ist eine solche Floskel kennzeichnend für das Niveau, auf dem künftig Schicksalsfragen der Zeit verhandelt werden sollen? Der deutsche Bundeskanzler machte vor Monaten schon "schlechte Laune" als Grund für das Erstarken rechtsextremer Parteien aus.
Haben wir denn gar nichts aus der Geschichte des 20. Jahrhunderts gelernt? Dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs gingen etliche Krisen voraus: zwei Marokko-Krisen (1905/06 und 1911), der Tripolis-Krieg (1911), die Bosnische Annexionskrise (1908) , zwei Balkan-Kriege (1912/13). Am 31. Juli 1914 wurde in Paris der französische Sozialist Jean Jaures ermordet, weil er beabsichtigte, durch einen politischen Generalstreik den drohenden Krieg zu verhindern. Wer sich gegen den Krieg und für den Frieden einsetzte, lebte schon damals gefährlich.
Noch ein kurzer Rückblick auf das Jahr 1913: Nach zweijähriger Bauzeit wurde am 31. Mai in Breslau die "Jahrhunderthalle" eröffnet. Der opulente Prachtbau sollte an die Niederlage Napoleons durch die Völkerschlacht bei Leipzig erinnern. Die meisten Franzosen sahen darin eine Provokation und fühlten sich ihrerseits an die Schmach vom 18. Januar 1871 erinnert, als ausgerechnet im Spiegelsaal von Versailles das Deutsche Kaiserreich proklamiert worden war.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde ein Neuanfang gewagt. Die deutsch-französische "Erbfeindschaft" fand ein Ende, wurde feierlich zu Grabe getragen. Konrad Adenauer und Charles de Gaulle besiegelten den deutsch-französischen "Freundschaftsvertrag".
Für die Eröffnungsfeierlichkeiten am 31. Mai 1913 in Breslau hatte Gerhart Hauptmann ein "Festspiel in deutschen Reimen" verfasst und Max Reinhardt für die Inszenierung gewonnen. Weil in diesem Stück auch Kriegskritik geübt wurde, kam es zu einem handfesten Skandal: Das "Festspiel" wurde kurzerhand abgesetzt.
Hoffentlich grundlos peinigt mich manchmal die Vorstellung, dass wir Europäer von Hohlköpfen regiert werden bzw. sein könnten. Sind wir noch dagegen gefeit. dass wir in einen Krieg hineinstolpern, und das nicht einmal mehr versehentlich?

Samstag, 24. Februar 2024 - 15:13 Uhr
Wer hätte das gedacht und für möglich gehalten?

Eigenartig und sonderbar mutet es an, dass bewährte, in den Ruhestand versetzte hohe Offiziere der Bundeswehr der Politik erklären müssen, was Militarismus bedeutet und welche Aufgaben von Politikern, nicht von Heerführern übernommen werden müssen - im Sinne des althergebrachten Primates der Politik. Als Militarismus wird die Umkehrung dieser Reihenfolge bezeichnet, also der Vorrang militärischer Erwägungen vor politischen Entscheidungen. In hoher Zahl sind "Mahnmale für die Opfer des Faschismus und Militarismus" anzutreffen. Auch Deutschland hat damit schmerzliche Erfahrungen gemacht. Im letzten Jahr des Ersten Weltkriegs riss die Dritte Oberste Heeresleitung die Herrschaft an sich, auf Kosten der Verfassungsorgane des Kaiserreichs. Reichskanzler von Bethmann-Hollweg wurde in die Wüste geschickt, weil er die Friedensresolution des Reichstags (1917) nicht verhindert hatte. Historiker nennen so etwas "Militärdiktatur".
Die obenerwähnten Bundeswehroffiziere - unter ihnen Harald Kujat, Wolfgang Richter und Erich Vad - ermahnen unermüdlich Bundestag und Bundesregierung an ihre verfassungsmäßigen Pflichten. Nicht die Bundeswehr mit dem Generalinspekteur an der Spitze verkündet den "Verteidigungsfall". Das ist die Aufgabe des Bundestags. Und dem Bundeskanzler fällt in einem solchen Fall der Oberbefehl zu. Die Bundeswehr wird seit den 1990er Jahren auch "Parlamentsarmee" genannt. Ein Kuriosum oder gar ein Rechtsbruch liegt gegenwärtig insofern vor, als die Fregatte "Hessen" zum Roten Meer entsandt wurde, bevor das Parlament über diesen Einsatz entscheiden konnte. Das nachträgliche Votum des Bundestags gilt als "Formsache".
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde ein neues internationales Forum zur Sicherung des Weltfriedens gegründet, die UNO. In unserem Grundgesetz verpflichtet sich auch "das deutsche Volk" dazu, "dem Frieden der Welt zu dienen".
Im SPD-Wahlprogramm von 2021 finden sich unter dem Motto "Frieden sichern" bedeutungsschwere Sätze wie folgende: " Als die Friedenspartei in Deutschland setzen wir auf Diplomatie und Dialog, auf zivile Krisenprävention und Friedensförderung, auf Abrüstung und Rüstungskontrolle sowie internationale Zusammenarbeit." - Die SPD strebe an, "die in Europa und Deutschland stationierten Atomwaffen endlich abzuziehen und zu vernichten." - Die Bundeswehr betreffend, müsse die Devise lauten: "Ausrüstung statt Aufrüstung." - "Für uns ist eine restriktive Rüstungsexportpolitik zentral."
Im Koalitionsvertrag zwischen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP (Dezember 2021)ist zu lesen: "Der Einsatz für Frieden, Freiheit, Menschenrechte, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Nachhaltigkeit ist für uns ein unverzichtbarer Teil einer erfolgreichen und glaubwürdigen Außenpolitik für Deutschland und Europa." - "Wir brauchen eine abrüstungspolitische Offensive."
Dass solche hehren Grundsätze und Ziele nach dem russischen Angriff auf die Ukraine schwerer "eins zu ein" umsetzbar sind, versteht sich fast von selbst. Dass aber von ihnen zur Zeit kaum noch etwas übrig geblieben zu sein scheint, ist mehr als bedauerlich und nicht einzusehen. Pünktlich zum zweiten Jahrestag des Kriegsbeginns tritt eine eigens anberaumte UNO-Vollversammlung zusammen, der Sicherheitsrat tagt, und den Herrschaften fällt nichts Besseres ein, als Altbekanntes wiederzukäuen. Bis zum Überdruss wird die Solidarität mit der Ukraine beschworen. Annalena Baerbock kehrt gemeinsam mit ihrem ukrainischen Amtskollegen Kuleba über den Nordatlantik nach Europa zurück, in einer Maschine der Flugbereitschaft, also der Luftwaffe. Die deutsche Außenministerin begleitet ihren Gast nach Kiew, wohl weniger, um Fronterfahrungen zu sammeln und sich den frischen Wind eines mörderischen Krieges um Nase und Ohren wehen zu lassen. Im Zuge der aufwendigen Veranstaltungen ist allem Anschein nach gar nicht darüber gesprochen worden, wie dieser entsetzliche Krieg beendet werden könnte. Friedensinitiativen: Fehlanzeige. Wer außer dem russischen Diktator Wladimir Putin hat eigentlich noch ein Interesse daran, das Elend fortdauern zu lassen?
In den Kriegskassen klingelt es verheißungsvoll. Und wie gesagt: "Ohne Sicherheit ist alles (andere) nichts!" Sentenzen dieser Art lassen mich aufhorchen und zusammenzucken. Sollen wir uns so an einen totalitären Sprachgebrauch gewöhnen?

Donnerstag, 22. Februar 2024 - 15:20 Uhr
Von Trapez zu Trapez - die SPD beim Salto mortale

Wie ein Knallfrosch hopst es durch die Verlautbarungen der Bundestagsfraktionen, das Wort bzw. die Buchstabenfolge TAURUS. In der Beschlussvorlage für weitere Waffenlieferungen an die Ukraine kommt die Wortschöpfung nicht vor. Dort ist nur von "weitreichenden Waffensystemen" die Rede, womit auch der deutsch-schwedische Marschflugkörper gemeint sein kann. Die Opposition lehnt solche verbale Drückebergerei ab und besteht auf der expliziten Nennung von TAURUS. Marie Agnes Strack-Zimmermann, Wehrexpertin der FDP, will sich dem Entwurf von CDU und CSU anschließen und demgemäß abstimmen. Da haben wir nun den Salat! Es fehlt noch das passende Dressing. Rolf Mützenich, Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion, ist um Deeskalation bemüht und gibt stirnrunzelnd zu bedenken, die aufgeregte Debatte dürfe doch nicht auf dieses eine Wort fokussiert werden. Er kann allerdings nicht verbindlich erklären, die Lieferung von TAURUS an die Ukraine komme für die SPD nicht in Frage, weil das einen neuen, nicht zu verantwortenden Qualitätssprung in der militärischen Hilfe nach sich zöge und die Kriegsgefahr wachsen ließe. - Dazu noch dieser überforderte Bundeskanzler, dem es an Realitätssinn gebricht, der an Selbstüberschätzung leidet, dem jegliches Gespür für das politisch Machbare und Zumutbare abhanden gekommen zu sein scheint. Die auch verfassungsrechtlich gebotene Rücksicht auf die
spezifisch deutschen Sicherheitsinteressen sind für Olaf Scholz bestenfalls zweitrangig geworden. - Ich möchte eines klarstellen: Die erste Lieferung von TAURUS an bzw. für die Ukraine, ob direkt oder auf Umwegen, hätte meinen sofortigen Austritt aus der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands zur Folge. Und ich werde das mir Mögliche dafür tun, dass ich mit einer solchen Entscheidung nicht allein bliebe. -
Ebenso unmöglich scheint es geworden zu sein, dem Verdacht zu entkommen, mit dem russischen Autokraten Putin m Bunde zu stehen, wenn man auf ein rasches Ende des Ukraine-Krieges drängt. Krieg und Humanität schließen sich jedoch gegenseitig aus. Soll denn das Furchtbare, das den Schweizer Henry Dunant dazu bewog, das Rote Kreuz zu gründen (1863, 1876), niemals ein Ende finden? Wenn Kriegsreporter über die Kampfhandlungen berichten, als handle es sich um eine Schnitzeljagd (so Frederik Pleitgen bei Sandra Maischberger), wird mir speiübel.
SPD-Genossen und Genossinnen, die sich per Kamera und Mikrophon an die Öffentlichkeit wenden, sollten darauf bedacht sein, gut informiert zu sein und sich dem rhetorischen sowie gedanklichen Niveau anzunähern, das für Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten einst selbstverständlich war (einige Beispiele: Kurt Schumacher, Annemarie Renger, Willy Brandt, Helmut Schmidt, Erhard Eppler).
Für die zwölf Monate des Jahres 2023 galten Gas- und Strompreisbremse, finanziert durch Steuermittel (Wirtschafts-Stabilisierungs-Fond). Spätestens seit Jahresbeginn stöhnen betroffene Industriezweige (Beispiel Stahlproduktion) über hohe Energiekosten. Der Industriestandort Deutschland sei in Gefahr, habe seine Attraktivität verloren. Der Staat müsse einspringen, und sei es mit neuen Schulden. Üblich geworden ist es, mit unglaublichen Summen zu jonglieren. 300 Milliarden sind da rein gar nichts (Roderich Kiesewetter, Andreas Schwarz). Gar nicht mehr gefragt wird danach, wer diese hohen Kosten zu verantworten hat, wer davon profitiert. Energieriesen wie e.on und RWE streichen weitgehend unabhängig von den Weltmarktpreisen und mit staatlicher Hilfe (Preisbremsen) Milliardengewinne ein und freuen sich natürlich darüber, dass der Wirtschaftsminister erneut dreistellige Milliardenbeträge ins Gespräch bringt und in Aussicht stellt.
In letzter Zeit häufen sich Meldungen über antisemitische Vorfälle und Straftaten. Josef Schuster, Vorsitzender des Zentralrats der Juden in Deutschland, stellt fest, es sei "etwas aus den Fugen geraten". Wenig sachkundig und undifferenziert werden diese Untaten in eine Reihe mit dem Holocaust gestellt. Dazu gehört es auch, dass zwischen dem Pogrom vom 9. November 1938 und dem Überfall der Hamas auf den Süden Israels am 7. Oktober 2023 ein Zusammenhang hergestellt wurde. Wer bedauert, was israelisches Militär der Bevölkerung des Gaza-Streifens zufügt, läuft Gefahr, des Antisemitismus bezichtigt zu werden. Auch hier könnten klärende Worte des Kanzlers weiterhelfen, damit nicht ein Generalverdacht auf "die Deutschen" fällt.
Fällig geworden ist auch eine Auseinandersetzung mit dem sachfremden, wahllosen Umgang mit dem Wort "Rassismus". Wenn Bertolt Brecht seinem Galilei die Worte in den Mund legt "Das Denken gehört zu den größten Vergnügungen der menschlichen Rasse", meint er die gesamte Menschheit. Die Unterscheidung nach Rassen lag ihm fern, ist auch wissenschaftlich umstritten. Die Ermordung von 9 Muslimen in Hanau soll auch "rassistisch" motiviert gewesen sein. Dass ihre Vorfahren Türken waren und sie einer anderen Religionsgemeinschaft angehörten, ist offenbar völlig irrelevant geworden. "Rassismus" war die treibende Kraft, so die Besserwisser, die vermutlich von einer türkischen "Rasse" ausgehen. Was ist in der Bundesrepublik nicht alles "rassistisch"?

Montag, 19. Februar 2024 - 15:15 Uhr
"Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus."

Fast Gleichlautendes stand auch in der Verfassung der Weimarer Republik (1919). Bertolt Brecht begnügte sich nicht damit, dieses Diktum zu zitieren, sondern wollte wissen, wohin die Staatsgewalt denn geht. An einen Spaziergang war da vermutlich nicht gedacht. Die Suche führte den Schriftsteller zu einem erstaunlichen Ergebnis, das wir als Bürgerinnen und Bürger der Bundesrepublik Deutschland wohl nicht mehr zu befürchten brauchen.
Unser Grundgesetz legt wie auch die Verfassungen anderer demokratischer Staaten allerdings fest, dass der Souverän, also das Volk selbst, nicht befugt ist, Gewalt auszuüben. Dies ist gewählten bzw. beauftragten Verfassungsorganen vorbehalten, was als "Gewaltmonopol des Staates" bezeichnet wird. Dies ist vielen Leuten offenbar nicht bekannt. Sie fühlen sich berechtigt, selbst handgreiflich zu werden und so ihre Interessen durchzusetzen. Wenn irgendwo in der Öffentlichkeit geprügelt und die Polizei gerufen wird, geraten die Ordnungshüter häufig selbst in Bedrängnis. Sie werden nicht als über den Parteien stehende Ordnungsmacht wahrgenommen, sondern als gegnerische Bandenmitglieder, die selbst Prügel verdienen. Das gilt als Straftat und wird als solche bestraft. Politiker sagen dann gern, eine Grenze sei überschritten worden. Prügel zu verteilen oder sich in Raufereien einzumischen ist zwar nicht ungefährlich, liegt jedoch augenscheinlich näher und ist weniger zeitraubend, als sich auf Diskussionen einzulassen und den Rechtsstaat zu achten.
Wie aber erklärt sich die auffällige Häufigkeit von verbalen oder tätlichen Anfeindungen? In deutschen Behausungen geht es nicht gerade zimperlich zu. Schlägereien und Waffengewalt genießen in den Fernsehprogrammen und Videospielen keineswegs Seltenheitswert. Alljährlich öffnet in Köln die "gamescom" ihre Pforten und erfreut sich regen Zulaufs. Darstellungen von Gewalt dürfen auch hier nicht fehlen. An Eltern ergeht der Appell, den Medienkonsum ihrer Sprösslinge im Blick zu behalten ("Schau hin, was dein Kind mit Medien macht!" . Gemeinhin wird auch eine Verrohung im Verhalten von Verkehrsteilnehmern beklagt. Der bereits erwähnte Bert Brecht lässt seinen Galilei sagen: "Das Denken gehört zu den größten Vergnügungen der menschlichen Rasse." Wenn er sich da man nicht irrte! Noch schwieriger gestaltet sich das Nachdenken. Schon mal von den "Nachdenkseiten" gehört? Unbedingt zu empfehlen.
Jahrzehntelang waren in den Lehrplanrichtlinien für das Fach Deutsch Unterrichtseinheiten vorgeschrieben, in denen das Argumentieren und Diskutieren geschult werden sollten. Nach langen Jahren des Ruhestands kenne ich den aktuellen Stand nicht. Die Nachrichten zu der deutschen Bildungsmisere (PISA-Studie, Bertelsmann-Studie) stimmen allerdings skeptisch. Die gegenwärtigen und nachfolgenden Generationen dürfen nicht mit der Erfahrung aufwachsen, Bildung rentiere sich nicht und am Ende siegten diejenigen, die den längeren Atem haben, durch unaufhörliches Reden ihr Gegenüber gar nicht zu Worte kommen lassen, die Deutungshoheit beanspruchen oder für sich gewinnen, möglicherweise auch vor Gewalt nicht zurückschrecken - und wenn es nur die Ellbogen sind. Profilneurotische Einzelkämpfer haben wir schon zur Genüge. Auch in der SPD wurde und wird mit harten Bandagen gekämpft: Das Gerangel zwischen Sigmar Gabriel, Andrea Nahles, Olaf Scholz und Martin Schulz hat Spuren und Narben hinterlassen. Dem wird gern die Einstimmigkeit von Beschlüssen des Bundesvorstands entgegengestellt. Schön wär´s!

Samstag, 17. Februar 2024 - 14:51 Uhr
Die Ukraine im Spannungsfeld der Weltpolitik

Die Anfänge des Kalten Kriegs fallen in die Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg. 1947 erblickte die "Truman-Doktrin" das Licht der Welt. Der Währungsreform in "Trizonesien" sowie in den drei Westsektoren Berlins folgten die Berlin-Blockade und die Proklamation zweier deutscher Staaten, die durch den Eisernen Vorhang voneinander getrennt und in gegnerische Machtblöcke eingegliedert wurden. Mal setzte Tauwetter ein, mal herrschte Eiszeit. Erst Jahre nach der zweiten Berlin-Krise (1958-1962) kehrte mit der Viermächtevereinbarung über Berlin Ruhe in die (seit August 1961 auch durch eine Mauer) geteilte Stadt ein (1972).
Im Geschichtsunterricht lautete ein Semesterthema "Deutschland im Spannungsfeld der Weltpolitik". Diese Zeiten liegen glücklicherweise hinter uns. Die Bundesrepublik Deutschland ist zusammen mit ihren Grenznachbarn im Osten und Südosten Europas Mitglied der NATO, die sich auf die UNO-Charta gründet bzw. bezieht. Zur Zeit tobt in der Ukraine ein schrecklicher Krieg, in den die NATO noch nicht eingreift, der jedoch Europa überschattet. Er ist auch beherrschendes Thema der 60. Sicherheitskonferenz in München. In deren Rahmen sollte auch Julia Navalnaja zum Thema Russland sprechen, wurde hingegen überrascht von der Meldung aus Sibirien, ihr Mann Alexej Navalny sei verstorben. War sie zufällig in München, oder lag eine Einladung vor?
Vor zwei Jahren, genauer am 19. Februar 2022, sprach Bundeskanzler Scholz in München von einem "geopolitischen Gezeitenwechsel". Hiermit assoziiert man üblicherweise den Wechsel von Ebbe und Flut. Wo befanden wir uns damals? In einem Wellental oder auf dem Kamm einer gewaltigen Welle? Vielleicht war es auch nur der "mittlere Wasserstand.". Wenn Olaf Scholz über einen "Gezeitenwechsel" oder "geopolitische Machtverschiebungen" philosophierte, kann er damit unmöglich die Osterweiterung der NATO gemeint haben. Am 15. Februar war er in Moskau mit dem Versuch gescheitert, dem russischen Präsidenten Putin das Versprechen abzuringen, dass Russland die Ukraine nicht angreifen werde. Misstrauen und Skepsis beherrschten ihn. "Gespräche mit Russland, sollten sie denn zustande kommen ... Russland hat die Frage einer möglichen NATO-Mitgliedschaft der Ukraine zum "casus belli" erhoben. Das ist paradox, denn hierzu steht gar keine Entscheidung an." Casus belli, also Kriegsfall, den der politische Westen bereits 2014 konstatiert hatte. Die Besetzung der Krim durch russisches Militär galt für viele als erster Kriegsakt Russlands gegen die Ukraine und wurde mit Sanktionen geahndet. Die Wortwahl des Kanzlers ließ keine Zweifel zu. Er hätte indessen berücksichtigen müssen, dass spätestens seit dem NATO-Gipfel in Bukarest (2008) das Thema gleichsam in der Luft lag und den Kreml beschäftigte. Der "Casus belli" war nicht einfach dadurch vom Tisch geräumt, dass man ihn negierte. Fünf Tage nach der Münchener Rede des Kanzlers fielen russische Truppen über die Ukraine her. Drei Tage später wandelte Olaf Scholz seine Diktion leicht. Aus dem "Gezeitenwechsel" wurde die vielzitierte "Zeitenwende" mit all ihren Folgerungen.
Manchmal frage ich mich ernsthaft, ob in Berlin die Tollwut ausgebrochen ist. Am 15. November 2023 kassierte das Bundesverfassungsgereicht den Nachtragshaushalt von 2021. Es klaffte ein Loch von 60 Milliarden Euro. Wie die Deckungslücke gestopft wurde und der nachträglich bewilligte Etat für das laufende Jahr bestritten werden soll, ist mir im Detail nicht bekannt. Alle gesellschaftlich relevanten Gruppen fordern mehr Geld. Die Industrie ächzt unter hohen Energiekosten und sieht die öffentliche Hand in der Pflicht. Mit zweistelligen Milliardenzuschüssen von Seiten des Staates sollen Investoren ins Land gelockt werden. Die Verteidigungsausgaben sollen bis in die 2030ger Jahre bei 2 % des BIP verstetigt werden oder möglichst noch ansteigen. Der Verteidigungsminister macht uns darauf gefasst, dass die Hilfen für die Ukraine noch für 10 Jahre auf hohem Niveau verharren würden. Wenn da nur nicht diese dämliche "Schuldenbremse" im Raum stünde! Und was sagt der Bundeskanzler zu alledem? "Ohne Sicherheit ist alles (andere) nichts." Basta! Wir wollen ja auch gar nicht wissen, von wem und in welchem Ausmaß unsere Sicherheit bedroht wird. Und schon gar nicht interessiert es uns, wie diesen Gefahren angemessen und mit Erfolgsaussichten begegnet werden kann. Wir sollen uns damit begnügen, von Leuten, die es wissen müssen, zu erfahren, dass unsere Munitionsvorräte bestenfalls für drei Tage reichen, wir uns also gar nicht verteidigen können. Gute Nacht, Marie! Kurzfristig lässt sich da kaum etwas ändern. Aber über Jahre und Jahrzehnte! Wenn nicht bis dahin schon russische Panzer durch Deutschlands Straßen rollen...

Donnerstag, 15. Februar 2024 - 15:28 Uhr
"Aber sonst hört mir ja niemand zu ..."

Dieses bittere Resümee aus dem Munde des ehemaligen Generalinspekteurs der Bundeswehr und Vorsitzenden des NATO-Militärausschusses Harald Kujat spricht Bände, und zwar darüber, wie in der medialen Öffentlichkeit der Bundesrepublik über den Ukraine-Krieg berichtet und geurteilt wird. Ein Schweizer Journalist der "Weltwoche Daily" reist nach Berlin, um Kujat zu interviewen (14.2.2024). In den Medien Deutschlands kann sich offenbar niemand für einen solchen Schritt erwärmen, aus Angst davor, sich der absehbaren Wucht der medialen und regierungsnahen Brandung auszusetzen. Auf den Einfall. Harald Kujat als alten, armen Irren abzutun, ihn für inkompetent zu erklären oder ihm wenigstens Narrenfreiheit zuzubilligen, ist meines Wissens wohl noch niemand gekommen. Lieber lässt man selbsternannte Militärexperten zu Worte kommen. Manche von ihnen können, so Harald Kujat, noch nicht einmal "ein Gewehr von einer Gurke unterscheiden".
Wenn Schweizer sich auf den Weg machen müssen, um deutschen "Dissidenten" ein Publikum zu verschaffen, ist das ein schlechtes Zeichen. Die Schweiz, stolz auf ihre Neutralität, bietet seit Langem Leuten Zuflucht, die sich in ihren Heimatländern unbeliebt gemacht haben, unbequem geworden sind. Georg Büchner, per Steckbrief gesucht, verbrachte die letzten Monate seines Lebens in Zürich, wo er 1837 auch starb. Der französische Schriftsteller Romain Rolland lebte, die Grauen des Ersten Weltkriegs vor Augen, lange Zeit in der Schweiz. Bekannt geworden ist er auch durch seine Artikel im "Journal de Geneve" ("Unser Nächster, der Feind", im Jahr 1915). Auch Lenin wohnte in Zürich. Nicht etwa auf Einladung des Zaren, sondern durch eine "Kriegslist" der 3. Obersten Heeresleitung gelangte er 1917 nach St. Petersburg und inszenierte dort die "Oktoberrevolution". - Bertolt Brecht, dessen Werke ab 1933 in Deutschland verboten waren und im Mai verbrannt wurden, fremdelte mit der Schweiz. Immerhin aber wurden zwei wichtige seiner Dramen in Zürich uraufgeführt: "Mutter Courage und ihre Kinder" (mit Therese Giese in der Titelrolle, 1938/39) und "Leben des Galilei" (1941).
Der Exkurs in die Schweiz sei damit beendet - unvollendet und vor allem zielgerichtet. Auch in der Bundesrepublik Deutschland muss die breite Vielfalt politischer Standpunkte und Meinungen gewährleistet sein. Als beispielgebend kann hier das genannt werden, was Sandra Maischberger zweimal wöchentlich anbietet - wenn auch erst zu später Abendstunde. Magazine, die sich der politischen Information und Weiterbildung annehmen, werden ohnehin zu Zeiten ausgestrahlt, in denen die meisten zu Bett gehen. - Harald Kujats Fazit sollte nicht das letzte Wort bleiben. Auch Gabriele Krone-Schmalz beklagt, nicht mehr eingeladen zu werden.
"Aber sonst hört mir ja niemand zu ..." Diese Feststellung könnte auch aus dem Munde eines oder einer x-beliebigen Ukrainers / Ukrainerin gefallen sein. Wurde die ukrainische Bevölkerung jemals gefragt, ob sie diesen entsetzlichen Krieg erleiden will? Die Entscheidungen werden fernab, in den Zentren der politischen Macht getroffen - in Moskau, London, Washington, Berlin. Meist ist es dort auch wärmer und ungefährlicher als in den zerbombten Häusern ukrainischer Städte.

Montag, 12. Februar 2024 - 15:47 Uhr
Roderich Kiesewetter - ein Fall für die Justiz?

Der umtriebige CDU-Politiker setzt nicht nur das Gerücht in die Welt, US-amerikanische Raketenbasen in Polen und Rumänien seien keineswegs gegen Russland gerichtet, sondern gegen den Iran. Putins Sorge um die Sicherheitslage der Russischen Föderation sei also völlig unbegründet. Gegenwärtig versucht Kiesewetter sich als Scharfmacher und möchte uns glauben machen, dass dem Kreml mit aller militärischen Kraft begegnet werden müsse, damit die Ukraine "es schafft". "Der Krieg muss nach Russland getragen werden" lässt er uns wissen. "Wir müssen alles tun, dass die Ukraine in die Lage versetzt wird", russische Einrichtungen wie Treibstofflager, "Kommandoposten, Gefechtsstände" zu "zerstören" und Putins Russland daran zu hindern, "den Krieg in die Welt zu tragen".
Mir stellt sich die Frage, ob solches Gerede sich mit Kiesewetters Mandat als Mitglied des Bundestages (seit 2009)verträgt. "Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages ... sind Vertreter des ganzen Volkes .." heißt es in Artikel 38 des Grundgesetzes , in dessen Präambel "das deutsche Volk" sich dazu verpflichtet, "dem Frieden der Welt zu dienen".
Die Wehrhaftigkeit unseres freiheitlich-demokratischen Rechtsstaates vom eigenen wirtschaftlichen Vorteil unterscheiden zu können oder zu wollen, ist nicht jedermanns Sache. Das gilt auch für Andreas Schwarz. Seit 2013 ist er als Mitglied der SPD-Fraktion Mitglied des Bundestages. Ihm sind die von Roderich Kieswetter geforderten 300 Milliarden Euro für die Verteidigung nicht ausreichend. Auch in den Katastrophenschutz müsse erheblich mehr investiert werden. Angekreidet wurde dem Sozialdemokraten, dass er sich im Dezember 2022 von Lobbyisten des US-amerikanischen Rüstungskonzerns Lockheed/Martin zum Essen einladen ließ, und zwar in dem nicht öffentlichen Bundestagsrestaurant. Er sei kein Lobbyist, beteuerte Schwarz. Die Entscheidung für die Anschaffung des neuen Kampfjets F 35 sei bereits vor der Verköstigung gefallen. Lobbyarbeit sei also gar nicht mehr erforderlich gewesen. Seine Mehreinnahmen habe er gespendet.
Auffällig oft ist seit zwei Jahren von den "Verbündeten" der Ukraine im Lager des politischen Westens die Rede. Nicht damit gemeint sein können vertragliche Verpflichtungen. Ein Verteidigungs- oder Bündnisfall liegt nicht vor. Deutschlands mehr oder minder freiwillige Waffenhilfe resultiert aus moralischer Verantwortung und dem Mitgefühl für die notleidende ukrainische Bevölkerung. Mag sein, dass hieraus leicht ein "Müssen" erwächst. Nicht ganz unbedeutend ist in diesem Zusammenhang jedoch auch machtpolitisches Kalkül. Befürchtet wird für den Fall eines russischen Sieges eine Verschiebung der Kräfteverhältnisse in Europa. Die europäische Friedensordnung sei in Gefahr. Außer Acht gelassen wird dabei, dass Russland durch die Auflösung der Sowjetunion und des Warschauer Paktes sowie durch die Osterweiterung der NATO eine erhebliche Verlagerung der geopolitischen Gewichte hinzunehmen hatte.
Bei dem letzten Besuch des Bundeskanzlers in den USA ging es vornehmlich um weitere westliche Hilfen für die Ukraine. Mit welchen Resultaten und Vorgaben Olaf Scholz nach Berlin zurückkehrte, wird bisher verschwiegen. Der amerikanische Kongress hat meines Wissens noch nicht endgültig entschieden. Viel Zeit zum Luftholen und Verschnaufen blieb dem Kanzler nicht. Schon heute vollzog er im niedersächsischen Unterlüß den Spatenstich für den Bau einer zusätzlichen Munitionsfabrik. Begleitet wurde er von Boris Pistorius. Als "Dritte im Bunde" gesellte sich die dänische Ministerpräsidentin zu den Herren. Alle drei eint der beträchtliche Munitionsmangel. Nicht nur die Bundeswehr, sondern auch die dänischen Streitkräfte haben erhebliche Mengen an Munition an die Ukraine abgetreten. Dringend müsse Ersatz beschafft werden. Von staatlichen Finanzhilfen war zunächst nichts zu vernehmen. Schützenhilfe bei dem Spatenstich leisteten Spitzenmanager des Rüstungskonzerns Rheinmetall, der seit 2022 eine wahre Blüte erlebt - auch an den Aktienbörsen. Nicht anwesend war bei dem Treffen Lars Klingbeil, der im benachbarten Walsrode ein Wahlkreisbüro unterhält und 2021 über die niedersächsische Landesliste der SPD wieder in den Deutschen Bundestag eingezogen ist. Als Nachfolger von Norbert Walter-Borjans ist er seit wenigen Jahren Co-Bundesvorsitzender der SPD. Außerdem ist er Mitglied im "Förderkreis Deutsches Heer" sowie in der "Deutschen Gesellschaft für Wehrtechnik". Beide Organisationen gelten als Sammelbecken für Rüstungslobbyisten.
Ob Olaf Scholz und sein Verteidigungsminister Boris Pistorius sich und ihrer Partei einen Gefallen damit getan haben, unter medialer Begleitung in Unterlüß den Grundstein für die neue Fabrik zu legen, wage ich zu bezweifeln. Es geht mir überhaupt nicht darum, gegen das Militär zu Felde zu ziehen. Der von mir hochverehrte SPD-Politiker Helmut Schmidt hat sich klar dazu bekannt, dass er kein Pazifist sei. "Im Gegenteil", fügte er hinzu. Als Verteidigungsminister gründete er Bundeswehr-Hochschulen in Hamburg und München. Ebenso offen sprach er sich indessen gegen den Krieg aus. Diesen zu verhindern war für ihn Priorität politischen Handelns. Ich hoffe sehr, dass sein Vermächtnis auch heute noch lebendig ist und wirkt. Roderich Kiesewetter verkörpert ein erschreckendes Gegenbeispiel.
Die Befürworter einer massiven Aufrüstung der Bundeswehr können sich hundertprozentig auf Donald Trump verlassen. Dieser droht damit, europäische NATO-Staaten, die nicht die vereinbarten 2 % ihres BIP für die Verteidigung aufbringen, von amerikanischem Beistand auszuschließen. Das wirkt wie ein Stich ins Wespennest. Die Bundesrepublik Deutschland kann freilich nicht damit gemeint sein. Denn seit dem russischen Angriff auf die Ukraine befleißigen sich die zuständigen Bundespolitiker der Zusicherung, Deutschland werde seine Verpflichtungen einhalten. Wen also wird bzw. soll es treffen?
Gar nichts erfährt die deutsche Bevölkerung dazu, worauf sie sich im schlimmsten Fall einzustellen hat. Welche und wie viele russische Kampfverbände können uns angreifen? Dem Drogenkonsum verfallen, befahl Adolf Hitler in seinen letzten Tagen und Wochen den Einsatz von Armeen, die es gar nicht mehr gab. Dem russischen Präsidenten Wladimir Putin traue ich zu, dass er die Schlagkraft seines Militärs noch realistisch einzuschätzen vermag. Dazu stehen doch sicherlich Informationen zur Verfügung. Oder sollen wir diesbezüglich vollkommen in Ungewissheit baden?

Samstag, 10. Februar 2024 - 16:05 Uhr
Kräfte sammeln für den Frieden - statt unermüdlicher Agitation und Propaganda für die Fortsetzung des Krieges

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat einen "Kultur- und Bildungsauftrag", zu dem auch eine "ausgewogene" Information der Hörer- und Zuschauerschaft über das breite Feld der Politik gehört. Mit dieser Verpflichtung verträgt es sich absolut nicht, dass - wie heute Morgen geschehen - nur Politiker zu Worte kommen, die Waffenstillstands- und Friedensverhandlungen zwischen Russland und der Ukraine zum jetzigen Zeitpunkt verhindern wollen. Sie warnen vor der Ermüdung des Kampfeswillens und westlicher Anstrengungen zur Unterstützung der Ukraine mit Waffenlieferungen. Dass Jens Stoltenberg und Roderich Kiesewetter solche Positionen lauthals verkünden, überrascht nicht; dass aber im NDR und im Ersten Deutschen Fernsehen (ARD) Gegenstimmen gar kein Gehör finden, kommt einem Skandal gleich. Bereits gestern herrschte im öffentlich-rechtlichen Rundfunk helle Aufregung darüber, dass der US-amerikanische Journalist Tucker Carlson dem russischen Präsidenten und Diktator Putin in einem zweistündigen Interview eine "Bühne" gab, seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine zu rechtfertigen. Tucker habe seinem Gegenüber überhaupt nicht widersprochen und Putin nicht unterbrochen. Bei der öffentlich-rechtlichen Erregung ist allerdings merkwürdig, dass die ARD durch ihre Berichterstattung dem zweifelhaften Interview zu einer Publizität verhalf, die es ohne die hitzige öffentlich-rechtliche Befehdung schwerlich erreicht hätte.
Warum ist es eigentlich so schlimm und verwerflich, Wladimir Putin erklären zu lassen, Russland habe gar kein Interesse daran, Polen und das Baltikum anzugreifen. Passt das nicht in das Konzept westlicher Kalter Krieger? Sehen diejenigen, die gutheißen, dass in der Welt jährlich ca. 2 Billionen (2.000.000.000.000) Dollar oder Euro für Rüstung ausgegeben werden, ihre Felle davonschwimmen?
Im Januar dieses Jahres sprach Carsten Breuer, seit 2023 neuer Generalinspekteur der Bundeswehr, zum Thema "Zeitenwende in der Bundeswehr". Es genüge nicht, kämpfen zu lernen, um kämpfen zu können und auf diese Weise "kriegstüchtig" zu werden. Die "Zeitenwende" müsse in den Köpfen stattfinden. Das passt zu der These Josep Borrells, in EU und NATO müsse die Bevölkerung sich eine "Kriegsmentalität" aneignen. Krieg führen zu können mit dem festen Willen, zu gewinnen, zu siegen, laute die Devise. Wenn diese Herren sich durchsetzen, kommt eine riesige Erziehungsaufgabe auf uns zu - eventuell mittels eines entsprechenden Schulfaches.
Derzeit besucht der Bundeskanzler die Vereinigten Staaten. Zum dritten Mal wird er im Weißen Haus von Joe Biden empfangen. Die beiden Staatsmänner seien innig miteinander verbunden, so erfahren wir im öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Das zeige sich auch darin, dass der amerikanische Präsident seinen deutschen Gast duze. Das wolle doch etwas heißen. Angemerkt dazu sei nur, dass die anglo-amerikanische Anrede generell "you" lautet, unabhängig vom Grad der Vertrautheit. Biden und Scholz fordern den Kongress auf, die 60 Milliarden $ Ukraine-Hilfe endlich zu bewilligen und freizugeben. Die Verweigerung wäre eine "kriminelle Nachlässigkeit". Das ist auch ganz im Sinne des deutschen Kanzlers. Sympathien mit der Partei der Republikaner liegen mir fern. Aufhorchen lässt mich freilich Bidens Sentenz insofern, als sie die Tür öffnen könnte dafür, berechtigte Zweifel am Sinn von Waffengewalt zu kriminalisieren.

Sonntag, 4. Februar 2024 - 18:04 Uhr
Sie sind am Zuge, Herr Bundeskanzler !

Im Unterschied zur Weimarer Republik, in der es nur 2 (zwei) Reichspräsidenten gab, aber 12 (zwölf) Reichskanzler mit insgesamt 16 (sechzehn) Kabinetten, ist in der Bundesrepublik das Staatsoberhaupt mit wenig Macht ausgestattet, während der Regierungschef bzw. die Regierungschefin über eine starke Stellung verfügt. So amtierten seit 1949 acht Bundeskanzler (Olaf Scholz ist der neunte), darunter eine Frau, sowie zwölf Bundespräsidenten. Die 14 Jahre andauernde Regierungszeit Konrad Adenauers gab Anlass dazu, von einer "Kanzlerdemokratie" zu sprechen. Von der mit dem Amt verbundenen "Richtlinienkompetenz" wurde bisher nur wenige Male Gebrauch gemacht.
Im Dezember 2021 hoffte Lars Klingbeil noch auf "ein sozialdemokratisches Jahrzehnt". Zur Zeit darf dieses Wunschdenken bezweifelt werden. Wenn Sie, Herr Bundeskanzler, bis zum September nächsten Jahres (2025) die Karre noch aus dem Dreck ziehen und es schaffen wollen, dass die SPD die momentan zweitstärkste Partei, nämlich die AfD, überrundet, müssen Sie "klare Kante" zeigen. Dazu gehört:
1) Treten Sie energisch dem ideologischen Gespinst entgegen, in der Ukraine würden Freiheit und Demokratie der gesamten westlichen Welt verteidigt. Sie wissen ebenso gut wie ich, dass die Ukraine noch weit davon entfernt ist, sich eine Demokratie nennen zu können. Erst gestern hat die Ukrainerin Liudmyla Melnyk, die sich gern mit dem Attribut "Wissenschaftlerin" schmückt, im Rahmen des Internationalen Frühschoppens die These vertreten, wenn der Westen und mit ihm die Bundesrepublik es zuließen, dass die Ukraine im Kampf gegen Russland unterliege, schlage auch für die Deutschen die Stunde. Dann werde Schluss sein mit Freiheit und Wohlstand. Es werde ein fürchterliches Erwachen geben. Bundesdeutsche, die zu bedenken geben, auch die Bundesrepublik benötige für ihre Selbstverteidigung ein ansehnliches Waffenarsenal, dürfen sich aus ukrainischem Munde die Belehrung anhören, Deutschland werde, wenn infolge unzureichender Waffenlieferungen aus der BRD die Ukraine den Kampf gegen Russland verliere, gar keine eigenen Waffen mehr brauchen; dann sei es auch für die Deutschen zappenduster. Die 50 Milliarden Euro Ukraine-Hilfe der EU seien ein löblicher Anfang, dem jedoch weitere "finanzielle Spritzen" folgen müssten. Wenn Frau Melnyk als Lobbyistin der Ukraine solches prophezeit, ist ihr das nicht anzukreiden. Von deutscher Seite muss das jedoch richtiggestellt und als reine Propaganda erkannt und benannt werden. Es kann nicht geduldet werden, dass Deutschland in die Pflicht genommen, an seine Verantwortung für die Ukraine ermahnt wird, während die Ukraine ihrerseits keine Anstrengungen unternimmt, mit westlicher Unterstützung ihre Positionen gegenüber Moskau zu definieren und Verhandlungsbereitschaft zu signalisieren. - Noch ein paar Worte zum Thema Ideologie: Michael Roth, SPD-Politiker und Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Bundestags, wird nicht müde, Willy Brandt gegen Willy Brandt in Stellung zu bringen: "Wir dürfen uns nicht hinter Willy Brandt verstecken", so sein Credo. Roth lobt zwar die Verdienste des ersten sozialdemokratischen Bundeskanzlers, hält jedoch dessen Politikansatz für nicht mehr zeitgemäß. Als eigentlichen Übeltäter macht er Egon Bahr aus. Dieser habe in den althergebrachten Kategorien der Realpolitik gedacht und den Standpunkt vertreten, das eigene Interesse der Nationalstaaten und Groß- bzw. Weltmächte müsse die Basis für die internationalen Beziehungen und für deren politische Akteure sein. Werte wie Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit seien für Bahr zweitrangig gewesen. Dieser Kritik ist zu entnehmen, dass Roth für die Doktrinen einer wertegeleiteten Außenpolitik eintritt. wie sie sich auch Annalena Baerbock zu eigen macht, indem sie für eine "feministische Außenpolitik" plädiert. Es birgt freilich Gefahren, wenn Staaten davon ausgehen, ihnen stehe ein Sendungs-bewusstsein zu. Deutsche Außenpolitik sollte sich davor hüten, missionarisch auftreten und wirken zu wollen. Ein solches Denken riecht übel nach Anmaßung und führt in die Irre. US-Präsident Richard Nixon leitete einen Wechsel in der China-Politik ein und fügte sich dem Anspruch des Pekinger Regimes, als einziger Vertreter des chinesischen Volkes anerkannt zu werden (Ein-China-Politik). Selbst die UNO hielt sich daran, was zu dem Kuriosum führte, dass Taiwan seinen ständigen Sitz im Sicherheitsrat an die Volksrepublik China abtreten musste und bis heute kein UNO-Mitglied ist. Nixon scherte sich einen Teufel darum, dass Mao-Tse-Tung seinen Staat wie ein absoluter Monarch regierte und die "Viererbande" ihr Unwesen trieb. Auch die Bundesrepublik Deutschland unterhält keine diplomatischen Beziehungen zu Taipeh und hat sich wirtschaftlich in hohem Maße von der Volksrepublik China abhängig gemacht. - Staatliche Egoismen sind bei der Pflege internationaler Beziehungen zu respektieren. Dies zeigt sich in der Europäischen Union und in kleinerem Maßstab auch im Verhältnis der drei Parteien der Ampelregierung.
2. Wagen Sie, Herr Bundeskanzler, erste Schritte heraus aus dem Schatten politischer Interessen der Vereinigten Staaten. Es dient nicht deutschen Interessen, wenn Mitglieder der Bundesregierung in Washington antichambrieren und um die Gunst der USA buhlen. Auch kann es nicht Deutschlands Aufgabe sein, die Nachfolge der USA im Ukrainekrieg anzutreten. Es ist wohl nicht zu ändern, dass in der Tagesschau minutenlang über die in Los Angeles verliehenen Grammy Awards (in mehr als 90 Kategorien) berichtet wird und deutsche Fans in Jubelschreie ausbrechen. Aber politisch und wirtschaftlich sollte die Bundesrepublik als eines der führenden Mitglieder der Europäischen Union ihr Eigengewicht geltend machen. Ein wichtiges Ergebnis der beiden Weltkriege besteht darin, dass die USA das Vereinigte Königreich als Weltmacht ablösten. Wir müssen uns wohl damit abfinden, dass der US-amerikanische Luftwaffenstützpunkt Ramstein nominell noch deutsches Territorium ist und die Bundesrepublik für die Instandhaltungskosten der Air Base aufkommen muss, dass jedoch im Pentagon darüber entschieden wird, wer diesen Stützpunkt betreten darf und was von hier aus erfolgt bzw. gesteuert wird. Auch das ist übrigens eine Folge des Zweiten Weltkriegs. Schon der nationalsozialistische Reichsluftmarschall Hermann Göring wusste Ramstein zu nutzen. - Der Bundesrepublik Deutschland fällt die Aufgabe zu, dem Frieden neue Chancen zu verschaffen. Ein neuer großer Krieg, ausgetragen in Europa, würde diesen Kontinent zermalmen.
3. Klären Sie, Herr Bundeskanzler, Deutschlands Haltung zum Problem der Zuwanderung. Leider ist es auch in dieser Frage üblich und beliebt geworden, die Bundesrepublik anzuprangern und ihr menschenverachtendes Versagen vorzuwerfen. Offenbar ist es frevelhaft und verwerflich geworden, dass ein Staat prüft, was er zu leisten vermag, um sich nicht zu übernehmen. Schnell sind Moralisten zur Stelle und fällen Urteile. Freilich lädt Deutschlands geographische Lage dazu ein, hier Fuß zu fassen und den Anspruch zu erheben, mit allem Lebensnotwendigen versorgt zu werden. In der Regel sind es dann die Kommunen, die mit den Problemen konfrontiert und überfordert sind. Johann Gottfried Herder weist in seinen "Briefen zur Beförderung der Humanität" darauf hin, dass Humanität auch Verpflichtung bedeutet, und zwar auch für diejenigen, die Humanität für sich in Anspruch nehmen. Es ist also nicht damit Genüge getan, die Hände in den Schoß zu legen und menschenwürdige Behandlung einzufordern.
4. Es verträgt sich nicht mit der Würde Ihres Amtes, Herr Bundeskanzler, wenn Sie die Hacken zusammenschlagen, sobald ein deutscher CEO hüstelt oder der Interessenvertreter eines wirtschaftlichen Dachverbandes (z.B. VdA) grimmigen Gesichtes sein Missfallen äußert. Der Energiegigant RWE erhält Milliardensummen als Entschädigung für den Kohleausstieg, lässt aber gleichzeitig bei Lützerath (den Ort gibt es wahrscheinlich gar nicht mehr) Braunkohle aus dem Boden baggern, ist mit gewaltiger Gewinnspanne Nutznießer der Gaspreisbremse und derzeit in der Tat bereit, mit staatlichen Zuschüssen neue gasbetriebene Kraftwerke zur Stromerzeugung zu bauen. All dies verheißt satte Gewinne - auch an der Aktienbörse. Drohungen aus Kreisen der Wirtschaft, man werde ins Ausland abwandern, wenn die Bundesregierung den Unternehmen nicht wunschgemäß entgegenkomme, sind an ihrer Ernsthaftigkeit und Realisierbarkeit zu messen.
5. Räumen Sie, Herr Bundeskanzler, in den Reihen Ihres Kabinettes auf. Es geht beispielsweise nicht an (heutzutage nennt man das wohl ein "No Go" , dass der Wirtschaftsminister, weil sich für die Finanzierung wichtiger Vorhaben in den drei Parteien der Ampel keine Mehrheiten finden lassen, die Rettung bzw. Zuflucht in neuen Schulden, auch "Sondervermögen" genannt, sieht oder sucht. Die heute Regierungsverantwortung Tragenden sollten sich am Riemen reißen und beherzigen, dass auch die künftigen Generationen eine Welt vorfinden wollen, in der es sich zu leben lohnt, in der Leben Freude bereitet.
Glück auf!

Donnerstag, 1. Februar 2024 - 16:21 Uhr
Nazis, die mehrheitlich gar keine Nazis sind

Das Wort Nazi, eine Kurzform für Nationalsozialist, ist gegenwärtig mächtig im Schwange, in fast aller Munde und dient dazu, alle politischen Strömungen rechts der "bürgerlichen Mitte" an den Pranger zu stellen. Es zielt auf die "Reichsbürger", vor allem aber auf die AfD, deren Aufstieg vielen Sorge bereitet. Wichtiger Auslöser der jüngsten Kampagne war das sogenannte Geheimtreffen Rechtsextremer in einer Potsdamer Villa. Allerdings wurde meines Wissens bisher kein einziges AfD-Mitglied als Teilnehmer an der Sitzung benannt. Das Rechercheforum "correctiv" sollte hier noch nachliefern, damit der mediale Feldzug nicht ins Leere läuft und sich als Popanz erweist.
Im letzten ARD-Presseclub (28. Januar 24) warnte eine Journalistin (Sabine Rennefanz) davor, die Wählerinnen und Wähler der AfD pauschal als notorische Extremisten abzutun. Diese Ausgrenzung könne die Wirkung eines Bumerangs entfalten, das Wählerpotenzial der AfD vor den Kopf stoßen und erwidern lassen: "Wenn ihr so redet, könnt ihr nicht uns meinen. Wir passen nicht in dieses Klischee." Solchen Bedenken kann ich mich nur anschließen. Es darf nicht dazu kommen, dass jeder, dem das in den Sinn kommt, mit dem Schlag- und Schimpfwort "Nazi" um sich wirft. Dies sollte auch Sozialdemokraten ein Anliegen sein. Von politischen Gegnern wurde ihnen gern das Etikett "Sozis" angeheftet. Bedenkenswert ist der Vorschlag, nicht ein Verbot der AfD anzustreben, sondern einzelne prominente AfD-Funktionäre, die nachweislich nationalsozialistisches Vokabular und Gedankengut verbreiten, juristisch zur Verantwortung zu ziehen.
Nochmals plädiere ich dafür, zu differenzieren, Unterschiede zu erkennen und gelten zu lassen. Was ist das für eine politische Kultur, wenn die Wörter "Panzer" und "Waffen" ein und dasselbe bedeuten sollen, wenn Kritik an dem Vorgehen israelischer Streitkräfte gegen palästinensische Zivilisten als Indiz für Antisemitismus bewertet wird, wenn Mitarbeiter des UN-Palästinenserhilfswerks leichthin sowie ungeprüft zu Kollaborateuren der Hamas deklariert werden (weil dies von israelischen Geheimdienstlern behauptet wird), wenn zum 70. Jahrestag des Aufstandes gegen das DDR-Regime (17. Juni 1953) Bertolt Brecht zum Komplizen Walter Ulbrichts und seines Herrschaftsapparates erklärt wird, bleibt nur Kopfschütteln, bleiben nur Ärger und Wut. Was ist da abgelaufen? Bert Brecht, Kommunist, wohnhaft in Ost-Berlin, der "Hauptstadt der Deutschen Demokratischen Republik", also SED-Sympathisant - etwas anderes kommt da doch gar nicht in Betracht. Erschreckend ist sie, diese Tendenz zur Vereinfachung bis hin zur Verdummung. Anlässlich der bevorstehenden Europa-Wahl sowie der Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg sträuben sich mir die Nackenhaare. Sind wir samt und sonders auf die "Wahlomaten" angewiesen? Ist eine weitere Verflachung und Nivellierung in der staatsbürgerlichen Bildung noch vorstellbar? In den 1960ern schrieb Georg Picht das Buch "Die deutsche Bildungskatastrophe". Wie schneidet daran gemessen die gegenwärtige Bildungsmisere ab?
Der Internationale Holocaust-Gedenktag, also der 27. Januar, fiel in diesem Jahr auf einen Samstag, mithin auf ein Wochenende. Wohl auch deshalb holte der Deutsche Bundestag das Gedenken am Mittwoch, dem 31. Januar, nach. Die geplante Generaldebatte über den Bundeshaushalt 2024 rückte folglich auf den zweiten Platz der Tagesordnung. In der vorangehenden Gedenkstunde ging es auch um aktuelle antisemitische Straftaten. "Nie wieder ist jetzt!" Soll das heißen, dass die "Nazis" immer noch oder schon wieder unter uns weilen? Zu welcher Diagnose käme Fritz Bauer, wenn er noch lebte? Allen Anfeindungen zum Trotz kämpfte er dafür, die Auschwitz-Prozesse in Gang zu setzen. Am 31. Januar urteilte Britta Haßelmann in ihrer Bundestagsrede, die judenfeindlichen Ausschreitungen der Gegenwart seien "eine Schande für unser Land". Doch was ist das heute, "unser Land"? Ist es "das deutsche Vaterland", das in unserer Nationalhymne besungen wird und "im Glanze dieses Glückes blühen" soll? Und wer sind die Antisemiten unserer Tage? Müssen wir uns kollektiv "in Sack und Asche" hüllen und reuig in die Klage einstimmen "Schande über uns!" ?

Montag, 29. Januar 2024 - 19:56 Uhr
Krieg: Grauen und Schrecken - oder auch Faszination?

Nach der Kriegserklärung an Frankreich (3. August 1914) verabschiedete Kaiser Wilhelm II. deutsche Truppen mit dem Versprechen: "Wenn die Blätter fallen, sehen wir uns wieder." Hiermit meinte er den Herbst des Jahres 1914. Daraus wurde jedoch nichts, wie wir alle wissen. Vier Jahre später war der Erste Weltkrieg immer noch nicht zu Ende. Im November 1918 waren die Blätter bereits gefallen. Die 3. Oberste Heeresleitung ließ Seine Majestät und die Reichsregierung wissen, der Krieg sei nicht mehr zu gewinnen. Es müssten unverzüglich Waffenstillstandsverhandlungen eingeleitet werden - bevor feindliche Verbände deutschen Boden beträten. - An den Waggons von Zügen, die im August 1914 den Truppentransport an die Westfront übernehmen sollten, war das Motto zu lesen "Spaziergang nach Paris." Es kam freilich anders. Die deutschen Soldaten, großenteils Kriegsfreiwillige, blieben weit davon entfernt, die französische Hauptstadt zu erreichen. Sie saßen in Schützengräben fest, um sich herum die schrecklichen Materialschlachten. An einen Heldentod war absolut nicht mehr zu denken.
Im Spätherbst des Jahres 1911 schrieb der deutsche Schriftsteller Georg Heym sein Gedicht "Der Krieg". Hierin zeigt sich dessen ganze Ambivalenz: einerseits das entsetzliche Zerstörungswerk und andererseits die Freude und die Lust am Untergang der bürgerlichen Welt. In einem Tagebucheintrag beklagte Heym die entsetzliche "Langeweile" des Friedens. Es geschehe rein gar nichts mehr. Wenn ihn doch wenigstens eine Gewehrkugel träfe! Dazu kam es jedoch nicht mehr. Im Winter 1911/1912 brach der Dichter beim Schlittschuhlaufen auf einem Havelsee ein und ertrank.
Wenn ich das ganze Gequatsche von Leuten höre, die allesamt wissen wollen, was die Streitkräfte der Ukraine in ihrem Abwehrkampf gegen russisches Militär brauchen, um den Krieg gegen den übermächtigen Nachbarn doch noch zu gewinnen, wird mir ganz übel. Diese großmäuligen, wichtigtuerischen Fachsimpeleien! Soll man der Ukraine nun doch den Marschflugkörper TAURUS liefern? Oder tut es auch der weniger effektive englisch-französische "storm shadow" bzw. "scalp" ? Die Maßstäbe für die Effektivität sind dabei die Reichweite und die Zerstörungskraft. Es müsse doch möglich sein, Russland in die Knie zu zwingen, so der häufig zu vernehmende Tenor. Die Bedenken gegen eine Verschiebung des Kampfgeschehens auf russisches Territorium seien häufig nur ein Vorwand, hinter dem sich Mutlosigkeit, mangelnde Risikobereitschaft verberge. Die ukrainische Luftwaffe müsse dazu befähigt werden, mit einem TAURUS-Geschoss die Brücke von Kertsch einstürzen zu lassen und so den russischen Nachschub auszuschalten.
Selbsternannte Sachverständige wie Claudia Major und Carlo Masala, die eigene Fronterfahrungen meiden wie der Teufel das Weihwasser, finden immer wieder Gelegenheiten, in Interviews oder TalkShows ihre militärischen Expertisen unters Volk zu bringen. An einem raschen Ende des Krieges sind sie in aller Regel wenig interessiert. Kriege haben sich schon oft als vital und langlebig erwiesen. Hin und wieder brauchen sie Pausen, um sich zu erholen. Doch danach kann es unvermindert weitergehen. Wallenstein verhieß dem Kaiser: "Der Krieg ernährt den Krieg." Friedrich Dürrenmatt räumte ein, dass der gewaltige Pilz, der nach der Explosion einer Atombombe aufsteige, eines gewissen ästhetischen Reizes durchaus nicht entbehre. Auch Georg Heyms Krieg strotzt vor Kraft und bringt, sich wild gebärdend und tanzend, Verderben in die Städte. - Den genannten militaristischen Herrschaften sei dringend ans Herz gelegt, für einige Tage in einem durch russischen Beschuss demolierten Haus auszuharren und hautnah zu erleben, was es bedeutet, von elementarer Versorgung abgeschnitten zu sein, in ungeheizten Räumen mit zerborstenen Fensterscheiben zu wohnen, ohne fließendes Wasser und ohne Elektrizität. Gestern Abend blieb bei Caren Miosga eine echte Diskussion aus. Die Runde war sich einig - in der Verurteilung des russischen Terrors sowie in der Überzeugung, dass die Ukraine weitere militärische und politische Unterstützung von Seiten des Westens benötige.
Kürzlich wurde berichtet, dass an einem "Operationsplan Deutschland" gearbeitet werde, an der Vernetzung der Verteidigungsanstrengungen auf allen Ebenen, an der Zusammenführung von Militärischem und Zivilem. Uns scheinen unruhige Zeiten bevorzustehen. Wir sollen wohl auf alles gefasst sein. Auch auf eine militärische Auseinandersetzung mit Russland? Schluss mit der "Friedensdividende" !?! In Brüssel, Hauptstadt der Europäischen Union, wird erwogen, eine neue Behörde zu schaffen und einen ihr vorsitzenden Verteidigungs-kommissar zu berufen. Na, dann mal los!

Freitag, 26. Januar 2024 - 18:24 Uhr
Demokratie in Deutschland - von oben nach unten ?

In Artikel 20 des Grundgesetzes heißt es: "Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus." Das bedeutet freilich nicht, dass wir es mit einer direkten Demokratie zu tun hätten, wie es beispielsweise im Rätestaat der Fall ist. Elemente der direkten Demokratie gibt es derzeit nur auf der Ebene der Bundesländer. So scheiterte das Vorhaben des Hamburger Senates, die Olympischen Sommerspiele 2016 in die Hansestadt zu holen, an einem Bürgerentscheid gegen dieses Projekt. Auf Bundesebene gelten die Regeln der repräsentativen Demokratie. Im Abstand von jeweils 4 Jahren kann das Wahlvolk über die Zusammensetzung des neuen Bundestags entscheiden. In den Zwischenzeiten liegt das politische Handeln in den Händen gewählter Volksvertreter. Der Souverän ist auf die Rolle des aufmerksamen, kritischen Beobachters verwiesen.
Zwei Beispiele mögen das Problem verdeutlichen. In Grünheide wollte Elon Musk 2021/2022 eine "giga-factory" für E-Autos der Marke Tesla bauen - mit üppigen staatlichen Zuschüssen. Den betroffenen brandenburgischen Bürgern und Bürgerinnen wurde immerhin eine Möglichkeit eingeräumt, ihre Bedenken oder Einwände gegen das riesige Werk zu erheben. Noch vor Ablauf der Einspruchsfrist erteilte das Land Brandenburg Herrn Elon Musk eine "vorläufige Baugenehmigung". Den amerikanischen Milliardär konnte man doch nicht warten lassen. Womöglich hätte er sich für einen anderen Standort entschieden. Musk verstand die Vorläufigkeit so, wie sie gemeint war, und ließ die Bauarbeiten anlaufen. Zur Eröffnung des Werkes reisten der Bundeskanzler und der brandenburgische Ministerpräsident an und waren voll des Lobes für den solventen Unternehmer.
In Dithmarschen spielte sich Ähnliches ab. Der schwedische Konzern "Northvolt" plante den Bau einer Chipfabrik. An den erforderlichen Genehmigungsverfahren war auch die Europäische Union beteiligt. Sie musste die staatlichen Zuwendungen billigen. Am untersten Ende hing es noch an der Zustimmung der kleinen Gemeinde Norderwöhrden. Niemand wird mir wohl weismachen wollen, der Gemeinderat sei in seiner Entscheidung noch frei gewesen. Der Druck war einfach zu groß. An einem Dorf sollte die Errichtung der Fabrik scheitern?! Wer konnte das verantworten? viele Arbeitsplätze und der Ruf des Wirtschaftsstandorts Deutschland standen auf dem Spiel.
Um nicht missverstanden zu werden: Mir liegt fern, wirtschaftliche Belange und Interessen zu verteufeln. Das Beschriebene soll allerdings die Schattenseiten, die hässlichen Gesichter unserer Verfassungswirklichkeit beleuchten - ohne den Anspruch zu erheben, es besser machen zu können. Vergeblich wird die Suche nach einer Staatsform bleiben, die solche misslichen Phänomene verhindern oder aus der Welt schaffen könnte. Es muss jedoch darüber gesprochen werden können. Wenn unser politisches Spitzenpersonal sich dem verweigert, werden die Gegner des "Systems" ihre Finger in die Wunden legen. Verschleierung ist der falsche Weg. Auch die Schleierfahndung führt nicht weiter. Bundeskanzler Scholz neigt dazu, einer präzisen Benennung von Missständen auszuweichen, wenn er etwa die Erfolge der AfD auf die "schlechte Laune" der Wählerinnen und Wähler zurückführt. Ebenso wenig ist es zweckdienlich, das Übel mit dem Spruch zu kommentieren: "Der Geist ist aus der Flasche." Als ob es um Magie, um Geisterbeschwörung ginge. Auch nicht zu empfehlen wäre ein kräftiger Schluck aus einer Flasche "Klosterfrau Melissengeist".
Die Bundesregierung muss sich einer kritischen Bestandsaufnahme stellen. Das betrifft nicht zuletzt die Außenpolitik. Welche weltweiten finanziellen Verpflichtungen will sie den deutschen Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern denn noch zumuten? Die aufgeregte Diskussion um die "Schuldenbremse" hat offenbar nicht zu Einsichten veranlasst.

Dienstag, 23. Januar 2024 - 16:54 Uhr
"Wir starten eine Rückführungsoffensive ..."

So steht es im Koalitionsvertrag für die Legislaturperiode 2021-2025 unter der Überschrift "Integration - Migration - Flucht". Freundliche, friedliche Assoziationen wollen sich bei dem Nomen "Offensive" nicht einstellen. Meist wird das Wort auf kriegerische Aktionen bezogen. Als ein markantes Beispiel lässt sich die letztlich gescheiterte Frühjahrsoffensive des kaiserlichen Heeres in den Monaten März bis Juli 1918 nennen. Bekannt geworden ist auch die Ankündigung einer Frühjahrsoffensive der ukrainischen Streitkräfte im Abwehrkampf gegen Putin-Russland. Ein Erfolg oder Durchbruch lässt immer noch auf sich warten. Es wird von einem Stellungskrieg, einem Abnutzungskrieg, von einer militärischen "Patt-Situation" gesprochen. Ein Ende ist nicht abzusehen. All dies konnten die Ampel-Koalitionäre im Dezember 2021 nicht wissen. In dem "Gesetz zur Verbesserung der Rückführung" (auch Rückführungsverbesserungsgesetz), am 18. Januar 2024 vom Bundestag beschlossen, kommt, soweit ich weiß, das Wort "Offensive" nicht mehr vor Den am öffentlichen Diskurs Beteiligten sei dringend dazu geraten, sorgfältig auf ihre Terminologie zu achten, um Missverständnisse zu vermeiden. Bei dem "Geheimtreffen" in einer Potsdamer Villa (November 2023) soll das Wort "Remigration" von zentraler Bedeutung gewesen sein. Ursprünglich unverfänglich und selbst in der Wissenschaft (etwa in der Soziologie) gebräuchlich, soll der Terminus neuerdings von der politischen Rechten gekapert und missbraucht worden sein. Wohl auch deshalb hat eine sprachwissenschaftliche Jury (Marburg) die "Remigration" zum "Unwort des Jahres 2023" erklärt. Das muss hastig erfolgt sein. Versuchen wir, etwas genauer hinzuschauen. Das klassische Latein kennt die Vokabel remigrare. deutsch zurückkehren, zurückwandern. "Remigration" ist eine (künstliche) Wortschöpfung, die sich weder im Rechtschreib-Duden noch im Duden-Fremdwörterbuch findet. Geläufig ist aber Remigrant bzw. Remigrantin als Bezeichnung für jemanden, der aus dem Exil in sein Herkunftsland zurückkehrt. Die Bewegung geht hierbei von der zurückkehrenden Person aus, die folglich als Subjekt fungiert. Bei der Rückführung ist das umgekehrt. Die Person ist das Objekt, mit dem etwas gemacht wird, ob es will oder nicht. Warum die erwähnte Jury das Nomen Remigration, das in der Welt der DUDEN-Wörterbücher gar nicht anzutreffen ist, in aller Eile zum Unwort des Jahres gekürt hat, ist mir nicht ganz verständlich. Schlie0lich ist es der Würde des Menschen gemäßer als das Substantiv Rückführung.
Liebe Genossinnen und Genossen, Es gehrt mir nicht um Haarspalterei oder Wortklauberei, sondern ausschließlich um sprachliche Präzision. Genauigkeit erwarte ich auch von dem Recherche-Netzwerk "correctiv". Ob es nun legal war, das private Treffen in der Potsdamer Villa aufzuzeichnen, ist nebensächlich, unerheblich. Es gehört zu den Aufgaben des Journalismus, Sachverhalte und Vorgänge, die das Licht der Öffentlichkeit scheuen, publik zu machen. Sonst hätte es den Watergate-Skandal nicht gegeben. Wichtig ist allerdings, zweifelsfrei klarzustellen, was in Potsdam gesagt wurde, ob also wirklich die Worte Deportation, Vertreibung, massenhafte Ausweisung gefallen sind. Das ist um so wichtiger, als in unseren Tagen von verschiedenen Seiten aus vollen Rohren auf die AfD geschossen wird und der Eindruck entstehen könnte, dass auch Institutionen wie die Verfassungsschutzämter des Bundes und der Länder für Wahlkampfzwecke benutzt werden. Welchem aufmerksamen Zeitgenossen kann entgangen sein, dass der gestrige Spruch des Bundesverfassungsgerichts zur NPD von den Wahlkämpfern der "bürgerlichen Mitte" als Schützenhilfe gegen die AfD begrüßt wurde?
Zum Schluss möchte ich noch meine leisen Zweifel an der Glaubwürdigkeit dessen äußern, was "correctiv" in diesen Tagen verbreitet hat. Meine Skepsis wurde nicht zuletzt durch ein Interview genährt, das Ulrich Vosgerau, Teilnehmer an dem "Geheimtreffen" und CDU-Mitglied, bei YouTube hochgeladen hat. Seid auf der Hut, Genossen und Genossinnen! Hysterie behindert Denkprozesse und erschwert Erkenntnis.

Freitag, 19. Januar 2024 - 18:46 Uhr
Journalistischer Sittenverfall

Gemeint ist schlicht und einfach der Mangel an Bereitschaft, penibel auf Genauigkeit zu achten, Unterschiede wahrzunehmen und gelten zu lassen. Dass Politiker und Politikerinnen sich nicht hieran halten, ist nicht verwunderlich. Scham ist von ihnen nicht unbedingt zu erwarten. Wenn also namhafte AfD-Funktionäre der Politikerin Sahra Wagenknecht nach der Veranstaltung vom 25. Februar 2023 ("Manifest für Frieden" einluden, sich zu ihnen zu gesellen, ist das absurd und mag lächerlich wirken. Problematisch wird es allerdings, wenn Journalismus, der ernst genommen werden möchte, auf diesen Zug aufspringt, also kritische Distanz vermissen lässt.
Am 17. Januar 2024 hatte Markus Lanz Sahra Wagenknecht, Marcus Bensmann und Robin Alexander zu Gast. Diskutiert wurde über das Geheimtreffen politisch weit rechts Stehender in der Potsdamer Villa Adlon. Dem Medienhaus "correctiv", das maßgeblich geleitet wird von den Journalisten Marcus Bensmann und Justus von Daniels, war es gelungen, einen Mitarbeiter undercover, also unter falschem Namen (der richtige Name wurde nicht genannt) in das Gästehaus einzuschleusen mit dem Auftrag, das Gehörte und Gesehene unauffällig zu filmen. Das Video wurde meines Wissens nicht ins Internet gestellt, diente nur als Quelle, der einzelne Begriffe und Passagen entnommen wurden. Im Mittelpunkt stand demnach das Thema "Remigration". Welche Wörter tatsächlich benutzt wurden, blieb unausgesprochen. Es sei von "Deportationen", "Vertreibung" und "massenhaften Ausweisungen" die Rede gewesen, und zwar solcher Ausländer, die eine "Assimilation" an die Kultur der einheimischen Bevölkerung verweigert hätten. Das zitierte Vokabular ist in der Tat erschreckend und erinnert an den Sprachgebrauch des Nationalsozialismus. Klarheit könnte eine Wiedergabe des Originals schaffen. Auch die journalistische Glaubwürdigkeit wäre damit gewährleistet.
Zu dem Geheimtreffen eingeladen hatten der Zahnarzt Gernot Mörig und der unternehmerisch tätige Großbäcker Hans Christian Limmer. Sämtliche Gesprächsteilnehmer mochten nicht davon lassen, den Initiator Herrn "Möring" zu nennen. Unvorsichtigerweise merkte Sahra Wagenknecht an, Herrn Mörig zu kennen. Er habe ihr jahrelang freundliche Mails geschrieben und 2013/2014 ein Abendessen mit dem Kabarettisten Volker Pispers vermittelt. Der Talkshowmaster Lanz und Marcus Bensmann hakten unvermittelt nach und wollten wissen, wie es dazu habe kommen können, dass die bekanntermaßen linke Frau Wagenknecht sich mit einem politischen Rechtsaußen habe an einen Tisch setzen können. Ob sie sich denn nicht darüber informiert habe, mit wem sie da speiste. Möglicherweise sei sie auf dem rechten Auge blind oder sympathisiere gar mit Leuten dieses Schlages. Offenkundig sollte Sahra Wagenknecht, die nicht schlecht staunte, in Verlegenheit gebracht, aufs Glatteis geführt und als unsichere Kantonistin vorgeführt werden.
Auch dieses Beispiel zeigt: Die Maßstäbe sind gewaltig ins Rutschen gekommen, die Koordinaten haben sich deutlich verschoben. In den Berichten und Kommentaren zur Gründung der Partei "Bündnis Sahra Wagenknecht" hieß es, das Programm der neuen Partei sei wirtschaftspolitisch eher "links", gesellschaftspolitisch jedoch eher "rechts" zu verorten. Die Kriterien für diese Zuordnung sind freilich fragwürdig. Die Wirtschaftsweisen haben sich 2023 für eine Anhebung des Spitzensteuersatzes und eine höhere Besteuerung großer Vermögen ausgesprochen. Verdient dieses Gremium allein deshalb das Attribut "links"? Und sind diejenigen, die das in Mode gekommene "Gendern" ablehnen, schon deswegen fortschrittsfeindlich?
All denen, die tagtäglich mit Sprache umgehen, sei geraten,
auf eine genaue, klare Diktion zu achten und nicht einem modischen Trend aufzusitzen. Denn dem Sprechen folgt häufig ein Handeln.





Samstag, 13. Januar 2024 - 16:26 Uhr
Schein-"wissenschaftliche" Tatsachenverdrehung

Strebsam und erfolgreich hat Claudia Major sich unter anderem zur Mitarbeiterin der "Stiftung Wissenschaft und Politik" empor gearbeitet. Dies sollte einhergehen mit einem hohem Anspruch an die eigene Arbeit. Dazu will es jedoch gar nicht passen, dass Frau Major in einer Talk Show unwidersprochen behauptete, Russland sei im 21. Jahrhundert "näher an die NATO herangerückt", und das mit boshaften Absichten. So weit ist es also mit der Wissenschaftlichkeit gekommen. Noch ist mir nicht klar, ob Claudia Major es nicht besser weiß oder ob sie wissentlich falsche Aussagen trifft - des erwünschten propagandistischen Effekts halber. Jedenfalls ist nicht beabsichtigt, ein stimmiges, objektives Gesamtbild der jeweiligen Situation vorzulegen. Putin, so Frau Major, ist zweifelsfrei die Ausgeburt, der Inbegriff russischer Feindseligkeit. Mit ihm könne und dürfe man sich nicht an den Verhandlungstisch setzen. Wenn Gabriele Krone-Schmalz einem ihrer Bücher den Titel gibt "Russland verstehen", wird die Autorin im Handumdrehen verdächtigt, den Angriffskrieg gegen die Ukraine zu akzeptieren oder gar gutzuheißen. Folglich wird sie seltener zu Vorträgen oder Gesprächsrunden eingeladen. Das ist kein Einzelfall. Auch Harald Kujat, ehemaliger Generalinspekteur der Bundeswehr, sitzt in der Warteschleife und erklärt sich das damit, dass er auf einer ganzheitlichen Betrachtung und Lagebeurteilung besteht. Nicht zufällig beruft er sich auf den Philosophen Hegel und den Militärtheoretiker Carl von Clausewitz.
Bessere Chancen, Gehör zu finden und um eine Stellungnahme gebeten zu werden, haben diejenigen, die zu kompromissloser Härte gegenüber dem russischen Aggressor raten und die Ukraine gegen die russischen Streitkräfte siegen sehen wollen. Nachgiebigkeit sei der falsche Weg, ermuntere zu weiteren imperialistischen Kampfhandlungen und gefährde die Freiheit der gesamten westlichen Welt. Dem müsse Einhalt geboten werden, koste es, was es wolle.
Besorgniserregend und schlafraubend ist die Vorstellung, dass Leute vom Format und Kaliber einer Claudia Major den Bundestag und die Bundesregierung "beraten" und den "wissenschaftlichen Dienst" unserer höchsten Verfassungsorgane bestreiten. Im Hochmittelalter galt die Philosophie als "Magd" (ancilla) der Theologie. hatte also deren Dogmen logisch zu begründen, zu untermauern. Entsprechend mühsam gestaltete sich die Befreiung vom theologischen Joch. Wenn "Wissenschaft" sich bereit hält, der Politik zu Diensten zu sein oder den politisch Handelnden eine bestimmte Richtung vorzugeben, ist "Gefahr im Verzug". Dann muss Wissenschaft ihr Selbstverständnis klären, um nicht einen Pseudo-Charakter anzunehmen.
Auf dem NATO-Gipfel in Bukarest (2008) wollten die USA und Großbritannien über die Aufnahme Georgiens und der Ukraine verhandeln und entscheiden. Deutschland und Frankreich sprachen sich dagegen aus. Und das aus gutem Grund. Seit 1954 war die Krim ein Teil der Ukraine, die 1991 ihre Mitgliedschaft in der Sowjetunion aufkündigte und ihre Unabhängigkeit erklärte. Mit der Aufnahme in die NATO wäre eine Situation entstanden, in der Russland hätte mit ansehen müssen, wie auf der Halbinsel, Stützpunkt der russischen Schwarzmeerflotte, US-amerikanische Mittelstreckenraketen stationiert worden wären. Wie so etwas funktioniert, hatten die USA in Polen und Rumänien demonstriert, zwei Staaten mit langen Nordatlantikküsten. Das Verteidigungsbündnis mit dem Namen North Atlantic Treaty Organization - zu deutsch Nordatlantikpakt - war nach 1991 weit in die Gebiete des ehemaligen Ostblocks vorgedrungen. In den Jahren 2013/2014 zeichnete sich eine Westbindung der Ukraine ab. Präsident Janukowytsch, von Russland im Amt gehalten, weigerte sich, das Assoziierungsabkommen mit der EU zu unterzeichnen, was zum Machtkampf mit dem Parlament und zu prowestlichen Demonstrationen (Majdan) führte. Der Präsident floh nach Russland. Putin schaffte Fakten und ließ die Krim besetzen. Diesem nach westlicher Lesart völkerrechtswidrigen Akt - manche betrachten ihn als Kriegsbeginn - folgten westliche Sanktionen. Im Februar 2022 erklärte der deutsche Bundeskanzler am Rande der MSK, die Aufnahme der Ukraine in die NATO stehe "gar nicht auf der Tagesordnung". Diese Frage war also immer noch nicht vom Tisch. Konnte sie auch gar nicht, denn die Münchner Sicherheits-Konferenz war dafür gar nicht zuständig. Was der nächste NATO-Gipfel entscheiden würde, lag in den Sternen. Diese Ungewissheit wollte der russische Diktator Wladimir Putin nicht länger hinnehmen. Seinem Befehl gemäß rückten am 24. Februar 2022 russische Streitkräfte in die Ukraine ein. Der blutige, zerstörerische Krieg geht im Februar 2024 in sein drittes Jahr. Anstatt alles daran zu setzen, die Kampfhandlungen zu beenden, wird in Davos beraten, wie der Wiederaufbau des Landes gelingen kann und wer die Kosten übernimmt. Wie ich befürchte, wird wieder einmal die Bundesrepublik Deutschland mit Unsummen bürgen (der Götterbote Hermes wird es irgendwie richten), Schuldenbremse hin, Schuldenbremse her. Verantwortung zu tragen, auch für die künftigen Generationen, gehört offenbar nicht zu den Stärken der Bundesregierung. Leider!

Mittwoch, 10. Januar 2024 - 16:03 Uhr
Ralf Stegner im Halstenbeker Schützenhaus

Keine Sorge: Scharf geschossen wurde gestern Abend nicht. Aber ein atmosphärisches Knistern machte sich bemerkbar, Spannung lag in der Luft, auch Reizbarkeit und Nervosität kennzeichneten die Reden und Gegenreden. In Anbetracht der gegenwärtigen Situation der SPD ist dies auch nicht verwunderlich, denn die Partei hat seit dem Wahlsieg von 2021 einen Stimmenverlust von circa 10 Prozent zu verkraften und offenkundig große Mühe mit der Aufarbeitung.
Wie nicht anders zu erwarten, spricht Ralf Stegner auch über die AfD. Vor geraumer Zeit hat Olaf Scholz deren Aufstieg auf die "schlechte Laune" der Wählerinnen und Wähler zurückgeführt. Ebenso unsinnig ist es, denjenigen, die ihr Kreuz bei der erst gut 10 Jahre alten Partei machen, zu attestieren, sie sympathisierten mit "Neo-Nazis". Die derart Gescholtenen können zu Recht darauf hinweisen, dass die "Altparteien" nicht begriffen hätten, worum es eigentlich geht. Marco Wanderwitz (CDU), ehemals Ostbeauftragter, bescheinigte den Wählerinnen und Wähler in den neuen Bundesländern, sie seien "diktatursozialisiert", im Grunde für die Demokratie verloren. Man müsse sich bei der politischen Arbeit auf die jungen Leute konzentrieren; hier sei noch einiges zu retten. Unter diesen Vorzeichen sind die Landtagswahlen im Herbst dieses Jahres nicht zu gewinnen.
Selbstverständlich kam auch der Ukraine-Krieg zur Sprache. Die deutschen Hilfen für das angegriffene Land müssten, so Ralf Stegner, fortgesetzt werden, auch wenn eine militärische Lösung des Konflikts letztlich auszuschließen sei. Zahlen wurden nicht genannt. Verhandlungen zwischen den Kriegsparteien und deren Verbündeten müssten "hinter verschlossenen Türen" stattfinden. Die Wirksamkeit der Sanktionen gegen Russland gehörte nicht zu den Themen des Abends. Die Hoffnungen des Westens darauf, Russland international isolieren zu können, haben sich nicht bestätigt. Stolz führt die NATO indessen ins Feld, neue Mitglieder gewonnen zu haben: Finnland, möglicherweise auch Schweden. Abzusehen ist freilich nicht, dass die Erweiterung der NATO zur geopolitischen Entspannung beigetragen hätte. Der Präsident und die Administration der USA lassen die NATO-Staaten eher wissen, dass sie Europa gern hinter sich sähen bei ihrem Ringen mit der Volksrepublik China um die Herrschaft in der Welt. Was sagt es über Europas weltpolitisches Gewicht aus, dass die Völker und die Regierungen dieses Kontinents sich glücklich schätzen müssen, wenn der US-amerikanische Präsident nicht Donald Trump, sondern (noch) Joe Biden heißt? Nicht nur die Republikaner in Washington erklären, der Krieg in der Ukraine sei eine Angelegenheit der Europäer. Manches deutet darauf hin, dass die Vereinigten Staaten kriegsmüde sind und ihre Unterstützung der Ukraine reduzieren oder gar einstellen wollen. Welche Rolle ist dann der Bundesrepublik Deutschland in Europa zugedacht? Soll Berlin in der neuen Konstellation die Führungsrolle übernehmen? Die Bundeswehr war während der Amtszeit eines sozialdemokratischen Bundeskanzlers an zwei NATO-Einsätzen beteiligt: am Kosovo-Krieg (1998/99) und am Afghanistan-Krieg (2001-2021). Ein drittes Mal darf es nicht geben.
Ralf Stegners Ausführungen zur "Schuldenbremse" blieben vage. Das Thema birgt Zündstoff für die "Ampel". Ohne Änderung des Grundgesetzes ist dem Dilemma kaum beizukommen. Dazu brauchte man jedoch CDU/CSU. Und die christliche Opposition fordert Neuwahlen. Für die drei Parteien der Bundesregierung eine grauenvolle Perspektive! Unklugerweise hat die SPD maßgeblich daran mitgewirkt, den Bundeshaushalt erheblich trocken zu legen: durch die Absenkung des Spitzensteuersatzes (um ca. 10 Prozentpunkte) und die Aussetzung der Vermögenssteuer.
Das Reizthema Migration packte Ralf Stegner gar nicht erst an. Die Zurückhaltung der SPD in dieser Frage ist nicht neu. 2018 stritten sich CDU (Angela Merkel) und CSU (Horst Seehofer) um eine Obergrenze bei der Aufnahme von Asylsuchenden. Die SPD mokierte sich über das "Sommertheater", drückte sich jedoch um eine eigene Stellungnahme. Wegschweigen lässt sich das Problem aber nicht. Bundespräsident Joachim Gauck wagte es, öffentlich zu betonen, Deutschlands Bereitschaft sei groß, seine Möglichkeiten jedoch "endlich". Fehlt es unserer Regierung an Mut, sich verbindlich zu erklären? Will man dieses Thema bei einer "gesichert rechtsextremistischen" Partei abladen und sie damit punkten lassen? Bequemer und weniger umstritten scheint es zur Zeit zu sein, jeden als Unmenschen zu diffamieren, der sich ernsthaft Gedanken darüber macht, was die Bundesrepublik Deutschland zu leisten vermag.
Bleibende Eindrücke des lohnenden und insgesamt gelungenen Abends:
- Ralf Stegner warnt davor, Deutschlands Situation
schlechtzureden. Etliche unserer Nachbarn hätten
ernstere Sorgen.
- Er lässt keinen Zweifel daran, dass er entschieden hinter
Olaf Scholz steht.
- Es gibt unter uns selbstbewusste, engagierte und
streitbare Demokraten.

Dienstag, 2. Januar 2024 - 13:35 Uhr
"Frisch auf, mein Volk! Die Flammenzeichen rauchen ..."

Der dritte Vers des Gedichtes "Aufruf" (1813) von Karl Theodor Körner lautet:
"Du sollst den Stahl in Feindes Herzen tauchen ..."
Körners martialisches Engagement zielte auf die Erhebung gegen die von Kaiser Napoleon erzwungene Vorherrschaft Frankreichs in Europa. Alle verfügbaren Kräfte sollten mobilisiert werden, selbst die der älteren Jahrgänge: "Das Winseln deiner Greise ruft: Erwache!" - Alt ist der Heißsporn Karl Theodor Körner nicht geworden. Vier Wochen vor seinem 22. Geburtstag traf ihn bei Lützow die tödliche Kugel. Die Heldenverehrung ließ nicht lange auf sich warten. Ungefähr 130 Jahre später lässt Bertolt Brecht seinen Galilei ausrufen: "Weh dem Land, das Helden braucht!"
Die Weihnachtstage und der Jahreswechsel haben es in sich. Allerlei Prominenz meldet sich zu Wort. Der Bundespräsident spricht zu seinen "Landsleuten". Auch der Bundeskanzler wendet sich in seiner Neujahrsansprache an die "lieben Mitbürger und Mitbürgerinnen". Dabei verzieht er keine Miene. Der Ernst der Lage, in der die Bundesrepublik Deutschland sich zur Zeit befindet, ist Olaf Scholz bewusst. Der Kanzler erinnert an den brutalen Überfall russischer Truppen auf die Ukraine, behauptet aber unmittelbar danach wahrheitswidrig, dass kurz darauf Putin den Deutschen "den Gashahn abgedreht" habe. Richtig ist, dass die Bundesregierung dem enormen moralischen Druck nachgegeben hat, der besagte, Deutschland dürfe mit der Bezahlung russischer Gaslieferungen auf gar keinen Fall Putins Kriegskasse füllen. Die Gas-Pipeline Nord Stream 2 hat trotz Fertigstellung niemals den Betrieb aufgenommen, und zwar auf Weisung aus Berlin. Die nicht zum ersten Mal in die Welt gesetzte Lüge schafft kein Vertrauen in die Politik und kann auch so verstanden werden, dass sowohl die Ukraine als auch die Bundesrepublik Deutschland Opfer russischer Aggression geworden seien. Daher sei es nur konsequent, dass Deutschland der Ukraine mit Waffenlieferungen zur Seite stehe. Bereits vier Monate ist es her, dass die Bundesregierung damit begonnen hat, die Möglichkeit zu "prüfen", der Ukraine auch den Marschflugkörper TAURUS zur Verfügung zu stellen. Wann endlich ist mit einem unmissverständlichen Diktum aus dem Kanzleramt zu rechnen? Es könnte zur Deeskalation beitragen.
Im heutigen Morgen-Magazin half auch Eva Högl, Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages, den Zuschauern beiderlei Geschlechts auf die Sprünge. Mit einer Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht kann sie sich nicht anfreunden und nennt dafür einige Gründe. Unter anderem fehle es an Unterbringungsmöglichkeiten für alle Wehrfähigen. Dazu muss man wissen, dass die Kasernen nach der Aussetzung der Wehrpflicht (2011) "zweckentfremdet" wurden, also anderen Personen wie etwa Migranten als Unterkunft dienten. - Für andere Möglichkeiten, die deutsche Wehrkraft zu stärken, ist Frau Högl jedoch offen. Sie kann sich ein verpflichtendes "Gesellschaftsjahr" vorstellen und erklärt, dass die Verteidigung unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung nicht allein den Streitkräften überantwortet werden dürfe, sondern eine "gesamtgesellschaftliche Aufgabe" sei. Hierzu müssten "im Ernstfall" alle Bürgerinnen und Bürger bereit stehen. Wie das ausgestaltet und praktiziert werden könnte, bleibt ungesagt. Denkt Frau Högl an eine Volksbewaffnung? Soll jeder bzw. jede Erwachsene eine Knarre im Schlafzimmerschrank stehen haben? Unwillkürlich stellen sich Assoziationen ein: "Generalmobilmachung" oder "Volkssturm". Dass all dies nicht gemeint ist, bedarf dringend einer offiziellen Klärung. - Zu der Frage, was die Bundesrepublik Deutschland und ihre Verfassungsorgane tun können und müssen, um zu verhindern, dass der "Ernstfall" eintritt, schweigt Eva Högl sich aus. Der Blick in unsere Zukunft wird durch solche Botschaften nicht heiterer.
Prominenz, die einen eher akademischen Umgang mit dem Thema Krieg pflegt, sollte stets, bevor sie den Mund auftut, an die Politikverdrossenheit weiter Kreise unserer Gesellschaft denken. Wir haben ein Recht auf strahlende Gesichter und leben gern in einer Spaß-Community. Weniger Spaßiges ertragen wir nur in kleinen Dosen. Die Kurznachrichtendienste (Short Message Services) wollen schließlich auch beschäftigt sein. Empfehlenswert ist nicht zuletzt das neue Format "Tagesschau in 100 Sekunden". Und harmlos-lustig darf es auch zugehen. So erfahren wir im Mittags-Magazin von ARD und ZDF, das seit Jahresbeginn auf zwei Stunden ausgeweitet wird, interessanterweise, dass in den USA ein neuer Service Raum greift: Schafe werden als Rasenmäher eingesetzt - gegen Gebühr, versteht sich.

Samstag, 30. Dezember 2023 - 15:14 Uhr
Die verheerende Logik der Florence Gaab

Frau Gaab ist nicht zufällig in die Überschrift dieses Eintrags geraten. Sie steht symptomatisch für die Denkrichtung weiter einflussreicher Kreise der westlichen Welt und schwingt das Tanzbein auf diversen Hochzeiten, so etwa in Potsdam, Paris und Rom. Gern schmückt sie sich mit den Attributen "Politik- wissenschaftlerin", "Militärexpertin" sowie "Zukunftsforscherin" und posiert mit diesen Qualitäten nicht selten in Talkshows. Der Zutritt zu Schlachtfeldern blieb ihr augenscheinlich bisher versagt, was sie freilich nicht daran hindert, vermeintlich fundierte Urteile zu Fragen der Kriegführung abzugeben. In einem Streitgespräch mit Sahra Wagenknecht räumte sie zwar ein, es sei verständlich, wenn das Blutvergießen bedauert und Mitleid geäußert werde. Vorrang müsse jedoch strategisches Denken haben. Waffenstillstands- und Friedensverhandlungen zwischen Russland und der Ukraine seien erst möglich, wenn die Ukraine durch militärische Erfolge in einem Maße gestärkt sei, dass sie von Putin als ebenbürtiger Gegner wahr- und ernst genommen werde, also den russischen Diktator das Fürchten lehren könne. Sahra Wagenknechts Frage, wie dieses Ziel erreicht werden könne bzw. solle, ließ die Militärexpertin letztlich unbeantwortet, beharrte indessen darauf, dass der Westen weiterhin und unbegrenzt Waffen liefern müsse.
Um auch Kindsköpfen die komplexen Sachverhalte verständlich zu machen, vergleicht Florence Gaab die Kriegsführung mit dem Paartanz. Einer müsse dabei "führen". Es sei also abzuwarten, dass bzw. bis das "Kriegsglück" auf die Seite der ;Ukraine wechsele.
So weit, so gut. Bedenklich und furchterregend ist allerdings, dass Frau Gaab mit ihren Positionen nicht allein auf weiter Flur steht, sondern das Denken in solchen Kategorien seit geraumer Zeit Schule macht. Immerhin unterrichtet die Politikwissenschaftlerin junge, angehende NATO-Offiziere. Wenn strategische Überlegungen das Kriegselend und das unsägliche Leid unbeteiligter, unschuldiger Menschen völlig ausblendet, ist es höchste Zeit für ein Umdenken, für eine Umkehr. Wenn Verteidigungsminister bzw. -ministerinnen vorwiegend damit beschäftigt sind, Aufträge an die Rüstungsindustrien zu unterschreiben oder internationale Abkommen über die Kooperation in der Herstellung neuer Waffensysteme (wie der Lockheed-Kampfjet F 35 oder Arrow 3) auszuhandeln und abzusegnen, müssen Alarmglocken schrillen. In ihrem Heidelberger Programm (1925) forderte die SPD die "internationale Abrüstung" . Wo steht die SPD heute? Mit der Ausrufung einer "Zeitenwende" ist es nicht getan!

Samstag, 23. Dezember 2023 - 13:38 Uhr
"Die Welt ist friedlos geworden."

Dieses bittere Fazit wird dem Hamburger Großreeder Albert Ballin zugeschrieben, der durch den Ersten Weltkrieg sein Lebenswerk vernichtet sah. Am Abend des 8. November 1918 nahm er eine tödliche Mischung aus einem starken Beruhigungsmittel und Schlaftabletten zu sich und verstarb am folgenden Tag, so dass die Nachrichten vom Thronverzicht Kaiser Wilhelms II. und der Ausrufung der Weimarer Republik ihn gar nicht mehr erreichten.
Ballins Worte der Resignation haben auch ein Jahrhundert später nichts von ihrer Aktualität verloren. Nicht nur in der Ukraine sowie im Nahen Osten werden erbitterte Kriege geführt. Auch aus dem Sudan und aus Myanmar werden entsetzliche Kampfhandlungen gemeldet. Sämtliche Appelle. dem Blutvergießen und der Zerstörung ein Ende zu setzen, verhallen wirkungslos. Kluge Leute, die mit guten Gründen darauf verweisen, dass zum Beispiel der Ukrainekrieg sich hätte verhindern lassen, haben Mühe, sich Gehör zu verschaffen, sind ins mediale Abseits geraten. Vorrang genießt die militärische Option. Besonnenheit, gesunder Menschenverstand, Diplomatie und die Bereitschaft, einander zuzuhören, fristen ein tristes
Dasein.
Unzweifelhaft hat Israel das Recht auf Selbstverteidigung gegen die Aggression seitens der "Terrororganisation Hamas" (7. Oktober). Ebenso berechtigt muss jedoch die Frage sein, ob der genannte Angriff wirklich so überraschend erfolgte, wie die Regierung Netanjahu die Weltöffentlichkeit glauben lassen möchte. Erschreckend ist überdies, für welche Grausamkeiten das Selbstverteidigungsrecht rechtfertigend in Anspruch genommen wird. Es geht um Angemessenheit, um Verhältnismäßigkeit. Selbst Notwehrhandlungen müssen nicht zwangsläufig zur Tötung des Angreifers führen. Anfangs hieß es, die Hamas müsse vernichtet werden. Neuerdings ist von "besiegen" die Rede. Wann aber ist dieses Ziel erreicht?
Fragen wie dieser wird gern eine "antisemitische" Haltung zugeordnet. Wer auf das unsägliche Leid vieler Palästinenser aufmerksam macht, wird nicht selten des "Antisemitismus" bezichtigt. Doch das ist logisch und sachlich ein Kurz- bzw. Trugschluss.
In letzter Zeit veröffentlichte die israelische Regierung mehrfach Filmmaterial, das ein weitverzweigtes Tunnelsystem der Hamas unter dem Gaza-Streifen zeigen sollte. Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik übernahmen dieses Material, mussten allerdings betonen, die Aufnahmen ließen sich nicht "unabhängig überprüfen" - was nur Irritation und Ratlosigkeit auslösen konnte.
Als Geschichtslehrer habe ich oft genug das finsterste Kapitel der deutschen Geschichte behandelt. Meine Frage an die Schülerinnen und Schüler, ob ich ihnen Augenzeugenberichte über die Vernichtung wehrloser Juden und Jüdinnen, zum Beispiel in Gaskammern, vorlesen solle, wurde meist bejaht. Einmal versagte mir dabei die Stimme. Gerade solche Erfahrungen lassen mich jedoch daran zweifeln, ob die systematische, staatlich organisierte Vernichtung jüdischen Lebens durch die Nationalsozialisten mit dem Angriff der Hamas auf Israel verglichen oder gar gleichgesetzt werden kann. Nicht nur orthodoxe Juden bestehen darauf, dass der Holocaust einzigartig, also mit keinem anderen Völkermord bzw. mit anderen massenhaften Verhängnissen vergleichbar sei. Das ist ihr gutes Recht. Problematisch wird es dann, wenn Jüdinnen und Juden selbst damit beginnen, Unvergleichliches miteinander zu vergleichen. Dieses Dilemma wurde bei den Gedenkveranstaltungen zum 9. November 1938 deutlich. Die Bevölkerung Israels hat nach der Gründung ihres Staates (Mai 1948) viel Elend erlebt. Die arabischen Anrainer haben damit gedroht, die verhassten neuen Nachbarn ins Meer zu treiben. Kriege waren die Folge. Wer hat zur Zeit den Mut, für Versöhnung zu werben? Die deutsche Regierung hat mehrfach versichert, das Existenzrecht Israels gehöre zur deutschen "Staatsräson". Das kann aber nicht militärisches Eingreifen bedeuten. Das Gleiche gilt für den Krieg in der Ukraine.

Montag, 18. Dezember 2023 - 13:29 Uhr
Wie die SPD in sie gesetztes Vertrauen verspielt

Heute gehört das politische Berlin den Landwirten. Sie haben ihre Traktoren mitgebracht, um sich demonstrativ dagegen zu wehren, dass die Subventionierung des Agrardiesels und die Befreiung von der Kfz-Steuer für landwirtschaftlich genutzte Fahrzeuge beendet werden sollen. Das Höfe-Sterben werde zunehmen, die Lebenshaltungskosten würden steigen.
Am Wochenende davor war anderer Protest zu vernehmen. In der SPD- Bundestagsfraktion regte sich Widerstand dagegen, dass die staatlichen Zuschüsse für den Kauf von E-Autos Knall auf Fall gestrichen werden sollten. Die Sozialdemokraten sorgen sich also um die Kauflaune von Leuten, die nicht gerade zu den Minderbemittelten zählen. Weniger wichtig ist der SPD offenbar das Klimageld, das etwa die Verteuerung von Lebensmitteln durch den Anstieg der CO2-Bepreisung ausgleichen, folglich allen Bürgerinnen und Bürgern zugute kommen sollte.
Liebe Genossinnen und Genossen, die SPD hatte noch niemals Mühe damit, Sachverhalte deutlich beim Namen zu nennen und unbequem zu werden. Der Koalitionsfrieden darf nicht das Hauptmerkmal glaubwürdiger sozialdemokratischer Politik werden. Sicherlich! Bisher habt Ihr verhindert, dass der Rotstift vornehmlich beim größten Einzeletat (Arbeit und Soziales) zum Einsatz kommt. Aber wie soll es weitergehen? Eminent wichtig ist es, die bisherige Praxis, sich mit "Sondervermögen" über die Runden zu retten, zu beenden. Wenn das Sondervermögen für die Bundeswehr (100 Milliarden Euro) auch dafür verwendet wird, Ersatz zu schaffen für das Kriegsmaterial, das aus deutschen Beständen der Ukraine zur Verfügung gestellt wurde (wird), ist für die Landes- und Bündnisverteidigung kaum etwas gewonnen. Ebenso dubios ist die Verwendung der Mittel aus der milliardenschweren deutschen "Ertüchtigungsinitiative".
Bei den Geldtöpfen "Klima- und Transformationsfonds" (ebenfalls ein Sondervermögen) und "Wirtschaftsstabilisierungsfonds" handelt es sich um Ladenhüter aus der Merkel-Ära (2005-2021). Sie lassen sich nicht beliebig wiederholen bzw. fortsetzen, es sei denn, man lässt sich nochmals eine "Notlage" einfallen, um die "Schuldenbremse" auszusetzen. Man wird folglich nicht umhin können, die Schuldenbremse nicht nur zu reformieren, sondern die Grundgesetzartikel 109 und 115 hinter sich zu lassen und notwendigen Zukunftsinvestitionen den gebührenden Verfassungsrang zu verleihen, einschließlich der erforderlichen finanziellen Mittel. Artikel 20.a GG verpflichtet den Staat zum Schutz der "natürlichen Lebensgrundlagen". Hier wird zwar nicht ein "Grundrecht" festgeschrieben, aber immerhin ein "Staatsziel". Taugt dieser Artikel als Muster oder Grundlage für eine Ergänzung unserer Verfassung?

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