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4-2020

4.4.2020

Sozialisation als Aufgabe der SPD
Halle und Hanau als Symptome
Gewalt gibt es, solange Menschen zusammenleben. In der Schöpfungsgeschichte kommt es schon in der zweiten Generation zur Gewalttat: Kain erschlägt seinen Bruder Abel, und zwar aus einem schrecklich banalen Grund: Gottvater hat bei der Entgegennahme von Opfergaben Abel vorgezogen, was Kain derart in Rage bringt, dass er zuschlägt. Hier ist ein persönliches, individuelles Motiv erkennbar. Dies wird ganz anders, wenn Waffen, erst recht, wenn  weitreichende Waffen benutzt werden. In Kriegen wird die Gewalt organisiert und ritualisiert (Kriegserklärungen, bei Erschöpfung der Kräfte Waffenstillstandsverhandlungen, Friedensschlüsse). Es herrscht Anonymität. Die Krieger schlagen aufeinander ein ohne einen eigenen Grund, sie wissen nichts voneinander, was ihnen das Töten paradoxerweise leichter macht. Kein Besatzungsmitglied in den Flugzeugen, aus denen die Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki abgeworfen wurden, hatte einen persönlichen Grund, den unbekannten Feinden den furchtbaren Tod zu bringen. Gewalt verselbständigt sich, wird grenzenlos, unbeherrschbar. Und damit nicht genug; es werden noch effektivere Waffen entwickelt: Wasserstoffbombe, Neutronenbombe, Killerroboter.
Dass Täter und Opfer einander nicht persönlich kennen, das Töten "blindlings" erfolgt. macht sich auch in den entsetzlichen Vorgängen von Halle und Hanau bemerkbar. Der Attentäter von Halle kannte keinen der Juden in der Synagoge, die Opfer von Hanau waren ihrem Mörder nicht persönlich bekannt. Entscheidend war, dass sie "Fremde" waren, auf die sich unbändiger Hass entladen konnte. Erklärungsversuche und Motivbenennungen wie Antisemitismus oder Rassismus greifen zu kurz. Oft sind es ganz persönliche, individuelle Nöte, die eine gewaltsame Entladung suchen - was sich schone lange vor den Gewaltausbrüchen vorbereitet haben muss. Den Attentätern von Halle und Hanau ist einiges gemeinsam: Sie waren noch fest in ihren Familien verwurzelt, hatten Mühe, sich von den Eltern, besonders von der Mutter zu lösen, erwachsen zu werden. Beide waren unzureichend sozialisiert und machten für ihre Unfähigkeit, eine Beziehung zu einer Frau aufzubauen, anonyme Mächte verantwortlich. Sie blieben mit ihrer Not allein, weil sie nicht den Mut aufbrachten, sich ihren Mitmenschen zu offenbaren und zu signalisieren: "Ich brauche Hilfe, sonst verliere ich die Selbstbeherrschung, werde gewalttätig." Um eines klarzustellen: Hier soll nicht das unendliche Leid der Opfer aus dem Blick genommen werden. Aber es wird immer wieder Opfer geben, solange unsere Gesellschaft sich nicht der Hilfebedürftigen annimmt, solange es mit Scham und Minderwertigkeit behaftet ist, seine Not mitzuteilen und Hilfe von Experten zu suchen, statt Verschwörungstheorien nachzuhängen und sich abzumühen, unauffällig zu bleiben.
Es kommt darauf an, den persönlichen Bezug zwischen Tätern und Opfern wiederherzustellen, Konflikte dort zu lösen, wo sie ihren Ursprung haben, und danach körperlich und mental wieder "abzurüsten". Niemand weiß bisher, warum ein 29jähriger in Volkmarsen inmitten des Karnevals mit seinem Auto in eine Zuschauermenge raste. Ebenso unbekannt ist, weshalb ein 51jähriger die Befestigungsschrauben an einer ICE-Strecke löste und in Kauf nahm, dass viele Menschen durch die Entgleisung eines Zuges in die Tiefe und in den Tod stürzten.Solche Gewalttäter in die Psychiatrie einzuweisen löst das Problem nicht. Prophylaxe ist hier gefragt.

10.4.2020

Konträre Kräfte in der SPD

Die SPD und das Wettrüsten

Spätestens nach dem Ersten Weltkrieg, in dessen Vorgeschichte die Großmächte gewaltig aufrüsteten und in dem neuartige Waffensysteme (Maschinengewehre, Minen, Panzer, U-Boote und Flugzeuge) mit verheerenden Folgen eingesetzt wurden, sprach sich die SPD energisch für "die internationale Abrüstung" aus (Heidelberger Programm 1925). - Im Godesberger Programm (gut drei Jahrzehnte später) beklagt die SPD "in Waffen starrende Machtblöcke", betont die Notwendigkeit, "den Weltfrieden (zu) sichern", "eine internationale Entspannung" sowie "eine wirksame kontrollierte Abrüstung" anzustreben. Weiterhin heißt es hier; "Der Krieg darf kein Mittel der Politik sein."
Das Jahr 1999 brachte eine Kehrtwende. Erstmals nach dem Zweiten Weltkrieg griff deutsches Militär in einen Krieg ein  (Kosovo-Krieg), was Gerhard Schröder (SPD) und Joschka Fischer (die Grünen) heftige Kritik eintrug, zumal es für diesen Akt der Aggression kein UNO-Mandat gab. Zahlreiche Mitglieder verließen aus Protest die SPD.- Immerhin aber ließ sich die deutsche Regierung nicht in den Irak-Krieg hineinziehen.
Auch Johannes Kahrs, Bundestagsabgeordneter und Waffenlobbyist, denkt in militärischen Kategorien und findet nichts dabei, Spenden der Rüstungsindustrie (Rheinmetall) für die SPD-Schatulle einzuheimsen, und möchte sich dadurch wohl für die SPD unentbehrlich machen. Die SPD-Mitgliedschaft und den Export deutscher Rüstungsgüter in Krisengebiete auf einen Nenner zu bringen bereitet Kahrs offensichtlich keine Mühe.
Bleibt zu hoffen, dass die Kräfte in der SPD, die vorbehaltlos auf dem Boden des Godesberger Programms stehen, am Ende die Oberhand behalten - und dass diejenigen, die vor einem neuen Wettrüsten warnen, nicht als naive Spinner abgetan werden.

18.4.2020

Essentials der SPD

Ein Dreigestirn der SPD : Elisabeth Selbert (1896-1986) - Annemarie Renger (1919-2008) - Jutta Limbach (1934-2016)
Allen drei Frauen war es ein wesentliches Anliegen, die Politikfähigkeit des "schwachen Geschlechts" unter Beweis zu stellen und mit ausgeprägtem Selbstbewusstsein Meilensteine zu setzen auf dem mühsamen Weg zur Gleichberechtigung von Mann und Frau. Letztgenanntes Ziel verfolgte mit Ausdauer und Hartnäckigkeit Elisabeth Selbert, die als eine von vier Frauen im männerdominierten Parlamentarischen Rat mitarbeitete (1948/49) und nicht ruhte, bis der Satz "Männer und Frauen sind gleichberechtigt." im Grundgesetz stand. Ihr genügte es nicht, dass die Frauen das Wahlrecht erhielten (bereits 1919 in der Verfassung der Weimarer Republik), Das Prinzip der Gleichberechtigung sollte in allen Lebensbereichen gelten, was sich erst im Laufe von Jahrzehnten durchsetzen ließ und bis heute nicht vollständig umgesetzt ist. - Annemarie Renger war nicht nur tatkräftige Privatsekretärin Kurt Schumachers, sondern seit 1953 Mitglied des Deutschen Bundestages (bis 1990), zu dessen Präsidentin sie 1972 - auf ihren eigenen Vorschlag hin - gewählt wurde. 1979 bewarb sie sich für die SPD um das Amt des Bundespräsidenten, unterlag jedoch dem CDU-Kandidaten Karl Carstens, auch weil die Vertreter der FDP, die schon nach einer Koalition mit der Kohl-Partei zu schielen begonnen hatte, sich in dem entscheidenden Wahlgang in der Bundesversammlung der Stimme enthielten. - Jutta Limbach, wie Elisabeth Selbert eine hochkarätige Juristin ( 1966 Promotion, 1971 Habilitation), bekleidete von 1989 bis 1994 in Berlin das Amt der Justizsenatorin und war von 1994 bis 2002 Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts, des höchsten deutschen Gerichts, danach bis 2008 Präsidentin des Goethe-Instituts. Bei der Ausübung des Amtes als Verfassungsrichterin war ihr die Akzeptanz der Urteile wichtig; auch der Laie sollte sagen können: Diese Entscheidungen begreife ich , finde ich plausibel.-...-  Dass die drei Frauen früh in die SPD eintraten (1918, 1945, 1962) und sich in dieser Partei engagierten, war kein Zufall, vielmehr bereits in der Familie angelegt, denn die SPD galt vielen als die politische Kraft, der gesellschaftlicher Fortschritt ein gewichtiges Herzensanliegen war. Schon Rosa Luxemburg und Clara Zetkin fühlten sich zu dieser Partei hingezogen, konnten allerdings erst seit 1908 (Reichsvereinsgesetz) Mitglieder werden und gebärdeten sich hier als unbequeme Störenfriede, waren entsetzt und verzweifelt, als die SPD-Reichstagsfraktion sich  für den "Burgfrieden" gewinnen ließ und für die Kriegskredite stimmte - drei Jahre später brach die Partei auseinander.
Gegenwärtig sorgen zwei Ministerpräsidentinnen dafür, dass das  "Dreigestirn" nicht verblasst, sondern noch seine Strahlkraft behält: Malu Dreyer und Manuela Schwesig. Auch Saskia Esken sei erwähnt, die zusammen mit Norbert Walter-Borjans seit Dezember 1919 die Partei führt, zugleich aber Wert darauf legt, in ihrem Ortsverein und Wahlkreis präsent zu sein -  eine aufreibende Aufgabe. Wieder einmal erweist sich, dass die SPD am ehesten bereit und entschlossen ist, kompetente Politikerinnen zu Einfluss und Geltung kommen zu lassen.. 

21.4.2020

SPD-Konto

Die Sozialdemokraten und das große Einmaleins
Aller Voraussicht nach wird die SPD bei der nächsten Bundestagswahl, wann immer diese auch stattfindet, Federn lassen.
Nach aktuellen Umfragewerten liegt sie bei 15 bis 16 Prozent, und das trotz aller Anstrengungen der SPD-Bundesminister.
Hubertus Heil macht Kurzarbeitergeld locker, Heiko Maas bemüht sich um die Rückholung in fernen Ländern "gestrandeter" deutscher Staats-
bürger, Olaf Scholz trennt sich mit Bauchschmerzen von der "schwarzen Null" und nimmt eine Neuverschuldung von über 150 Milliarden Euro auf seine Kappe. All dies will nicht fruchten und der SPD Rückenwind verschaffen: die Coronakrise entfaltet einen Walzeneffekt: Wichtige Anliegen der SPD, z.B. die Erhöhung des Mindestlohnes und die Realisierung der Grundrente, werden plattgemacht, drohen von der Tagesordnung zu verschwinden. Wieder einmal hat die "linke Volkspartei" (Ralf Stegner)  das Nachsehen, während die Kanzlerin samt ihrem Gesundheits-
minister zu großer Form aufläuft und die Unionsparteien zum Höhenflug ansetzen.
Wenn die SPD bei der nächsten Bundestagswahl circa fünf Prozentpunkte einbüßt (2017 kam sie noch auf 20,5 %), schrumpft auch die Bundestagsfraktion beträchtlich. Kein Wunder also,, wenn SPD-MdBs überlegen, wie sie sich in die nächste Legislaturperiode hinüberretten können. Helfen kann dabei ein Mandat, das den Wahltermin überdauert. Dies wird sich auch Johannes Kahrs, Waffenlobbyist und "Seeheimer" , ausgerechnet haben, der Hans-Peter Bartels beerben, also im Mai 2020 zum neuen Wehrbeauftragten gewählt werden möchte, was mit ein wenig Glück noch abzuwenden sein sollte. Zweifellos muss die Bundeswehr so ausgestattet werden, dass sie ihre verfassungsmäßigen Aufgaben zu erfüllen vermag. Aufrüstung kann jedoch nicht das Gebot der Stunde sein. Schließlich zählt die SPD einen Friedensnobelpreisträger zu den Ihren.

28.4.2020

Die SPD und die Moral

Die Begriffe Moral und Ethos sind drauf und dran, in Verruf zu geraten. Befeuert wird dieser Prozess von Leuten, die ihre mehr oder weniger unsaubere Wäsche gern unbehelligt weißzuwaschen bemüht sind.
Nicht zu Unrecht weisen sie darauf hin, dass Moralisten zu Überheblichkeit neigen, sich mit erhobenem Zeigefinger für etwas Besseres halten. Nicht in Vergessenheit geraten sollte jedoch, dass unser Grundgesetz zutiefst moralisch ist, vor allem in der Präambel und im Abschnitt I ("Die Grundrechte").
Von der "Verantwortung vor Gott und den Menschen" ist hier die Rede, und auch heute noch bekräftigen Politiker ihren Amtseid nicht selten mit der Formel "So wahr mir Gott helfe!".Unter den Grundrechten kommt dem Artikel 1 besondere Bedeutung zu: "Die Würde des Menschen ist unantastbar."

Bertolt Brecht war weit davon entfernt, die Menschen moralisch zu überfordern: "Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral." (Dreigroschenoper)
Seinen Galilei lässt er sagen: "Und ich will die Fleischtöpfe.", desgleichen: "... ich verachte Leute, deren Gehirn nicht fähig ist, ihren Magen zu füllen."
Auch zum Helden eignet sich der Physiker nicht: "Unglücklich das Land, das Helden nötig hat." Seine Angst vor den Folterinstrumenten bringt ihn dazu, zu widerrufen und in den Schoß der Kirche zurückzukehren.
Gleichwohl bleibt er vom Wissensdrang besessen, schreibt seine "Discorsi" zu Ende, freilich unter den wachsamen Augen der Mächtigen und mit dem unguten Gefühl, den Sinn und Zweck wissenschaftlichen Tuns zu verfehlen.
Seinen Schüler Andrea Sarti lässt er wissen: "Ich halte dafür, dass das einzige Ziel der Wissenschaft darin besteht, die Mühseligkeit der menschlichen Existenz zu erleichtern."
Zugleich bekennt er offen, diesem Anspruch nicht genügt, vielmehr seinen "Beruf verraten" zu haben. Als Einzelner war zu schwach, auch war sein Appetit auf Gänsefleisch ungebrochen.
Unstrittig liegen Politik und Moral häufig im Widerstreit miteinander. Doch wenn es das Ethos in Form von Verantwortungsgefühl nicht gäbe, hätte Willy Brandt sich im Warschauer Ghetto nicht auf die Knie niedergelassen.

Auch heute darf die Moral nicht schweigen, zum Beispiel wenn es um das Thema Rüstungsausgaben und deren maßlose Steigerung geht. Die Bundesverteidiigungsministerin sollte schon plausibel darlegen können, warum die Bundesrepublik auf der "atomaren Teilhabe" besteht und die Bundeswehr amerikanische F18- Kampfflugzeuge benötigt, die im Ernstfall Atombomben in Feindesland transportieren könnten. (Kämen sie dort überhaupt jemals an?)
Warum tragen sozialdemokratische Politiker solche Projekte nur halbherzig kritisch, polemisch gesagt mit eingezogenem Schwanz, mit? Warum unterstützen Sozialdemokraten die Entwicklung und Erprobung vom Killerrobotern?
Von den Kosten solcher Aufrüstung wird noch gar nicht gesprochen, wahrscheinlich klettern sie in astronomische Höhen. Hier muss die auch moralische Frage erlaubt sein, ob dieses Geld nicht sinnvoller zur Linderung menschlichen Leids verwendet werden sollte.

Doch auch unterhalb dieser Ebene tun sich Fragen auf. Es geht schlicht und einfach um den Willen zur Selbsterhaltung (er ist ein autonomer Trieb, in jedem Lebewesen angelegt).
Wie kann die Bewohnbarkeit unseres Planeten sichergestellt werden? Wo liegen die Grenzen des Wachstums?
Unter welchen Prämissen ist die Ernährung der wachsenden Weltbevölkerung zu gewährleisten?
Wissenschaftsjournalisten haben hier zur Wissensvermittlung Unmengen zu tun - was auch schon in vollem Gange ist.