3-2020
1.3.2020
Wenn Sozialdemokraten zu Kapitalisten mutieren
Jüngstes Beispiel: Sigmar Gabriel. Ihn zieht es in den Aufsichtsrat der Deutschen Bank. Wahrscheinlich will er sich dort um die Zigtausende kümmern, die infolge der Sanierung dieses alten Geldhauses ihren Arbeitsplatz verlieren. Nützlich machen kann er sich auch aufgrund seiner guten Kontakte zu Katar, einem Großaktionär der Deutschen Bank. Über die Vergütung seines neuen Postens wird wohlweislich nicht gesprochen. "Moralischer Rigorismus" ist Herrn Gabriel fremd. ja suspekt. Aber Genosse Sigmar steht beileibe nicht allein auf weiter Flur. Vorgemacht hat es ihm etwa Gerhard Schröder, der neben üppigen Einkünften aus diversen Ämtern jährlich etwa 200.000 Euro einstreicht als Aufsichtsratsvorsitzender eines russischen Energiekonzerns ("Ich stehe dazu.") Ein Lebenskünstler und Tausendsassa, der ungern etwas anbrennen lässt. Kompliment. Kompliment! Pech dabei ist allerdings, dass der SPD scharenweise Wähler davonlaufen, die nun endlich auch kapiert haben, worauf es im Leben ankommt, und bei der Gestaltung ihres politischen Daseins gern auf den Rat der SPD verzichten können.
Fraglich ist freilich, ob Mutation das richtige Wort ist, um das angedeutete Phänomen korrekt zu bezeichnen. Denn an Zufälligkeiten mag man kaum noch glauben.
Es gibt jedoch auch Gegenbeispiele. Erwähnt seien unter anderen August Bebel (Kleinunternehmer zur Sicherung seiner Unabhängigkeit und treibende Kraft in der SPD) und Philip Rosenthal ( Hauptgesellschafter einer renommierten Porzellanfabrik und engagierter Sozialdemokrat).
Leute dieses Formats werden gebraucht.
28.3.2020
Die SPD und die Corona-Krise
Krisengewinnler hat es schon immer gegeben. Die SPD scheint nicht zu ihnen zu gehören. Hermann Müller (SPD), der letzte Reichskanzler der Weimarer Republik, der sich auf eine Reichstagsmehrheit stützen konnte,trat 1930 resigniert zurück, weil die von ihm geführte Große Koalition zerbrach, vor allem infolge der Weltwirtschaftskrise und der Unfähigkeit des Reichstags, sich bei knappen Finanzen auf ein Konzept zur Finanzierung der Arbeitslosenversicherung zu einigen. Ihm folgte Heinrich Brüning, der die unselige Reihe der Präsidialkabinette eröffnete.- Gegenwärtig macht uns wieder eine Krise zu schaffen. Exekutive und Legislative arbeiten ein-
trächtig zusammen, um die wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Pandemie einzudämmen, mit beachtlichen Ergebnissen. Doch der SPD kommt das tatkräftige Krisenmanagement offenbar nicht zugute. Matthias Fornoff, Ausrufer des ZDF-Politbarometers, verkündete am Freitagabend (27.3.20) voller Genugtuung, die CDU/CSU habe fünf bis sechs Prozentpunkte dazugewonnen, liege derzeit bei ca. 33%; die SPD komme auf (nur) 15%. Wieder einmal tritt zutage, dass das ZDF, der traditionelle Adenauer/Christdemokraten-Fernsehkanal (man denke nur zurück an Gerhard Löwenthal), nicht das Wohl der SPD im Auge hat. - Wünschenswert wäre es, wenn die SPD Wissenschaftler für sich gewänne, welche die Probleme der Globalisierung sowie die Grenzen des Wachstums aufzeigen, entsprechende Modelle erarbeiten, ohne in Rezepte vergangener Zeiten zurückzufallen.
Gefragt sind Leute wie Heiner Flassbeck ("Wie sozial kann Wirtschaft sein?") oder andere Ökonomen mit der Kompetenz eines Karl Schiller.
5.3.2020
Der Vizekanzler als nächster Kanzlerkandidat?
Beflügelt von dem Erfolg seiner Partei bei der Hamburger Bürgerschaftswahl, macht Olaf Scholz sich offenbar Hoffnung darauf, bei der nächsten Bundestagswahl, wann immer diese auch stattfindet, als SPD-Kanzlerkandidat ins Rennen zu gehen.
(Bereits 2017 erklärte er: "Wir hätten gewinnen können." - Es lag also am falschen Kandidaten und dessen Mannschaft.)
Die Springer-Presse weiß er dabei jedenfalls auf seiner Seite. Was dieses Vorpreschen für die komplizierten Entscheidungsprozesse in der SPD bedeutet, liegt auf der Hand: Die monatelange Suche nach einer Doppelspitze wird ad absurdum geführt.
Norbert Walter-Borjahns hält es angesichts der aktuellen Umfrageergebnisse für unrealistisch, einen eigenen Kanzlerkandidaten zu küren. Dies hält Olaf Scholz wohl für abwegig bzw. "nicht zielführend".
Das Stühlerücken in der SPD-Führung geht also in die nächste Runde. Schon Martin Schulz und Andrea Nahles sind Opfer innerparteilichen Zwists geworden.
Die programmatischen Beschlüsse des Bundesparteitags im Dezember 2019 sind inzwischen offensichtlich kaum noch der Rede wert. Schade, sollten sie doch Gegenstand von Verhandlungen mit den Koalitionspartnern CDU/CSU werden.
Die Gespräche haben offenkundig noch gar nicht begonnen, was sicherlich nicht nur auf die Corona-Epidemie zurückzuführen ist.
Ein Neustart sieht anders aus!
7.3.2020
Einige Ratschläge, wie die SPD ein weiteres Erstarken der AfD sicherstellen kann:
1) Die SPD dresche so lange auf die AfD ein, bis deren Konturen unkenntlich geworden sind und die Wähler dieser Partei mit einigem Recht geltend machen können, mit diesem Vexierbild könne unmöglich die AfD gemeint sein.
2) Die SPD betreibe so lange Wählerschelte, bis den Gescholtenen der Kragen platzt und sie dagegenhalten:"Ihr könnt uns mal!" Trotzreaktionen sind dabei von der SPD billigend in Kauf zu nehmen.
3) Die SPD brülle so lange "Nazis raus!", bis sich die Türen zum Plenarsaal öffnen und die AfD-Abgeordneten allen Prognosen zum Trotz und mit triumphalem Lächeln wieder "drin sind".
4) Die SPD lasse dauerhaft vergessen, dass auch sie Wähler an die AfD verloren und im Verein mit anderen Parteien den Aufstieg dieser Partei mitermöglicht hat.
5) Die SPD vernachlässige bei den Anstrengungen, die AfD niederzumachen, all das, was den wahren Kern sozialdemokratischer Politik ausmacht.
Summa summarum: Die SPD lasse nichts unversucht, um der AfD neue Wähler zuzutreiben.
Ein etwas ernster gemeinter Rat: Die SPD behandle die AfD nicht wie einen Aussätzigen, sondern dringe in ihre Kampfzone ein, rücke ihr auf den Leib, nehme sie zur Brust und zwinge sie zum sach- bzw. themenbezogenen Dialog, statt ihr Tag für Tag die Schuld an grässlichen Gewalttaten zuzuschreiben und sie als "geistige Brandstifter" an den Pranger zu stellen. Wenn dies gelingt, wird man weitersehen.
8.3.2020
Willy Brandt und Egon Bahr
Immer besser verstehe ich, warum Willy Brandt seinem Freund Egon Bahr davon abriet, sich um die Mitgliedschaft in der SPD zu bemühen, und zwar mit der Begründung, als freier Journalist beim RIAS könne er (Bahr) mehr bewegen, als wenn er in den Parteiapparat eingebunden sei. Zum Glück für die Entwicklung des geteilten Deutschlands ließ Egon Bahr nicht locker und wurde 1956 SPD-Mitglied. Seiner Einschätzung nach diese Partei die einzige, die die deutsche Einheit wirklich wollte; Dieses Ziel verlor er nie aus den Augen. Doch erst als Willy Brandt zunächst Vizekanzler und dann Bundeskanzler wurde, konnten Bahrs Pläne konkrete Formen annehmen. Er entwarf die Grundzüge der neuen Ostpolitik, die allerdings nur unter dem Schutzschirm der starken Stellung des Bundeskanzlers ins Werk gesetzt werden konnte. Die CDU/CSU, in de Opposition gedrängt, versuchte, die neue Ostpolitik zu verhindern (konstruktives Misstrauensvotum gegen Brandt, Klage vor dem Bundesverfassungsgericht). glücklicherweise ohne Erfolg.
Zu wünschen ist, dass die SPD noch einmal die Kraft aufbrächte, historische Weichenstellungen zu vollziehen. Aufgabenfelder gibt es zur Genüge. Hier sei nur eines genannt: Eine Stärkung Europas ist nur dann durchzusetzen, wenn das Einstimmigkeitsprinzip überwunden und somit Mehrheitsentscheidungen möglich würden, die Richtung und Tempo der Entwicklung vorgäben , ohne von Partikularinteressen ausgebremst zu werden. Orientierungshilfe dabei könnte die föderale Struktur der Bundesrepublik leisten. Im Bundesrat sind die Stimmen der Bundesländer unterschiedlich gewichtet, so dass relativ kleine Bundesländer wie Hamburg und Thüringen die Handlungsfähigkeit dieses Verfassungsorgans nicht beeinträchtigen können.
14.3.2020
Willy Brandt, Ferdinand Lassalle und G.E. Lessing
"Ich bin kein Säulenheiliger", erklärte Willy Brandt. In luftiger Höhe über den Dingen zu schweben war seine Sache nicht. Und so nimmt es auch nicht wunder, dass er in Erinnerung an die Leiden im Warschauer Ghetto dort niederkniete, die Hände faltete und den Kopf senkte, was ihm von Gegnern als Schwäche ausgelegt wurde. Er war im wahrsten Sinne ein zoon politikon, ging gern unter die Leute, mischte sich ein, nahm,entschieden Stellung, gründete zum Ärger seiner SPD, die das Präsidialkabinett Brüning tolerierte, eine neue Partei (SAP), setzte sich dafür ein, dass Carl von Ossietzy den Friedensnobelpreis erhielt. Diese Auszeichnung wurde später auch ihm zuteil wegen der neuen. auf Ausgleich und Aussöhnung angelegten Ostpolitik.Bekannt ist auch, dass er nicht zu Askese neigte und den Reizen des schönen Geschlechts durchaus zugänglich war. Hierin ähnelte er Ferdinand Lassalle, der in einem - unsinnigen - Duell wegen einer schönen jungen Frau sein Leben ließ. Politisch bedeutsam wurde er vor allem durch die Gründung des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins (1863), einer Wurzel der Sozialdemokratie. Lassalle kämpfte für das allgemeine, gleiche Wahlrecht, um der Arbeiterklasse politische Einflussnahme zu ermöglichen, sah den Staat in der Pflicht, das Los der neuen Gesellschaftsschicht zu verbessern, erteilte der Revolution eine Absage, setzte vielmehr auf die friedliche Entwicklung zu einer "sozialistischen Gesellschaft ohne Privateigentum an den Produktionsmitteln" ( Meyers Taschenlexikon Geschichte, Bd. 3, S. 317).
Drittens sei noch G.E. Lessing erwähnt. In seinem "Nathan" kann ein Derwisch (Al-Hafi) sich nicht verzeihen, auf die Schmeicheleien des Sultans hereingefallen zu sein und sich im Dienst Saladins zum Narren gemacht zu haben ("Ich eines Gecken Geck!"). Daher beschließt er, der menschlichen Gesellschaft den Rücken zu kehren und sich in die Wüste zurückzuzziehen, man könnte auch sagen: das Dasein eines Säulenheiligen zu fristen. Nathan akzeptiert diese Entscheidung seines -Freundes:"Al-Hafi, mache, dass du bald in deine Wüste wieder kömmst. Ich fürchte, grad unter Menschen möchtest du ein Mensch zu sein verlernen." Er selbst entscheidet sich jedoch anders: für ein Leben unter den Menschen.
Verführbar, fehlbar zu sein, sich Schwächen einzugestehen und diese auch den Mitmenschen zuzubilligen schließt nicht aus, politisch, sozial, kulturell in den öffentlichen Raum hineinzuwirken und dabei Rückgrat zu zeigen.
24.3.2020
Zustand der SPD
Biathlon in der SPD-Bundestagsfraktion?
Kaum ist die Wintersportsaison zu Ende gegangen, da kündigt sich auf parteipolitischer Ebene ein neues Kräftemessen an. Im Mai steht steht die (Neu-)Wahl des Wehrbeauftragten an. Gern würde Hans-Peter Bartels für weitere fünf Jahre dieses Amt versehen. Es meldet sich jedoch ein Herausforderer: Johannes Kahrs. Beide Rivalen gehören der SPD-Bundestagsfraktion an, beide haben bei der Bundeswehr gedient. Johannes Kahrs kann überdies seine Lobbyistentätigkeit ins Feld führen: umfangreiche Spenden vom Rüstungskonzern Rheinmetall für die Parteikasse, zusätzlich eine Spende der Warburg-Bank ( nachzulesen bei Wikipedia). Dass dieser Geldsegen zu einem entsprechenden Wohlverhalten verpflichtet, darf vermutet werden. Zur Unterfütterung seiner Kandidatur dient sicherlich auch der Umstand, dass Kahrs Mitglied der Gesellschaft für Wehrtechnik ist: Er kennt sich also im Militärwesen aus. Gegeen ihn spricht sein Gebaren gegen+über konkurrierenden Parteimitgliedern. Er ist jemand, dem Teamgeist und Solidarität wenig bedeuten. Wegen unfair-rabiaten Verhaltens stand er auch schon einmal vor Gericht; das Verfahren endete mit einem Vergleich. Politiker seines Schlages sind wenig geeignet, ein Wiedererstarken der SPD zu fördern. Als emsiger Wahlkämpfer Erfolge einzuheimsen reicht hierfür nicht aus, weil ein tragfähiges geistiges Fundament fehlt. (Hieran kann auch die Mitgliedschaft im Wingolfbund nicht viel ändern )
Die SPD braucht Leute, die nicht nur eigennützig an ihrer Karriere basteln, sondern programmatisch auf der Höhe der Zeit sind und einen sachorientierten, argumentativ überzeugenden Kurs für den Weg in die Zukunft abstecken, wie dies zum Beispiel Erhard Eppler getan hat.
26.3.2020
Die SPD und der Kommunismus
Über den Kommunismus kursieren recht unterschiedliche, großenteils irrige Vorstellungen. Hierzu gehört die fixe Idee, im Kommunismus gehöre alles allen, gebe es also gar kein Privateigentum. Karl Marx sah als wichtige Voraussetzung des Kommunismus die Abschaffung des Privateigen-
tums an den Produktionsmitteln, weil dieses Herrschaft von Menschen über Menschen erzeuge und der Entstehung einer klassenlosen Gesellschaft als Ziel der geschichtlichen Entwicklung im Wege stehe. Kommunismus bedeutet die Überführung aller Produktionsmittel in Gemein-
eigentum. Dabei ergibt sich das Problem, wer die Verfügungsgewalt über diese Fülle von Produktionsmitteln besitzen soll. Die Staaten des Ostblocks unter Führung Russlands und China nahmen, übrigens zu Unrecht, den Begriff des Kommunismus für sich in Anspruch und entschieden sich für die Zentralverwaltungswirtschaft (Planwirtschaft , die sich durchweg mit staatlichen Strukturen der Diktatur verband. Daher wählte die SPD für sich den Begriff "demo-
kratischer Sozialismus" und lehnte "jede Zusammenballung wirtschaftlicher Macht auch die in Staatshand" (Godesberger Programm) entschieden ab , da sie die Freiheit gefährde. Allerdings befürwortet sie das "Gemeineigentum" als "eine legitime Form der öffentlichen Kontrolle" (gleichsam als Korrektiv zur ungezügelten freien Wirtschaft). Ausgestaltung, Verwendung und
Wirtschaftlichkeit dieses Gemeineigentums müssen parlamentarischer Kontrolle unterliegen. Hierbei sind "die schöpferischen Kräfte" und "freie Unternehmerinitiative" zu fördern.- Auch gegenwärtig sieht sich die SPD mit der Frage konfrontiert, wie sie es mit dem Eigentum halten will. Vereinzelt sind schon Antworten versucht worden: "Mietpreisbremse", "Mietendeckel". Momentan wird überlegt, ob der Staat im Gegenzug zur großzügigen finanziellen Unterstützung der Wirtschaft Beteiligungen an Konzernen anstreben soll. Maßstab müssen hier immer die Bestimmungen des Grundgesetzes sein, das die Sozialbindung des Eigentums festschreibt. Artikel 14).
Insgesamt sollten Anstrengungen unternommen werden, die Begriffe Kommunismus und Sozialismus von ideologischem Ballast zu befreien, denn sie sind Schimpfwörter geworden (Alexander Dobrindt: "aus der alten sozialistischen Klamottenkiste"), was sie nicht verdient haben.