Politik
Mein Blog
Donnerstag, 2. Mai 2024 - 12:45 Uhr
Wann hält Jens Stoltenberg endlich einmal seinen Mund?
Als hätte die Diskussion um die NATO-Mitgliedschaft der Ukraine nicht schon genug Unheil angerichtet: Am 30. April 2024 lässt der Generalsekretär des Nordatlantikpakts es sich nicht nehmen, die Hoffnung auf eine baldige Aufnahme in das Bündnis zu dämpfen. Wer aber, bitte schön, hat das der Ukraine überhaupt erst schmackhaft gemacht? Wer hat diese Hoffnung keimen und gedeihen lassen? Die NATO mochte sich gar nicht mehr daran erinnern, dass ihr Wirkungsfeld sich zunächst auf die Anrainerstaaten des Nordatlantiks beschränke, und rückte der Russischen Föderation nach der Auflösung der Sowjetunion immer weiter auf den Leib. wohl wissend, dass diese Osterweiterung Russland nicht gleichgültig sein und bleiben würde. Im rumänischen Bukarest tagte 2008 ein NATO-Gipfel, auf dem die USA und Großbritannien die Einladung Georgiens und der Ukraine zu Beitrittsverhandlungen vorschlugen. Deutschlands und Frankreichs Einspruch sorgte für eine Vertagung des Themas. Nur Ignoranten konnte es überraschen, dass Putin 2014 die Krim besetzen ließ, um zu verhindern, dass auf der Halbinsel US-amerikanische Raketenbasen installiert würden. Trotzdem waren Aufregung und Empörung gewaltig, lauter als Fluglärm. Der Westen beschloss eine erste Salve von Sanktionen. Feindbilder verfestigten sich. Zur Münchner Sicherheitskonferenz im Februar 2022 war Russland zwar eingeladen, nahm jedoch nicht teil. Putin ahnte wohl, was ihn im Bayrischen Hof erwartete. Wenige Tage vor dem russischen Überfall auf die Ukraine zog Annalena Baerbock in München vom Leder und kritisierte den Aufmarsch russischer Truppen an der ukrainischen Grenze. Nicht mehr von einer Ukraine-Krise sei zu sprechen, sondern von einer Russland-Krise. Dem Bundeskanzler fiel nichts Besseres ein, als zu beteuern, in München stehe die Aufnahme der Ukraine in die NATO "gar nicht auf der Tagesordnung". Wenn er glaubte, Putin damit beschwichtigen zu können, zeugt dies von erstaunlicher Naivität. Eine vertrauensbildende Maßnahme war das nun jedenfalls nicht.
Seit dem Beginn des russischen Überfalls am 24. Februar 2022 -Kanzler Scholz prägte das Wort von der "Zeitenwende" - ist es im westlichen Lager zur Gewohnheit geworden, den ukrainischen Präsidenten einzuladen, zu Regierungskonsultationen, Parlamentssitzungen und anderen politischen Veranstaltungen. Entweder war er persönlich zur Stelle oder wurde per Video zugeschaltet. Dabei war ihm brausender Beifall sicher, such "standing ovations". Beim Herumreichen von einer Hauptstadt zur anderen wurde der Eindruck erweckt, als sei die Ukraine bereits Mitglied von EU und NATO. Schier unersättlich ist der Bedarf der Ukraine an Waffen, Munition und militärisch nutzbarem Personal. Ebenso unermüdlich weist die Bundesregierung darauf hin, dass Deutschland nach den USA der zweitgrößte Unterstützer der Ukraine sei. Aber das alles reicht in den Augen unserer Nachbarn bei Weitem nicht. England und Polen beanstanden die Weigerung, auch noch den TAURUS zu liefern. Dass diese Haltung überzeugend begründet ist, interessiert die Rügenden herzlich wenig. Wenn Staatspräsident Macron es für sinnvoll hält, zusätzlich westliche Bodentruppen auf ukrainischen Schlachtfeldern zu verheizen, steht ihm das frei, solange es um französische Streitkräfte geht und nicht als NATO-Einsatz deklariert wird.
Jens Stoltenberg tadelt eine zunehmende Kriegsmüdigkeit im westlichen Lager. Ich für mein Teil freue mich über diese Müdigkeit und halte sie für eine sehr gesunde, lebensbejahende Reaktion. Soll es denn wieder so weit kommen, dass wir wie Andreas Gryphius klagen müssen: "Wir sind doch nunmehr ganz, ja mehr denn ganz verheeret." Boris Pistorius meint die deutsche Bevölkerung auf eine Kriegsdauer von zehn Jahren einstimmen zu sollen. Ist denn deutschen Hirnen jegliches Verantwortungsbewusstsein abhanden gekommen? Ist Hirnlosigkeit auf dem Vormarsch, breitet sich wie ein Virus aus bis hin zu einer Pandemie? Hat menschliches Leben überhaupt keine Priorität mehr?
Um die Kommunikation zwischen Regierung und Bevölkerung ist es derzeit schlecht bestellt. Das Vertrauen schrumpft dahin, zerbröckelt, macht "Verschwörungstheorien" und Zweifeln Platz. Das spiegelt sich auch in den Wahlumfragen wider. Was hat der deutsche Bundeskanzler dem US-amerikanischen Präsidenten zugesagt? Gibt es noch einen Funken von Verständigungsbereitschaft zwischen Deutschland und Russland, seinem mächtigsten Nachbarn? Es darf doch nicht sein, dass all das, was in den 80ern und 90ern des 20. Jahrhunderts erreicht und ermöglicht wurde, unwiederbringlich dahin ist. Und das nur deshalb, weil es keinen ernsthaften Versuch gibt, eine Verhandlungslösung für die Ukraine zu erkunden. Gegenwärtig ist es leider eisiger als zu Zeiten des Kalten Krieges. Als Willy Brandt und Egon Bahr sich daran machten, die neue, heftig umstrittene Ostpolitik in die Tat umzusetzen, war ich voller Vertrauen und bereit, diesen steinigen Weg mitzugehen. Und ich wurde nie enttäuscht.
Donnerstag, 25. April 2024 - 15:58 Uhr
Deutsche Ukraine-Hilfen - eine Endlos-Spirale?
Der SPD-Außenpolitiker und derzeitige Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses Michael Roth gibt vorausschauend zu verstehen: Das mühsam zustande gebrachte Hilfspaket der USA für die Ukraine im Werte von ca. 61 Milliarden § werde das letzte dieser Art und dieses Umfangs sein. Künftig müsse Europa, auf sich allein gestellt, die notwendigen Mittel aufbringen. Das kann ja heiter werden. Denn auf dem EU-Gipfeltreffen in Luxemburg scheiterte Bundeskanzler Scholz mit dem Versuch, den Versammelten die Zusage zu entlocken, dass auch sie, also nicht nur Deutschland der Ukraine das Waffensystem "patriot" zur Verfügung stellen würden. Dies kann bedeuten, dass die europäischen Verbündeten die Bundesrepublik Deutschland auf den Unkosten sitzen lassen möchten. Auf Deutschland kommen ohnehin enorme Kosten zu. Den größten Brocken macht wohl ein neues Luftverteidigungssystem namens FCAS aus. Daran beteiligt sind Deutschland, Frankreich und Spanien. Die Kosten werden auf 500 Milliarden bis 2 Billionen Euro geschätzt. - Mittlerweile ist bekannt, dass ein Großteil des "Sondervermögens"(100 Milliarden Euro) das die Bundeswehr einsatzfähig machen sollte und soll, für die Beschaffung von Ersatz für die Waffen, die der Ukraine überlassen wurden, ausgegeben wird. Diese Summen dienen bestenfalls auf Umwegen, also indirekt der Landes- und Bündnisverteidigung. In kurzen Abständen unterzeichnet Boris Pistorius Abkommen zur Aufrüstung Europas: "Arrow 3" für ca. 3,5 Milliarden Euro. Entwicklung und Finanzierung eines neuen deutsch-französischen Kampfpanzers, der Stückpreis wird noch nicht beziffert. Der neue Kampfjet F 35 für ca. 10 Milliarden Euro. Der Marschflugkörper TAURUS für jeweils 1 Million Euro. Diese Waffe wird noch nicht an die Ukraine geliefert, was hoffentlich auch so bleibt. Mehr als 10 Milliarden Euro hat die Bundesrepublik es sich bisher kosten lassen, die Ukraine in ihrem Abwehrkampf gegen russische Streitkräfte zu unterstützen. Die Zahlungen sind übrigens nicht von einem Bündnisfall gedeckt. Trotzdem reicht das alles nicht, wie wir hören. Die Wehrbeauftragte Eva Högl legte ihren neuen Wehrbericht vor und klagte turnusgemäß, der Bundeswehr fehle es nach wie vor an vielem. Gemeinsam mit dem Verteidigungsminister und dem Vorsitzenden des Bundeswehrverbands fordert sie erheblich mehr Geld. Die 2 % des BIP seien unzureichend. Deutschland müsse noch weitaus mehr für seine Sicherheit aufbringen.
In all diesen Berechnungen kommt eines so gut wie gar nicht vor: die finanzielle und wirtschaftliche Situation der vielen, die es zu schützen gilt. Das Bildungs- und Schulwesen bedarf umfassender Investitionen. Auch im Verkehrsbereich liegt vieles im Argen. Bundeskanzler Scholz erklärte kürzlich: "Ohne Sicherheit ist alles (andere) nichts." Die Aufgabe der Politik muss es freilich sein und bleiben, das Schützenswerte in seinem Bestand zu sichern. Sonst laufen die Bemühungen um Sicherheit ins Leere. Die FDP gefällt sich momentan in der Forderung, Sozialleistungen zu kürzen. Sie macht dies am Bürgergeld und an der abschlagsfreien Rente mit 63 fest. Zuwendungen von Seiten des Staates sollten den Prüfstand nicht scheuen. Den sozialen Frieden darf das allerdings nicht gefährden.
Vielfach wird das vorzeitige Ende der "Ampel" prognostiziert. Unabhängig davon, ob dieser Fall eintritt: Die SPD muss daran arbeiten, die Entwicklung hinein in die Belanglosigkeit aufzuhalten. Das kann nur dadurch gelingen, dass die deutsche Sozialdemokratie an ihrem Markenkern festhält. Sie hat durch ihre Mitwirkung am Grundgesetz dafür gesorgt, dass es in Artikel 20 heißt: "Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat." In der Präambel unserer Verfassung verpflichtet sich das deutsche Volk dazu, "dem Frieden der Welt zu dienen". Auch das ist ein altes Anliege der SPD. Dazu genügt es nicht, eine "Zeitenwende" auszurufen und Deutschland aufzurüsten. Ebenso wichtig ist es, den entsetzlichen Krieg in der Ukraine zu beenden. Dank sei Rolf Mützenich dafür, dies im Deutschen Bundestag angeregt und gefordert zu haben. Viel Zuspruch und Rückhalt hat er dabei nicht erfahren. In unseren Tagen ernten leider eher diejenigen Beifall, denen der Krieg nicht ungelegen kommt, die den Frieden nicht vermissen.
Die Berichterstattung über den Ukraine-Krieg bewegt sich zwischen Extremen. Entweder wird gar nichts mitgeteilt - was auch nichts Gutes verheißt. Oder wir werden überschüttet mit Reportagen zu neuem, noch grässlicherem Zerstörungswerk durch russische Angriffe - was uns erneut gegen Russland aufbringen soll. Und ein Ende ist leider nicht in Sicht.
Montag, 22. April 2024 - 15:15 Uhr
Caren Miosga beim Sackhüpfen
Zum Hoch- oder Weitsprung reicht es eben nicht. Am Sonntagabend ab 21.45 Uhr (21. April 2024) nimmt Caren Miosga den AfD- Spitzenpolitiker Tino Chrupalla ins Gebet, zu einem Privatissimum. Das Kreuzverhör soll den Malermeister aus Sachsen überführen, und zwar des Sympathisantentums mit Putin und dessen Regime. Spitzenpersonal der AfD soll Geldzahlungen aus den Händen kremlnaher Organisationen entgegengenommen haben. Als Quellen werden ein tschechischer Geheimdient und das US-amerikanische FBI benannt. Zweifel an diesen "Informationen" lässt Frau Miosga gar nicht erst aufkommen. Dabei weiß man von der großen Zahl von Prominenten, die vom FBI vernommen wurden; nicht immer mit zweifelsfreien Resultaten. Aber das tut am Sonntagabend wenig zur Sache. Frau Miosga insistiert und will von Herrn Chrupalla wissen, ob ihn die besagten Meldungen nicht beunruhigen müssten. Wiederholt betont der AfD-Sprecher, bis zur Vorlage von Beweisen müsse die Unschuldsvermutung gelten.
Im Grunde ist es schade für Caren Miosga. Als Moderatorin der "Tagesthemen" hat sie gute Arbeit geleistet. Es ist ihr zu wünschen, dass sie an der neuen Aufgabe wächst.
Die fast halbstündige Einvernahme Chrupallas könnte man eigentlich rasch vergessen, wäre sie nicht eines von vielen Indizien dafür, auf welchem Niveau sich hierzulande die Auseinandersetzung mit der AfD bewegt. Björn Höcke muss sich vor Gericht dafür verantworten, dass er im Wahlkampf Nazi-Parolen in den Mund genommen habe. "Alles für Deutschland!" Das gehe nun gar nicht, sei eine Kampfansage an unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung. Ehrlicherweise muss ich gestehen, dass mir auch nicht auf Anhieb bewusst gewesen wäre, dass es sich dabei um SA-Vokabular handelt. Spontan kamen mir allerdings die Anfangsworte der ersten Strophe des Deutschlandliedes in den Sinn: "Deutschland, Deutschland über alles, über alles in der Welt ..." Darf man diese Verse eigentlich auch nicht mehr zitieren? Immer noch singen wir freilich: "...blüh im Glanze dieses Glückes, blühe, deutsches Vaterland!" Ist den Sängern der Sinn dieser Worte bewusst?
Ich möchte davor warnen, bei dem Bemühen, die AfD nicht zur zweitstärksten Partei in Deutschland werden oder bleiben zu lassen, in erster Linie die juristische Karte zu ziehen. Auch Bundes- und Landesämter für Verfassungsschutz sind Institutionen der Exekutive. Wenn also eines dieser Ämter einen Landesverband oder einzelne Personen, die der AfD nahestehen oder dieser Partei angehören, als "gesichert rechtsextrem" einstuft, hat das nicht die Qualität von Gerichtsurteilen. Die inhaltliche, sachliche Auseinandersetzung muss das oberste Gebot sein und bleiben.
In den 1960ern war der Zugang zu nationalsozialistischem Schrifttum streng limitiert. Nur für Studienzwecke öffnete sich der "Giftschrank". Wir sollten in unseren Tagen weiter gekommen sein.
Mittwoch, 17. April 2024 - 15:34 Uhr
Deutschland und Russland auf Erbfeindschaftskurs?
Eigenartig ist es schon. Propagandisten verschiedenster Couleur meinen offenbar, mit der Bevölkerung der Bundesrepublik leichtes Spiel zu haben, wenn es darum geht, Deutsche und Russen gegeneinander aufzubringen. Zwar ist die "rote Gefahr" aus dem Osten mittlerweile von der "gelben Gefahr" aus dem noch ferneren Ostasien abgelöst worden, hat jedoch immer noch erhebliches Gewicht. Zumal die Schwächung der "roten Gefahr" dazu dienen kann, die Bedrohung von Seiten des "Reiches der Mitte" zu bannen. Peking rückt Washington auf den Leib, strebt nach Weltgeltung. Folglich sind die USA darum bemüht, auch ihre europäischen NATO-Partner gegen China in Stellung zu bringen. Es muss ja nicht gleich der Bündnisfall geltend gemacht werden - wie bei Afghanistan. Aber eine Drohkulisse kann zweckdienlich sein. Und so ist die Fregatte "Bayern" im indo-pazifischen Raum unterwegs. Auch deutsche Euro-Fighter sind vor Ort. Wie sagte doch Annegret Kramp-Karrenbauer, als sie noch Verteidigungs-ministerin war: "Wir müssen weltpolitikfähig werden."
Ganz so hoch hinaus wollte Zar Peter I. nicht. Er wird auch "der Große" genannt, nicht zuletzt wegen seiner hünenhaften Ausmaße. Den "Großen Nordischen Krieg" (1701-121) und militärische Auseinandersetzungen mit dem Osmanischen Reich nutzte er für den Aufstieg Russlands zur europäischen Großmacht. Seine Tochter Elisabeth setzte dem Preußenkönig Friedrich II. schwer zu (Siebenjähriger Krieg, 1759 Schlacht bei Kunersdorf), einer seiner Söhne trachtete danach, ihn zu stürzen, wurde wegen Hochverrats zum Tode verurteilt, starb allerdings, bevor das Urteil vollstreckt werden konnte. Eine tragende Rolle wurde ihm zuteil in Albert Lortzings Oper "Zar und Zimmermann", die auch heute noch Spielpläne ziert. An der Hafeneinfahrt von St. Petersburg ist ein großformatiges Reiterstandbild zu bewundern. Peter der Große genoss auch zu Sowjetzeiten hohes Ansehen, war populär. Hatte er doch eine eine einfache Frau aus dem Volk, eine gebürtige Ukrainerin, geheiratet. - Russische Caesaren/Kaiser und Caesarinnen/Kaiserinnen prägten maßgeblich die Geschichte Europas vom Wiener Kongress bis zum Ersten Weltkriegs. In den 1920érn komponierte Franz Lehar die Operette "Der Zarewitsch". Peter Alexander sang das Lied "Meine Tante wohnt im Russischen Reich, die große Katharina". Sie war übrigens keine Russin, sondern ein Import aus Schleswig-Holstein. Die europäischen Dynastien gaben sich verwandtschaftlich-familiär, was Kriege gegeneinander nicht ausschloss.
Lang ist die Liste russischer Schriftsteller, Maler, Komponisten und Musiker, die in Deutschland ein breites Publikum fanden und bis in die Gegenwart gelesen und gehört werden. Sollen auch sie mit einem Makel versehen werden? Ich erinnere mich noch gern an die Zeit, als ein intensiver kultureller Austausch möglich wurde. Chöre besuchten einander. Deutsche berichteten begeistert von der russischen Gastfreundschaft. Regisseure und Schauspieler reisten hin und her. In deutschen Theatern wurden Spenden gesammelt, um der "Gegenseite" unter die Arme zu greifen. Es herrschte Aufbruchstimmung. Auch in der großen Politik wurden neue Wege beschritten. Die Mauer fiel, die Wiedervereinigung wurde ausgehandelt. Abrüstungsvereinbarungen wurden getroffen, um langfristig den Frieden zu sichern. Und all dies nun nicht mehr gelten?
Es gab doch deutsche Außenpolitiker, die stets die geographische Lage im Blick hatten. Otto von Bismarck wollte auf jeden Fall einen Zweifrontenkrieg verhindern und pflegte sorgsam das Verhältnis zum Zarenreich. Seine Nachfolger nahmen in Kauf, dass Russland sich mit Frankreich verbündete (1892/94) und 1907 die Triple-Entente gebildet wurde, was die Reichsregierung als systematische, feindselige "Einkreisung" auffasste. Im Ersten Weltkrieg kämpften Deutschland und Russland gegeneinander. Beide gingen als Verlierer aus dem großen Gemetzel hervor und erlebten einen Wechsel der Herrschaftsformen. In Russland setzte eine überschaubare Zahl von "Berufsrevolutionären" die Oktoberrevolution ins Werk. In Deutschland wurde die Weimarer Republik aus der Taufe gehoben, auch weil die "Novemberverbrecher" sich davon mildere Waffenstillstands- und Friedensbedingungen erhofften. Die beiden Verlierer schlossen 1922 den Vertrag von Rapallo (deutscher Außenminister W. Rathenau) und 1926 den Berliner Vertrag (G. Stresemann), überwanden die außenpolitische Isolation und kehrten in den Kreis der europäischen Großmächte zurück. 1925 entstand die Sowjetunion.
Infolge des Zweiten Weltkriegs wurden 1949 zwei deutsche Staaten proklamiert. Deren Einbindung in gegnerische Machtblöcke hätte im "Bündnisfall" zur Folge gehabt, dass Deutsche und Deutsche aufeinander hätten schießen müssen. Dies abzuwenden war eines der zentralen Anliegen der neuen Ostpolitik der sozialliberalen Koalition mit Willy Brandt als Bundeskanzler. Weiß der Teufel, was in die SPD-Mitglieder gefahren ist, die spätestens seit 2014 darauf hinarbeiten, nicht nur aus dem Schatten Willy Brandts herauszutreten, sondern sich des ersten sozialdemokratischen Bundeskanzlers zu entledigen - als Sondermüll auf einer dazu passenden Deponie?
2014 ließ Putin die Krim besetzen. Der Westen bewertete dies als "völkerrechtswidrig" und Beginn des Russland-Ukraine-Kriegs. Die erste Welle von Sanktionen sollte Russland empfindlich treffen. Schon damals schwenkte die Bundesregierung auf diesen Kurs ein. Kein Wort zu dem vitalen Interesse des Kremls an der Halbinsel. Auch die SPD fragte nicht danach, ob der eigenmächtige Akt Chruschtschows von 1954 dem Völkerrecht entsprach. Statt sich mühevoll und endlos an Putin abzuarbeiten und laut darüber nachzusinnen, ob die SPD Gerhard Schröder zum 80. Geburtstag gratulieren soll oder lieber nicht, müsste die Partei endlich zu ergründen suchen, warum sie in der Wählergunst auf ca. 15 % geschrumpft ist und dort verharrt. Gerhard Schröder verlor zwar 2005 die Bundestagswahlen, seine Partei holte aber immerhin 34,2 % der Wählerstimmen. Macht euch, liebe Genossinnen und Genossen, an die Arbeit, ans Aufräumen im eigenen Mist.
Mittwoch, 10. April 2024 - 18:41 Uhr
Die NATO auf dem Vormarsch
Der bedauernswerte deutsche Verteidigungsminister! Was lastet nicht alles auf seinen Schultern! Boris Pistorius soll die "Zeitenwende" ins Werk setzen und den Deutschen verklickern, dass sie nur ruhig schlafen können, wenn 5000 Soldaten und Soldatinnen der Bundeswehr dauerhaft in Litauen stationiert werden und den russischen Aggressor abzuschrecken vermögen. Ungesagt bleibt, dass die Bundeswehr an der Nord-Ost-Flanke der NATO in die Fußstapfen US-amerikanischer Streitkräfte treten sollen, die das Pentagon aus denkbaren Kampfhandlungen im Baltikum heraushalten möchte. Und die Deutschen? Stramm gestanden und mit den Händen an der Hosennaht erfüllen sie ihre soldatischen Pflichten und signalisieren: "Allzeit bereit!" Schon ca. 120 Jahre zuvor, nämlich während des Boxerkrieges in China, kam einem englischen Offizier der Rettungsruf in den Sinn: "The Germans to the front!" Apropos: Handelt es sich bei dem litauischen Projekt um einen Auslandseinsatz? Die Frage sei gestattet. Ein Bündnisfall liegt jedenfalls nicht vor. - "Kriegstüchtig" soll die Bundeswehr werden, so der Minister. Das erfordere viel Geld für die Ausrüstung. Aber auch an Personal mangele es. Der Dienst in der Truppe müsse attraktiver werden, um jungen Nachwuchs anzulocken. Eventuell kann hier Abhilfe geschaffen werden, wenn die Unmenge von "gamern" durchforstet wird. Sie sitzen stundenlang vor ihren Computern und erleben auf ihren Bildschirmen spielend bzw. spielerisch den Krieg. Da müsste sich doch was machen lassen.
Die Amtszeit des NATO-Generalsekretärs Jens Stoltenberg neigt sich dem Ende zu. An der Nachfolge interessiert zeigen sich auch Mitgliedsstaaten an der Grenze zu Russland, ehemals zum Warschauer Pakt gehörig. Die Bundesregierung wäre gut beraten, wenn sie einem Kandidaten oder einer Kandidatin aus diesen Staaten ihre Unterstützung entzöge. Es muss nicht sein, dass der fragliche Führungsposten einer Person anvertraut wird, die ihre alten Probleme mit Russland maßgeblich in das Bündnis hineintrüge. Die angespannten Beziehungen zwischen dem westlichen Lager und der Russischen Föderation dürfen nicht noch weiter belastet und verschärft werden.
In Rumänien wird an einer neuen "air base" der NATO gearbeitet. Die Ausmaße sind immens . Auch die Kosten können sich sehen lassen. Sie werden derzeit auf 2,5 Milliarden Euro veranschlagt, werden sich aber im Laufe der Bauzeit mindestens noch verdoppeln. Ob das Riesenprojekt die "air base" in Ramstein ablösen bzw. ersetzen soll, steht noch nicht fest. Vorstellbar ist allerdings, dass für die Sicherung des Friedens in Europa zwei gewaltige Luftstützpunkte notwendig werden, und das, obwohl die Vereinigten Staaten ihre europäischen Verbündeten wissen lassen, dass sie ihr Engagement in Europa reduzieren wollen, nicht zuletzt aus finanziellen Gründen. Wer also soll das Ganze bezahlen?
Der Bevölkerung der Ukraine geht es von Tag zu Tag schlechter. Aber wen interessiert das schon? Die deutsche Außenministerin zweifelt am Verstand des Heiligen Vaters. Der Westen tue doch seit dem Februar 2022 nichts anderes, als darauf hinzuarbeiten, den Krieg zu beenden. Allein Putin stehe dem entgegen. Er brauche nur seine Streitkräfte aus der Ukraine zurückzuziehen. Mit wie viel Dummheit muss man eigentlich geschlagen sein, solche Handlungsrezepte zu empfehlen? Zu allem Überdruss wird der Ukraine auch noch eine Perspektive hin zur NATO-Mitgliedschaft in Aussicht gestellt, für die Nachkriegszeit, versteht sich, wenn dann die Ukraine überhaupt noch existiert. Das Maß an Narrheit ist voll!
Montag, 8. April 2024 - 14:29 Uhr
Die SPD entpuppt sich als kleinkariert
Jüngstes Beispiel: Das Verhalten der Parteispitze zum 80. Geburtstag des Altkanzlers Gerhard Schröder. Kein SPD-Mitglied hat wohl eine großartige Gala erwartet. Dass aber die Partei den Jubilar totschweigt, ist eine einzige Blamage und zeigt deutlich, dass die altehrwürdige SPD nicht einmal davor zurückschreckt, sich selbst ans Bein zu pinkeln, und dafür auch noch Lob ernten möchte. Zweifellos ist es legitim, über Schröders Politik zu streiten. Arbeitsmarktpolitisch hat er die Gewerkschaften geschwächt, die Tarifbindung ausgehöhlt und den Niedriglohnsektor ermöglicht. Hierin hat die Diskussion um den Mindestlohn ihre Wurzeln. Schröder wurde nachgesagt, er sei "der Genosse der Bosse". Außenpolitisch fällt ins Gewicht, dass die Bundeswehr in zwei Kriege verwickelt wurde. Sonderbar ist indessen, dass ausgerechnet Schröders Verhältnis zu Russland und Putin dafür herhalten muss, den Niedersachsen aus der SPD-Geschichte zu streichen. Unbeirrt hält er an seiner Freundschaft mit dem russischen Diktator fest und unterscheidet sich diesbezüglich von so manchem "Wendehals". Es ist daran zu erinnern, dass 2002 der NATO-Russland-Rat seine Arbeit aufnahm. Dessen Hauptaufgabe bestand darin, Putins Befürchtungen angesichts der NATO-Osterweiterung zu zerstreuen. Entgegen diesem Geist setzte das "westliche" Bündnis seine Expansion fort. 2004 traten sieben neue Mitgliedsstaaten dem Bündnis bei. In Bukarest stellten die USA und Großbritannien den Antrag, auch Georgien und die Ukraine, also zwei Grenznachbarn Russlands, in die NATO aufzunehmen (2008). Dies scheiterte am Einspruch Deutschlands und Frankreichs, blieb jedoch virulent. Im Dezember 2021 wandte Putin sich in dieser Angelegenheit an Präsident Biden, artikulierte seine Bedenken und forderte "Sicherheitsgarantien". Westliche Zusagen blieben jedoch aus. Und noch im Februar 2022 wischte Bundeskanzler Scholz das Thema vom Tisch mit der unverbindlichen Erklärung, die Frage eines NATO-Beitritts der Ukraine stehe "gar nicht auf der Tagesordnung". Das war freilich nichts Neues und vermochte Putin nicht zu beruhigen. Der weitere Gang der Ereignisse ist bekannt.
Die wirtschaftliche Zusammenarbeit der Bundesrepublik mit Russland hat eine jahrzehntelange Geschichte. 1970 wurde das Projekt "Röhren gegen Gas" in Betrieb genommen, zu beiderseitigem Nutzen. Das Geschäft weitete sich aus, die Pipelines Nord Stream 1 und 2 wurden fertiggestellt. Die zweite Röhre ging niemals in Betrieb. Die Zertifizierung wurde auf die lange Bank geschoben - sehr zur Freude von Bündnis 90/Die Grünen, die Nord Stream 2 stets abgelehnt hatten, vor allem aus Gründen der Ökologie. Das abrupte Ende der Gasimporte aus Russland erzwang die Suche nach anderen Erdgasquellen. Wirtschaftsminister Robert Habeck ist seitdem bemüht, uns Geschäfte mit den OPEC-Staaten schmackhaft zu machen und als Erfolg zu verkaufen. Als Ersatz werden nun kostspielige LNG-Terminals gepriesen.
Wann hört der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz endlich damit auf, uns weis machen zu wollen, dass die Unterstützung der Ukraine mit Waffenlieferungen auch der Sicherheit Deutschlands diene. In der Ukraine würden Demokratie und Freiheit der gesamten westlichen Welt verteidigt. Ich hege den Verdacht, dass er das inzwischen selbst glaubt. Mir wird von diesem Geseire ziemlich übel. Langsam, aber sicher wird die deutsche Bevölkerung sich hiervon mehrheitlich nicht mehr einlullen lassen und sich gegen die Verdummung wehren, auch in den Wahllokalen.
Schluss also mit der Mär, die Ukraine könne ihren verzweifelten Abwehrkampf noch gewinnen. Ein Krieg, so Harald Kujat, ist dann gewonnen, wenn die Ziele, derentwegen der Krieg geführt wird, erreicht sind. Doch davon sind wir noch weit entfernt. Unser politisches Spitzenpersonal vermeidet es geflissentlich, Kriegsziele zu benennen. Und gegen ihren Amtseid wollen sie uns einstimmen auf einen Krieg, dessen Ende nicht absehbar ist. Das kann nicht gutgehen.
Donnerstag, 4. April 2024 - 14:28 Uhr
Horrorszenarien versus biedermeierliche Beschaulichkeit
Eindringlich gestikulierend und beschwörend intonierend feiert Jens Stoltenberg, Noch-Generalsekretär des Nordatlantikpaktes, den 75. Geburtstag des Bündnisses, das im Kern ein politisches war wie die SEATO, aber auch militärische Strukturen implizierte, was die NATO von dem ebenfalls USA-dominierten Südostasienpakt unterscheidet. Frankreich trat zeitweise aus dem militärischen Bereich aus, blieb jedoch Mitglied der NATO, die zwar satzungsgemäß zum wechselseitigen Beistand verpflichtet, es aber den Mitgliedstaaten überlässt, mit welchen Mitteln sie Hilfe leisten. Dies wird häufig nicht kommuniziert. Schon gar nicht von den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, die völlig unkritisch so berichten, als hätten sie Regierungsamtliches mitzuteilen. In der 12-Uhr-Tagesschau wird berichtet, dass 2001 der erste Bündnisfall eingetreten und NATO-Militär in Afghanistan tätig geworden sei. Kein Wort über die Unsinnigkeit und das Scheitern dieses Einsatzes , der sich über20 Jahre hinzog und 59 Deutsche das Leben kostete. 1999 begann die unselige Osterweiterung der NATO auf Kosten Russlands, das zu einer "Regionalmacht" minimiert werden sollte. Dass Putin, der hier nun wirklich nicht verharmlost werden soll, sich dagegen wehrte und verhindern wollte, dass die Krim zu einem NATO-Stützpunkt würde, nahm der Westen übel und verhängte Sanktionen. Es darf festgehalten werden, dass die Diskussion um die NATO-Mitgliedschaft Georgiens und der Ukraine (spätestens seit dem NATO-Gipfel in Bukarest 2008) eine der Ursachen für den Ukrainekrieg darstellt, was im westlichen Lager tabuisiert wird. Wer sich dem nicht anschließt, gilt als politischer Gegner, als Feind der Demokratie, als ungehörig und unpatriotisch.
In den USA wird offener gesprochen. Kluge Leute stellen zum Beispiel einen Zusammenhang her zwischen dem Unterfangen, Georgien in die NATO aufzunehmen, und dem Krieg in diesem Kaukasusstaat. Prallelen zur Ukrainekrise und dem gegenwärtigen Krieg liegen auf der Hand. Davon will Generalsekretär Stoltenberg natürlich nichts wissen und setzt alles daran, die europäischen NATO-Staaten zu noch umfangreicheren Hilfen für die Ukraine zu verpflichten . Das Narrativ, Putin werde einen Erfolg gegen die Ukraine ausnutzen, NATO-Staaten angreifen und ganz Europa unterjochen, geht über Einflüsterung weit hinaus, soll uns vielmehr allgewaltig und aus vollen Rohren eingetrichtert werden. Wir sollen auf das Schlimmste gefasst sein. Die schwersten Jahre stünden der NATO noch bevor. Dafür müsse das Bündnis gestärkt werden. Nüchtern betrachtet wehrt sich das Hauptquartier in Brüssel mit Händen und Füßen gegen eine Entwicklung, an deren Ende der Verlust der Daseinsberechtigung, der Legitimation droht. Wer schafft sich schon gern selbst ab!
In Erinnerung an den Ausbruch des Ersten Weltkriegs, vor allem jedoch angesichts der sich abzeichnenden Ukrainekrise äußerte Helmut Schmidt 2014 in einem Interview: "Besser 100 Stunden umsonst verhandeln als eine Minute schießen." Und: "Sie (die EU-Bürokraten) stellen die Ukraine vor die scheinbare Wahl, sich zwischen West und Ost entscheiden zu müssen." Die Europäische Union solle sich, so Schmidt, vor "Größenwahn" hüten. - Ansonsten nicht eben zimperlich und beschönigend in der Einschätzung der Sowjetunion (NATO-Doppelbeschluss 1979), zeigte der alte Helmut Schmidt dennoch Verständnis dafür, dass die Russische Föderation beunruhigt war durch die Erweiterung der NATO bis an die russische Westgrenze. Heute würde er wahrscheinlich als "Putin-Versteher" verunglimpft.
Die öffentlich-rechtlichen Medien verbreiten derweil eitel Sonnenschein. Das neue Mittagsmagazin von ARD und ZDF ist zwar auf 2 Stunden gedehnt bzw. verlängert worden, hält indessen dem Publikum Belastendes als unzumutbar vom Leibe. Wichtiger ist es hingegen, den Anbau von Gemüse oder die Begrünung von "Schottergärten" zu thematisieren. Auch das Fahrrad wird in den Blick gerückt. Liebgewordenes, Alltägliches, auch Banales wird ausgebreitet. Problembewusstsein ist nicht gefragt, eher schon Bewusstseinstrübung. Politmagazine werden erst am späten Abend ausgestrahlt. Wir sollen das Leben doch von seiner schönen Seite sehen. Im Gaza-Streifen und in der Ukraine passiert zwar Entsetzliches. Aber Gewalt und Zerstörung erleben wir lieber wohldosiert und garniert in den vielen Krimis. Die Lebensfreude soll, bitte schön, darunter nicht leiden. Vielversprechend ist auch die Fülle von Computerspielen. Sie sollen sogar zu einer sportlichen Disziplin aufrücken. Bewegungsmangel ist dabei in Kauf zu nehmen, nicht weiter von Belang.
Schließen möchte ich mit dem Appell, Leute, die nicht im "main stream" mitschwimmen, gleichwohl Wichtiges, Nachdenkliches zu sagen haben, gewähren zu lassen, ihnen zuzuhören, sie ernst zu nehmen.
Dienstag, 2. April 2024 - 14:49 Uhr
Der Streit um das Erbe Willy Brandts und Egon Bahrs
Die Schuldzuweisungen an die SPD in einem Offenen Brief sind nicht neuesten Datums, sondern haben eine Vorgeschichte, die spätestens mit dem russischen Angriff auf die Ukraine am 24. Februar 2022 beginnt. Die Verfasser des Briefes trachten danach, der deutschen Sozialdemokratie folgenschwere, verhängnisvolle Fehlentscheidungen anzulasten. Bereits am 15. Juli 2023 veröffentlichte die FAZ einen "Gastbeitrag" des Historikers Heinrich August Winkler mit dem Titel "Der Tabubruch von Tutzing". Vor 60 Jahren hatte der damalige Pressesprecher des Berliner Senats in Tutzing für einen "Wandel durch Annäherung" geworben. Egon Bahr konstatierte eine Erstarrung der westlichen Außen- und Sicherheitspolitik. Diese habe die Teilung in zwei deutsche Staaten zementiert. Es sei an der Zeit, eine Überwindung des "status quo" anzustreben. In seiner Kritik lässt Winkler erkennen, dass er Konrad Adenauers außenpolitisches Konzept für zeitgemäß und alternativlos hält. Der erste Bundeskanzler verfolgte das Ziel, die junge Bundesrepublik "materiell und geistig" gegen die Sowjetunion zu "rüsten". Er ließ den Sozialdemokraten Willy Brandt ausspionieren und hetzte gegen die SPD: "Keine Experimente!" mahnte er. "Alle Wege der SPD führen nach Moskau." Heiner Geißler nahm diese Propagandamasche wieder auf und bezichtigte die SPD, als die "fünfte Kolonne der anderen" - gemeint ist der Ostblock - zu agieren. Und nun kommt Herr H.A. Winkler daher und bläst in das gleiche Horn. Der "Tagesspiegel" legt Winklers Einlassungen in dem Sinne aus, dass die sozialdemokratische Russlandpolitik das aggressive Verhalten des Kreml "begünstigt" habe, und wandelt die Devise "Wandel durch Annäherung" ab in "Wandel durch Anbiederung". Gern erführe ich, ob Winkler sich mit dieser Formel richtig verstanden sieht.
Das Onlinemagazin "Telepolis" titelte Ende März: "Demontage von Egon Bahr: Warum wir diese emotionale Mobilmachung ablehnen"-
Am 15. Juli 1963, dem Tag der Rede Egon Bahrs in Tutzing, war Konrad Adenauer noch Bundeskanzler, wenn auch auf Abruf - worauf der Koalitionspartner FDP bestanden hatte. Im Unterschied zu den maßgeblichen Christdemokraten hatten Egon Bahr und sein Mentor Willy Brandt in Berlin eigene Fronterfahrungen gemacht. Zu nennen sind hier die Berlinkrise und der Mauerbau. Konrad Adenauer war davon unberührt. Er hatte sich in der westdeutschen Bundesrepublik bequem und häuslich eingerichtet. Der 13. August 1961 ließ ihn ziemlich kalt. Der wesentlich jüngere amerikanische Präsident John F. Kennedy ("Ich bin ein Berliner." war und blieb ihm fremd. Ganz anders die Sozialdemokraten Brandt und Bahr.
Noch ein paar Worte zu Winklers Formulierung "Der Tabubruch von Tutzing". Ein Tabu ist etwas, was keiner Begründung bedarf, über allen Zweifel erhaben allgemeingültig und verbindlich ist. Anscheinend möchte Winkler die Doktrinen und Gepflogenheiten des Kalten Krieges kanonisieren und philosophisch überhöhen. Damit werden die Grundsätze der europäischen Aufklärung außer Kraft gesetzt. In die gleiche Richtung weist es, wenn der "Tagesspiegel" Willy Brandt als "Ikone" bezeichnet. Unter Ikone wird eine Gottes- oder Heiligendarstellung verstanden - etwa die "Schwarze Madonna" in Tschenstochau. Willy Brandt würde sich wehren. Er soll einmal gesagt haben: "Ich bin kein Säulenheiliger." Das könnte auch Michael Roth bedenken. Sein törichter Satz "Wir dürfen uns nicht hinter Willy Brandt verstecken." geht am Wesentlichen vorbei. Auch ein Michael Roth kann nicht wissen, wie Willy Brandt in der gegenwärtigen Situation gehandelt hätte. Ich wage die These, dass Brandt es gar nicht so weit hätte kommen lassen.
Sonntag, 31. März 2024 - 13:52 Uhr
Ein Wort macht die Runde: "Realitätsverweigerung"
Es ist schon ein eigen Ding mit der Realität, zu Deutsch Wirklichkeit. In dem vorangehenden Eintrag ("Die SPD im Kreuzfeuer" geht es vornehmlich um einen "Brandbrief" aus Historikerkreisen an den SPD-Bundesvorstand. Der Partei wird vorgeworfen, "Realitätsverweigerung" zu betreiben. Der Aufhänger für die Kritik ist primär eine Bundestagsrede des Fraktionsvorsitzenden Rolf Mützenich. Hat dieser doch zu bedenken gegeben, ob es nicht an der Zeit sei, nicht nur darüber zu reden, wie man am besten Krieg führt, sondern auch zu erwägen, wie der Krieg eingefroren und schließlich auch beendet werden könnte. Säuerliche Mienen und Stirnrunzeln im Plenum, Irritation auch bei der Außenministerin. Frau Baerbock versteht die Welt nicht mehr. "Realitätsverweigerung" liegt offenbar vor, wenn ein aufmerksamer Beobachter die Schrecken des Krieges wahrnimmt und aufgrund dessen den für viele abwegigen, ja unverzeihlichen Schritt wagt, nach dem Sinn von Blutvergießen und Zerstörung zu fragen. Realistisch ist es demnach, den Krieg als unabwendbar zu akzeptieren und bis zum bitteren Ende auszutragen, koste es, was es wolle. Diese Leute sind wohl auch noch stolz darauf, Heldentum zu fördern und zu beweisen. Bedauerlicherweise sei das lange vernachlässigt worden, müsse zu neuer Blüte gedeihen. Was geht da eigentlich in deutschen Köpfen vor? Für sie zeugt es offenbar von Realitätssinn. den katastrophalen Zustand unseres Bildungswesens einfach auszublenden und die unterbezahlten Lehrkräfte anzuweisen, wie sie mit ihren Klassen im Krisenfall Schutzräume aufsuchen können, auch wenn diese nicht in unmittelbarer Nachbarschaft liegen.
Gestern bekamen Ostermarschierer Unflätiges zu hören. Obwohl zahlenmäßig stark geschrumpft, werden sie offenbar auch heute noch für so gefährlich gehalten, dass Spitzenpolitiker ihr Tun kommentieren und abwerten zu müssen meinen. Sie seien naiv, wenn nicht gar spinnert. Kanzler, Vizekanzler und Oppositionsführer fühlen sich bemüßigt, ihren Senf dazu beizutragen. Die Herren sind sich einig, dass der Krieg nicht aus dem öffentlichen Bewusstsein geraten dürfe. Friedrich Merz bemüht, den Historikern nachplappernd, das Wort "Realitätsverweigerung" . Das kann ja heiter werden! Realitätssinn beweist dann jemand, der Realitäten übersieht oder gar leugnet.
Donnerstag, 28. März 2024 - 18:04 Uhr
Die SPD im Kreuzfeuer
Als "Primus inter pares" einer fünfköpfigen Historikergruppe zieht Heinrich August Winkler gegen die SPD zu Felde. Die Kritik zielt auf Widersprüche und Unstimmigkeiten in der Kommunikation zwischen der Parteiführung und der Bundestagsfraktion. Heftig eingedroschen wird auf Rolf Mützenich, weil der sich vorgewagt hat mit der Frage, ob es nicht an der Zeit sei, über Möglichkeiten nachzudenken, den Krieg in der Ukraine "einzufrieren" und dann auch zu beenden. Das wird als "besonders fatal" bewertet. Außerdem wird bemängelt, dass der Bundeskanzler den Vorschlag des französischen Präsidenten, auch den Einsatz westlicher Bodentruppen in der Ukraine nicht grundsätzlich auszuschließen, rundweg zurückgewiesen hat. Aber hätte Olaf Scholz einwilligen sollen, nur um die Einigkeit des westlichen Lagers zu demonstrieren? Ohne zu bedenken, dass der Krieg sich ausweiten könnte? Der Kanzler hat es ohnehin schwer genug mit den Grünen und der FDP. Anton Hofreiter scheint wild darauf zu sein, als Kühlerfigur auf einem Leopard-Panzer in die Ukraine zu rollen. Auch die Außenministerin ist nicht mit Einsicht und diplomatischem Fingerspitzengefühl gesegnet. "Wir kämpfen einen Krieg gegen Russland, nicht gegeneinander." - "Wir sind heute in einer anderen Welt aufgewacht." Und die FDP-Gallionsfigur Marie Agnes Strack-Zimmermann, martialisch wie immer, kündigt coram publico an, mit CDU/CSU für die Lieferung von TAURUS-Marschflugkörpern an die Ukraine zu stimmen. Der anfangs erwähnte Fünferclub tut so, als hätte die SPD die Diskussion über Sinn und Zweck militärischer Hilfen für die Ukraine selbst losgetreten. Sie ist jedoch der Partei aufgezwungen worden durch nicht enden wollende Forderungen der Koalitionspartner und des Auslands. Die SPD, so der erlauchte Kreis, übe sich in "Realitätsverweigerung" mit "ausgesprochen wissenschaftsfeindlichen Aussagen und abwertenden Äußerungen, willkürlich, erratisch und nicht selten faktisch falsch." Für gesichert wissenschaftlich wird offenbar das gehalten, was Leute wie Carlo Masala (München), Florence Gaab (Rom) und Claudia Major (Berlin) verbreiten. Besonders schäbig und hinterhältig mutet der Vorwurf an, die SPD arbeite "Russland in die Hände", also dem russischen Diktator Putin.
Vermutlich ist es nicht einem Zufall zu verdanken, dass der Offene Brief just in unseren Tagen publik geworden ist, "publicity" erlangte und hohe Wellen schlug. Zählt das Wellenreiten neuerdings zu den Hobbys von Historikern? Letztere sollten darauf achten, dass ihr Gewicht nicht in die falsche Waagschale fällt. Weltweit kumulieren Konflikte, werden militärisch ausgetragen. Die Diplomatie hat einen schweren Stand, ist jedoch unerlässlich, was auch kompetente "Staatsbürger in Uniform" stets betonen. Die fünf Fachleute werden für sich geltend machen wollen, dass sie es mit der SPD nur gut meinen. Das wage ich jedoch zu bezweifeln. Eher ist zu befürchten, dass die fraglichen Inhalte mit breiter medialer Orchestrierung genau in die Kerben hauen, die der SPD das Leben schwermachen. In dem genannten Brief vermisse ich das notwendige Maß an Geschichtsbewusstsein und Erinnerungsvermögen. Den Herrschaften hätte einfallen können, dass Kriegen die fatale Tendenz innewohnt, sich auszuweiten und in die Länge zu ziehen. Bemühungen, die Konflikte zu lokalisieren, scheitern nicht selten (Beispiel: das Attentat von Sarajewo 28.6.1914). Die Spannungen zwischen Athen und Sparta eskalierten zum Peloponnesischen Krieg (431-404 v.Chr.) und ließen von den Stadtstaaten der griechischen Antike nur wenig zurück. Der Dreißigjährige Krieg machte drei Pausen, die freilich nicht dazu genutzt wurden, innezuhalten und dem ganzen Irrsinn ein Ende zu bereiten. Mit erfrischten Kräften wurde weitergefochten bis zur endgültigen Erschöpfung. Ein Drittel der Bevölkerung Europas überlebte den Krieg nicht. Ganze Landstriche verödeten. Welche Verheerungen die Kriege von 1792 bis 1815 anrichteten, ist sattsam bekannt. Wenn also gegenwärtig Möglichkeiten ausgelotet werden, einen großen Krieg zu verhindern, verdient das Respekt, nicht verständnisloses Kopfschütteln. Das fünfköpfige Historikerteam hätte auch darüber räsonieren können, warum und mit welchen Folgen die Friedensresolution des Deutschen Reichstags vom 19. Juli 1917 im Sande verlief und zwei Jahre später für die "Dolchstoßlegende" ausgeschlachtet wurde.
Entsetzlich dumm und selbstzerstörerisch wäre es, wenn die von mehreren Seiten angefeindete SPD darauf verfiele, auch noch Willy Brandt zu "entsorgen". Glücklicherweise muss Egon Bahr nicht mehr erleben, dass er verantwortlich gemacht wird für eine verfehlte Russlandpolitik der SPD. "Wandel durch Annäherung", mutiger als eine Beifall heischende gängige Dämonisierung des zu einer "Regionalmacht" herabgestuften Russlands.
Montag, 25. März 2024 - 13:04 Uhr
Soll uns der Frieden verleidet werden?
1795 erschien die Erstausgabe von Immanuel Kants Schrift "Zum ewigen Frieden". Der Untertitel lautet "Ein philosophischer Entwurf". Der Aufklärer hatte zwar nicht alle Kriege des 18. Jahrhunderts miterlebt, wusste jedoch, wovon er sprach. Als er seine Abhandlung verfasste, tobte der erste Koalitionskrieg Frankreichs gegen die Großmächte Österreich und Preußen, auch Revolutionskrieg genannt. Den Auftakt hatte der Große Nordische Krieg gemacht: 1700 bis 1721. Zeitgleich wurde der Spanische Erbfolgekrieg ausgetragen : 1701 bis 1714. Es folgten zwei Schlesische Kriege und parallel dazu der Österreichische Erbfolgekrieg (1740-1748), der Siebenjährige Krieg (1756-1763), der Amerikanische Unabhängigkeitskrieg unter Teilnahme der europäischen Großmächte England und Frankreich (1775-1783). Fatalerweise musste im Jahre 1792 der französische Monarch Ludwig XVI. Österreich den Krieg erklären, der fünf Jahre anhielt. Kriegsfrei war also nur das dritte Jahrzehnt.
Für den Philosophen Kant war der (Ewige) Friede kein natürlicher Zustand, aber von der menschlichen Vernunft geboten. Auch Bertha von Suttner war davon überzeugt, dass es Mühe kosten würde, den Frieden herzustellen und zu bewahren. Glücklicherweise fand sie einen finanzstarken Verbündeten und konnte sich darüber freuen, als erste Frau den Friedens-Nobel-Preis zu erhalten. Der Friedensgedanke stieß freilich nicht überall auf Freunde und Zustimmung. Ganz anderen Sinnes war etwa der preußische Generalstabschef Helmuth von Moltke, der das Engagement für den Frieden für abartig hielt. "Der ewige Friede ist ein Traum, und nicht einmal ein schöner" urteilte er. Erst im Krieg entfalte der Mensch seine wahren Tugenden wie Opferbereitschaft und Selbstlosigkeit. Also immaterielle Werte.
Nach den entsetzlichen beiden Weltkriegen, nach den Kriegen auf dem Balkan (Auflösung Jugoslawiens), nach den drei Golfkriegen, den Kriegen in Afghanistan und im Irak waren viele des Krieges überdrüssig. Es gab die Ostermärsche und andere Friedensbewegungen. Doch neuerdings scheint das Denken in militärischen Kategorien eine Renaissance zu erleben. Der Einsatz für den Frieden wird als Ausdruck von Feigheit gebrandmarkt. Ungeheuerlich ist die Empörung über die Worte Rolf Mützenichs im Bundestag. Der BILD-Journalist Paul Ronzheimer wirft Sahra Wagenknecht vor, sie nehme das Leid der ukrainischen Bevölkerung auf die leichte Schulter. Er sei kürzlich an der Front gewesen und habe von ukrainischen Soldaten erfahren, warum diese noch in den Schützengräben stünden. Wenn sie aufgäben, hätte das unsägliches Leid für die Verwandten im Hinterland zur Folge. Ergo nehme Frau Wagenknecht das Leiden und die Schändung unschuldiger Zivilisten in Kauf. Die Entrüstung des stellvertretenden Chefredakteurs von BILD ist ihm ins Gesicht geschrieben. Wieder einmal wird die Moral aus dem Köcher gezogen, um das Gegenüber außer Gefecht zu setzen. Auf Sachlichkeit wird dabei verzichtet. Und so bleibt der Journalist die Antwort schuldig, wie denn durch Waffenlieferungen das Blutvergießen beendet werden könne. Verbirgt sich hinter der Friedensskepsis möglicherweise das Schüren von Ängsten? Als Urheber und Profiteure solchen Treibens kämen diejenigen in Betracht, denen in Friedenszeiten der Stoff, die Themen ausgingen, über die sie sich so gern aufregen.
Auch Willy Brandt bleibt in dem um sich greifenden medialen Tumult nicht ungeschoren. Er habe doch zur Genese des Ukraine-Krieges beigetragen. Die neue Ostpolitik habe sich als ein einziger Irrweg erwiesen.
Und was sagt die SPD zu alledem? Es könnte mit Nachdruck darauf hingewiesen werden, dass der erste sozialdemokratische Bundeskanzler kein irriger Traumtänzer war. Er war Realist und wusste genau, dass es zunächst wichtig ist, die Wirklichkeit als solche zu akzeptieren und auf dieser Basis Schritte zu einer Änderung zu wagen, und das auch im eigenen Interesse. Es bringt nichts, sich die Realität "umzuwünschen" . Der Ukraine-Krieg ist leider da, ein nicht von Deutschland verursachtes Faktum. Er kann auch als Herausforderung verstanden werden. Umso mehr muss die SPD darauf bedacht sein, den Fraktionsvorsitzenden Rolf Mützenich nicht im Regen stehen zu lassen, ihm beizustehen und an altbewährtes sozialdemokratisches Erbe anzuknüpfen. Friedrich Ebert und Philipp Scheidemann waren nicht glücklich mit dem, was sie nach dem Ende des Ersten Weltkriegs vorfanden. Aber sie stellten sich der Realität, übernahmen Verantwortung und mussten damit leben, als "Novemberverbrecher" beschimpft zu werden. Mein Appell hat nicht zum Ziel, den genannten Sozialdemokraten musealen Kult angedeihen zu lassen. Aber auch im 21. Jahrhundert kann man noch von ihnen lernen.
Freitag, 22. März 2024 - 18:27 Uhr
Der EU-Ministerrat und der Schrotthandel
Im Internet sind folgende Zahlen zu finden: Die Ukraine hat 2023 Eisenschrott im Wert von 46,4 Millionen $ exportiert, und zwar nach Polen, Griechenland und Bulgarien. Das Gesamtgewicht betrug 161,025 Tonnen. Was die Importländer mit dem Schrott machten, ist mir unbekannt. Eher unwahrscheinlich ist, dass Rüstungskonzerne wie Rheinmetall Schrott aus den genannten Ländern beziehen. Von einer Kreislaufwirtschaft sind wir in dieser Hinsicht noch weit entfernt. Woher kommen eigentlich die Erze und Metalle, die von der Rüstungsindustrie zu lebensgefährlichem, zerstörerischem Kriegsgerät verarbeitet werden? - Eingeführt hat die Ukraine Metallschrott im Wert 383 Millionen USD. Die genannten Mengen und Geldsummen erscheinen lächerlich gering, wenn man dagegenhält, was tagtäglich auf die Ukraine niedergeht. Die meisten russischen Raketen und Drohnen sollen abgefangen und vernichtet worden sein. Die Trümmer haben noch Schaden genug angerichtet, auch das Leben vieler Zivilisten gekostet. Demnach liegt noch viel Altmetall in ukrainischen Städten und wartet darauf, geborgen und weiterverwendet zu werden. Und was tun ukrainische Bauern, wenn sie bei Feldarbeiten auf Metall stoßen oder gar Minen zur Explosion bringen?
Von solchen Problemen gänzlich unberührt, treffen sich in Brüssel wieder einmal die Staats-und Regierungschefs der EU, gut abgefüttert, mit Schlips und Kragen. Bei ihrer emsigen Reisetätigkeit haben sie Unmengen von klimaschädlichen Abgasen hinterlassen. Dies kümmert sie allerdings wenig. Sie sind sich ihrer Wichtigkeit und Unersetzlichkeit bewusst, beraten eingehend über Waffen- und Munitionslieferungen an die Ukraine. Hinsichtlich der Finanzierung ist ihnen eingefallen, Zinserträge aus eingefrorenen russischen Vermögen zu nutzen. Geschätztes Volumen: 3 bis 4 Milliarden Euro. Ursprünglich war das Geld für den Wiederaufbau in der Ukraine vorgesehen. Jetzt sollen 90 % davon in die Beschaffung von Waffen und Munition fließen. 10 % bleiben dann noch für den Wiederaufbau, der halt zu warten hat. Die Fortsetzung des Krieges hat Vorrang, so lange und so intensiv wie nötig. Die Schlips- und Kragenleute brauchen die Folgen ihres Tuns nicht auszuhalten. Elend und Leid in der Ukraine sind für sie bedauerlich, aber hinnehmbar. Die Pressekonferenzen nach dem EU-Gipfel sind voll des Lobes. Besser hätte es gar nicht kommen können. Wir lassen uns doch nicht die Laune verderben. Wenn da nicht doch Querulanten ihr Unwesen trieben! Österreich wendet ein, es sei mit dem Gewissen und Selbstverständnis der Alpenrepublik nicht vereinbar, Waffen und Munition in ein Kriegsgebiet zu verbringen.
Im schleswig-holsteinischen Ort Wacken findet alljährlich ein Open Air Festival statt. Auf dem Programm steht auch Heavy Metal - Musik. Es wird laut, auch wegen der Blechbläser. Welch eine andere, sympathische Verwendung von Metall! verschafft sich da Gehör. Meist jüngere Leute, die vor Kraft kaum laufen können, leben ihre Lebensfreude aus. Es gibt keine Verletzten oder gar Toten. Krieg hat hier keinen Rauim.
Dienstag, 19. März 2024 - 18:17 Uhr
Der intellektuelle Leerlauf in Politik und Medien
Weiß der Geier, welche Eingebung oder Erleuchtung der deutschen Außenministerin zu der Einsicht verhalf: "Die Wahl in Russland war eine Wahl ohne Wahl." (18.3.24 in Brüssel) Der "Gesang der Geister über den Wassern" kann hier nicht Pate gestanden haben. Eher schon betörende Rauchschwaden aus einer Vulkanspalte. Dass die russische Präsidentenwahl demokratischen Ansprüchen auch nicht annähernd genügen würde, konnte nicht überraschen. Erstaunlich war jedoch, dass diese Urnengänge in der Öffentlichkeit unverhältnismäßig breitgetreten wurden. Sie waren Thema bei einem Außenministertreffen in der belgischen Metropole und beanspruchten 5 von 15 Minuten Sendezeit in der abendlichen Tagesschau. Was soll das, bitte schön? Ich beobachte seit Langem eine permanente Überfütterung mit Nachrichten und Kommentaren, die uns in eine generell russlandfeindliche Richtung drängen wollen. In der ARD-Tagesschau hätte es vollends ausgereicht, Ina Ruck zu Worte kommen zu lassen. Informationen statt Propaganda! Das deutsche Wahlvolk ist noch nicht so bekloppt, dass es ständig behämmert werden muss, um Einsichten zu gewinnen.
Womit haben wir Bundesbürger und Bundesbürgerinnen eigentlich eine Außenministerin wie Annalena Baerbock verdient? Warum werden wir mit einer FDP-Bildungsministerin bestraft, der es wichtig ist, die deutsche Bevölkerung bis hin zu den Erstklässlern auf Krisenzeiten vorzubereiten und dabei in einem Atemzug Pandemien und Kriege nennt? Als ob Kriege Naturkatastrophen oder Seuchen wären! Wie hirnverbrannt muss man denn sein, dass einem nicht der Atem stockt, wenn man solche abgründigen Parolen laut werden lässt? Der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz bringt es fertig, Rolf Mützenich als "feige" zu bezeichnen, wenn dieser die Frage in den Raum stellt, ob man nicht auch einmal darüber nachdenken sollte, wie der Ukraine-Krieg beendet werden könnte. Die Würde des Hohen Hauses geht dabei verloren.
Wieder einmal wird in der EU darüber beraten, wie man der Ukraine mit weiteren Waffenlieferungen helfen könne. Wenn sich in Kürze herausstellen sollte, dass die Lasten dieses Krieges, der vor allem von den USA gewollt wurde und immer noch ist, jetzt auf Europa abgewälzt werden sollen, muss das aufs Schärfste hinterfragt werden. Es wäre Wasser auf die Mühlen der AfD und hätte zur Folge, dass die SPD noch mehr Rückhalt im Wahlvolk verlöre.
In der US-amerikanischen "air base" Ramstein tagte vor Kurzem zum 20sten Mal die "Ukraine-Kontaktgruppe" mit Vertretern von 50 Staaten. Die abschließende Pressekonferenz wurde vom US-amerikanischen Verteidigungsminister Lloyd Austin und seinem Generalstabschef Brown bestritten. Hinter diesen Herren reihten sich etliche Flaggen: Stars and Stripes für die USA, Blau-Gelb für die Ukraine und dann tatsächlich auch die EU-Flagge: Blau mit Sternchen. Der Anteil Europas hielt sich in Grenzen. Und ein wenig kleinlaut teilte Boris Pistorius mit, die Bundesrepublik werde weitere 500 Millionen Euro beisteuern. Wir haben´s ja.
Montag, 18. März 2024 - 14:30 Uhr
Für Rolf Mützenich in die Bresche springen
Die Angreifer können einen ersten Erfolg verbuchen. In der Burgmauer klafft ein zunächst noch kleines Koch. Den Verteidigern fällt die Aufgabe zu, die Lücke zu schließen und so ein massenhaftes Eindringen von Feinden zu verhindern. Die SPD wird zur Zeit von mehreren Seiten belagert. Gestern Abend fragte Caren Miosga den Co-Vorsitzenden: "Wofür braucht es die SPD noch, Herr Klingbeil?" Dieser bemüht sich zu erläutern, warum er in diesen schwierigen Zeiten überhaupt noch Politik mache und für seine Partei werbe (statt Gitarre zu spielen). Die ARD-Moderatorin versucht ihr Gegenüber aufs Glatteis zu führen und ihn in Verlegenheit zu bringen. Hat doch Rolf Mützenich sich am 14. März im Bundestag mit der Frage vorgewagt, ob es nicht Sinn mache, nicht nur darüber zu reden, wie man am besten Krieg führe, sondern auch darüber, wie der Krieg "eingefroren" und in absehbarer Zeit auch beendet werden könne. Kopfschütteln in den meisten Reihen des Plenums, das nahezu gewohnheitsmäßig nicht einmal zur Hälfte gefüllt ist. Frau Miosga hat offenbar ihre eigenen Vorstellungen vom "Einfrieren", was seinen Grund auch darin haben könnte, dass in ihrem Haushalt keine Tiefkühltruhe steht. Das Einfrieren führt in einen Zustand der Starre, der Reglosigkeit. Und genau das meint Rolf Mützenich: Ruhe herstellen und Zeit fürs Nachdenken gewinnen. Zwecks Anschaulichkeit lässt Caren Miosga eine Landkarte kommen und demonstriert, welche Gebiete der Ukraine verloren gingen, wenn der Krieg eingefroren würde. Doch das entspricht nicht dem, was Rolf Mützenicht im Sinn hat. Das Eingefrorene kann wieder aufgetaut werden, wodurch eine neue Situation entsteht und wieder verhandelt werden kann. Leider konfrontiert Lars Klingbeil Frau Miosga nicht mit der Frage, wie sie sich denn die weitere Entwicklung vorstelle. Ob die westlichen Militärhilfen die Ukraine dazu befähigen sollten, den territorialen Stand von 1991 wiederherzustellen. Ein Schweizer Journalist spottete hierüber mit der fingierten Parole: Der politische Westen kämpfe gegen die Russen bis zum letzten Ukrainer.
Gar zu gern wüsste ich, was sich in den Hirnrinden vieler Politiker und Journalisten abspielt. Wenn man politischen Selbstmord verüben möchte , braucht man nur zu erklären, der Krieg müsse beendet werden, Waffenstillstandsverhandlungen müssten aufgenommen werde. Schon setzt die Treibjagd ein. Dabei wird nicht selten der Eindruck erweckt, dass so mancher dem Irrtum erliegt, Leibesfülle könne politische Kompetenz ersetzen. Viel Unverstand verrät sich hier, auch Dummheit häuft sich. Hoffentlich erleben wir nicht mehr, dass Leute dieses Kalibers die Hebel der Macht in die Finger kriegen. Ein Hineinschnuppern in die Welt von Hochschulen und Universitäten ist noch kein Garant für intellektuelle Fähigkeit und politische Reife.
Nicht frei von Überheblichkeit und Schadenfreude fragte Caren Miosga den SPD-Vorsitzenden, ob ihm nicht auch aufgefallen sei, dass weder Die Grünen noch die FDP Rolf Mützenich bei seiner -Rede applaudiert hätten. Die SPD müsse doch erkennen, wie isoliert sie dastehe und was sie hieraus lernen müsse. Schließen möchte ich mit der Hoffnung, dass die SPD weiß, was sie an Politikern wie Rolf Mützenich und Ralf Stegner hat. Wendet Schaden von ihnen ab, Genossinnen und Genossen!
Freitag, 15. März 2024 - 16:36 Uhr
Deutsche Außenpolitik mit der Moralkeule
Am 14.3.2024 ging es im Deutschen Bundestag hoch her., vor allem in der von CDU/CSU beantragten Debatte über die Lieferung von TAURUS-Marschflugkörpern an die Ukraine. Die Opposition warf dem Kanzler vor, seine Haltung sei von Misstrauen gegenüber Kiew geprägt. Das gehe nun gar nicht, erst recht nicht unter Verbündeten oder Freunden. Die Ukraine habe in zwei Jahren Krieg stets gezeigt, dass auf sie Verlass sei. Mit diesem Vorwurf wird die Diskussion auf eine Ebene gehoben, auf die sie gar nicht gehört, auf die der Moral. Eine sachliche Auseinandersetzung, wie sie Olaf Scholz nahelegt und praktiziert, wird dadurch unmöglich gemacht. Man weicht ihr aus. So kann man mehr Schlagkraft entwickeln und weiß "die Guten" auf seiner Seite. Misstrauen also, wie schmählich! Wo doch Vertrauensseligkeit angebracht wäre! Aber warum sollten wir der Ukraine mehr vertrauen als Russland? Die Ukraine hat ein vitales Interesse daran, die Kampfhandlungen von ihrem Territorium weg nach Russland zu verlagern, wie es auch Roderich Kiesewetter (CDU) empfiehlt - und das mit deutschem Kriegsgerät. Fragt sich nur, ob das auch im deutschen Interesse liegt. Ohne Putins verbrecherischen Krieg gegen die Ukraine beschönigen oder gar rechtfertigen zu wollen, darf daran erinnert werden, dass die NATO-Osterweiterung zu keiner Zeit in russischem Interesse lag. Boris Jelzin hat sich mehrfach in diesem Sinne geäußert. Der politische Westen hat sich rücksichtlos darüber hinweggesetzt.
Es ist schon einigermaßen irrwitzig, dass einflussreiche Leute, wenn sie zum Ukrainekrieg Stellung beziehen, absichtlich missverstanden werden. Papst Franziskus legt der Ukraine nahe eine weiße Fahne zu hissen, um Verhandlungsbereitschaft zu signalisieren. Prompt wird dies als Aufruf zur Kapitulation vor Russland diffamiert. Rolf Mützenich stell am 14. März im Bundestag die Frage, ob es Sinn macht, ständig nur darüber zu reden, wie man am besten Krieg führt, statt darüber nachzudenken, ob der Krieg eingefroren und dann auch beendet werden könne. Die Entrüstung ob eines solchen Ansinnens bläht sich gewaltig auf. Umgehend meldet sich Ricarda Lang, Co-Vorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen zu Wort und verurteilt dies als "Rückfall" in die inzwischen gescheiterte Russland-Politik der SPD. Dabei zeigt sich, dass Frau Lang die sozialdemokratische Ostpolitik noch niemals begriffen hat. Am 15. März nimm Marietta Slomka im Heute-Journal Ralf Stegner ins Gebet und versucht darzulegen, dass der Vorschlag des SPD-Fraktionsvorsitzenden barer Unsinn sei. Wenn der Krieg eingefroren werde, höre er ja nicht auf. Außerdem zeuge die Anregung von Schwäche und erledige sich damit von selbst. Offenkundig möchte Frau Slomka den Krieg auf wohliger Betriebstemperatur halten und um Jahre verlängern. Vielleicht schwebt ihr ein brühwarmes "perpetuum mobile"- vor. Stegner hält wacker dagegen und betont mehrmals, Verhandlungsbereitschaft bedeute nicht Kapitulation. Es gehe ausschließlich darum, das Sterben in der Ukraine zu beenden. Dieses Ziel sei aber nicht erreichbar, wenn man nur auf die militärische Karte setze.
Nach drei Kriegen wurde am 18. Januar 1871 das deutsche Kaiser reich proklamiert. Damit erfolgte eine grundlegende Verschiebung der europäischen Machtverhältnisse. Möglicherweise vergleichbar mit der deutschen Wiedervereinigung von 1990. Der Machtmensch Otto von Bismarck, dem der Abschied von der Macht verdammt schwerfiel, trug dem Rechnung. Als erster Reichskanzler zielte er darauf ab, die vier anderen europäischen Großmächte (England, Frankreich, Österreich-Ungarn und Russland) mit dem neuen "Koloss" in der Mitte Europas auszusöhnen. Deutsches Hegemonialstreben lag ihm fern. Unter seinen Nachfolgern fand ein Umdenken statt. Bernhard von Bülow forderte für Deutschland einen "Platz an der Sonne". Kaiser Wilhelm II. machte England gar die Seeherrschaft streitig: "Der Dreizack gehört in unsere Faust." Mit dem Ersten Weltkrieg setzte eine Ideologisierung bzw. Moralisierung der Außenpolitik ein. Nicht das Deutsche Reich rückte zur Weltmacht auf (Fritz Fischer, "Griff nach der Weltmacht" . Diese Rolle übernahmen die USA. Präsident Woodrow Wilson rief zum Kreuzzug gegen die europäischen Monarchien auf: "To make the world safe for democracy"
. Die Demokratie wurde zu einem Instrument der Machtpolitik, zum Werkzeug für Imperialismus. Der deutschen Außenpolitik sei angeraten, nicht auf diesen Leim zu kriechen, sondern sich den Realitäten zu stellen. Otto von Bismarck dachte nicht im Traum daran, andere Staaten zu "bekehren". Er war alles andere als ein Demokrat, sondern überzeugter Monarchist. Maßlose Selbstüberschätzung war niemals seine Sache.
Mittwoch, 13. März 2024 - 14:31 Uhr
Die politische Logik des Norbert Röttgen
Da sitzen sie nun bei Sandra Maischberger und streiten miteinander: Ralf Stegner (SPD) und Norbert Röttgen (CDU). Letzterer behauptet dreist, der Bundeskanzler schüre gezielt die Ängste der deutschen Bevölkerung vor einem großen Krieg und missbrauche solche Bedenken für Wahlkampfzwecke. Der Christdemokrat schlägt Alarm, haben sich doch laut einer Umfrage 61 % der Wahlberechtigten für eine baldige Beendigung des Ukraine-Krieges ausgesprochen. Dieses Gemetzel hat also Popularität verloren. Eine Kursänderung im "main stream" sei zu beklagen. Die Lieferung von Marschflugkörpern des Typs TAURUS an die Ukraine sei das Gebot der Stunde. Die Warnung, die Bundesrepublik könne dadurch Kriegspartei werden, sei reine Propaganda, eine billige Ausrede. Noch Fragen? Das ist doch alles logisch und für jeden einsichtig, selbst für Leute mit mittlerem Intelligenzquotienten.
Kürzlich schlug der französische Staatspräsident in Paris vor, auch den Einsatz westlicher Bodentruppen in der Ukraine nicht grundsätzlich auszuschließen. "Rote Linien" dürften hier nicht gezogen werden. Olaf Scholz widersprach umgehend und betonte, deutsche Soldaten und Soldatinnen würden sich am Kampfgeschehen in der Ukraine nicht beteiligen. Auch dies hält Norbert Röttgen für einen Fehler. Eine Differenzierung sei hier möglich. Westliche Truppen müssten nicht unbedingt an der Front agieren, sondern könnten im Hinterland bei der Kampfmittelbeseitigung (Aufspüren von Minen) helfen. Es sei ein Leichtes, reguläre Kämpfer von Truppenmitgliedern zu unterscheiden, die keine Handfeuerwaffen oder Eierhandgranaten bei sich trügen, gleichsam als ziviles Militär. Röttgen möchte also bedenkenlos zum Marsch blasen.
Vehement weist der Christdemokrat Anwürfe von Seiten der Sozialdemokratie zurück, mit einem anderen Kanzler, wohl aus den Reihen von CDU/CSU, wäre Deutschland schon längst "Kriegspartei". Verbale Streumunition dieses Kalibers verbiete sich beim Umgang demokratischer Parteien miteinander. Röttgen ereifert sich mächtig. Auch die christlichen Parteien hätten nichts anderes im Sinn als den Frieden. Logisch, nicht wahr? Der CDU-Außenpolitiker scheut andererseits nicht davor zurück, dem Bundeskanzler den ernsthaften Willen abzusprechen, eine Eskalation und Ausweitung der Kampfhandlungen zu verhindern.
Und Ralf Stegner? Eloquent und mit überzeugenden Argumenten hält er dagegen und stellt sich vor seinen Kanzler. Ein besonnener, klug abwägender Regierungschef sei ihm tausendmal lieber als ein Draufgänger, der vorzugsweise auf eine militärische Lösung des Konflikts setzt. Hoffentlich gewinnt die vom Kanzler und Ralf Stegner vertretene Linie die Oberhand. Ratsam wäre eine Kooperation der SPD mit den Kräften in Politik, Militär sowie im Journalismus , die für eine Verhandlungslösung plädieren. Stimmen wie die von Gregor Gysi, Harald Kujat und Gabriele Krone-Schmalz dürfen nicht ungehört bleiben und verhallen. Auch der alte SPD-Kämpe Klaus von Dohnanyi hat noch Wichtiges zu sagen.
Montag, 11. März 2024 - 15:27 Uhr
Wie wird man zu einem "Friedenskanzler"?
Es war einfach entsetzlich. Um die Mittagsstunde des 10. März 2024 machten sich fünf Personen in einem Fernsehstudio breit - zu einem "Internationalen Frühschoppen". Sie ließen sich aus zu dem jüngsten Streich des russischen Präsidenten, zur Veröffentlichung eines Telefonates zwischen vier hohen Offizieren der Luftwaffe. Hierin sahen die versammelten Herrschaften einen Kriegsakt, wie überhaupt alles, was Wladimir Putin äußert und inszeniert, unter der Überschrift "Krieg" firmiert, also nicht nur auf den furchtbaren Angriff auf die Ukraine bezogen. Allerdings rankten sich die Hirne der vier Luftwaffenoffiziere ebenfalls um die Themen Offensive und Luftschläge gegen Russland, den Angreifer, der nun seinerseits angegriffen werden soll. Im Zentrum der Planspiele steht der Marschflugkörper TAURUS, der die russischen Nachschubwege blockieren, ausschalten soll. Leider, so die zur Tafelrunde Versammelten, stemmt sich der deutsche Bundeskanzler noch dagegen, wie er auch den Einsatz deutscher Soldaten auf ukrainischen Schlachtfeldern ausschließt. Die Deutschen sollen sich doch, bitte schön, nicht so anstellen! Kriege seien doch, wenn auch nicht gleich der Normalfall, aber doch etwas, mit dem man leben müsse, auf das man stets gefasst und gut gerüstet sein müsse. Das Verhalten des deutschen Regierungschefs stößt in der Runde der Frühschoppler auf Unverständnis. Es fällt das Wort "Friedenskanzler". Und das ist mitnichten als Kompliment gemeint. Schließlich hat Olaf Scholz es so weit kommen lassen, dass 61 Prozent der deutschen Wahlberechtigten sich für die Beendigung des Ukraine-Krieges aussprechen. Da ist noch gewaltige Erziehungsarbeit zu leisten.
Aber geben die Erklärungen des Kanzlers schon das Zeug dafür her, ihn einen "Friedenskanzler" zu nennen? Immerhin rühmt die Bundesregierung sich dessen, dass Deutschland in der Liste derjenigen Staaten, die der Ukraine Kriegsmaterial liefern, an zweiter Stelle steht. Kaum jemand fordert vom Bundeskanzler, dass er die Hilfslieferungen von einem Tag auf den anderen einstellt. Das Ungeheuerliche, Unverantwortliche besteht jedoch darin, dass nicht verbindlich gesagt wird, welche Kriegsziele angestrebt werden sollen. Geht es nur um das unstrittige Recht auf Selbstverteidigung oder um eine Gegenoffensive bis hinein in die Tiefe des russischen Hinterlandes? Aus einer Theatervorstellung (Georg Büchners "Dantons Tod" habe ich wieder einmal den Satz mitgebracht: "Wo die Notwehr aufhört, fängt der Mord an." Unserem Bundeskanzler wünsche ich das feine Gespür und den scharfen Blick dafür, die schwierige Grenze zu erkennen.
Zum ersten Mal erlebe ich bewusst die Wucht politischer Wellen. Es geht nicht mehr um den "main stream", sondern um übermächtige, alles unter sich begrabende Wogen. Meine ersten fünf Lebensjahre waren Kriegsjahre. Ich habe sie gesehen, Menschen, denen ein Arm oder ein Bein fehlte, Kriegsversehrte, für die in öffentlichen Verkehrsmitteln Sitzplätze reserviert waren. Meine Eltern, Jahrgang 1901 und 1908, sorgten sich in den 1950ern. Kriege und Aufstände, etwa in Korea, in Nahost, in Ost-Berlin und der DDR oder in Ungarn, machten ihnen zu schaffen. Ängste lebten wieder auf. In krassem Gegensatz hierzu steht das kriegslüsterne Journalistengewäsch von gestern Mittag. Keiner der Beteiligten muss am eigenen Leibe das erfahren, worüber sie altklug schwätzen. Ist denn der Mangel an Vernunft unsterblich?
Montag, 4. März 2024 - 18:10 Uhr
Der "Informationskrieg" des deutschen Verteidigungsministers
So kann es nicht weitergehen, lieber Boris Pistorius! Durch Pressekonferenzen dieses Stils (am Nachmittag des 3. März) wird alles nur noch schlimmer. Auch Sozialdemokraten sind offensichtlich nicht dagegen gefeit, sich um Kopf und Kragen zu reden. Grundsätzlich ist zwischen Information und Propaganda zu unterscheiden. Wer dies nicht wahrhaben will, setzt sich dem Verdacht aus, dass er wichtige Details vertuschen will, um die Bürgerinnen und Bürger irrezuführen. Informationen sind richtig oder falsch. Sie eignen sich nicht als Mittel der Kriegsführung. Vielmehr bringen sie Licht in ein Dunkel, das den Blick trüben und Klarsicht verhindern will. Sicherlich hat das Regime Putin den Zeitpunkt der Veröffentlichung des Luftwaffengesprächs bewusst und zielgenau ausgewählt. Das ist aber keineswegs "Desinformation". Im Gegenteil. Ich jedenfalls freue mich darüber, von den Machenschaften zu erfahren, die ohne unser Wissen hinter den Kulissen Sichtschutz suchen. Nicht erst in unseren Tagen gibt es Politiker, die sich nicht gern in die Karten gucken lassen. Welche Möglichkeiten, sich wichtig zu machen und Einfluss zu nehmen, eröffnet dieser erbärmliche Krieg, der nicht wenigen gerade recht kommt. Wie misslich sowie karriere- und geschäftsschädigend wäre da ein rasches Ende des Krieges! Rüstungsexporten stehen nun kürzere Wege offen. Und der Frieden bleibt auf der Strecke, rückt in angenehmere Ferne.
Sonntag, 3. März 2024 - 16:19 Uhr
Der "Vormärz" in der Luftwaffe der Bundeswehr
Vier hohe Offiziere der deutschen Luftwaffe konnten es sich nicht verkneifen, aus dem Nähkästchen zu plaudern. So geschehen am 19 Februar 2024, just 10 Tage vor dem meteorologischen Ende des Winters, vor Frühlingsbeginn Anfang März. Die Fachsimpeleien der Herren zum Einsatz von TAURUS im Ukraine-Krieg blieben peinlicherweise nicht geheim, sondern wurden abgehört und ins Netz gestellt (am 1. März 2024), und das ausgerechnet auf der russischen Plattform `telegram`. (Oder war es "Russia today"?) Ein Triumph für Putin und eine Blamage für Scholz, der während eines Rom-Aufenthaltes von einer "ernsten Angelegenheit" sprach. Der Kanzler kommt nicht zur Ruhe, hat er doch kurz vorher seine Position zu dem Thema festgezurrt. Und nun beraten die vier Herren darüber, wie der TAURUS der Ukraine zur Verfügung gestellt werden könnte, ohne dass die Bundesrepublik Kriegspartei würde. Dabei wird auch ein Umweg über Polen in Betracht gezogen. Zugleich zweifeln die Offiziere daran, dass der deutsch-schwedische Marschflugkörper kriegsentscheidend sein könnte. Deutsche Politiker und Medien geraten in helle Aufregung und vermelden einen riesigen Skandal. Wie konnten die Luftwaffenoffiziere sämtliche Sicherheitsvorschriften außer Acht lassen? Vermutlich habe es schon früher derartige Abhöraktionen gegeben. Der meines Erachtens viel größere Skandal besteht jedoch darin, dass Mitglieder des deutschen Offizierskorps überhaupt solchen Überlegungen nachhängen und sich anmaßen, der Politik bestimmte Vorgehensweisen nahezulegen und Einfluss auf Entscheidungen zu nehmen. Verbündete werden sich fragen, ob die Bundesregierung "ihren Laden noch im Griff hat". Sind das erste Symptome eines um sich greifenden Militarismus?
Der Scherbenhaufen liegt nun da. Feiert die Luftwaffe Polterabend?
Das Verhalten der vier Luftwaffenoffiziere ist nicht nur dumm, sondern auch eminent gefährlich. Bei dem geistigen und politischen Zuschnitt eines Ingo Gerhartz war kaum anderes zu erwarten. Dass jedoch in der Bundeswehr etliche Gleichgesinnte anzutreffen sind, gibt zu denken. Sollen unser aller Leben und Sicherheit in den Händen solcher Leute liegen? Dass die menschliche Dummheit unendlich ist, wusste bereits Albert Einstein. Dass sie aber so konzentriert und geballt auftritt, ist beängstigend. Was sich da alljährlich zur Münchner Sicherheitskonferenz versammelt, erweckt auch nicht gerade den Eindruck, dort träfen sich geistig-politische Eliten. -
Der georderte Kampfjet F 35 ist übrigens erneut teurer geworden, was allerdings die üppigen Steuereinnahmen auffangen werden.
Die Soldaten und Soldatinnen sollen sich als "Staatsbürger in Uniform" verstehen, was aber nicht das Recht einschließt, der Politik ins Handwerk zu pfuschen.
Donnerstag, 29. Februar 2024 - 11:36 Uhr
Werden wir zum Narren gehalten und für dumm verkauft?
Wenn alles noch schlimmer werden sollte, als es ohnehin schon ist, könnte der französische Staatspräsident Emanuel Macron in Bälde seinen europäischen Amtskollegen und -kolleginnen entgegenhalten: `Ich verstehe überhaupt nicht, warum ihr euch so aufregt über meinen Vorschlag, in der Ukraine auch westliche Bodentruppen einzusetzen. Das ist doch inzwischen gängige Praxis.` US-amerikanische Printmedien berichten unverblümt, in der Ukraine seien schon längst westliche Soldaten und Geheimdienstler unterwegs. Außerdem erfahren wir, dass der US-amerikanische Auslandsgeheimdienst CIA bereits seit 10 Jahren in der Ostukraine 12 Spionageposten unterhält, und zwar entlang der russischen Grenze und zum Teil in unterirdischen Bunkern. Wenn das stimmt: Warum erfahren wir als Bürgerinnen und Bürger der Bundesrepublik Deutschland nichts davon, weder durch das Bundespresseamt noch von Seiten der Sendeanstalten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks? Sind die denn samt und sonders zu Sprachorganen der staatlichen Propaganda degeneriert? Kann es sein, dass der Journalismus in den USA freier und offener arbeitet als in Deutschland? Gibt es bei uns so etwas wie Freiwillige Selbstkontrolle? Anders als in der Filmwirtschaft, die jugendgefährdende Filme als solche kennzeichnet, muss in Presse, Rundfunk und Fernsehen das Recht mündiger Erwachsener auf umfassende Information Vorrang haben. Alles, was auch nur den Anschein von Zensur erwecken könnte, hat zu unterbleiben.
Ein kleiner Exkurs: Der Geheimdienst CIA (das I ist der Anfangsbuchstabe von Intelligence) agiert weltweit und betrieb unter anderem den Sturz des chilenischen Präsidenten Salvador Allende (1973), gemäß der Devise "Amerika den Amerikanern", mit denen freilich nur die "pale faces" der USA gemeint waren. US-Präsident Donald Trump formulierte die Faustregel seines Amtsvorgängers James Monroe leicht um und verhieß "America first". Und schon gar nicht dulden wir Bürger und Bürgerinnen der Vereinigten Staaten auf dem riesigen amerikanischen Doppelkontinent Regime bzw. Herrschaftssysteme, die nach Sozialismus oder - schlimmer noch - nach Kommunismus riechen. Schließlich hat nach 1945 das Repräsentantenhaus das "Komitee für unamerikanische Umtriebe" eingesetzt, vor dem 1947 auch Bertolt Brecht und Thomas Mann aussagen mussten (McCarthy-Ära). Leider haben wir uns 1962 verpflichten müssen, künftig die Finger von Kuba (Fidel Castro) zu lassen. Seither beschränken wir uns auf wirtschaftlichen Boykott gegen den Inselstaat.
Zwischen Frankreich und den USA herrscht seit Langem ein herzlicher Dissens. In jüngster Zeit zeigt sich dies vor allem in der Rüstungspolitik. Gemeinsam mit Deutschland und Spanien arbeitet Frankreich an dem System FCAS, einem ehrgeizigen Programm für die Luftverteidigung, in dessen Rahmen auch die Entwicklung eines modernen Kampfjets geplant ist. Parallel dazu bestellte das Bundesverteidigungsministerium bei dem Konzern Lockheed/Martin eine stattliche Zahl des neuen Kampfjets F 35 (Kosten: ca. 10 Milliarden Dollar oder Euro). Der ist nicht bei allen europäischen NATO-Staaten erwünscht, beispielsweise bei den Niederlanden, die es ablehnten, das neue Flugzeug abzunehmen; es sei technisch nicht ausgereift; der ältere Jet F 16 sei vorzuziehen. - Schon vor geraumer Zeit war es zu Unstimmigkeiten zwischen Frankreich und den USA gekommen, und zwar wegen eines U-Bott-Deals.
Wo steht eigentlich die SPD in diesen strittigen Bereichen? Als Mitglied dieser Partei frage ich mich bezüglich meiner Schreiberei oftmals, ob ich dieser Partei in den Rücken falle. Aber bitte keine Neuauflage der Dolchstoßlegende! Regelmäßig wird mir der "vorwärts" zugestellt. Die Mitgliederzeitung beschränkt sich allerdings weitgehend darauf, Politiker/Politikerinnen und Positionen der SPD zu beweihräuchern, also ins rechte Licht zu rücken. Als Debattenforum dient er (der "vorwärts" schon lange nicht mehr, wie auch die deutsche Sozialdemokratie das Diskutieren, das Streiten um zentrale Themen unserer Tage verlernt zu haben scheint. Es geht dabei nicht um billige Polemik, ums wechselseitige Niedermachen von Rivalen, auch nicht darum, den Kampf um die Deutungshoheit zu gewinnen. Es genügt auch nicht, dass Olaf Scholz sich öffentlich von Emanuel Macron distanziert und sich so als Friedenswahrer präsentiert. Was der französische Präsident auch im Schilde führen mag: Es kommt im Wesentlichen darauf an, aufrichtig und ohne Gefallsucht Farbe zu bekennen, nicht unbedingt punkten zu wollen. Das können Sportler besser, überzeugender. Noch in diesem Jahr und auch im Jahr 2025 sind Wahlkämpfe zu bestreiten.