Startseite | Impressum | Kontakt | Datenschutzerklärung

Politik

Mein Blog

Freitag, 15. Januar 2021 - 18:54 Uhr
Die SPD - eine kriselnde Festung unter Beschuss

Dass zum Auftakt und erst recht im weiteren Verlauf eines Super-wahljahres die Messer gewetzt werden, nimmt nicht wunder. Und obwohl die Unionschristen die SPD nicht mehr ganz für voll nehmen, versuchen sie ihren Koalitionspartner zu zerfleddern. Annegret Kramp-Karrenbauer beschuldigt die SPD, den Tod deutscher Soldaten im Ausland "billigend in Kauf zu nehmen", weil deren Bundestagsfraktion der Beschaffung von Kampfdrohnen vorerst nicht zustimmen will. Olaf Scholz als Kanzlerkandidat müsse seine Partei nun zur Räson bringen (Eintrag vom 31.12.20). Aber trauen CDU/CSU ihm das überhaupt zu? Paul Ziemiak, der in der Union eine steile Karriere hingelegt hat (nahtlos wechselte er zuletzt vom Vorsitzenden der Jungen Union zum Generalsekretär), hält Scholz eher für einen Schlappschwanz, der nicht Manns genug ist, sich gegen die SPD-Vorsitzende Saskia Esken durchzusetzen. In ihr wittert Ziemiak eine Domina, die politisch weit links zu verorten sei und die männlichen Genossen daran hindere, die Mitte zu halten. Ja die politische Mitte - was sich da nicht alles tummelt, zum Lichte drängt und dabei ohne Rücksicht auf Verluste seine Ellbogen einsetzt ... Schwer zu schaffen macht den politischen Christen die Konstellation eines grün-rot-roten Bündnisses. In diesem Sinne betont auch Matthias Fornoff bei jeder Darbietung eines ZDF-Politbarometers, dass eine solche Koalition gegenwärtig chancenlos sei. Aber kann man da wirklich ganz sicher sein? Die Grünen könnten immerhin darauf spekulieren, in einem solchen Trio den Kanzler/die Kanzlerin zu stellen. Annalena Baerbock traut sich jedenfalls das Kanzleramt zu. Dies wiederum beunruhigt Markus Söder, der die Grünen auffordert, noch vor dem Wahltermin Farbe zu bekennen. Und eine weitere Schwächung der SPD käme da gelegen, machte sie doch einen Machtwechsel in Berlin noch unwahrscheinlicher, als er es ohnehin schon ist.
Wie wehrlos schaut die älteste deutsche Partei diesem ganzen Treiben und entsprechenden Rechenmodellen zu! Wie unbeholfen und fast verlegen mutet es an, wenn Olaf Scholz erklärt: "Wir spielen auf Sieg." In der Koalition und im Bundestag arbeitet die SPD sich an dem Gesundheitsminister und Möchtegernkanzler Jens Spahn ab, ohne zu bedenken, dass ihm mögliche Fehler bei der Impfkampagne bereits in wenigen Wochen verziehen sein werden. Hat er doch selbst schon vor Monaten und mit sicherem Instinkt für die Bereitschaft zum Verzeihen geworben.
Am 18. Januar 2021 jährt sich zum 150. Mal die Gründung des (zweiten) Deutschen Reiches (Ob der Bundespräsident dieses Datum in seinem Terminkalender stehen hat?) Törichterweise fand die Kaiserproklamation mitten im Krieg und ausgerechnet im Spiegelsaal von Versailles statt. Eine Demokratie war dieses Reich nicht, und die SPD hatte in ihm einen schweren Stand. Bismarck hielt sie für "gemeingefährlich" und sagte ihr den Kampf an. Aber sie hielt tapfer stand und stellte 1912 die stärkste Reichstags-fraktion. Nur so ist zu verstehen, dass Prinz Max von Baden am 9. November 1918 Friedrich Ebert die Kanzlergeschäfte übergab und Philipp Scheidemann die erste deutsche Republik ausrufen konnte. Es geht nicht darum, in Nostalgie zu machen, sondern darum, an dieses Erbe anzuknüpfen und daraus Kraft zu schöpfen, dass die SPD die traditionsreichste demokratische Partei Deutschlands ist.

Donnerstag, 7. Januar 2021 - 18:40 Uhr
Die SPD in den Wechseljahren - Gedanken zum Jahreswechsel

Wie man es auch dreht und wendet: Die Kanzlerschaft ist für die SPD nach der vorgezogenen Bundestagswahl 2005 nachhaltig in schier unüberwindliche Ferne gerückt. Das lag zum einen an dem Starrsinn Gerhard Schröders, der unsinnigerweise darauf pochte, die SPD sei zweifelsfrei de Wahlsieger, da CDU und CSU zwei verschiedene Parteien seien, also nicht gemeinsam den Wahlsieg für sich reklamieren könnten. Hinzu kam, dass Schröder und Müntefering von vornherein ausschlossen, Sondierungsgespräche mit der PDS aufzunehmen und die Möglichkeit einer rot-rot-grünen Regierung auszuloten. Heraus kam eine Große Koalition, die 2009 in eine herbe Wahlniederlage der SPD mündete: Sie verlor 11 Prozentpunkte und nahm 2009 bis 2013 auf der Oppositionsbank Platz. Der Devise folgend: "Opposition ist Mist" (Franz Müntefering), ging sie 2013 erneut ein Bündnis mit den Unionsparteien ein. Doch die Wahl 2017 setzte den Stimmenverlust fort: 20,5 %, was die Parteispitze noch am Wahl-abend dazu veranlasste, die Zusammenarbeit mit CDU und CSU für beendet zu erklären. Doch es kam anders. Nach dem Scheitern der Koalitionsverhandlungen zwischen CDU/CSU, den Grünen und der FDP ermahnte Bundespräsident Frank Walter Steinmeier, Kanzleramtsminister unter Schröder und wiederholt SPD-Außenminister in Großen Koalitionen, "seine" alte Partei, staatspolitische Verantwortung zu übernehmen. Das Ergebnis ist bekannt, ebenso der weitere Abstieg der SPD in der Wählergunst: ca. 16 %. Wenn man die aktuellen Umfragewerte zugrunde legt, bleiben im Superwahljahr 2021 folgende Optionen: Vizekanzler-schaften unter christlicher oder grüner Führung - und die Opposition. Das Geziehe und Gezerre der letzten 15 Jahre hat nicht dazu geführt, die SPD "erkennbar" bleiben zu lassen bzw. zu machen. Weder der Ausschluss Thilo Sarrazins (Lars Klingbeil: "ein guter Tag für die SPD" noch die albernen Strampeleien zwecks Abgrenzung gegenüber dem Koalitionspartner konnten/ können eine Trendumkehr herbeiführen. Wenn einerseits der Mangel an Impfstoff bedauert wird und andererseits die Klage laut wird, es gebe zu wenige Impfwillige, laufen die Attacken der Genossen Klingbeil und Schneider gegen den Gesundheitsminister ins Leere. Um einen Kanzler Jens Spahn zu verhindern, bedarf es anderer Formate. Unverblümt lassen Unionspolitiker erkennen, dass sie ihren Hauptgegner in den Grünen sehen, die ihrerseits ihren Anspruch auf das Kanzleramt anmelden. Die SPD hat sich zu einem politischen Leichtgewicht entwickelt, was sich nicht nur in den beträchtlichen Stimmenverlusten, sondern auch darin zeigt, dass sie programmatisch-politische Substanz verloren hat. Eine vierjährige Pause von Regierungsgeschäften, also in der Opposition böte die Chance, durch ein umfassendes, sorgfältig ausgearbeitetes Programm und streitbares Auftreten im Bundestag sowie in den Länderparlamenten Boden zu gewinnen. Verrenkungen, wie sie sich bei der überraschenden Wahl Eva Högls zur Wehrbeauftragten und in dem Gerangel um die Kampf-drohne abspielten, sollten der Vergangenheit angehören. Andernfalls mehren sich die Verschleißerscheinungen. (Siehe auch die Einträge vom 28.3., 23.5., 20.6., 3.7. und 25.7.2020)

Montag, 28. Dezember 2020 - 19:51 Uhr
Des Kampfdrohnendebakels jüngster Akt

Kaum sind die Weihnachtsfeiertage, das Fest der Liebe, vorüber, da wirft sich Frau Annegret Kramp-Karrenbauer, die VorzeigeChristin und glücklose Verteidigungsministerin, heroinenhaft in die Brust und bläst der SPD den Marsch. In der "Welt am Sonntag" (27.12.20) wird sie mit den Worten zitiert: "Die Soldatinnen und Soldaten können sich augenscheinlich nicht auf die SPD verlassen." Nanu! Wie das? Steht Deutschland eine Neuauflage der "Dolchstoßlegende" bevor? Schon einmal ist die SPD Opfer einer feigen Kampagne geworden, weil sie sich an der Friedensresolution des Deutschen Reichstags beteiligte (Juli 1917). Der Obersten Heeresleitung war es wichtig, die propagandistische Version aufrechtzuerhalten, das deutsche Heer sei "im Felde unbesiegt" geblieben, nur heimtückischen Machenschaften hinter der Heimatfront erlegen. - Die ausgebuffte Perfidie der Noch-CDU-Vorsitzenden: Sie will einen Keil in die SPD treiben, gemäß der altrömischen Staatsdevise: "Teile und herrsche!" ("Divide et impera!" . Eine zentrale Figur in diesem Spiel: der Vizekanzler und SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz. Er soll, so Kramp-Karrenbauers Kalkül, die SPD-Fraktion auf CDU/CSU-Kurs bringen. Gelänge dieses Manöver, wären zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen: Der Fraktionsvorsitzende wäre demontiert und die SPD um ihre Glaubwürdigkeit gebracht. Hoffentlich bleibt der kleinere Partner in der Großen Koalition konsequent - in der Fraktion herrscht ohnehin Uneinigkeit. Ebenso ist darauf zu hoffen , dass Rolf Mützenich nicht das gleiche Schicksal widerfährt wie seiner Vorgängerin Andrea Nahles. Es ist eine Freude, seiner Argumentation zu folgen. In ihr verbindet sich Sachkenntnis mit sorgfältigem Abwägen. - Warum hat AKK es sich in den Kopf gesetzt, die Beschaffung bewaffneter Drohnen noch vor der Bundestagwahl unter Dach und Fach zu bringen? Wer produziert und liefert dieses Kriegsgerät? Sind bereits Verträge abgeschlossen? Drohen also Konventionalstrafen oder anderes Ungemach, wenn dieses Projekt nicht zeitnah ver-wirklicht wird? Fragen, die sich auch bei einem anderen Vorhaben stellen: der Bestellung von F18-Kampfflugzeugen bei der _Firma Boeing (vgl. den Eintrag vom 19.11.).
Wieder einmal wird ein Wochenende dazu genutzt, einfluss-reichen Presseorganen öffentlichkeitswirksam und mit gebotener Schlichtheit etwas anzuvertrauen, was eigentlich in den Bundestag gehört - und zwar in der Absicht, den politisch Andersmeinenden zu attackieren und mattzusetzen. Folgende Gefahr zeichnet sich ab: Unsere parlamentarische Demokratie entwickelt sich zu einer medialen Oligarchie. Um dem vorzubeugen, sollte für geraume Zeit profilneurotischen Parla-mentariern ein Maulkorb verpasst werden, der nur entfernt wird, wenn sie im Bundestag ans Rednerpult treten. Die "vierte Gewalt" sollte sich darauf konzentrieren, politische Akteure zu kontrollieren und Hintergründe aufzudecken - nicht aber selbst das bevorzugte Podium für politische Diskussionen werden.

Samstag, 19. Dezember 2020 - 17:48 Uhr
Die SPD zwischen Umfragetief und Zukunftsmusik

Anlässlich eines virtuellen kleinen Parteitags - ein großer Programmparteitag soll im Mai 2021 folgen - gab Olaf Scholz bekannt, dass die SPD künftig einen Mindestlohn von 12 Euro anstrebe (dabei hat sie erst vor Kurzem koalitionskonform einer erheblich kleineren Erhöhung zugestimmt). Mit welchen Koalitionspartnern er dies durchsetzen will, ließ er offen. Missverständlich ist seine Formulierung, es müsse "eine Absicherung nach unten" geben - so als drohe von "unten" her eine Gefährdung. Den Mindestlohn hatte schon der Parteitag im Dezember 2019 im Blick; "perspektivisch" solle ein Mindestlohn von 14 Euro erreicht werden. Ausgang offen. Anstatt jetzt schon Pflöcke einzuschlagen, scheut die SPD bereits im Vorfeld eine Festlegung. Dabei sollte ihr bewusst sein, dass die Mindestlohndebatte erst durch die Schrödersche Wirtschaftspolitik, die eine Lockerung der Tarifbindung implizierte, losgetreten wurde.
Auch Rolf Mützenich weicht ins Futur aus. Im Bundestag erklärte er, die Sozialdemokraten wollten "in Zukunft ... starke Schultern" mehr als bisher belasten, um die dem Lande bevorstehende Rosskur zu bewältigen. Warum nicht schon jetzt eine Debatte darüber, welcher Anteil an den gewaltigen finanziellen Heraus-forderungen den großen Vermögen zugemutet werden kann? Schließlich profitieren auch sie von den enormen Anstrengungen, die dem Staat abverlangt werden. Es ist unredlich, dass der Staat nur dann in die Pflicht genommen wird, wenn Konzerne vor dem Konkurs stehen (Beispiel Lufthansa) oder eine staatliche Beteiligung wünschen, um überleben zu können (Beispiel Hensoldt).
Gefreut habe ich mich darüber, dass die SPD-Bundestagsfraktion nicht in die baldige Bewaffnung von Drohnen eingewilligt hat. Leider nur vorerst, nicht mehr in der laufenden Legislaturperiode. Und mit der Verlegenheitsbegründung, es gebe noch "Gesprächs-bedarf" , was von den Unionsparteien - leider zu Recht - vehement bestritten wird. Gleichwohl bezog die Partei dafür derbe Prügel. Hochtrabend war das Vokabular, schlagkräftig die Moralkeule, mit der auf die Partei eingedroschen wurde. Sie "versündige sich" an deutschen Soldaten im Ausland, ihre "Regierungsfähigkeit" müsse bezweifelt werden. Leider erfolgte von der SPD kein kraftvolles, argumentenstarkes Aufbegehren, keine mutige Grundsatzerklärung, etwa der Art: <Solange nicht der zwingende Nachweis erbracht wird, dass der potenzielle Einsatz bewaffneter Drohnen für die Sicherheit der Bundes-republik unabdingbar ist, lehnen wir Waffensysteme ab, die auf eine Automatisierung der Auslöschung von Menschenleben zielen und persönliche, also menschliche Verantwortung für Kriegshandlungen schlichtweg aufheben.> Mit Landesverteidigung, zu der die SPD sich in ihrem Godesberger Programm ausdrücklich bekennt, hat ein Drohnenkrieg, etwas in Afghanistan, ohnehin nichts mehr zu tun (vgl die Einträge vom 12.5., 8.7. und 9.10. Hüten wir uns davor, der Entwicklung der Kriegführung von der "Legitimität" über die "Absurdität" hin zu "Bestialität" (Anleihen bei Franz Grillparzer) - sie zeichnet sich schon seit Langem ab - zu weiterem Fortschreiten zu verhelfen. Hoffentlich hält die SPD Kurs und lässt sich nicht beirren von den Herren Gabriel und Ischinger. Sigmar Gabriel hat es nicht verwunden, den Parteivorsitz verloren zu haben und von einem Ministeramt ausgeschlossen worden zu sein. Enttäuscht hat er längst das Lager gewechselt und legt Wert darauf, sich von "normalen Leuten" zu unterscheiden. Für diese sind natürlich zusätzliche 10.000 Euro pro Monat sehr viel Geld.
Wer gegenwärtigen Problemstellungen ausweicht und auf die Zukunft setzt ("Morgen, morgen, nur nicht heute ..." , erliegt leicht der Versuchung, auch noch die Zukunft zu vertagen, um letztlich gar nicht mehr entscheiden und handeln zu müssen.

Samstag, 12. Dezember 2020 - 18:34 Uhr
Die Friedfertigkeit der USA

Die Vereinigten Staaten können auf eine stattliche Zahl von 21 Friedensnobelpreisträgern zurückblicken, unter ihnen drei amtierende Präsidenten. Theodore Roosevelt vermittelte den Friedensschluss nach dem russisch-japanischen Krieg und erhielt dafür 1906 den Friedensnobelpreis, was nicht bedeutet, dass er als Pazifist gelten kann. 1898 befehligte er im Spanisch-Amerika-nischen Krieg die "rough riders", die rauhbeinigen Reiterkrieger, eine Kavallerieeinheit. Und seine Präsidentschaft markiert den Übergang der amerikanischen Außenpolitik zum Imperialismus, zu einer expansiven Politik des "big stick" (des großen Knüppels). Seinem späteren Amtsnachfolger Woodrow Wilson wurde der Preis 1919 verliehen für seine Bemühungen um einen dauerhaften Frieden nach dem Ersten Weltkrieg. In diesem Zusammenhang legte er auch den Grundstein für den Völkerbund. Dessen Satzung war Bestandteil des Versailler Vertrages (1919), der vom Kongress (Senat) nicht ratifiziert wurde. Die Zuerkennung des Preises an Barack Obama (2009) ist als Vergabe von Vorschusslorbeeren zu verstehen. Der Preisträger, erst kurz im Amt, soll selbst gefragt haben: "Wofür?" Seine Außenpolitik zeigt denn auch die Schwierigkeit, als Weltmacht zahlreiche Spannungsfelder zu beackern und andererseits dem Frieden zu dienen. So wirkte er 2011, vor allem mit Bombardements, auf den Sturz des libyschen Machthabers Gaddafi hin, hinterließ jedoch einen Scherbenhaufen, was er selbst als den größten Fehler seiner Außenpolitik betrachtet. Auch der Noch-Präsident Donald Trump zeigte Interesse am Nobelpreis, weil er die Anerkennung Israels durch einige arabische Staaten am Persischen Golf erwirkte. Inzwischen abgewählt, geht er nun leer aus, was dazu passt, dass die USA die weltweit größte Kriegsmaschinerie unterhalten. Trump selbst ist stolz auf die "wonderfull weapons". Ob Joe Biden Abrüstungsverhandlungen mit den wichtigsten Kontrahenten der USA aufnimmt, ist noch nicht abzusehen. Das Hauptaugenmerk liegt gegenwärtig auf China. Und offenbar geht auf Taiwan die Sorge um, dass der Inselstaat einem Ausgleich zwischen den USA und der Volksrepublik China geopfert werden könnte (Vgl. die Einträge vom 19.11. und 4.12.).
Ob Europa sich künftig als weltpolitisch gewichtiger Faktor einbringen und behaupten kann, hängt von seiner Handlungs-fähigkeit ab. Diese wird zur Zeit geschwächt durch interne Streitigkeiten, die vor allem ihre Ursache darin haben, dass Mitgliedstaaten wie Polen und Ungarn nationalstaatliche Egoismen allem anderen voranstellen und sich anschicken, innenpolitisch faschistoide Strukturen aufzubauen.

Montag, 7. Dezember 2020 - 19:09 Uhr
Als die SPD noch die Nase vorn hatte

Was es auch sein mochte an Verwerfungen und neuen Heraus-forderungen in Politik, Gesellschaft und Wirtschaft: Die SPD und ihre Wegbereiter bzw. Urväter waren stets zur Stelle, griffen die Probleme auf, suchten nach Lösungsansätzen und wurden in der Regel fündig. Einige Beispiele:
- Situation und Belange der neu entstandenen Arbeiterklasse
(Friedrich Engels, Karl Marx)
- Ausweitung der Kinderarbeit (Engels: Die Lage der arbeitenden
Klassen in England, 1845; Erfurter Programm, 1891)
- allgemeines, gleiches Wahlrecht (Ferdinand Lassalle)
- Gleichberechtigung der Frauen, Frauenwahlrecht (Erfurter
Programm, 1891)
- Kritik am deutschen Imperialismus am Beispiel der Nieder-
schlagung des Boxeraufstands (Hunnenrede Wilhelms II.; 1. Mai
1901)
Seid gewarnt Ihr, die durch Schlachtenruhm
die Völker in Ketten wollt schmieden;
wir wollen kein neues Hunnenthum,
nein, Menschenrecht, Freiheit und Frieden!
- Abrüstung (Heidelberger Programm, 1925)
- europäische Einigung (Heidelberger Programm, 1925)
- Folgen des Kolonialismus, Probleme der Dritten Welt (Heidelber-
ger Programm, Willy Brandt: Nord-Süd-Kommission)
- deutsche Wiedervereinigung
Anders als die Adenauer-CDU, die sich in den drei westlichen Besatzungszonen bequem sowie auf Dauer einrichtete und das Wiedervereinigungsgebot (GG, Präambel) eher beiläufig behandelte, verlor die SPD die deutsche Einheit niemals aus den Augen, was an der Haltung Kurt Schumachers sowie an der von den Unionsparteien heftig befehdeten neuen Ostpolitik Willy Brandts und Egon Bahrs erkennbar wird. Dass ausgerechnet Helmut Kohl die Ernte dieser Politik einfahren konnte, mag als Ironie der Geschichte gelten. Immerhin hat Willy Brandt die deutsche Wiedervereinigung noch erleben dürfen: "Jetzt wächst zusammen, was zusammengehört."
Gegenwärtig bietet die SPD, von einigen Erfolgen einmal abgesehen (was ist eigentlich aus der Grundrente geworden?), leider ein Bild des Jammers und ähnelt mehr einem Reparatur-betrieb. Und auch das nicht mit voller Überzeugungskraft. Heiko Maas, deutscher Außenminister, entblödet sich nicht, ausgerechnet im von Bolsonaro regierten Brasilien dem venezolanischen Gegenpräsidenten Guaido zu huldigen und dem Noch-Präsidenten Maduro den Garaus zu machen - ohne sich darum zu kümmern, aus welchen Ursachen die desaströsen Zustände in Venezuela erwachsen sind. Außerdem konnte er nicht umhin, den Giftanschlag auf Alexej Navalny "auf das Schärfste (zu) verurteilen" - anstatt Möglichkeiten für eine Verbesserung des deutsch-russischen Verhältnisses zu sondieren. Dass die Arbeiten an Nordstream 2 ruhen und Manuela Schwesig auf ziemlich verlorenem Posten für den Weiterbau kämpft, findet in den SPD-Spitzengremien kein hörbares Echo. Will die SPD als letzte Partei damit beginnen, ein neues Grundsatzprogramm zu erarbeiten?

Freitag, 4. Dezember 2020 - 18:59 Uhr
Die NATO auf Kampfzonensuche

Donald Trump hält die NATO für "obsolet", Emmanuel Macron bezeichnet sie gar als "hirntot". Wenn große Organisationen, in die Jahre gekommen, Symptome von Verkalkung zeigen, ist guter Rat treuer. Heiko Maas setzt auf eine "Frischzellenkur". Ob er dabei an Konrad Adenauer gedacht hat, der sich, um auch in hohem Alter fit zu bleiben, regelmäßig einer solchen Therapie unterzog? Wie dem auch sei: Anfang Dezember beriet der deutsche Außenminister mit seinen Amtskollegen aus den NATO-Staaten die künftige strategische Ausrichtung der NATO. Die Sowjetunion ist zerfallen, mit der Auflösung des Ostblocks entfällt der ursprüngliche Widersacher. Das westliche Verteidigungsbündnis hat in Osteuropa und auf dem Balkan neue Mitglieder eingesammelt. Der nordatlantische Raum ist weitgehend befriedet bzw. eingefriedet. Zwar gibt es in Südosteuropa Konfliktfelder (Krim, Ostukraine), zudem ist es ärgerlich, wenn zwei NATO-Partner im Mittelmeer aneinander geraten, weil eine deutsche Fregatte einen türkischen Frachter auf Waffen untersuchen wollte, die für eine der Bürgerkriegs-parteien in Libyen bestimmt gewesen sein konnten. Aber was ist denn schon das Mittelmeer? Geopolitisch gesehen sind derartige Zwischenfälle doch eher Peanuts, wenig reizvoll für ehrgeizige, auf Weltherrschaft bedachte Machtpolitiker. Das Einflussgebiet der NATO ist beträchtlich gewachsen. 2019 ist sie 70 Jahre alt geworden, ein Anlass, den Zusammenhalt gegen einen scheinbar übermächtigen Feind zu beschwören. Wie in Zeiten des Kalten Kriegs kann man Angst vor Russland beflügeln, großangelegte Manöver durchführen und so die neuen Mitglieder bei der Stange halten. Aber genügt das auf die Dauer? Als neuen Hauptkontra-henten haben die NATO-Außenminister die Volksrepublik China ins Visier genommen. Doch welchen Bezug gibt es zwischen Ostasien und dem Nordatlantik? Heiko Maas und seine Kabinettskollegin Annegret Kramp-Karrenbauer tüfteln an einer Strategie, die auf den "indo-pazifischen Raum" zielt. (Vgl. den Eintrag vom 19.11) China hat seinen Einfluss beträchtlich ausgeweitet. Mitte November ist ein pazifisches Freihandelsabkommen vereinbart worden. Dem muss die Bundesrepublik doch etwas entgegen-setzen, auch wenn andererseits China wegen wirtschaftlicher Interessen schonend zu behandeln ist. Welch ein Dilemma! Die "freie Welt" will sich gegen China rüsten und hat sich doch so abhängig gemacht von diesem Riesenreich, das an einer "Neuen Seidenstraße" bastelt. Und "unser wichtigster Verbündeter" (so die Kanzlerin und ihre Verteidigungsministerin) mit seinem Präsidenten Donald Trump ist dem Irrtum aufgesessen, die Volksrepublik durch einen Handelskrieg in die Knie zwingen zu können. Das Gegenteil ist eingetreten.
Man darf gespannt sein, wie das neue Konzept, die neue Strategie der NATO konkretisiert und präzisiert wird. Braucht sie einen neuen Namen? Was ist geplant? Und sind die Strategen auf der Hardthöhe dagegen gefeit, dem Größenwahn anheimzufallen?
Von 1954 bis 1977 bestand der Südostasienpakt (SEATO) zur Eindämmung des Kommunismus. Soll diese Politik reaktiviert werden? Auch wenn der Einparteienstaat China noch immer den Kommunismus für sich reklamiert: Jedem ernstzunehmenden westlichen Politiker ist bewusst, dass es sich bei dem politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen System Chinas bestenfalls um einen hocheffizienten Staatskapitalismus handelt, der Ähnlichkeiten mit dem Merkantilismus des 17. und 18. Jahr-hunderts aufweist.
Von der deutschen Sozialdemokratie erwarte ich eine klare Distanzierung von weltpolitischem Abenteurertum. Sollte es Pläne geben, auf einer Hawaii-Insel bundesdeutsche Kriegsmarine zu stationieren, muss dem entschieden entgegengetreten werden.

Dienstag, 24. November 2020 - 19:15 Uhr
Die Selbstdemontage des Deutschen Bundestags

Lautstark war das Gezeter und erweckte den Eindruck, das Aller-heiligste der Republik sei ernsthaft in Gefahr. Von Angriffen auf unsere parlamentarische Demokratie war die Rede. Was war geschehen? Während der Bundestag über eine Novellierung des Infektionsschutzgesetzes debattierte und draußen, außerhalb der Bannmeile, Tausende gegen die Beschneidung der Grundrechte demonstrierten, streunten Gäste bzw. Besucher, eingeschleust von AfD-MdBs, durch die Flure des Reichstagsgebäudes, stellten einzelne Abgeordnete zur Rede, bedrängten, filmten und beschimpften sie. Insbesondere der Wirtschaftsminister und CDU-Abgeordnete Peter Altmaier war davon betroffen und musste sich anhören, sein Verhalten wirke "aufgeblasen" und von einem "Gewissen" (Artikel 38.1 GG) sei bei ihm wenig zu erkennen. Einhellig machten Redner der anderen Parteien die AfD für diese Vorfälle verantwortlich und warfen ihr Verfassungsfeindlichkeit vor, so wie sie sich darin einig sind, der AfD einen stellvertreten-den Bundestagspräsidenten zu verweigern. Ernster genommen werden müsste die Empörung über das ordnungswidrige, respektlose Verhalten der Besucher, wenn es nicht andererseits namhafte, maßgebliche MdBs gäbe, die weniger zimperlich sind, wenn es um die Zudringlichkeiten von Lobbyisten geht. Diesen gewähren sie großzügig Einlass, schenken ihnen Gehör, bekunden Verständnis, wenn ihr Gegenüber Änderungswünsche bei der Ausgestaltung von Gesetzentwürfen vorträgt - häufig mit Erfolg. Um das häufig angemahnte Lobbyregister machen die "Altparteien" indes einen großen Bogen.
Am 19.11. hatte der Gesetzgeber es sehr eilig. Innerhalb nur einen Tages beschlossen Bundestag und Bundesrat die Neufassung des Infektionsschutzgesetzes ( nun "Bevölkerungs-schutzgesetz" genannt); der Bundespräsident zog mit seiner Unterschrift nach, so dass das Gesetz bereits am 20.11. in Kraft treten konnte. Neu war allerdings nur die präzise Auflistung all dessen, was künftig verboten werden kann. Die mannigfach wiederholte Forderung vieler Parlamentarier, die Legislative müsse ihr Plazet geben, blieb dabei auf der Strecke; ein Parla-mentsvorbehalt ist nicht vorgesehen. Entscheidungen über Verbote bzw. die Einschränkung von Grundrechten sind weiterhin Sache der Exekutive. Und so preschten am Totensonntag, just zwei Tage nach dem Ende der Sitzungswoche des Bundestags, Olaf Scholz und Markus Söder mit der Ankündigung vor, die Einschränkungen würden auch über den Monat November hinaus gelten, Lockerungen werde es vor Weinachten also nicht geben. Und das ausgerechnet in "Bild am Sonntag", einem Blatt, das zur Hauspostille für Regierungskreise geworden zu sein scheint. Am 23. und 24.11. folgten ähnliche Erklärungen, noch genauer gefasst, seitens mehrerer Länderregierungen, ohne Mitwirkung von Parlamenten, wie sich versteht. Wenn sich der "autoritäre" Stil bei der Verhängung einschneidender Maßnahmen fortsetzt und Beschränkungen nicht besser, differenzierter begründet werden, wird es zu weiteren Aktionen von "Querdenkern" und ähnlich Gesinnten kommen. Die Polizei darf es dann ausbaden, was ihrem Ansehen nicht förderlich ist.
Meine dringende Bitte an alle Bundestagsmitglieder: Geben Sie dem Hohen Hause seine Würde zurück! Zeigen Sie Präsenz! Und erklären Sie der Bevölkerung, warum im Plenum oft gähnende Leere herrscht! (Vgl die Einträge vom 18.7., 4.9., 31.10.20) Beweisen Sie sachliches und rhetorisches Format! Und vermeiden Sie bitte alles, was Bundestagssitzungen als Hanswurstiaden erscheinen lassen könnte!

Donnerstag, 19. November 2020 - 18:52 Uhr
"Es donnern die Beschwerden ..." (Andreas Gryphius)

Schier unerträglich ist sie, die sich häufende Beschallung von den Hochständen der Republik her. Nicht Blechbläser lärmen hier, an den Mundstücken der Instrumente blähen sich nicht die Pausbacken von Posaunenengeln. Nicht himmlische Heerscharen sind es also, die sich da in Fanfarenstößen vernehmen lassen. Nein, es sind enervierende Politgrößen, die dem Volk per Mikrophon plus Verstärker die Botschaft um die Ohren blasen, die Bundesrepublik müsse mehr Verantwortung in EU und NATO übernehmen. Soll mir doch keiner sagen, er sei obsolet, der Wahlspruch: "Am deutschen Wesen kann die Welt genesen." Er ist vielmehr brandaktuell. Jüngst war aus dem Park des Schlosses Bellevue zu hören, die Bundeswehr - sie feierte ihren 65. Geburtstag - verdiene Respekt, habe Großes geleistet, entrichte auch Blutzoll, zum Beispiel in Afghanistan und Mali. Die Verteidigungsministerin wünscht sich sogar einen noch "robusteren" Einsatz der Truppe. Am 17.11. legte sie in einer Grundsatzrede dar, Deutschland müsse, gestützt auf seine Streitkräfte, "weltpolitikfähig" werden, beispielsweise durch den Einsatz von Kriegsschiffen im "indopazifischen Raum", eventuell in der Meerenge zwischen dem "Reich der Mitte" (Festlandchina) und Taiwan. Ist dieser bombastische Anspruch, ist dieser geltungssüchtige Popanz von der Kanzlerin autorisiert? Will ihre Parteifreundin AKK an die "Kanonenpolitik" der Kaiserzeit anknüpfen? Die deutsche Kolonialpolitik hielt schon im 19. Jahrhundert Ausschau nach einem geeigneten Flottenstützpunkt an der chinesischen Küste. Die Wahl fiel schließlich auf die Bucht von Kiautschou. Die Ermordung zweier deutscher Missionare nahm der deutsche Kaiser Wilhelm II. zum Anlass, die Besetzung der Bucht durch Marinesoldaten anzuordnen (November 1997). Es folgte der erzwungene Pachtvertrag mit China. Fortan galt Kiautschou samt der Neustadt Tsingtau als deutsche "Kolonie". - Auch wenn die Bundesrepublik nicht militärische Konfrontation im Schilde führt, sondern der Volksrepublik nur demonstrieren möchte, womit sie zu rechnen hat, wenn sie nach der "abtrünnigen Provinz" Taiwan greift: Ist Deutschland wirtschaftlich nicht inzwischen zu abhängig von China, um durch Drohgebärden politischen Druck aufbauen zu können? Und kommen hier auch US-amerikanische Wünsche zum Tragen? Sowohl die Kanzlerin als auch ihre Verteidigungsministerin betonen, die USA seien Deutschlands "wichtigster Verbündeter". Und die Bundesrepublik müsse mehr für ihre Sicherheit tun. Dem steht auch nicht entgegen, dass Deutschland schon jetzt (nach den USA) den zweitgrößten Beitrag in der NATO leistet. So ist wohl auch zu erklären, warum AKK gern bei Boeing hochmoderne F18-Kampfflugzeuge bestellen möchte (vgl. den Eintrag vom 28.4.20). Anders als die eher mickrigen Eurofighter kann das stattliche F18-Geschwader Atombomben in Feindesland tragen. Nur was geschieht, wenn der Feind zum Gegen- oder Präventiv-schlag ausholt? Hört denn dieser Wahnsinn niemals auf? Haben die weltpolitischen Akteure denn gar nichts aus der Vergangenheit gelernt? Und will die SPD eine solche abenteuerliche Strategie allen Ernstes mittragen? Fritz Felgentreu ließ in seinem Statement jedenfalls die Entschiedenheit vermissen, prioritär Abrüstungs-verhandlungen anzustreben.

Sonntag, 15. November 2020 - 14:52 Uhr
"Oh du fröhliche ..."? Eher wohl "Stille Nacht ..."

Um dem zu erwartenden Verdruss und Widerstand gegen die neuerlichen Einschränkungen gemäß dem Infektionsschutzgesetz zu begegnen, wurde den Betroffenen von der Bundesregierun und anderen politisch Verantwortlichen zunächst in Aussicht gestellt, im Dezember werde alles wieder besser sein, das Weihnachtsfest könne wie in alten Zeiten begangen werden, zumindest aber müssten die meisten Menschen die Feiertage nicht in Einsamkeit verbringen. Im Laufe des Novembers - die Infektionszahlen stiegen weiter - wurde dann scheibchenweise das wahre Ausmaß der Beschränkungen deutlich, vor allem was deren Dauer betrifft. Auch die zur Beruhigung der Gemüter gedachte Verheißung, im Frühjahr 2021 werde ein Impfstoff zur Verfügung stehen, könnte sich als trügerisch erweisen.
Die genannten Beschränkungen bezeichnet die Kanzlerin beschwichtigend als "demokratische Zumutungen". Wieder eine der schwammigen, begrifflich unscharfen Formulierungen aus ihrem Mund. Genau gesagt handelt es sich Zwangsmaßnahmen - bei Zuwiderhandlung drohen empfindliche Geldstrafen - , und sie erscheinen vielfach willkürlich. Nicht verständlich ist zum Beispiel die Schließung von Theatern, die alles zur Vermeidung von Infektionen getan haben, was ich aus eigener Erfahrung weiß. Gleiches gilt für viele Gaststätten. Dass der Profi-Sport weiterhin betrieben werden darf, Amateursport jedoch unterbunden wird, ist ebenso unbegreiflich. Sollen wir uns auf ein Blinde-Kuh-Spiel einstellen? Sind die Verantwortlichen sich darüber im Klaren, was die Zwangsmaßnahmen bewirken? Sollen all diejenigen, die nicht arbeiten dürfen, in der Zwischenzeit Däumchen drehen? Sollen die vielen, die sich austoben wollen, zur Abwechslung in der Nase bohren? In welchem Maße wird hier Lebenskraft ausgebremst, zurückgestaut! Und sucht nach Ventilen, um ins Freie zu kommen, gelebt werden zu können, was vielfach zu Ersatzhandlungen führt, nicht selten mit unguten Folgen.
Die Zwangspause muss unbedingt dazu genutzt werden, Klarheit bezüglich der angeordneten Maßnahmen zu gewinnen. Es ist nicht damit getan, die Bevölkerung mit stetig wachsenden Zahlen zu überschütten, sie einzuschüchtern, vielleicht auch gefügig zu machen. Hier ist auch eine Aufschlüsselung der Neuinfektionen vonnöten. In welchem Alter haben sich die Leute infiziert? In welchen sozialen und beruflichen Umfeldern haben sie sich überwiegend aufgehalten? Akzeptiert werden die Einschränkungen von einer breiten Mehrheit nur dann, wenn sie überzeugend begründet sind und jeder sagen kann: Ja das leuchtet mir ein. Ungeeignet sind jedenfalls Verlautbarungen wie: Der kommende Winter wird uns noch einiges abverlangen. (Ja was denn, bitte schön?) Unsinnig ist es auch, die Behauptung in die Welt zu setzen, viele hätten sich noch am 1. November dabei infiziert, dass sie die letzte Gelegenheit genutzt hätten, ein Museum oder eine Theatervorstellung aufzusuchen.
Eindringlich wird immer wieder darauf hingewiesen, dass die steigenden Infektionszahlen die Krankenhäuser und Pflegeein-richtungen an ihre Belastungsgrenzen zu führen drohen, vornehmlich wegen des knappen Personals. Das Problem ist nicht neu. Schon vor Jahren veröffentlichte DER SPIEGEL eine Titel-geschichte: "In der Krankenfabrik". Hier rächen sich Privatisierung und Kommerzialisierung des Gesundheitswesens. Wenn dieser Bereich gewinnorientiert arbeitet, Anleger fette Dividende bzw. Rendite einstreichen wollen, ein öffentliches Gut vermarktet und privater Gewinnsucht ausgeliefert wird, lassen die katastrophalen Auswirkungen nicht lange auf sich warten. Leider hat auch die SPD dem widerstandslos zugeschaut.
Was die Beschränkungen der persönlichen Freiheit angeht: Ältere Menschen tun sich natürlicherweise schwer damit, ihr Leben aufzuschieben, zu vertagen. Diese Leute auf eine bessere Zukunft zu vertrösten, kann auch als Verhöhnung aufgefasst werden.

Um den Präsidenten des RKI beim Wort zu nehmen: Wir können ja gern für geraume Zeit "die Pobacken zusammenkneifen" - solange dies nicht staatlich kontrolliert und bei Unterlassung geahndet wird.

Donnerstag, 12. November 2020 - 14:52 Uhr
Deutsche Fregatten für Israel

Am Abend des 11. Novembers 2020 wurde auf NDR mitgeteilt, dass eine Fregatte, an deren Baukosten die Bundesrepublik mit 25 % beteiligt ist, an Israel übergeben wurde. Aufgabe des Schiffes sei es, israelische Interessen im östlichen Mittelmeer zu schützen (die Rede war von Erdgasvorkommen). Weitere Lieferungen seien vorgesehen. Diese Meldung hat mich nachdenklich gemacht und Fragen stellen lassen: Ist ein solches Waffengeschäft dazu geeignet, den in Deutschland wieder anwachsenden, besorgniserregenden Antisemitismus zu bekämpfen? Wird nicht vielmehr ein Ventil geschaffen, durch das sich gegen Juden oder andere als fremd Empfundene gerichtete Aggressionen entladen können? Im Oktober 2020 wurde der Jahrestag des Anschlags auf die Synagoge in Halle begangen (vgl. auch den Eintrag vom 4.4.2020: "Halle und Hanau als Symptome" . Der Bundespräsident reiste an und sprach mahnende Worte; die Tür, die dem Anschlag standgehalten hatte, wurde als Mahnmal auf dem Gelände der Synagoge aufgestellt. Der Gemeindevorsteher beklagte sich verbreitenden Hass und zunehmende Gewaltbereitschaft. - Aus dem bisher Dargestellten ergibt sich für mich folgende Überlegung: Die Praxis, dass Israel sich das unendliche Leid, das Juden während des Dritten Reichs zugefügt wurde, von der Bundesrepublik Deutschland durch Lieferung von Kriegsgerät entgelten lässt, sollte möglichst bald beendet werden. Denn sie rückt das deutsch-israelische Verhältnis in ein zweifelhaftes, fragwürdiges Licht, bildet den Nährboden für Missverständnisse und Vorurteile. Das deutsch-israelische Verhältnis sollte auf einem nicht-militärischen, friedens(s)ichernden Fundament stehen (vgl den Eintrag vom 19.8.2020: "Himmlisches über Dachau" . Als beispielhaft kann das Lebenswerk Daniel Barenboims gelten. Er arbeitet(e) viel in Deutschland, ist unter anderem Chef der Berliner Lindenoper, besitzt die argentinische, die israelische, die palästinensische und die spanische Staatsbürgerschaft, ist also Kosmopolit. Und er gründete das "Orchester des West-östlichen Divans", das die Verständigung zwischen Israelis und ihren Nachbarn fördern soll.

Mittwoch, 11. November 2020 - 17:27 Uhr
Die deutsche Aufrüstungslitanei

Kaum ist die US-amerikanische Präsidentschaftswahl entschieden, da melden sich in der Bundesrepublik Leute, die sich für sachkundig, zuständig und maßgeblich halten, zu Wort und verkünden - möglicherweise ferngesteuert von der internationalen Rüstungsindustrie - lauthals, Deutschland müsse auch unter einem Präsidenten Joe Biden selbstverständlich und unbedingt mehr Geld für seine Verteidigung ausgeben. (Rüstungskritiker sollen sich ja keine falschen Hoffnungen machen!) Es wird mit Zahlen jongliert, die mit Bedacht im Bereich des Willkürlichen, nicht Nachprüfbaren bleiben, also völlig außer Acht lassen, wofür das Geld ausgegeben werden soll. Als Oberpriesterin und Vorbeterin dieses Rüstungskults gebärdet sich die Bundeskanzlerin. ("So wahr mir Gott helfe!" Sie weiß, dass die USA "zu Recht" von der Bundesrepublik erwarten, dass sie mehr für ihre "Sicherheit" tut, mehr politische Verantwortung übernimmt und den gemeinsamen "Werten" Geltung "in der Welt" verschafft. Kein Wort darüber, wo und von wem Deutschlands Sicherheit bedroht ist. Vorgezogen wird das Ungefähre, unter dem man sich vieles oder auch nichts vorstellen kann. Präzision wird gemieden, Festlegung könnte sich als nachteilig erweisen. Gesetzt wird auf die Wirkung und Gewalt des Wortes: "Gefahr im Verzug!"
Es heißt, in der Großen Koalition herrsche noch Dissens darüber, was das Ausmaß betrifft, in dem die Verteidigungsausgaben erhöht werden sollen. Ich wünsche mir sehnlichst, dass die SPD hier hartnäckig bleibt, Rückgrat beweist, auf Präzisierung besteht, wieviel Geld wofür ausgegeben werden soll, und hierzu auch das Haushaltsrecht des Bundestages nutzt. Als Helmut Schmidt die Amtsgeschäfte des Verteidigungsministers übernahm, machte er sich erst einmal ans Aufräumen: Bestandsaufnahme, Generalinventur. Es wurden Bundeswehrhochschulen gegründet, das Prinzip der "inneren Führung" ernst genommen und Generäle in den vorzeitigen Ruhestand versetzt, die sich gegen die Demokratisierung der Truppe stemmten. Der erste sozialdemokratische Bundesverteidigungsminister hätte es nicht durchgehen lassen, dass sämtliche U-Boote der Bundesmarine nicht einsatzfähig sind, etliche Hubschrauber am Boden bleiben müssen, das Standardsturmgewehr bei bestimmten Außen-
temperaturen nicht genau trifft und ausgemustert werden muss. Selbstverständlich muss Ersatz beschafft werden, und soll, wenn es nach "Heckler und Koch" geht, der Firma also, die das untaugliche Schießgerät geliefert hat, wieder bei diesem Unternehmen in Auftrag gegeben werden, gegen üppige Bezahlung, versteht sich. Hat das Verteidigungsministerium, was die genannten Mängel angeht, womöglich Schrott eingekauft, ohne dass eine Haftung der Hersteller besteht?
Wenn es um die Finanzierung der Grundrente geht, ist dem Koalitionspartner CDU/CSU bereits eine Milliarde Euro zu viel. Wenn es um den Verteidigungshaushalt, die kostspielige Erweiterung des Kanzleramts oder die Instandhaltung der Flughäfen geht, spielt Geld offenbar keine Rolle. Schließlich soll die Bundesrepublik ihre geopolitische Bedeutung profilieren und stärken.

Samstag, 31. Oktober 2020 - 17:40 Uhr
Ein Abgesang auf den deutschen Parlamentarismus

Freitag, 30. Oktober 2020; Schauplatz: der Plenarsaal des Deutschen Bundestags. Thema der Debatte: eine Novellierung des "Erneuerbare-Energien-Gesetzes". Allgemein wird von den Rednern beklagt, dass es sich bei dem Gesetzentwurf nur um ein Trippel-Schrittchen auf dem Weg zu mehr Klimaschutz handelt ("one drop only" . Peter Altmaier, der zuständige Bundesminister, kann auch mit seiner Leibesfülle nicht darüber hinwegtäuschen, dass er ziemlich allein auf der Regierungsbank sitzt. Er übt sich im Grinsen und Weghören; er hat schließlich Besseres zu tun, als sich den Anwürfen der Oppositionsabgeordneten auszusetzen. Er blättert in Unterlagen und lässt seine Finger auf einem SmartPhone umherrutschen. Das Plenum ist nur sporadisch besetzt. Die "paar Hanseln" wirken abgespannt und wochenendreif. Vereinzelt rühren sich Hände, um Beifall zu zollen. Auch ein Abgeordneter der SPD ergreift das Wort und spricht über die gewaltigen Herausforderungen, die vor uns liegen: Klimaerwärmung, Abschmelzen der Gletscher, Anstieg des Meeresspiegels etc. Aber auch er schickt sich letztlich in die scheinbare Unmöglichkeit, zügig etwas zum Erhalt unseres Planeten zu unternehmen. Fazit: Der Anblick solcher Parlamentsveranstaltungen sollte dem Wahlvolk erspart bleiben, nährt er doch die Zweifel an Sinn und Tauglichkeit der Volksvertretung. -
Tags zuvor, am Donnerstag, dem 29.10., ging es lebhafter zu im Bundestag. Besonders ungebührlich benahmen sich Abgeordnete der AfD. Sie sparten während der Regierungserklärung der Kanzlerin nicht mit Zwischenrufen, unterbrachen sogar den Bundestagspräsidenten. Die Bundestagssitzung war anberaumt worden, weil Forderungen laut geworden waren, die Parlamente müssten eingebunden werden, wenn weitgehende Beschränkungen der Grundrechte angeordnet werden sollten. Im Grunde jedoch hat sich der Bundestag seiner Möglichkeiten, auf Beschlüsse der Exekutive einzuwirken, dadurch begeben. dass er im Sommer 2020 eine "epidemische Lage von nationaler Tragweite" feststellte. Dies ermöglichte ein Durchregieren von der Bundesebene bis in die Kommunen, und zwar auf dem Verordnungswege. Jens Spahn, Bundesgesundheitsminister, sähe es auch daher gern, wenn seine außerordentlichen Befugnisse nicht, wie vorgesehen, im März 2021 ausliefen, sondern gesetzlich "verstetigt" würden. - Die Länderregierungen sind gehalten, zu "koordinieren" und die Beschlüsse der Bundesregierung umzusetzen. Die Legislative hätte nur dann ein Recht, beteiligt zu werden, wenn sie die Feststellung "einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite" aufhöbe. Solange dies aus verständlichen Gründen nicht geschieht, hat die Legislative das Nachsehen und muss sich mit der Zuschauerrolle begnügen. Folglich endete die Bundestagssitzung ohne Beschlüsse. Ziemlich genervt haspelte die Bundeskanzlerin ihre Regierungserklärung herunter und verließ danach den Plenarsaal, kehrte also dem wenig sinnvollen Spektakel den Rücken, um sich ihrer Meinung nach Sinnvollerem zuzuwenden.
Was ist zu tun, um den deutschen Parlamentarismus wieder mit echtem Leben zu füllen? Nicht geholfen ist uns damit, dass vielen Parlamentariern die parlamentarischen Gepflogenheiten (leider!) zum Halse heraushängen, besonders dann, wenn Debatten folgenlos bleiben, also nicht in greifbare Ergebnisse münden, sondern der Bewahrung des Scheinhaften dienen.

Freitag, 23. Oktober 2020 - 18:55 Uhr
Eine Welt voller Geheimnisse - auch bei der SPD

Im Januar 1918 legte Woodrow Wilson dem Kongress seinen 14-Punkte-Plan zur Schaffung einer dauerhaften Friedensordnung nach dem Ersten Weltkrieg vor. Der erste Punkt betrifft die Abschaffung der Geheimdiplomatie, in der der amerikanische Präsident eine der Kriegsursachen sah. Weiterhin forderte er die Rüstungsbegrenzung auf ein Maß, das ausschließlich der Verteidigung sowie dem Leben in sicheren Grenzen dienen, also Angriffskriege ausschließen sollte. Beides, die Offenlegung aller internationalen Verträge sowie die Rüstungsbeschränkung, erwies sich in der Folgezeit als Utopie. Die Bresche, welche die Geheimdiplomatie hinterließ, wurde ausgefüllt durch die Geheimdienste, von denen es in den USA immerhin drei gibt. Wenn Edward Snowden nicht zu den Russen übergelaufen und dort ins Plaudern gekommen wäre, wüsste die Welt bis heute nichts von den Machenschaften der National Security Agency (NSA). Auch im Vorfeld des Irakkrieges haben Geheimdienste ihr Unwesen getrieben durch die Falschmeldung, Saddam Hussein verfüge über ein üppiges Arsenal an Massenvernichtungsmitteln. Amerikanische Geheimdienste wussten auch, dass die Japaner die in Pearl Harbour stationierte Pazifikflotte angreifen würden. Weil F. D. Roosevelt jedoch einen triftigen Grund brauchte, um die USA in den Zweiten Weltkrieg zu führen, wurde nichts zum Schutz der Pazifikflotte unternommen (Dez. 1941). - Auch die Abrüstung wurde nicht in die Tat umgesetzt. Auf den Zweiten Weltkrieg folgten der Korea- und der Vietnamkrieg. Des Weiteren griffen die USA militärisch in Libyen ein (Sturz des Machthabers Gaddafi).
Zur Bundesrepublik Deutschland: Auch sie verfügt über drei Geheimdienste, die großen Wert auf Diskretion legen. Im Kanzler-
amt arbeiten Geheimdienstkoordinatoren; einer von ihnen nutzte nach seinem Ausscheiden vermutlich sein Insiderwissen, um für Wirecard zu werben. Geheim bleiben sollte wohl auch, dass der deutsche Finanzminister seinem US-amerikanischen Kollegen eine Summe von gut einer Milliarde Dollar anbot, um beim Bau von Anlagen behilflich zu sein, in denen Fracking-Gas entladen und aufgetaut werden soll, um dann in die deutsche Gasversorgung eingespeist zu werden. Sichtlich unangenehm berührt zeigte sich Olaf Scholz, als DIE ZEIT dies öffentlich machte. Dabei wollte er doch nur seinem Kabinettskollegen Peter Altmaier die Arbeit erleichtern, denn dieser verkündet gern, Deutschland brauche unbedingt amerikanisches Flüssiggas. Geht es bei alledem darum, der US-amerikanischen Administration samt ihrem großmäuligen Präsidenten - mit Verlaub - "in den Arsch zu kriechen"? Auch aus Angst, die USA könnten der Bundesrepublik und Europa die "atomare Teilhabe" entziehen? Und aus Sorge, auf die Vereinigten Staaten als Gegengewicht zum aufstrebenden, weltmachtversessenen China verzichten zu müssen? - Peter Altmaier macht zur Untermauerung seiner Politik geltend, Deutschland dürfe sich nicht erpressbar machen, weder vom Feind (also Russland) noch vom Freund (also den USA). Dass auch zwischen Freunden Erpressungsversuche üblich sind, ist mir allerdings nicht so leicht einsehbar.
Wer glaubt, die USA seien dabei, sich aus der Weltpolitik zurück-
zuziehen und Deutschland schutzlos Russland preiszugeben, irrt sich meines Erachtens gewaltig. Wenn die Vereinigten Staaten aus dem Pariser Klimaabkommen ausscheren, die Zahlungen an die WHO einstellen und anderes tun, was nach Isolationismus aussieht, streifen sie damit nur lästige Fesseln ab, um freier den Dollar-Imperialismus voranbringen zu können. Im Übrigen verweist Donald Trump gern auf den weltweit höchsten Verteidigungshaushalt der USA und verbindet diesen mit dem Wunsch, die "wonderfull weapons" niemals einsetzen zu müssen. Unterhalb eines solchen Ernstfalls aber kann amerikanisches Kriegsgerät ohne Weiteres in alle Welt geliefert werden.
All dies mag nach Antiamerikanismus klingen, ist aber nicht so gemeint. Ziel muss es sein, die Kräfte in den USA zu stärken, die den Weltfrieden sichern, die Arbeit der UNO unterstützen und ihren Bündnispartnern auf Augenhöhe begegnen wollen - Kräfte also, wie sie von der großartigen Sängerin Joan Baez repräsentiert werden.

Freitag, 9. Oktober 2020 - 18:26 Uhr
Eine Entscheidung der SPD für die Kampfdrohne: ein Scheidungsgrund

Zum dritten Mal komme ich auf die Anschaffung einer Kampfdrohne für die Bundeswehr zu sprechen (vgl. die Einträge vom 12.5. und 8.7.2020). Mitglieder der SPD-Bundestagsfraktion und des Verteidigungsausschusses können sich vorstellen, der Anschaffung der Kampfdrohne zuzustimmen. Bedingung: Gefahr für Leib und Leben deutscher Soldaten bei Auslandseinsätzen. Gedacht ist wohl in erster Linie an Kampfhandlungen in Afghanistan. Und die Rechtfertigung für den dortigen Einsatz deutscher Soldaten ist wohl immer noch das Geschehen vom 11.9.2001, dem Tag, an dem in New York die Zwillingstürme weitgehend zerstört und viele Menschen getötet wurden, was die Vereinigten Staaten als sich aus dem NATO-Vertrag ergebenden Bündnisfall betrachteten und deshalb den Beistand der NATO-Partner einforderten. Ob dies die Bundesrepublik zu MILITÄRISCHER Unterstützung verpflichtete (die NATO ist ein POLITISCHES Verteidigungsbündnis) und ob die Auslandseinsätze der Bundeswehr durch das Grundgesetz gedeckt sind - solche Fragen werden schon seit Langem nicht mehr gestellt, geschweige denn beantwortet. - Wie habe ich mir den Einsatz solcher Kampfdrohnen vorzustellen? Diese Waffen sollen zweierlei leisten: Aufklärung und gegebenenfalls gleichzeitige Vernichtung der feindlichen Stellungen. Schließt dies auch PRÄVENTIVE Kampfhandlungen ein? Und wäre das mit dem Grundgesetz vereinbar? Auskunft hierzu ermöglicht ein genaues Studium des Abschnitts Xa (Verteidigungsfall), besonders des Artikels 115a. Franz Joseph Strauß wollte die Bundesrepublik durch atomare Bewaffnung "erstschlagsfähig" machen und musste im Zuge der SPIEGEL-Affäre seinen Hut nehmen. Will eine Partei, die einen Friedensnobelpreisträger in ihren Reihen hatte, sich wirklich darauf einlassen, dass eine bewaffnete Drohne automatisiert und fernab menschlichen Ermessens ihr Zerstörungswerk verrichtet? Noch steht die Entscheidung aus. Wieder einmal wird auf Zeit gespielt. Es kann ja gewartet werden, bis der Bundestag über eine "Beschaffungsvorlage" abzustimmen hat. Soll in der Zwischenzeit noch Überzeugungsarbeit geleistet und die Fraktion auf Einstimmigkeit hin getrimmt werden, auch um des Koalitionsfriedens willen und um Handlungsfähigkeit zu beweisen? Meines Erachtens ist ein solches Verhalten unverantwortlich und kann auf längere Sicht der Partei nur schaden. Die SPD würde sich fremd.

Mittwoch, 7. Oktober 2020 - 16:00 Uhr
Erinnerungsdefizite des Bundespräsidenten

Frank Walter Steinmeier, unser gegenwärtiger Bundespräsident, der gern und viel redet, beschäftigt mehr Redenschreiber als die redseligsten seiner Amtsvorgänger - was nicht dafür bürgt, dass seine Ansprachen immer einem hohen Niveau verpflichtet sind. ("Man kann Deutschland nur mit gebrochenem Herzen lieben." ; "Der Corona-Tod ist ein einsamer Tod." Während er der Gründung der CDU im Sommer 1945 wohlwollend gedachte, hat er, was die Wiedergründung der SPD nach dem Zweiten Weltkrieg betrifft, offenbar einen blinden Fleck. Dabei wäre es an der Zeit gewesen, zum Beispiel an die Konferenz von Wennigsen (5.-7. Oktober 1945) zu erinnern. Damals erhielt Kurt Schumacher den Auftrag, vom "Büro Dr. Schumacher" aus den Neuaufbau der SPD-Organisationen in allen drei westlichen Besatzungszonen voranzubringen. Tatkräftig unterstützt wurde er dabei von Annemarie Renger, der späteren ersten Bundestagspräsidentin (1972-76). Schon am 19. April 1945, also noch vor der deutschen Kapitulation, hatte Schumacher einen Ortsverein in Hannover gegründet. Warum war bzw. ist dies dem Bundespräsidenten nicht der Rede wert? Ist hier Verdrängung am Werk? Immerhin war Steinmeier SPD-Kanzlerkandidat und Vorsitzender der SPD-
Bundestagsfraktion. Ist er auch deshalb Bundespräsident geworden, weil dieses Amt es ihm ermöglicht, sich der Hypotheken seiner politischen Tätigkeit zu entledigen? Zum Beispiel seiner Arbeit als Kanzleramtsminister unter Gerhard Schröder?

Samstag, 26. September 2020 - 14:53 Uhr
"Wir können nicht alle aufnehmen!" (Andrea Nahles)

Ich bin ein schon ziemlich alter deutscher Staatsbürger und absolut nicht bereit, mich dessen schämen zu sollen, weil die Bundesrepublik nicht all diejenigen einreisen lassen kann, die sich auf die Flucht und auf die Suche nach einer besseren Zukunft begeben haben, wobei sie sich von einem Leben in Deutschland am meisten versprechen. Akut geworden ist dies kürzlich durch den Brand im Flüchtlingslager Moria auf Lesbos. Von einem Versagen Europas war die Rede, auch hierzulande wurden Rufe laut, die Bundesrepublik könne und müsse mehr tun. Die Bundesländer Berlin und Thüringen erklärten ihre Hilfsbereitschaft, Städte und Gemeinden schlossen sich dem an. Man sollte sie gewähren lassen, wenn sie sich dazu verpflichteten, die Kosten aus ihrem eigenen Etat zu bestreiten, also auf zusätzliche Bundesmittel zu verzichten. Sonderbarerweise sind unter den Kommunen, die ihre Aufnahmebereitschaft kundtun, auch solche, die auf Entschuldung durch den Bund hoffen und sich weigern, ihre Angestellten angemessen zu bezahlen (vgl. die stockenden Tarifverhandlungen). Außerdem ist es Mode geworden, zu demonstrieren und Plakate vor sich her zu tragen mit der Aufschrift "Wir haben Platz." Mit dem Platz allein ist es freilich nicht getan. Keinem Flüchtling bzw. keiner Flüchtlingsfamilie ist damit geholfen, wenn ihm bzw. ihr ein Zeltplatz zugewiesen wird. Jeder Demonstrant sollte sich, wenn er sich auf den Weg macht, dazu verpflichten, sich um wenigstens einen Migranten zu kümmern, bis der mit allem Lebensnotwendigen versorgt ist. Dazu gehören eine Behausung, auskömmliche Ernährung, die Möglichkeit, zur Schule und zum Arzt zu gehen; er muss kurzum mit allem versehen sein, was Integration voraussetzt. Wenn diese Selbstverpflichtung nicht gegeben ist, wird aus der Teilnahme an einer Demonstration bloßes Mitläufertum. Erich Kästner: "Es gibt nichts Gutes, außer man tut es."
Billig und abgeschmackt ist es, Horst Seehofer als den großen Menschlichkeitsverhinderer anzuprangern. Er gehört gewiss nicht zu meinen politischen Favoriten. Jedoch bin ich, selbst SPD-Mitglied, es gründlich leid, sozialdemokratische Politiker sich darin gefallen zu sehen, über den Innenminister als den Bösewicht herzufallen, über alles hinwegsehend, was die Bundesrepublik seit 2015 geleistet hat und immer noch leistet, auch finanziell. Übrigens: Keiner von ihnen hat sich mit Andrea Nahles solidarisch erklärt, als sie sagte: "Wir können nicht alle aufnehmen." (vgl. die Überschrift). Hier vermisse ich Mut und Rückgrat.
Allen Kritikern Europas und speziell Deutschlands sei geraten: Werden Sie konkret, gehen Sie ins Detail! Nennen Sie die EU-Mit-
gliedsstaaten beim Namen, die sich einer gerechten Verteilung der Flüchtlinge verweigern! Nehmen Sie die jüngsten Beschlüsse der EU-Kommission auseinander, denn sie entbehren jeglicher Verbindlichkeit, lassen alles offen, fungieren als Blasebalg zur Füllung von leeren Worthülsen. - Beklagen Sie nicht, dass Europa auf Kosten Afrikas lebt und diesen Kontinent ausbeutet, ohne Konzerne wie Nestle oder die Machenschaften multinationaler Großunternehmen wie Amazon zu benennen. Pauschale Verurteilungen führen nicht weiter, denn mit ihnen braucht sich niemand angesprochen zu fühlen.

Dienstag, 22. September 2020 - 17:22 Uhr
Olaf Scholz im Kreuzfeuer

Mit vielem, was Olaf Scholz in letzter Zeit getan hat, bin ich überhaupt nicht einverstanden. So fand ich es zum Beispiel empörend, dass er dem US-amerikanischen Finanzminister eine Milliardensumme angeboten hat zur Finanzierung von Hafenanlagen, in denen amerikanisches Fracking-Gas für Deutschland ver- bzw. umgeladen werden soll (etwa in Brunsbüttel). Durch nichts gerechtfertigt ist allerdings die schäbige, abgefeimte Behandlung, die dem Finanzminister und Vizekanzler von Seiten des Kanzleramts widerfährt. Es geht immer noch bzw. schon wieder um die Frage, wer die Folgen des Wirecard-Skandals zu verantworten hat. Das Kanzleramt und das Wirtschaftsministerium haben sich auf Olaf Scholz eingeschossen, der seiner Aufsichtspflicht (BaFin) nicht nachgekommen sei. _Ein Untersuchungsausschuss des Bundestags soll dem nachgehen und wird den Finanzminister in die Zange nehmen. Das Kanzleramt wird dem interessiert, vielleicht auch amüsiert zuschauen und sich darüber freuen, von der eigenen Verantwortung ablenken zu können. Dabei wissen dessen Beamte sehr genau, welche Wirecard-Lobbyisten im Kanzleramt ein und aus gingen, um ihr einträgliches Anliegen auf die Agenda der Kanzlerin setzen zu lassen (vgl die Einträge vom 23. und 25.7.20).
Das ZDF hat bei seiner Berichterstattung über "neue Erkenntnisse" in der Affäre Linientreue bewiesen. Dem Staatssender - zuweilen erinnert er an den "Schwarzen Kanal" - liege "exklusiv" ein Schreiben aus dem Finanzministerium vor, aus dem hervorgehe, dass diese Behörde in den Jahren 2015/16 das Gebaren von Wirecard nicht wie gewohnt unter die Lupe genommen habe, weil dieser Konzern sich in einer Phase der Umstrukturierung befunden habe. Nicht einmal schamhaft wird dabei verschwiegen, dass in dem genannten Zeitraum Scholz´
Amtsvorgänger Wolfgang Schäuble das Ministerium leitete. Ich kann Olaf Scholz nur wünschen, dass er in dem ihm bevorstehenden Procedere Besonnenheit und Verve aufbringt, also die Verantwortlichkeiten klar und energisch benennt.
Dass in der Politik mit harten Bandagen gekämpft wird, ist alter Brauch, sollte jedoch mit der Manier zu Schlammschlachten nicht in einen Topf geworfen werden. In dem Berliner Politbetrieb ist von politischer Kultur rein gar nichts mehr zu erkennen. Statt Sachlichkeit Propaganda, statt Information Wählerverdummung. Es scheint nur noch darum zu gehen, wer in der öffentlichen Wahrnehmung die bessere_Figur macht. Verwunderung darüber, dass sich Politikverdrossenheit breit macht, kommt purer Heuchelei gleich.

Montag, 7. September 2020 - 15:39 Uhr
Mit Tentakeln ins Kanzleramt und dessen Umfeld

KRAKEN nennt sich eine US-amerikanische Kryptowährungsbörse mit Sitz in San Francisco. Hier wird u.a. mit Bitcoin gehandelt. - Kraken ist zugleich der Plural des Substantivs (der oder die) Krake. Diese Weichtiere verfügen über acht Fangarme, auch Tentakeln genannt, die mit Saugnäpfen ausgestattet sind und außerdem zur Fortbewegung auf dem Meeresboden dienen. Wenn ein Standort als Nahrungsquelle nicht mehr taugt, suchen die Kraken, die sich von kleinen Krebsen und Ähnlichem ernähren, ein ergiebigeres Terrain auf. Ob zwischen der erwähnten Börse und den gefräßigen Meeresbewohnern ein Zusammenhang besteht, habe ich bisher nicht herausgefunden. Gemeinsam ist ihnen jedoch: Ihre physische Beschaffenheit muss ermöglichen, dass man davon leben und sich vermehren kann.
Auch im politischen Raum finden sich Existenzen, die ein krakenähnliches Verhalten aufweisen. So fand der Finanzdienst-
leister Wirecard, unterstützt von Lobbyisten, den Weg ins Kanzleramt, machte dort fest, zum Beispiel auf dem Spickzettel der Kanzlerin für ihre Chinareise im Herbst 2019. Nachdrücklich warb die Regierungschefin für Wirecard. Wie konnte sie auch ahnen, einem betrügerischen Konzern, der zu den 30 wichtigsten DAX-Unternehmen zählte, aufgesessen zu sein? Der Skandal erregte Aufsehen, beherrschte die Schlagzeilen. Wer hatte da nicht aufgepasst? Und CDU-Politiker schieben, wie nicht anders zu erwarten, dem Finanzminister Olaf Scholz die Schuld in die Schuhe. Bleibt zu hoffen, dass er das nächste Jahr einigermaßen heil übersteht. Der Untersuchungsausschuss wird ihn nicht schonen. Hoffentlich muss auch das Kanzleramt Federn lassen, und sei es nur das Eingeständnis, dass Spitzenpolitiker beileibe nicht davor gefeit sind, sich für Interessen der Wirtschaft benutzen, zuweilen auch missbrauchen zu lassen - natürlich im wohlverstandenen Interesse der Allgemeinheit.
Zu guter Letzt sei noch von einer Riesenkrake die Rede. Eines muss man Elon Musk lassen: Er weiß, wie der Hase läuft und wer darauf aus ist, seine lukrativen Angebote zu nutzen. Schließlich ist der Unternehmer Multimilliardär, hat also etwas zu bieten. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion trifft sich zu einer Klausurtagung. Und rein zufällig weilt Musk in Deutschland, schlägt schnurstracks den direkten Weg ein und wird im Kreise der Christunionisten, mit offenen Armen begrüßt. (Die "Sozis" können dabei getrost vernachlässigt werden.) Als Gesprächspartner stehen bereit: Ralph Brinkhaus als Fraktionsvorsitzender, der sich gern auf "starke Schultern" verlässt; Peter Altmaier als Wirtschaftsminister und vormaliger Kanzleramtsminister (das Interesse an Tesla-E-Autos, gebaut in Brandenburg, ist riesig); Jens Spahn als Gesundheitsminister (Elon Musk will auch in die Entwicklung eines Corona-Impfstoffs investieren); und Anja Karliczek als Forschungsministerin. Ob auch die Kanzlerin ihre Aufwartung macht, ist zunächst nicht auszumachen. Sicherlich hat der Amtschef Helge Braun ihr den Kontakt zu Musk warm ans Herz gelegt. Aber sie ist häufig nicht zugegen, tourt global, hat Termine in Brüssel, wo es momentan ihr Anliegen ist, die Europäische Union und die NATO für ein gemeinsames energisches Auftreten gegen Putin, der Alexej Nawalny auf dem Gewissen haben soll, zu gewinnen. Eine Menge Arbeit wartet da auf sie, doch das ist zu verschmerzen, lenkt es doch von gewichtigen innenpolitischen Themen und Problemen ab: Maßnahmen zum Klimaschutz, Durchsetzung des Kohleausstiegs, Bewältigung der Migrationsfolgen usw. Das sind schon Aufgaben, die Fluchtreflexe auslösen können.

Freitag, 4. September 2020 - 15:53 Uhr
Gefahren für das "Herzstück unserer Demokratie"

Was ist Furchtbares passiert? Zahlreiche Draufgänger, die sich über Recht und Gesetz hinwegsetzten, haben die Absperrungen durch-
brochen und die Stufen des Reichstagsgebäudes gestürmt, wurden indessen von drei standhaften, tatkräftigen Polizisten aufgehalten und daran gehindert, noch weiter vorzudringen. Das Gebäude wurde also nicht in Brand gesteckt. Aber der Eklat war da, das Lamento groß. Und Peter Frey, der Chefredakteur des ZDF, ließ es sich nehmen, an die Schreckensnacht vom 27./28. Februar 1933 zu erinnern, Ängste zu schüren und eindringlich vor der Wiederholung solcher Terrorakte zu warnen. Nur der Ruf nach "Notverordnungen" blieb aus. Und Frey war nicht der einzige CDU-Sympathisant, der die Christdemokraten als die zuverlässigsten Garanten für den Bestand unserer Demokratie empfahl. Die "Sozis" sind in dieser Hinsicht ja Wackelkandidaten. Hatte der Berliner Innensenator Geisel es nicht versäumt, rechtzeitig Vorsorge zu treffen? Es wurden Pläne entworfen, den Bundestag besser zu schützen, z.B. durch einen tiefen, breiten Graben. Ein stärkeres Polizeiaufgebot genügt den besorgten Wächtern unserer Demokratie nicht. Zu gewaltig sind die überall lauernden Gefahren.
Sonderbarerweise sind diejenigen, die am lautesten den Ansturm auf das Reichstagsgebäude beklagten und als Angriff auf das "Herzstück unserer Demokratie" verstanden, ja aufbauschten, zugleich die Zeitgenossen, die es zulassen, dass das Ansehen des Bundestags im Sinkflug begriffen ist. Denn das Herz der Demokratie hat nicht wenige ausgelagerte Kammern. Lobbyisten wissen nur zu genau, wo sie den Hebel ansetzen müssen, um ihren Interessen entgegenkommende Gesetzentwürfe mitzugestalten. Schließlich sollen die Ministerialen wissen, was von ihnen erwartet wird. Bevor ein Gesetz dem Plenum des Bundestags - entgegen dem Wortsinn ist es meist halb leer - zur Abstimmung vorgelegt wird, hat es einen langen, verschlungenen Pfad hinter sich, auf dem ihm so manches an Änderungs-
wünschen samt Formulierungshilfen widerfahren ist. Die Ent-
scheidungen sind vor den Lesungen längst gefallen, das Ausgehandelte bzw, Beschlossene wird dem Plenum nur noch formal zur Absegnung präsentiert. Entsprechend eintönig und fade fallen die Reden vieler Abgeordneten aus. Das "Herzstück unserer Demokratie" ist ziemlich blutleer geworden, was sich auch abträglich auf seine Wahrnehmung durch die Bundesbürger/innen auswirkt. Wen interessieren heute noch Bundestagsdebatten? Da ist es doch lohnenswerter, von dem reichhaltigen Angebot an TV-Krimis und Sportübertragungen Gebrauch zu machen. - Die Gesamtheit der Bundestagsabgeord-
neten sei aufgefordert, wieder "Leben in die Bude zu bringen" und die Voksvertretung nicht verkümmern zu lassen. Gelangweiltes Gähnen sollte nicht die vornehmste Reaktion der noch verbliebenen Zuschauer werden.

Neuere Beiträge  Ältere Beiträge

Anmelden