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Politik

Mein Blog

Samstag, 19. Juni 2021 - 15:28 Uhr
Gegen eine Ostasienerweiterung der NATO

Am 14. Juni wurde es offiziell: Aus dem seit Monaten andauernden diffusen Geraune ( Einträge vom 19.11. und 3.12.20 und 23.1. und 7.6.21) wurde Klartext. Die Staats- und Regierungschefs der NATO-Mitgliedsstaaten hatten sich in Brüssel versammelt, sahen erwartungsvoll der Ankunft des amerikanischen Präsidenten entgegen, berieten sich mit ihm und nickten die neue Ordre ab - unter ihnen die deutsche Kanzlerin. Noch ist der Rückzug der NATO-Streitkräfte aus Afghanistan nicht abgeschlossen, da wird eine neue Parole ausgegeben. Der Wegweiser der NATO zeigt nach Fernost. Der Ausweitung des Einflusses Festlandchinas soll ein Riegel vorgeschoben werden. Wahrscheinlich laufen bereits Verhandlungen übe NATO-Stützpunkte im nördlichen Pazifikraum. Werden Bundeswehreinheiten künftig auch auf Taiwan stationiert? Arbeiten beflissene Nachfahren des griechischen Rhetors Demosthenes ( "Philippika" bereits an einer neuen "Hunnenrede" (Wilhelm II.), an einer beredten Warnung vor der "gelben Gefahr"? Demokratie schützt offenbar nicht vor Dummheit, wenn Staatenlenker ihre ganze Propagandamaschinerie in Gang setzen, um ihre Völker einzulullen und gefügig zu machen. Dabei ist die Chinapolitik der westlichen, sich als demokratisch verstehenden Welt widersprüchlich genug. Einerseits wollen die kapitalistischen Staaten auf den riesigen chinesischen Absatzmarkt nicht verzichten. Andererseits soll China auch mit militärischen Drohgebärden eingedämmt werden, was in der US-amerikanischen Außenpolitik eine lange Tradition hat ( "policy of containment"; Truman, Dulles). Offensichtlich soll das deutsche Wahlvolk sich damit abfinden, dass gewaltige Milliardensummen in die NATO-Kassen fließen, um amerikanische Interessen in Fernost abzusichern, unter dem Deckmantel, wir säßen ja alle im gleichen demokratischen Boot.
Um eines klarzustellen: Auch ich sehe die aggressiven wirtschaftlichen und politischen Aktivitäten kritisch und mit Sorge: "Neue Seidenstraße", Abhängigkeit weiter Teile Afrikas von chinesischen Krediten. Nur sollen die politischen Eliten der westlichen Welt uns nicht glauben lassen wollen, dass beides zu haben ist: finanzielle Segnungen durch ständig expandierende Geschäfte mit China ( VW setzt zum Beispiel 40 % seiner Produkte in China ab) und das Zurückdrängen Chinas in dessen Bemühen, demokratische Staaten wirtschaftlich zu durchdringen und zu dominieren. Die freien Völker müssen sich wohl in eigenem Interesse darauf einstellen, bescheidener zu wirtschaften und sich vom Wachstumsfetischismus zu verabschieden. Fatal wäre es, sich rheinländisch darauf zu verlassen: "Es hett noch immer jutjejange."
Ich suche dringend Verbündete in dem Bemühen, sich der Neuausrichtung der NATO in den Weg zu stellen. Hierbei setze ich vor allem auf Sozialdemokraten und freue mich über jedes Feedback.

Montag, 7. Juni 2021 - 18:04 Uhr
Deutschland im Demokratie-Fieber ... und die Existenznöte der NATO

Das Rezept ist denkbar einfach. Man rühre eine Backmischung an und bringe sie auf die Formel: Haseloff wählen heißt Demokratie wählen. Und schon werden andere Wahlentscheidungen zur Nebensache. Als Backpulver bzw. Treibmittel füge man hinzu: In Sachsen-Anhalt stehe ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen CDU und AfD bevor (was allen Prognosen zuwiderläuft). Die Wirkung bleibt nicht aus. Viele Nichtwähler, denen vom Ostbeauftragten der Bundesregierung (Marco Wanderwitz) attestiert wurde, sie seien auch nach dreißig Jahren noch nicht in der Demokratie angekommen, wollen dies nicht auf sich sitzen lassen, eilen an die Wahlurnen und stimmen für Reiner Haseloff. Dessen Genugtuung ist triumphal, und auch die Bundes-CDU feiert sich. Endlich ein verheißungsvolles Signal aus dem Osten der Republik! Das lässt hoffen auf ein respektables Ergebnis bei den Bundestagswahlen. Der Abwärtstrend scheint gebrochen, Armin Laschet als Kanzlerkandidat bestätigt und gestärkt. Die SPD steht weit abgeschlagen an der Seite des Boxrings und versichert ihre Bereitschaft, in Sachsen-Anhalt auch weiterhin mitzuregieren. (Wir haben in den vergangenen fünf Jahren sooo viel erreicht, aber das Wahlvolk hat das leider nicht gewürdigt!) Ist die SPD noch zu retten? Zeichnet sich kein Lernprozess ab? Ist Teilhabe an der Macht wirklich das oberste Gebot? Wenn sie auch auf Bundesebene den Schulterschluss mit der CDU gegen die AfD sucht und dies zur Maxime ihres Handelns macht, geht sie endgültig baden. Es gibt, verdammt noch mal, wichtigere Aufgaben, als die AfD klein zu halten! Die Wählerinnen und Wähler in Sachsen-Anhalt haben am 6. Juni deutlich kundgetan, dass sie der SPD soziale Kompetenz kaum noch zutrauen. Gleiches gilt für die LINKE, der zudem das Stigma anhaftet, "linksextremistisch" zu sein, nicht zur "bürgerlichen Mitte" zu gehören und folglich als Koalitionspartner in Sachsen-Anhalt nicht in Frage zu kommen. Ein ausgrenzendes, unwürdiges Spektakel, dem die SPD ungerührt zuschaut, was seit Schröder-Zeiten zu ihrer DNA zu gehören scheint.
Auch auf der weltpolitischen Bühne geht es um die Stabilisierung der Demokratie. "Making the world Safe for Democracy", sprach Woodrow Wilson und warb damit für den Eintritt der USA in den Ersten Weltkrieg. Damals ging es gegen die europäischen Monarchien, heute ist die Stoßrichtung eine andere. Jens Stoltenberg, seines Zeichens Generalsekretär der NATO, wird nicht müde, die Gefährdung der Demokratien durch autoritäre Systeme zu beschwören. Er warnt vor einer Destabilisierung an der Ostflanke der NATO und zeigt sich besorgt wegen der Zusammenarbeit zwischen China und Russland. Die NATO soll, so die Perspektive, ihren Wirkungsbereich auf den indopazifischen Raum ausdehnen und sich nicht darauf beschränken, an der russischen Westgrenze Manöver durchzuführen (wie zur Zeit in der Ostsee). Der Nordatlantikpakt, so Stoltenberg, muss jedenfalls und unbedingt am Leben gehalten werden, etwa durch Aufblähung bzw. Expansion - ganz im Sinne des Kapitalismus. Hoffentlich gibt es in Deutschland noch genug gescheite Politiker, die sich nicht auf Betreiben der USA vor den Karren spannen lassen, der gegen China und Russland ins Rollen kommen soll (beide Großmächte haben eine pazifische Küste). Träumt Jens Stoltenberg davon, die NATO könnte Russland in die Zange nehmen? Was in Russland seit Längerem innenpolitisch abläuft, ist in der Tat desaströs. Dies ist allerdings nicht dadurch zu ändern, dass der Westen die Mächtigen in Russland reizt und zu schwächen versucht. Warum eigentlich unterhält Belarus eine diplomatische Vertretung bei der NATO in Brüssel? Klüger scheint mir eine Politik zu sein, die der Devise folgt: Wandel durch Annäherung (Egon Bahr).

Donnerstag, 3. Juni 2021 - 18:29 Uhr
Die SPD im Parteienspektrum

Die Unionsparteien sehen sich in der Tradition des Christentums und neigen bisweilen zum Frömmeln. Der als "Kanzler der Einheit" maßlos überschätzte Katholik Helmut Kohl fragte sich gern: "... was der liebe Gott noch mit mir vorhat ..." Ein wesentlicher Aspekt des christlichen Menschenbildes ist folgender: Der Mensch bedarf als Sünder der Führung, der Erlösung, gegebenenfalls auch der Züchtigung; dem Schöpfer wird zugetraut, dass er seinen Geschöpfen die eine oder andere Falle stellt ("... und führe uns nicht in Versuchung ..." . Als Konrad Adenauer als erster Bundeskanzler vereidigt wurde, hob er die Schwurhand und gelobte: " So wahr mir Gott helfe!" Dies erinnert an die Vorstellung vom Gottesgnadentum christlicher Majestäten. Wirtschaftspolitisch ließ die CDU ihr Ahlener Programm bald hinter sich, knüpfte Beziehungen zum großen Geld (Hermann Josef Abs, Robert Pferdmenges) und prägte in den 1950ern entscheidend die soziale Marktwirtschaft mit (Jahre des Wirtschaftswunders, Ludwig Erhard). Auf diesem Felde ergaben sich bald die größten Gemeinsamkeiten mit der FDP, die wiederholt Adenauers Koalitionspartner wurde. Es gab Zeiten, in denen die FDP bemüht war, von der Rolle des Mehrheitsbeschaffers, des Züngleins an der Waage (Theodor Heuß sprach gar von der "Scheißwaag", die seiner Partei zwischen den Lagern zufalle) loszukommen und eine eigenständige politische Größe zu bilden (Freiburger Thesen). Die Liberalen stehen in der Tradition der europäischen Aufklärung, deren herausragendes Ziel die Befreiung des Individuums war. Sie setzen auf das ungehinderte Spiel der freien Kräfte; dieses werde, sich selbst überlassen, seine Aufgabe als Regulans bzw. Steuerungsinstrument erfüllen. Die Freiheit soll sich auf alle Lebensbereiche erstrecken, also auch auf das Ökonomische. Vor allem in der Schicht des bessergestellten Mittelstandes, der "Selbständigen" findet die FDP ihre Wähler. Gegenwärtig erfährt sie regen Zulauf von enttäuschten CDU-Wählern, so dass die Verluste der Christdemokraten in den Umfragen mit dem Stimmenzuwachs der Liberalen korrelieren. In den Reihen der FDP finden sich auch eitle Selbstdarsteller, Egomanen, die nicht davor zurückscheuen, ihr Freiheitsbedürfnis auf Kosten anderer auszuleben (bloß kein Tempolimit auf Autobahnen!). Die Liberalen wollen den schlanken Staat, der sich nicht in ihre Angelegenheiten einmischt, und stehen dem Sozialstaat skeptisch gegenüber. Hans-Dietrich Genscher sprach abfällig von der "sozialen Hängematte". Die Forderung der bürgerlichen Revolutionen nach mehr Freiheiten bewertete Karl Marx als etwas, was der neu entstehenden Arbeiterklasse als luxuriöses Anliegen der Bessergestellten erscheinen musste. Die "Proletarier" hatten andere Sorgen als Abschaffung der Zensur und Glaubensfreiheit. Für sie ging es um das nackte Überleben. Hier setzten die frühen Sozialdemokraten an. Sie wollten die Arbeiter von den Zwängen des "ehernen Lohngesetzes" befreien, ihnen politisches Gewicht und eine parlamentarische Vertretung verschaffen (Ferdinand Lassalle, Allgemeiner Deutscher Arbeiterverein). Die Industriearbeiter sollten sich nicht als Konkurrenten untereinander verstehen. sondern ein gemeinschaftsstiftendes Klassenbewusstsein entwickeln. Sie sollten Sinn und Wert ihrer Arbeit wahrnehmen, die "Entfremdung" überwinden können, sich als selbstbewusste Individuen begreifen, die im Verbund mit anderen ihre Geschicke in die Hand nehmen, zum Beispiel durch die Gründung von Gewerkschaften. Sie wiesen auf die Folgen der Frauenarbeit hin (Clara Zetkin) und setzten sich für die Gleichberechtigung von Mann und Frau ein (Frauenwahlrecht 1919). Sowohl die Sozialdemokraten als auch die Freidemokraten betrachten die Freiheit als zentrales Anliegen, doch anders als die FDP sieht die SPD ihre Aufgabe darin, wirtschaftliche und gesellschaftliche Verhältnisse zu schaffen, die Freiheit erst möglich machen. Außerordentlich wichtig ist Sozialdemokraten die Solidarität, das Sich-Kümmern um die anderen. Die Vernachlässigung derjenigen, die durch ökonomische Prozesse hinten herunterfallen, hat die Sozialdemokraten in den ersten Jahrzehnten des 21. Jahrhunderts viel Respekt und Sympathien gekostet. Gerhard Schröder wurde als "Genosse der Bosse" wahrgenommen. - Das neue Wahlprogramm (Mai 2021) ist breit angelegt und fordert dem Leser einiges an Geduld ab. Zu kurz kommen griffige, zündende Kernsätze. Hier könnte die SPD im Wahlkampf nachliefern.
Die Grünen entstanden aus dem Bemühen, den Blick auf die Umweltschäden zu richten. (Ein Planet wird geplündert!) Sie machten die Ökologie zu ihrem zentralen Thema (Petra Kelly). Das neueste Programm ist breiter gefächert und hat von vielem manches im Angebot. An der politischen Macht beteiligt, haben sie Mühe, den Kurs zu halten. So wirkten sie an dem Ausbau der Braunkohleförderung mit (Stichwort Garzweiler) und tragen es mit, dass Waldstriche abgeholzt werden (Dannenrode) und dem Neubau von Autobahnen weichen müssen. Häufig betonen die Grünen, dass sie mit der SPD die meisten Gemeinsamkeiten hätten, gehen allerdings auch gern Koalitionen mit der CDU ein.
Der SPD ist zu wünschen, dass sie nicht vollends unter die Räder gerät, nach den Bundestagswahlen (September 2021) wieder zu sich selbst und eine ihr gemäße Rolle findet. Dazu gehört auch eine sorgsame Klärung des Verhältnisses zur LINKEN (Rückbesinnung auf Rosa Luxemburg und Kurt Eisner).

Samstag, 29. Mai 2021 - 15:32 Uhr
Alexander Lukaschenko - ein krimineller Gewaltherrscher von Putins Gnaden

Lukaschenko erzwang zur Pfingstzeit mit einem Kampfjet die Landung eines Ryanair-Fliegers in Minsk, was mit einer Bombendrohung begründet wurde und zeigte, zu welchen Mitteln der belarussische Diktator greift, um Gegner seiner Regierung in seine Gewalt zu bringen und "unschädlich" zu machen. Und dann die Vorbereitung von Schauprozessen mit dem Auftakt von reumütigen Schuldeingeständnissen der beiden Festgenommenen. Was für ein erbärmliches Schmierentheater! Die EU reagierte prompt und beschloss Sanktionen, wohl wissend, dass diese keine empfindlichen Folgen haben würden, weil Lukaschenkos Regime vor allem vom Nachbarn Russland finanziert und so am Leben gehalten wird. Warum Putin dies tut und seinen Trabanten nicht fallen lässt, erklärt sich wahrscheinlich aus der Sorge, Russlands Einfluss in Europa könne weiter geschwächt werden. Es fehlt offenbar der Mut, mit den Demonstranten des Jahres 2020 zu paktieren, die stets beteuerten, dass sie an der engen Beziehung zu Russland festhalten wollten und sich nur gegen die Beseitigung demokratischer Prinzipien in ihrem Land wehrten. Der russische Präsident sollte wissen, dass ihnen die Zukunft gehört und die Unterstützung Lukaschenkos dem Ansehen Russlands in der Welt schadet.
Andererseits sollten Deutschland und die EU sich nicht anmaßen, über die Zukunft Weißrusslands entscheiden zu wollen. Es darf nicht noch mehr Porzellan zerschlagen werden. Wenn der russische Präsident seinen außenpolitischen Kurs fortsetzt und Lukaschenko weiterhin die Stange hält, macht er es deutschen Sozialdemokraten schwer, sich für eine Verständigung mit Russland einzusetzen. Und es gibt diese Sozialdemokraten, auch wenn das SPD-Wahlprogramm (Mai 2021) einen anderen Eindruck vermittelt. Es fehlt die Feststellung, dass Russland westlich des Urals zu Europa gehört und sich mit dem Zaren Peter dem Großen zum Westen hin öffnete (Gründung von St. Petersburg), dass Europa also nicht an der russischen Westgrenze endet. Diese Tradition sollte lebendig bleiben. Im SPD-Wahlprogramm wird außerdem die Forderung erhoben, Russland müsse Vorleistungen erbringen, sich dialogbereit zeigen. Warum dieses Einbahnstraßendenken? Warum nicht wechselseitige Annäherung im bzw. beim Gegenverkehr? Kein Wort über die Auflösung der Sowjetunion und die Osterweiterung der NATO, die auch als Aggression gegen Russland verstanden werden kann. Des Weiteren findet sich der Satz: "Russland bricht regelmäßig internationales Recht ..." Hier wird mit zweierlei Maß gemessen und den Westmächten ein Persilschein ausgestellt. Wie soll bei solchen Prämissen Vertrauen wachsen, Entspannung möglich werden? Egon Bahr hätte sicherlich den Kopf geschüttelt. Kurzum: Das üblich gewordene politische Konstrukt "Europäische Union contra Russland" sollte durchbrochen werden. Denn es ist eine Fortschreibung des Blockdenkens des 20. Jahrhunderts.
Der russische Präsident wäre gut beraten, wenn er sich entschieden von Lukaschenko abgrenzte und dessen Handeln als das bezeichnete, was es ist: ein krimineller Akt der Luftpiraterie. Michail Gorbatschow spräche in diesem Zusammenhang von "Glasnost". Viele Deutsche nannten ihn mit einer Mischung von Dankbarkeit und Vertraulichkeit "Gorbi". Auch dies sollte in Erinnerung bleiben. Das russische Volk hat es nicht verdient, von Politikern regiert zu werden, die Unrecht dulden. - Oder hat Norbert Röttgen recht, wenn er davon überzeugt ist, der russische Regierungsapparat halte Nawalny gefangen und lasse Lukaschenko gewähren, nur weil befürchtet wird, die Bevölkerung Russlands könne sich andernfalls gegen ihre Regierenden erheben? Bert Brecht schrieb nach der Niederschlagung des Juni-Aufstands 1953 das kurze Gedicht "Die Lösung" und fragt darin zum Schluss: "Wäre es da nicht einfacher, die Regierung löste das Volk auf und wählte ein anderes?"

Mittwoch, 5. Mai 2021 - 17:43 Uhr
Putin, Nawalny und der Westen in einer Aufwärtsspirale von Torheiten

Dass die russische Regierung ihre Einwilligung dazu gab, den vermutlich vergifteten Alexej Nawalny mit einem Privatjet nach Berlin ausfliegen zu lassen, kann als ein Akt von Großzügigkeit verstanden werden - selbst wenn man in Rechnung stellt, Hintergedanken könnten dabei im Spiel gewesen sein. Ganz anders wurde der weitgehend genesene Nawalny bei und nach seiner Rückkehr nach Moskau behandelt. Noch am Flughafen wurde der Kreml-Kritiker festgenommen, alsbald ins Gefängnis gesperrt und zu Lagerhaft verurteilt - mit einer ebenso läppischen wie zynischen Begründung: Verstöße gegen Bewährungsauflagen. Ähnlich rigoros gingen russische Sicherheitskräfte gegen diejenigen vor, die für die Freilassung Nawalnys demonstrierten. Was ist von einem Regime zu halten,. das sich ganze Generationen jüngerer, demokratische Rechte einfordernder Leute zu Feinden macht, zu unterdrücken versucht? Willy Brandt trat seine Kanzlerschaft in einer schwierigen innenpolitischen Situation an. Er verstand es, viele junge Menschen, die mit der Außerparlamentarischen Opposition (APO) sympathisierten und dem politischen System misstrauten, wieder an den Staat heranzuführen. "Wir wollen mehr Demokratie wagen", erklärte er 1969 und ließ Taten folgen, zum Beispiel durch das Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAFÖG, 1971): Diese Politik führte zur Isolierung der gewaltbereiten Oppositionellem, nahm ihnen den gesellschaftlichen Rückhalt.
Wie Willy Brandt war auch Michail Gorbatschow ein überzeugter Demokrat. Er holte den Dissidenten Sacharow aus der Verbannung (in Gorki) nach Moskau zurück und machte sich an die Reform der Sowjetunion. Sie hatte seines Erachtens nur dann eine Überlebenschance, wenn die Mitgliedstaaten ein größeres Maß an Autonomie erhielten. Doch bevor ein neuer Unionsvertrag in Kraft treten konnte, putschten "Altkommunisten" gegen Gorbatschow. Der Putsch scheiterte vor allem an Boris Jelzin, der allerdings Gorbatschow beiseite drängte, selbst nach der Macht griff und die zentrifugalen Kräfte gewähren ließ. Die Sowjetunion zerbrach, was der Westen dazu nutzte, die Osterweiterung der NATO zu betreiben - zum Nachteil der Russischen Föderation. Übrig blieb die GUS.
Mächtige haben offenbar eine Heidenangst davor, die Macht mit anderen zu teilen, sich damit zu begnügen, respektierter Erster unter Gleichen (lat.: "primus inter pares" zu sein. Wer sich der Unterdrückung widersetzt, zum Beispiel der Breschnew-Doktrin, wird als Feind betrachtet und in seine Grenzen verwiesen. Doch ein solches Handeln kann auf längere Sicht nicht erfolgreich sein. Der Einmarsch sowjetischer Truppen in die Tschechoslowakei und das gewaltsame Ende des Prager Frühlings (1968) mochten kurzfristig als Erfolg verbucht werden, konnten aber die Herrschaft Moskaus über den Ostblock nicht dauerhaft sichern. Ähnliches gilt für die Verhängung des Kriegsrechts in Polen durch Jaruzelski (1981). Er schickte sich an, die "solidarnosc" auszumerzen, hatte aber nur mäßigen Erfolg und musste mit ansehen, wie deren Gründer Lech Walesa sein Nachfolger wurde. Auch ist es auf längere Sicht ein Fehler Putins, den belarussischen Autokraten Lukaschenko im Sattel zu halten. Dieser Tyrann wird weichen und den Kräften Platz machen müssen, die er mit seinem Machtapparat, der nur durch Angst zusammengehalten wird, zu unterdrücken versucht und die dadurch in eine antirussische Haltung gedrängt werden.
Putins Grimm auf Europa und die USA ist nur zu verständlich, solange westliche Politiker keine Gelegenheit auslassen, Russland als Bedrohung der freien Welt zu brandmarken. Nawalny bietet Putin und seinen Gefolgsleuten weiterhin die Stirn. Sollte er daran zerbrechen, kann er bei seinen letzten Atemzügen sicher sein, dass die Westmächte erneut über Russland herfallen. Auch Deutsche, die im Rampenlicht stehen und sich für wichtig halten, polemisieren gern gegen das "System Putin" (Norbert Röttgen). Theo Koll, einer der antirussischen Wortführer beim ZDF, geht mit allen Politikern ins Gericht, die seinen stramm antirussischen Kurs nicht teilen, eher abwiegeln, mit Russland "im Dialog bleiben" wollen. Und die deutschen Sozialdemokraten? Zaghaft, hilf- und konzeptlos schauen sie vom Rande her dem ganzen Treiben zu.
Willy Brandt erlebte aus nächster Nähe den Bau der Berliner Mauer (1961) und des "antifaschistischen Schutzwalls". Um die Wiederholung solcher Aktionen zu verhindern, entwarf er mit Egon Bahr die Grundzüge einer neuen westdeutschen Ostpolitik. Das hieraus resultierende Handeln trug ihm einerseits den Friedensnobelpreis ein (auch Gorbatschow erhielt diese Auszeichnung), andererseits heftige Anfeindungen im Innern. Von einem "Ausverkauf deutscher Interessen" war die Rede, die Unionsparteien zogen gar vor das Bundesverfassungsgericht. Brandt hielt unbeirrt an der Überzeugung fest, dass die Überwindung der deutschen Spaltung das Einverständnis Russlands voraussetzte. "Wandel durch Annäherung" (Egon Bahr). Beide Männer wurden noch Zeugen der Wiedervereinigung.
Gegenwärtig verschlechtert sich das deutsch-russische Verhältnis, auch infolge der zunehmenden Spannungen zwischen Ost und West. Kaum hatte sich die Nachricht von der mutmaßlichen Vergiftung Nawalnys verbreitet, ertönten Rufe nach Abbruch der Arbeiten an der Pipeline Nord Stream 2. Es wurde der Eindruck erweckt, als diene dieses Projekt ausschließlich Russland und schade westlichen Sicherheitsinteressen. Auch die momentane Konferenz der G7-Staaten in London weist in diese Richtung. Was ist das für eine Politik, die sich darin erschöpft, wechselseitig Sanktionen zu verhängen? Das diplomatische Geplänkel zwischen Anschuldigungen und Dementis wirkt albern bis kindisch, ist politisch unreif und führt in eine Sackgasse.
Manchmal frage ich mich, warum die russische Diplomatie die antirussische Propaganda nicht intellektuell souverän unterläuft und die Schwachstellen der westlichen Welt bloßlegt. Es muss ja nicht gleich eine Neuauflage des "Schwarzen Kanals"(E.v. Schnitzler) werden. Ronald Reagan war zum Beispiel alles recht, wenn es nur antikommunistisch war (militärisches Eingreifen in Nicaragua gegen die Sandinistas).
Statt dessen versteinerte, bitterböse Gesichter mit deutlichen Spuren des Beleidigt-Seins (Sergej Lawrow): Ganz anders das gewinnende Lächeln eines Michail Gorbatschow. Er durchbrach die sowjetische Gerontokratie, schmiedete unermüdlich Abrüstungspläne, was bei Helmut Kohl auf Unverständnis stieß. Der deutsche Bundeskanzler hielt Gorbatschows Vorschläge für reinen Bluff, für PR-Aktionen mit dem Ziel, in der westlichen Welt Verwirrung zu stiften. In diesem Zusammenhang verglich Kohl den russischen Präsidenten denn auch einmal mit Goebbels, was in Russland für Empörung sorgte und beinahe dazu geführt hätte, dass die Chance der deutschen Wiedervereinigung vergeigt worden wäre. Sinnigerweise wird Helmut Kohl bei alledem als Kanzler der Einheit gefeiert - zumindest von seinen Anhängern. Ronald Reagan hingegen ließ sich auf Gespräche ein und traf sich zweimal mit Gorbatschow. Dieser handelte einen Abrüstungsvertrag aus, auch um finanzielle Freiräume für die Innenpolitik zu gewinnen.
Der Welt im 21. Jahrhundert ist zu wünschen, dass auch in heutiger Zeit Staatsmänner von der Statur Brandts und Gorbatschows die Bühne beträten. An die Arbeit, Genossinnen und Genossen!

Freitag, 23. April 2021 - 18:49 Uhr
"Die Würfel sind gefallen."

Mit diesem Satz eröffnete Markus Söder am 20.4. seine Erklärung, die Kanzlerkandidatur für die Unionsparteien zurückzuziehen. Wahrscheinlich sähe er sich falsch verstanden, wenn man seine Worte als Anspielung auf das berühmte Caesar-Zitat begriffe. "Alea iacta est" (der Würfel ist geworfen), sprach Caesar, den Singular benutzend, zu Beginn des Jahres 49 v.Chr., wonach er mit seinen Truppen den Rubikon überschritt und damit den römischen Bürgerkrieg eröffnete. Nein, wohl nicht als Kampfansage ist das Södersche Würfelgleichnis gemeint. Immerhin aber verband er seinen Verzicht mit dem Dank an alle diejenigen, insbesondere die Jüngeren, die sich für ihn stark gemacht hatten und ihre Hoffnungen nun enttäuscht sahen. Er wird seinen Kontrahenten Armin Laschet beim Wort nehmen, der ihm für die Zukunft eine "zentrale Rolle" zusicherte und ihn als "prägende Figur" für den gemeinsam zu bestehenden Wahlkampf betrachtet. Söder wird weiterhin den Kurs der Unionsparteien bestimmen wollen, wozu auch passt, dass die CSU für Online-Mitgliedschaften außerhalb Bayerns wirbt, und das zu günstigen finanziellen Konditionen. Der Aachener wird es mit dem Nürnberger künftig nicht leichter haben.
"Die CDU hat ihren Kompass verloren", konstatierte Friedrich Merz anlässlich seiner Wahl zum Direktkandidaten für einen tiefschwarzen Wahlkreis im Sauerland. Damit meinte er sicherlich nicht die Skandale um die Maskenbeschaffung. Im Gegenteil. "Geld regiert die Welt." Merz weiß dies aus den Jahren seiner Tätigkeit für Black Rock und ist gewiss eines Sinnes mit Karl Theodor zu Guttenberg, dem als Wirecard-Lobbyisten eine saftige Provision von 2 Millionen Euro winkte, wenn das Werben der Kanzlerin für den Finanzdienstleister von Erfolg gekrönt sein würde. Für Frau Merkel war es ein ganz "normaler Vorgang", dass der ehemalige Verteidigungsminister bei ihr vorstellig wurde und ihr ans Herz legte, sich dafür einzusetzen, dass Wirecard der Zugang zum chinesischen Markt gewährt würde.
Was die SPD-Kanzlerkandidatur betrifft, sind die Würfel schon längst gefallen, worauf Malu Dreyer kürzlich lobend hinwies. Zu wünschen wäre freilich, dass bei den Sozialdemokraten endlich auch der Groschen fiele. Kommt in die Hufe Genossinnen und Genossen, lasst euch nicht abhängen! Leider zeichnet sich ab, dass CDU und CSU mit ihren momentan sinkenden Umfragewerten euch in den Abwärtssog mit hineinziehen. Der Umgang der Unionsabgeordneten mit Olaf Scholz im Wirecard-Untersuchungsausschuss spricht Bände. Peter Altmaier ist glimpflicher davongekommen. Auch Andreas Scheuer konnte sich schonenden Umgangs von Seiten der SPD-Mitglieder erfreuen. Warum weist Olaf Scholz nicht nachdrücklich darauf hin, dass die Arbeit der BaFin ins Schleifen geriet, als Wolfgang Schäuble Finanzminister und Jens Spahn dessen Staatssekretär war? Wirecard befand sich zur fraglichen Zeit angeblich in einem Prozess der "Umstrukturierung", was den laschen Umgang mit der Aufsichtspflicht erklären soll.
Hoffentlich steht bei der SPD bald ein Parteiprogramm, das sich an der Qualität des Godesberger Programms messen lassen kann und aufhorchen lässt: Das hätten wir von dieser alten Partei gar nicht mehr erwartet!

Samstag, 17. April 2021 - 17:32 Uhr
Die SPD im Sinkflug

Während die Unionsparteien sich trotz des Machtkampfes zwischen Laschet und Söder von dem Umfragetief zu erholen scheinen (laut ZDF-Politbarometer vom 16.4. liegen sie aktuell bei 31 %), ist die Zahl der Stimmen für die SPD rückläufig(14%). Wie will Olaf Scholz es angesichts dieser Entwicklung schaffen, der nächste Bundeskanzler zu werden? Die Vorgänge in CDU und CSU zeigen deutlich, dass es diesen Parteien in erster Linie um den Machterhalt geht. Sie wollen auf Biegen und Brechen eine "andere Republik" verhindern. Und der Wähler scheint dies zu honorieren. Sichtlich erleichtert und voller Genugtuung verkündete Matthias Fornoff am Freitagabend, die Herrschaft von CDU und CSU sei nicht ernsthaft in Gefahr. Weder für eine Ampelkoalition noch für ein Bündnis Grün-Rot-Rot reiche es.
Der Abwärtstrend der SPD wird auch daran erkennbar, dass ihre Bundesminister und -ministerinnen zu Randfiguren degenerieren. Auch Kanzlerkandidat Olaf Scholz hat es schwer. An ihm bleibt die enorme Neuverschuldung hängen, ein Umstand, den Unions-politiker dazu nutzen, sich vom Finanzminister zu distanzieren. ("Wir haben immer eisern an der Schuldenbremse festgehalten und uns nur widerwillig gefügt." Schon ziemlich alt ist das Vorurteil, Sozialdemokraten könnten nicht mit dem Geld umgehen. Dabei wird verschwiegen, dass die Neuverschuldung sehr wohl der Wirtschaft zugute kommt. Die DAX-Werte erreichen neue Rekordstände.
Am Donnerstag, dem 15.4., urteilte das Bundesverfassungs-gericht, der Berliner "Mietendeckel" sei verfassungswidrig.. Auch hierzu war von Seiten der SPD nichts zu hören. Gemeint ist nicht Urteilsschelte, sondern eine Klarstellung, was dieses Urteil bedeutet. Es stützt sich darauf, dass der Bund durch das Gesetz zur "Mietpreisbremse" das Problem "abschließend" geklärt habe. (Ob dies zutrifft, wäre noch zu prüfen.) Das Land Berlin sei also gesetzgeberisch nicht zuständig. Das verständliche Interesse langjähriger Mieter, ihr Zuhause nicht wegen Mieterhöhungen räumen zu müssen, wird von diesem Urteil nicht berührt. Die SPD drückte sich um eine Stellungnahme herum, überließ eine solche dem Mieterbund und der LINKEN. Horst Seehofer, auch Bundesbauminister, hielt und hält einen Mietendeckel für "baupolitisch" grundverkehrt. Er frönt der Devise "Bauen, bauen, bauen!" Woher die dafür erforderlichen Baugrundstücke kommen sollen (Freiräume für Bodenspekulation?) und ob die neuen Wohnungen für die Wohnungssuchenden erschwinglich sind, ließ er offen. Ebenso wenig gab er sich damit ab, dass die Bauwirtschaft peinlich darauf achten wird, dass das Wohnungsangebot die Nachfrage niemals übersteigt und die Mietpreise folglich nicht sinken. Solange die Lösung des Wohnungsproblems den Gesetzen des (freien) Marktes überlassen bleibt, wird Preistreiberei an der Tagesordnung sein. Und Konzerne wie "Deutsche Wohnen" , die das menschliche Grundbedürfnis, ein Dach über dem Kopf zu haben, zum Spekulationsobjekt machen, werden stets auf Profit bedacht sein, schon um ihre Aktionäre zufrieden zu stellen. Wirtschaftswissen-schaftler wie Marcel Fratzscher sind nach den Erfahrungen der Corona-Krise davon überzeugt, dass der Markt als ordnungs-politisches Instrument nicht dazu taugt, wesentlichen Bedürfnissen gerecht zu werden, sondern staatlicher Eingriffe bedarf. Und die Rufe nach dem Staat als Geldgeber und Nothelfer setzen die Gesetze der freien Marktwirtschaft ohnehin außer Kraft.
Der erste Satz des Artikels 20 unseres Grundgesetzes lautet: "Die Bundesrepublik ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat." Diese Definition sollte für Sozialdemokraten ein Ansporn sein, sich intensiv um soziale Belange zu kümmern. Mit den Unionsparteien
wird dies letztlich nicht gelingen. Einen Norbert Blüm gibt es in deren Reihen nicht mehr. Hoffentlich wagt die SPD den Befreiungsschlag aus der Umklammerung durch CDU und CSU. Diese Politchristen werden immer die Interessen der Wirtschaft als vorrangig behandeln. Der Streit um das Lobbyregister und die mangelnde Entschlossenheit von CDU und CSU, die Wirtschaft zu regelmäßigen Corona-Tests zu verpflichten, zeigen dies zur Genüge. Als altem SPD-Wähler und noch jungem Mitglied dieser Partei sträuben sich mir die Nackenhaare, wenn ich mit ansehen muss, wie Grüne und Linke programmatisch und argumentativ an den Sozialdemokraten vorbeiziehen. Vielleicht macht der Programmparteitag im Mai einiges wett.

Mittwoch, 7. April 2021 - 18:50 Uhr
Die SPD in der Corona-Defensive

Armin Laschet (CDU) und Markus Söder (CSU), kürzlich noch uneins in ihrer Haltung gegenüber der Kanzlerin sowie Konkurrenten um die Kanzlerkandidatur, suchen das Einigende und werkeln eifrig an einer Einheitsfront gegen die SPD-geführten Bundesländer. Laschet, chamäleonhaft die Farbe wechselnd und offenbar leidenschaftlicher Bridge-Spieler, schlug am Ostermontag einen "Brücken-Lockdown" von 2 bis 3 Wochen vor und verteidigte bzw. bekräftigte dies am 6. und 7. April in den Medien, wobei er es sich nicht verkneifen konnte, gegen seine Amtskollegen von der SPD auszuholen. Olaf Scholz, Michael Müller und Stephan Weil hatten sich am Dienstag kritisch zur Laschet-Initiative geäußert und überzeugende Einwände vorgetragen. Doch Markus Söder wollte ihnen nicht das Feld überlassen und sprang Laschet zur Seite. Ein solcher Lockdown sei durchaus erwägenswert, mache jedoch nur Sinn, wenn alle Bundesländer mitzögen und so Einheitlichkeit garantiert sei. Damit war der Schwarze Peter wieder der SPD zugeschoben. - Das Unerhörte, Ungeheuerliche an diesem Spektakel ist Folgendes: Anstatt die für kommenden Montag, den 12. April, geplante Ministerpräsidentenkonferenz sorgfältig und sachlich fundiert vorzubereiten, blasen die Herren Laschet und Söder, unterstützt und begleitet von Horst Seehofer (er arbeitet an einem auf Vereinheitlichung ausgerichteten Bundesgesetz) und einer Regierungssprecherin, schon in der (Nach-)Osterzeit zum Angriff. Es geht schon gar nicht mehr darum, gemeinsam nach geeigneten Maßnahmen zur Eindämmung des Corona-Virus zu suchen und einer Wiederholung des Debakels der Vorwochen vorzubeugen. Im Vordergrund steht vielmehr parteipolitisches Kalkül. Die Unionschristen wollen sich als die erfolgreichen Macher präsentieren und "punkten". Jens Spahn erklärt, die "dritte Welle" sei durch Impfen allein nicht zu brechen: "Die Welle wächst." Dies wird propagiert, obwohl die Infektionszahlen auf hohem Niveau stagnieren und die Zahl der Corona-Toten sinkt. Die Politik sei zum Handeln verpflichtet, die Maßnahmen müssten weiter verschärft werden. Hemmungslose Einschüchterung greift Platz.
Der SPD ist zu wünschen, dass sie energisch und mit starken Argumenten dagegenhält. Es muss klargestellt werden, dass die Unionsparteien die Corona-Krise dazu nutzen, aus dem Umfrage-tief herauszukommen und den Machtwechsel in Berlin mit allen Mitteln abzuwenden, indem sie die Politiker der SPD als Versager erscheinen lassen. Wehrt euch, Genossinnen und Genossen! Schmiedet an Bündnissen, die dafür sorgen, dass die CDU/CSU-Hegemonie sich nicht als "alternativlos" (Merkel) erweist. Dies wäre ein Hoffnungszeichen für die Post-Merkel-Epoche..

Sonntag, 4. April 2021 - 18:51 Uhr
In der Not frisst der "schwarze" Teufel "grüne" Fliegen. (Alte Volksweisheit)

An Thomas Strobl, Schwiegersohn Wolfgang Schäubles und CDU-Landesvorsitzender, ist der Kelch, dass seine Partei nach den Landtagswahlen wieder auf den Oppositionsbänken Platz nehmen muss, offenbar vorübergegangen. Am Ostersamstag ist zwischen den Grünen und den Schwarzen ein Papier vereinbart worden, in dem Strobl seinem Koalitionspartner Winfried Kretschmann weitgehende Zugeständnisse gemacht hat und das den Weg zu Koalitionsverhandlungen geebnet hat. Der Wahlsieger hofft, dass eine zweite Koalition mit der CDU "das Land voranbringt". (Eine kühne Prognose!) Noch ist das Papier nicht in Gänze bekannt. Durchgesickert ist bisher, dass Photovoltaikanlagen auf Hausdächern und 90 neue Windräder verabredet worden seien. Ob dies ausreicht, um den Klimawandel aufzuhalten und den Umweltschutz zu fördern, muss sich erst noch erweisen. Baden-württembergische Wirtschaftsverbände haben jedenfalls schon ihre Genugtuung über die Weichenstellung in Stuttgart kund-getan. SPD und FDP sind verständlicherweise enttäuscht, hatten sie sich doch Hoffnung auf eine Ampel gemacht, auf eine Regierungsbildung also nach Mainzer Muster. Das "Ampel-Gehampel"(Christian Baldauf) setzt sich nun im Südwesten der Republik nicht fort.
Die Vorgänge in Baden-Württemberg haben auch eine bundes-politische Dimension. Das schlechte Abschneiden bei den Landtagswahlen am 14. März hat den Unionsparteien einen gewaltigen Schrecken in die Glieder fahren lassen. Das Schreck-gespenst einer Ampelregierung in Berlin nahm plötzlich bedrohliche Konturen an. Das musste und muss abgewendet werden! Also setzen CDU/CSU-Politiker auf Schwarz-Grün auch im Bund. Sie verbreiten gern Weltuntergangsstimmung, wenn sie von der Teilhabe an der Macht ausgeschlossen sind bzw. werden. Die SPD hat bei alledem leider eine Blassrosafärbung angenommen. Um nicht vollends ins Abseits gedrängt zu werden, sollte sie sehr bald ein umfassendes aktuelles Programm präsentieren. Arbeits- und Themenfelder gibt es zur Genüge. Kurz vor Ostern veröffentlichte die Süddeutsche Zeitung einen Artikel zu den Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt (auch infolge der Corona-Krise), einem sozialdemokratischen Kernthema. Warum hält die SPD sich hier zurück und lässt sich von den Grünen den Schneid abkaufen? Letztere haben bereits ein Konzept zur Besteuerung hoher Vermögen vorgelegt. Auch hier hört man von der SPD wenig. CDU/CSU und FDP polemisieren gern pauschal gegen Steuererhöhungen. Diese verhinderten notwendige Investitionen. Dabei wird verschwiegen, welche Vermögenswerte höher besteuert werden sollen. Es geht um beträchtliche Privat-vermögen. Potenziellen SPD-Wählern unter den Arbeitnehmern leuchtet schlichtweg nicht ein, warum führende Manager sich nicht mit einem Jahreseinkommen von 2 bis 3 Millionen begnügen sollten. Große Konzerne nutzen beispielsweise die gesamte Infrastruktur, die mit Steuermitteln aus öffentlichen Haushalten finanziert wird. Joe Biden macht es vor. Er will die Unternehmenssteuern von 21 auf 28 Prozent erhöhen, um gewaltige Summen in den Ausbau und die Modernisierung der Infrastruktur investieren zu können.- Seid ein wenig mutiger, Genossinnen und Genossen! Georg Herwegh reimte im 19. Jahrhundert: "Mann der Arbeit, aufgewacht, und besinne dich auf deine Macht! Alle Räder stehen still, wenn dein starker Arm es will." Das klingt pathetisch, zugegeben, aber immerhin ...

Samstag, 3. April 2021 - 13:45 Uhr
Die Nacht- und Nebelaktionen der Kanzlerin

In der Nacht vom 22. auf den 23.3. wurde, damit die Beratungen der Kanzlerin mit den Ministerpräsidenten und -präsidentinnen doch noch zu einem achtbaren, vorzeigbaren Ergebnis führten, vom Kanzleramt der Vorschlag zusätzlicher "Ruhetage" zu Ostern präsentiert und letztlich akzeptiert. Dass am 24. März dann zum Rückzug geblasen werden musste, lag auch daran, dass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer erschöpft und nicht mehr gesonnen waren, die Rechtmäßigkeit und Praktikabilität des Beschlossenen zu prüfen. Frau Merkel ist dafür bekannt, dass sie Entscheidungsprozesse gern in die Länge zieht und darauf setzt, dass die Konferenzmitglieder schließlich doch einem Kompromiss zustimmen, selbst wenn das Morgengrauen naht. Am 23. März war dann die Blamage da. Die Kanzlerin übernahm tapfer die alleinige Verantwortung, was ihr sichtlich zusetzte. Am 28.3. nahm sich Anne Will dann eine Stunde Zeit, um Frau Merkel Gelegenheit zu geben, ihr Vorgehen und ihre Sicht der Dinge zu erläutern. Es war davon die Rede, man müsse, um die Eigen-willigkeit und das Ausscheren einzelner Bundesländer zu begrenzen, "das Infektionsschutzgesetz noch einmal anpacken". Es stellt sich die Frage, warum dies nicht schon längst geschehen ist. Bereits vor einem Jahr hat der Bundestag eine "epidemische Lage von nationaler Tragweite" festgestellt und damit die weit-gehende Einschränkung von Grundrechten ermöglicht. Die Kanzlerin ließ offen, ob schon alle Zuständigkeiten des Bundes ausgeschöpft sind. Und dies, obwohl der Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble ein Gutachten in Auftrag gegeben hat, in dem dargelegt wird, welche Möglichkeiten des "Durchregierens " das Grundgesetz und das Infektionsschutzgesetz bieten. Laut wird darüber nachgedacht, mehr Kompetenzen beim Bund zu konzentrieren. Auch Frau Merkel kann diesem Vorhaben einiges abgewinnen. Es mehren sich die Stimmen, die nach mehr Einheit-lichkeit im Kampf gegen die Pandemie rufen. Dies täuscht darüber hinweg, dass die Infektionslage sich in den Ländern und deren Regionen alles andere als einheitlich darstellt. Es macht durchaus Sinn, die erforderlichen Maßnahmen nach den örtlichen Gegeben-heiten auszurichten. Zentralismus kann hier hinderlich sein. - Gesetze zum Infektionsschutz können sowohl vom Bund als auch von den Ländern beschlossen werden ("konkurrierende Gesetz-gebung" . Dies ist Aufgabe der Legislative und ermächtigt die Exekutive zu entsprechendem Handeln. Dass diese Zuständig-keiten nicht immer säuberlich voneinander getrennt werden, ist auch darauf zurückzuführen, dass die Gewaltenteilung in unserer Verfassung nicht konsequent eingehalten ist (Wahl und Sturz des Kanzlers/der Kanzlerin durch den Bundestag). Jedenfalls können die Organe der Legislative den Entscheidungsprozess jederzeit wieder an sich ziehen und das Beschlossene korrigieren. Daher könnte der Bundestag das Infektionsschutzgesetz präzisieren, ergänzen oder neu ausgestalten. Der "Vollzug" des Gesetzes obliegt den Ländern und deren Institutionen. Wenn Bundes-gesetze in Rechte der Bundesländer eingreifen, muss dies von Verfassungsgerichten auf seine Rechtmäßigkeit hin geprüft werden. Im Konfliktfall gilt der Grundsatz "Bundesrecht bricht Landesrecht". Ob ein solches Procedere uns in der augenblick-lichen akuten Situation weiterhilft, ist zweifelhaft. Unter den aktuellen Umständen kommt es darauf an, sich nicht im Ungefähren zu ergehen und im Nebel herumzustochern, sondern sachgerecht, juristisch einwandfrei sowie auf Akzeptanz bedacht zu handeln. Es ist nicht hilfreich, raunend zu beschwören, uns mache "ein neues Virus", das auch noch "tödlicher" sei, zu schaffen und wir hätten es mit einer "neuen Pandemie" zu tun. Panikmache hat, bitte schön, zu unterbleiben. Es ist schon schlimm genug.

Freitag, 26. März 2021 - 18:52 Uhr
"Wir sind ein föderaler Staat" - im Schlingermodus

In den Nachmittagsstunden des 22.3. schalteten sich die Mitglieder der Ministerpräsidentenkonferenz wieder einmal mit der Kanzlerin zu einer virtuellen Beratung zusammen. Relativ schnell war sich die Runde darin einig, den Lockdown bis mindestens in die Mitte des Aprilmonats zu verlängern. Aber konnte man sich mit diesem eher mageren Ergebnis an die Öffentlichkeit wagen? Schließlich stieg die Zahl der Neuinfektionen. Etwas Einschneidenderes, Spektakuläreres musste her. Das Kanzleramt brachte nächtliche Ausgangssperren ins Gespräch. Kopfschütteln, Ratlosigkeit. Die Konferenz wurde unterbrochen. Nach Mitternacht öffnete sich im Kanzleramt eine Schublade, und hervor kam die Idee von zusätzlichen "Ruhetagen" zu Ostern. Übernächtigt gaben die Teilnehmer und Teilnehmerinnen ihr Plazet und beendeten die Konferenz. Die Kuh war vom Eis - so schien es wenigstens - und wurde am 23.3. publikumswirksam gefeiert. Doch in der Nacht und den Morgenstunden des 24.3. kündigte sich Unbill an. Die Kuh war ausgerutscht und mit zwei Hufen ein-gebrochen. Also zurück aufs Festland. Mit der Kehrtwende wandte sich Frau Merkel zuerst an die Pressekonferenz, anschließend fast wortgleich an den Bundestag, um diesen über die neue Lage zu informieren. Dieses Vorgehen zeugt wieder einmal von der Wert-schätzung der Kanzlerin für die Volksvertretung, die sie 2018 zum vierten Mal gewählt hat. Eindrucksvoll bat Frau Merkel "die Bürgerinnen und Bürger" für die entstandene Verunsicherung bzw. Verwirrung "um Verzeihung". Dies sei "einzig und allein" ihr Fehler. Dies war mutig und heischte Respekt, sollte wohl auch Schaden von ihrer Partei wenden. Anderntags waren dann aber andere Töne zu vernehmen. Frau Merkel nahm die Länderchefs und -chefinnen in die Pflicht und lud auf diese sowie die Kommunen einen Teil der Verantwortung ab: "Wir sind ein föderaler Staat." Ausdrücklich nannte sie die Stadt Tübingen als lobenswertes Experimentierfeld und ermunterte zur Nachahmung. Dies lässt die Wandlungsfähigkeit der Kanzlerin erkennen, galt ihr Amt doch zuvor eher als die Institution, der die Restriktionen nicht weit genug gingen und die in der Tradition Konrad Adenauers stand ("Keine Experimente!" . Frau Merkel hatte auch das ungute Wort von den "Lockerungsdiskussionsorgien" in die Welt gesetzt.
In der Bundestagsdebatte wurde erneut gefordert, die Parla-mente in die Beschlussfassung einzubeziehen. Doch um dies durchzusetzen, müsste der Bundestag die von ihm getroffene "Feststellung einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite" zurücknehmen und eine Neufassung beschließen (vgl. die Einträge vom 24.11.20 und 14.2.21). Mangelt es hier an Fakten-kenntnis oder schlichtweg an Mut?
Übrigens: Wie wäre es mit einem Preisausschreiben zur causa Karl Lauterbach? Gewinner sollte ein gewiefter Mechaniker sein, der ein Vorhängeschloss ersänne, das die Lippen dieses SPD-Politikers verschlösse und sich nur dann öffnen ließe, wenn Herr Lauterbach etwas zu sagen hätte, was sich nicht auf die Corona-Pandemie bezöge. Manchmal frage ich mich, warum er (Lauter-bach) nicht schon längst zum Regierungssprecher ernannt wurde.
Frau Merkel spricht gern vom "Licht am Ende des Tunnels". Ein solcher Lichtschein wäre freilich nur wahrzunehmen, wenn die Bundesrepublik sich für geraume Zeit von der CDU/CSU-Herr-schaft erholen könnte. Die aktuellen Umfragen lassen hoffen.

Mittwoch, 17. März 2021 - 17:50 Uhr
Die Entzauberung der Christen-Union - Droht der Herztod?

Das schlechte Ergebnis der CDU bei den Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz (14.3.21) ist der Christen-Union sichtlich in die Glieder gefahren. Markus Söder erkennt einen "Schlag in das Herz der Union" und wertet die Verluste der großen Schwester als "Weckruf" (SZ, 16.3.). Ist das so zu verstehen, dass die CDU wichtige Tendenzen und Entwicklungen verschlafen hat? War sie sich ihres Erfolges zu sicher? Das Schlimmste für sie wäre ein Machtverlust auf Bundesebene, und dieser scheint nach dem 14. März 2021 nicht mehr ausgeschlossen. Erleichterung und Frohlocken bei der SPD und ihrem Kanzlerkandidaten Olaf Scholz. Das Junktim zwischen CDU/CSU-Hegemonie und dem Wohlergehen der Bundesrepublik zeigt zumindest Haarrisse. Und das ist zu begrüßen. Das Monopol der Unionsparteien auf das Kanzleramt ist nicht mehr gesichert. Lange genug hat sie Wurzeln geschlagen, die Verknüpfung von Religiosität und dem Bekenntnis zu CDU/CSU. Auch Sozialdemo-kraten schließen ihren Amtseid mit der Formel "So wahr mir Gott helfe!". Auch ein Linker wie Bodo Ramelow versteht sich als gläubigen Christen. Christdemokraten und Christsoziale berufen sich gern auf ihre "Werte". Dass zu diesen auch das liebe Geld zählt, hat sich jüngst zur Genüge gezeigt. Die Filmwirtschaft hat, um staatlichen Eingriffen vorzubeugen, eine Freiwillige Selbst-kontrolle eingerichtet. Nach Vergleichbarem sucht man bei CDU/CSU vergeblich. Wenn nicht staatliche Institutionen wie Staatsanwaltschaft und Bundeskriminalamt tätig geworden wären, könnten die jetzt lauthals und mit einer gewissen Verlogenheit an den Pranger Gestellten (Georg Nüßlein, Nikolas Löbel u.a.) sich weiter ihrer Immunität erfreuen und sicher sein, in ihrer Fraktion wohlgelitten und in deren wohliger Nestwärme ungeschoren geborgen zu sein. Die Verquickung von Göttlichem und Monetärem haben übrigens nicht CDU und CSU erfunden. Sie hat eine lange abendländische Tradition. Bereits in der römischen Antike wurden auf dem Capitol neben dem Tempel der Juno moneta Münzen geschlagen. Daher die Redewendung "Moneten". Dass Jesus die Geldwechsler aus dem jüdischen Tempel vertrieben hat, ehrt ihn zwar, verpflichtet jedoch nicht alle Gläubigen zur Nachfolge (imitatio) Christi. -
Unverdrossen hält Olaf Scholz an der Gewissheit fest, Frau Merkel zu beerben und der nächste Bundeskanzler zu werden. Ich kann ihm nur wünschen, dass diese Hoffnung sich nicht als schillernde Seifenblase erweist und zerplatzt, bevor Nägel mit Köpfen gemacht sind. Besonnenheit und kühler Kopf können hier helfen. Vielleicht machen CDU und CSU erst in der nächsten Legislatur-periode schlapp. Herbert Wehner sprach gern vom "Genossen Trend". Und selbst für den Fall, dass die Unionsparteien einen Schwächeanfall erleiden und auf der Oppositionsbank Platz nehmen müssen, brauchen wir uns um ihr Überleben nicht ernstlich zu sorgen. Und auch die Bundesrepublik könnte die poli-tische Starre überwinden.

Samstag, 6. März 2021 - 17:51 Uhr
Doppelmoral - auf die Spitze getrieben

Nur Naiv-Blauäugige können sich darüber wundern, dass Abgeordnete von CDU und CSU dem Bazillus der Geldgier erlegen sind. Dass dieses Geschäftsgebaren nun auch noch bekannt geworden ist, und das ausgerechnet in einem Superwahljahr, bringt die Fraktionsvorsitzenden in arge Verlegenheit und weckt in ihnen das lebhafte Bedürfnis, Saubermannparolen in die Medienwelt hinauszusenden. Brinkhaus und Dobrindt tun ihr "vollkommenes Unverständnis" kund und setzen hinzu, das Fehlverhalten ihrer Fraktionsmitglieder werde "entschieden verurteilt". Transparenz und Aufklärung seien nun erforderlich. Ähnlich äußert sich der Generalsekretär Paul Ziemiak. Er "empfinde es als zutiefst unanständig, dass sich Parlamentarier mit der Maskenbeschaffung bereichert haben." Wenn man diese Empörung nur ernst nehmen könnte! Das jetzt zutage getretene Übel ist in den Unionsparteien nicht neu. Vor wenigen Jahren wurde in der ARD ein Beitrag ausgestrahlt mit dem Titel "Die schwarzen Kassen des Helmut Kohl". Es ist nur ein Beispiel von vielen und nicht auf die Unionsparteien beschränkt. Auch Björn Engholm wusste Geld als Mittel der Politik zu schätzen, um seinen Triumph über Uwe Barschel abzusichern. In diesem Fall aktive Bestechung.
Es gibt halt Bundestagsabgeordnete mit einem ganz eigenen Ver-ständnis von direkter Demokratie. Unternehmer aus ihrem Wahlkreis wenden sich mit ihren Wünschen direkt an ihren Abgeordneten und können sicher sein, dass dieser ihre Anliegen wiederum direkt an die zuständigen Ministerien weiterleitet. Nebenher, aber auch sehr direkt fließen Provisionen in die weit geöffneten Taschen. Ein Beitrag zur "direkten Demokratie", auch wenn dieser Begriff ganz anderes meint. Und ein Grund dafür, dass sich insbesondere CSU-Abgeordnete vehement gegen jede Wahlkreisreform wehren.
Noch ein paar Worte zur Doppelmoral: Die Rüffel seitens der Fraktionsführung und des Generalsekretärs können wohl nur so verstanden werden: Wenn ihr schon in Ausübung eures Direkt-mandats Geld für den Eigenbedarf abzweigt, dann stellt hundert-prozentig sicher, dass dies nicht an die Öffentlichkeit gelangt. Ist dies garantiert, können wir mit einem Augenzwinkern darüber hinwegsehen - dient es doch der erfolgreichen Parteiarbeit. Wird euer Wirken jedoch publik, müssen wir uns von euch distanzieren, euch verdammen und fallen lassen. Ihr könnt froh sein, wenn ihr nur eure Parteiämter verliert bzw. ruhen lasst, ansonsten aber ungeschoren bleibt und euer Bundestagsmandat behaltet.
Zählen CDU und CSU bei dieser Doppelmoral darauf, dass sie auch vom Wahlvolk goutiert wird? "Wir wissen schon, wie der Laden läuft. Aber wenigstens der Schein muss gewahrt werden."

Donnerstag, 4. März 2021 - 16:42 Uhr
Muffensausen bei der Christen-Union

Nach dem überwiegend virtuellen Parteitag der LINKEN (26./27.2.) diagnostizierte der Vorsitzende des CDU-Landesverbands Thüringen in der neuen weiblichen Doppelspitze eine "toxische Mischung", die nicht in das "Herz der Gesellschaft" vordringen dürfe. Sonst droht der Bundesrepublik, so die Überzeugung dieses Christdemokraten, der Tod durch Vergiftung. Den Hintergrund dieser Sorge bildet die Befürchtung, die SPD strebe eine Koalition mit den Grünen und der LINKEN an: eine schreckliche Vorstellung für Christdemokraten und Christsoziale. (Der SPD ist ja alles zuzutrauen.) Hier kommt ein altes Axiom zum Tragen, das die CDU-Vorherrschaft mit dem Wohl der Republik gleichsetzt. Alles andere führe unweigerlich ins Verderben. Demgemäß versuchten CDU und CSU 1972, den Bundeskanzler Willy Brandt zu stürzen. Ziemlich alt sah Rainer Barzel aus, als sich herausstellte, dass ihm für das konstruktive Misstrauensvotum zwei Stimmen aus der Union fehlten und Willy Brandt Kanzler blieb. Aber CDU und CSU, die ab 1976 wieder die stärkste Fraktion bildeten, ließen nicht locker in ihrem Bemühen, dem gottlosen Treiben der sozialliberalen Koalition ein Ende zu bereiten. 1982 war es dann so weit. Die FDP, vom Ballast der Freiburger Thesen (1971) befreit und mit den Kieler Thesen (1977) verstärkt auf den Wirtschaftsliberalismus setzend, verhalfen Helmut Kohl zur Kanzlerschaft. Die CDU/CSU-Fraktion zog sich in ihren Sitzungssaal zurück und versammelte sich zu einem Dankgebet. Die Republik erfuhr fortan die Beglückung durch eine "geistig-moralische Wende" (Kohl).
Dass Susanne Hennig-Wellsow nach ihrer Wahl (27.2.21) für eine Regierungsbeteiligung der LINKEN auf Bundesebene warb, ließ aufhorchen und befeuerte die Ängste der Union vor Rot-Rot-Grün. Schließlich sinken nicht nur Corona-bedingt die Umfragewerte der Union, was sich auch an zwei Regierungsmitgliedern festmachen lässt: Annegret Kramp-Karrenbauer (KSK-Debakel sowie die müh-same Beschaffung eines neuen Sturmgewehrs) und Jens Spahn (mangelhafte Vorbereitung von Impfen und Testen). Hinzu kommt Armin Laschet, der neue CDU-Vorsitzende, der nicht in allem mit der Kanzlerin übereinstimmt. Sogar das den Unionsparteien ge-wogene bzw. ergebene ZDF wird nervös und fordert bei Laschet Führungsstärke ein. In der Sendung "Berlin.direkt" brachte Shakuntala Banerjee den NRW-Ministerpräsidenten sichtbar ins Schwitzen (28.2.21).
Um die geistige Führung der Bundesbevölkerung nicht "linken" Kräften zu überlassen, strebt die Miittelstandsvereinigung innerhalb der CDU die Zusammenlegung von ARD und ZDF an. Die Vermutung liegt nahe, dass es dabei nicht in erster Linie um Kostenersparnis geht. Ziel ist eher die Schaffung einer deutschen Einheitssendeanstalt mit CDU/CSU-freundlicher Programm-gestaltung, vielleicht im Stile Gerhard Löwenthals. Informative, im besten Sinne kritische Beiträge, ohnehin erst zu später Stunde ausgestrahlt, könnten dann noch weiter an den Rand gedrängt werden und der Berieselung mit Krimis weichen. Ablenkung statt Aufklärung! Eine solche Entwicklung ist noch weitaus eher in der Lage, schlaflose Nächte zu bereiten, als ein möglicher Machtverlust von CDU/CSU.

Samstag, 27. Februar 2021 - 17:36 Uhr
Volksverdummung im Gewande von Aufklärung

Der europäischen Aufklärung haben wir viel zu verdanken. Um nur einiges zu nennen: Die Wissenschaften lebten auf. Das geozentrische Weltbild musste aufgegeben werden. Die Vernunft behauptete ihr Recht, die Philosophie emanzipierte sich von der Theologie. Die Lehre von der Offenbarungsreligion wurde in Zweifel gezogen. Die Trennung von Kirche und Staat setzte sich allmählich durch. Herrschaft musste neu begründet werden, also nicht mehr theologisch. Um diesen Tendenzen der Neuzeit entgegenzuwirken (Gegenreformation) und den rechten Glauben auch in der Neuen Welt zu verbreiten, richtete der Heilige Stuhl eine päpstliche Behörde ein, die "Sacra congregatio de propaganda fide". Noch im 17. Jahrhdt. löste sich das Wort "propaganda" aus diesem Kontext, behielt aber seine religiöse Bedeutung. Dies änderte sich zur Zeit der Französischen Revolution. !790 gründeten die Jakobiner den "Club de la propagande", um revolutionäre Ideen unters Volk zu bringen. Der Aufklärer Rousseau prägte wesentlich den politischen, also weltlichen Begriff der "volonte generale", die Vorstellung von einem Gemeinwillen. Aber diesen wollten Politiker nicht sich selbst überlassen. Er sollte in die rechte, opportune Form geknetet werden und wissen, was er zu wollen hat. Öffentlichkeitsarbeit war gefragt und schuf sich Instrumente. Die politische Propaganda war geboren. Der deutsche Kaiser Wilhelm II. verstand sich meisterhaft hierauf. Er hielt allenthalben und häufig Reden; als ein Beispiel sei die Thronrede zum Auftakt des Ersten Weltkriegs genannt (August 1914). - Der Nationalsozialismus verlieh der Propaganda eine überhöhte Bedeutung, eine neue Qualität. Joseph Goebbels schuf 1933 eine neue Behörde, der er als "Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda" vorstand. Kein Lebensbereich wurde dabei ausgelassen. Mit dem Untergang des Dritten Reiches verlor die politische Propaganda jedoch weder Zugkraft noch Attraktivität. Die Sowjetunion und die DDR bedienten sich der Propaganda ("agitprop" , doch auch auf der Gegenseite blühte das Geschäft. Es war die Zeit des Kalten Krieges, und unermüdlich wurde an Feindbildern gezimmert. Konrad Adenauer verdächtigte die SPD, Helfershelfer Moskaus zu sein. Sein Verteidigungsminister Franz Josef Strauß richtete 1958 ein "Referat für psychologische Kampfführung" ein, in dem auch der Jurist Eberhard Taubert Verwendung fand. Dieser alte Nazi (Pseudonym: "Dr. Erwin Kohl" hatte sich schon als langjähriger Funktionär in Goebbels´ Propagandaministerium bewährt. Ob er auch Kontakte zu seinem Fachkollegen Hans Globke unterhielt, ist nicht bekannt. - Kaum ein Spitzenpolitiker verzichtet auf Methoden der Propaganda. Auch wenn Frau Merkel behauptet, ihre Politik sei "alternativlos", ist dies reine Propaganda; es schließt den demokratischen Diskurs aus und kann bei aufgeklärten Geistern nur Schreikrämpfe hervorrufen. Es wäre schlimm um uns bestellt, wenn es zu ihrer Politik keine Alternative gäbe.
Propaganda ist auch die emsige Pflege der "roten Gefahr". Es wird keine Gelegenheit ausgelassen, Russland an den Pranger zu stellen. Und so ist den Unionschristen sowie deren Gleichgesinn-ten nur zu wünschen, dass Alexej Nawalny noch lange in russischen Gefängnissen ausharren muss - damit ihnen nicht der Zündstoff ausgeht. - Wenn am 19.2.21 zur Münchener Sicher-heitskonferenz der neue amerikanische Präsident zugeschaltet wurde, sich ausdrücklich zur NATO bekannte und die Nennung von Zahlen zum NATO-Haushalt aussparte, konnte er (Joe Biden) sicher sein, dass alsbald bundesrepublikanische Politiker diese Lücke füllen würden. Und so sicherte die Kanzlerin geflissentlich zu, dass Deutschland das 2 %- Ziel selbstverständlich und schon in naher Zukunft erfüllen werde. Was wurde eigentlich 2014 in Wales vereinbart? Dies muss endlich bis ins kleinste Detail offen-gelegt werden. Wer sich einer solchen Aufklärung in den Weg stellt, huldigt der Desinformation und setzt sich dem Verdacht aus, Volksverdummung betreiben zu wollen. Kalte Krieger bauen offenbar darauf, dass die deutsche Bevölkerung die Botschaft schon schlucken werde, wenn man ihr in Form einer Endlos-beschallung suggeriert, die Bundesrepublik müsse für die Sicherheit ihrer Bürger und Bürgerinnen erheblich mehr als bisher ausgeben. Die Phantasie, dass den übereifrigen NATO-Apologeten ihre Parolen nachhaltig um die Ohren fliegen möchten, entbehrt nicht des Reizes. Wohl bekomm´s!

Sonntag, 14. Februar 2021 - 19:00 Uhr
Wochenendfreuden

Kaum ist eine Sitzungswoche des Deutschen Bundestages mit Plenarsitzungen in kleiner Besetzung (Was treiben eigentlich die nicht nur wegen Corona abwesenden MdBs?) zu Ende gegangen, rauscht es im deutschen Blätterwald. Offenbar sind Übertragungen aus dem Hohen Haus nicht mehr das probate Podium, um Eindruck auf Wähler und Wählerinnen zu machen. Das meiste wird ohnehin hinter verschlossenen Türen verhandelt, die sich gleichwohl gern öffnen, um Lobbyisten Zutritt und Gehör zu verschaffen. Es wird Wert auf Vertraulichkeit gelegt, nicht alles ist eben für die Ohren der Öffentlichkeit bestimmt. Transparenz könnte Wachsamkeit und kritische Blicke in die Karten zur Folge haben.
Besonderer Beliebtheit erfreuen sich sonntägliche "Herzens-ergießungen" via "Bild am Sonntag", "Welt am Sonntag", also Papierenes aus dem Hause Springer, oder die Funke-Medien-Gruppe und das Redaktionsnetzwerk Deutschland. So gewähren Spitzenpolitiker jeglicher Couleur Einblicke in ihre Gedankenwelt, ihr Innerstes. Einem erlesenen Publikum wird nahe gebracht, was den Bundestag nicht zu interessieren hat. Der Sonntag soll es schließlich in sich haben. Die Zahl der Kirchgänger schwindet von Jahr zu Jahr. Im Gegenzug wächst die Zahl derjenigen, die es verschmähen, sich des Sonntags abkanzeln zu lassen. Dadurch entstehen Hohlräume, die genutzt werden wollen. Heiko Maas zum Beispiel setzt sich dafür ein, gegen Corona Geimpften den Zugang zu ihren Grundrechten einzuräumen. Peter Altmaier erwägt, Staatsbeteiligungen an Unternehmen zu verhökern, um das Loch in den öffentlichen Kassen zu füllen. Steuererhöhungen lehnt er natürlich ab, auch wenn im vergangenen Corona-Jahr die Zahl der Einkommensmillionäre beträchtlich gestiegen ist, nicht zuletzt durch die Milliardenschulden, die der Staat zur Förderung der Wirtschaft aufgenommen hat. Peter Altmaier steht mit seiner Interviewfreudigkeit nicht allein da. Auch andere, die glauben, etwas zu sagen zu haben, wenden sich der Presse zu. Und das an allen Verfassungsorganen vorbei. Was geht es auch den Bundestag an, ob Geimpfte Nichtgeimpften vorgezogen werden können?
Oppositionsabgeordneten ist es zu lieben Gewohnheit geworden, sich darüber zu beschweren, dass der Bundestag sowie die Länderparlamente nicht in die Beratung und Verkündung neuer Einschränkungen der Grundrechte einbezogen, sondern erst nachträglich informiert werden. Diese Praxis soll nun durch einen Gesetzentwurf der Großen Koalition ausgeweitet werden: Regierungserklärungen der Kanzlerin und Parlamentsdebatten nur noch im Vierteljahresrhythmus. Frau Merkel zeigt sich ohnehin genervt von den Veranstaltungen im Bundestag. Sobald sie sich einige Debattenbeiträge angehört hat, kehrt sie, ihre Handtasche schwenkend, dem ganzen Spektakel den Rücken. Sie hat Wichtigeres zu tun. Abhilfe könnte nur geschaffen werden, wenn eine Mehrheit im Deutschen Bundestag die "Feststellung einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite" widerriefe und das Infektionsschutzgesetz so gründlich novellierte, dass die oben genannte Feststellung nicht automatisch dazu führt, das Gesetz des Handelns der Exekutive vorzubehalten.
Solange der Bundestag seiner Selbstentmachtung zustimmt und zulässt, dass Bundestagssitzungen zu reinen Show-Veranstaltun-gen verkommen, steht es schlecht um die parlamentarische Demokratie. Der finanzielle Aufwand für deren Institutionen muss gerechtfertigt erscheinen. Sonst nimmt Politikverdrossenheit unweigerlich zu.

Montag, 8. Februar 2021 - 18:45 Uhr
Wenn SPD-Genossen ihre Partei auf Irrwegen vermuten

Gemeint sind die Herren Bartels und Lübkemeier. Ihnen bereitet es große Sorge, dass die SPD-Bundestagsfraktion die Entscheidung über Beschaffung und Einsatz bewaffneter Drohnen vertagt hat. Um die SPD auf den rechten Weg zurückzuführen, wählen die beiden nicht die Auseinandersetzung in den Parteigremien, sondern den Weg in die Printmedien. Dabei fällt die Wahl auch auf den "Tagesspiegel". In einem "Gastbeitrag" (5.2.21) stellen sie bei der SPD einen Mangel an "ernsthafter Sicherheitspolitik" fest. Für dieses Defizit wird hauptsächlich der Fraktionsvorsitzende Rolf Mützenich verantwortlich gemacht. Er gilt als Pazifist, der mit entschlossener Wehrhaftigkeit seine Probleme habe. Zwar gebe es in der SPD, die sich "immer als Friedenspartei verstanden" habe, für Pazifisten durchaus Platz, "aber sie (die SPD) war nie eine pazifistische Partei." Bartels und Lübkemeier beschwören die bedrohliche weltpolitische Lage: "... die Welt wird uns nicht in Ruhe lassen." Wieder einmal muss Russland herhalten als Gefahrenquelle: "Putin-Russland bleibt ein aggressiver Nachbar." die "Krim-Annexion" zeige dies. Kein Wort darüber, dass Nikita Chruschtschow ziemlich willkürlich handelte und sich wenig ums Völkerrecht scherte, als er die Krim der Ukraine zuschlug. Kein Wort über die Auflösung des Ostblocks und den damit verbundenen Machtverlust Russlands. Kein Wort über die Osterweiterung der NATO (die natürlich nicht als Akt der Aggression zu verstehen war). Kein Wort über die Geschichte der Krim und die Bedeutung dieser Halbinsel für Russland. Kein Wort auch darüber, dass der NATO-Beschluss von 2014 (2%-Ziel) ein Zugeständnis an die neuen Mitglieder in Osteuropa und auf dem Balkan war. Die Entschlossenheit Russlands, vehement auf alle Aktionen der westlichen Welt zu reagieren, die darauf zielen, die verbliebene russische Einflusssphäre zu paralysieren (als Instrument hierfür diente und dient der Giftanschlag auf Alexej Nawalny), hat in der Geschichte ihre Vorläufer. Um mit den USA, die seit 1959 auf einem NATO-Stützpunkt in der Türkei amerikanische Mittelstreckenraketen in Stellung gebracht hatten, machtpolitisch gleichzuziehen, schickte die UdSSR sich 1962 an, auf Kuba russische Mittelstreckenraketen zu stationieren. Washington verhängte hierauf eine Seeblockade in der Karibik und stellte den Russen ein Ultimatum, die Frachter mit den Raketen beidrehen zu lassen. Die Welt stand am Rande eines Atomkriegs. Um diesen abzuwenden, gab nicht nur Russland nach. Auch die USA sicherten zu, Kuba nicht erneut zu attackieren und ihre Mittelstreckenraketen aus der Türkei abzuziehen. Dies blieb allerdings auf amerikanischen Druck hin geheim - zwecks Gesichtswahrung für die USA und zum Zeichen dessen, dass die Vereinigten Staaten sich durchgesetzt hätten.
Hochtrabend kommen sie daher, die Genossen Bartels und Lübkemeier. Sie sind davon überzeugt, ihrer Partei einen Dienst zu erweisen, wenn sie die SPD davor warnen, sicherheitspolitische Zurückhaltung walten und die Finger von der Kampfdrohne zu lassen. Genau besehen geht es auch nicht so sehr um die Gefahr, die von Russland ausgeht. Diese angebliche Bedrohung dient als Katalysator für größere Vorhaben, nämlich dafür, "globaler Mit-spieler" zu werden und zu bleiben. Darin sind die beiden Genossen eines Sinnes mit Annegret Kramp-Karrenbauer, die ebenfalls fordert, Deutschland müsse "Weltpolitikfähigkeit" beweisen. Den Verteidigungsministern/ministerinnen von CDU und CSU halten Bartels und Lübkemeier allerdings vor, "den NATO-Verpflichtungen nicht nachgekommen" zu sein. Aufgabe der SPD sei es, dies wettzumachen und die Unionsparteien verteidi-gungspolitisch zu übertreffen. Nur so sei man regierungsfähig, und die SPD wolle doch sicherlich regieren. Fazit: "Die SPD ist kein Debattierclub" und müsse dafür Sorge tragen, die NATO-Ziele noch zügiger und "substantieller" zu erreichen. Sie dürfe sich nicht "wegducken".
Dass die Genossen Bartels und Lübkemeier sich gerade jetzt zu Worte melden, ist gewiss kein Zufall. Offenbar wollen sie die SPD-Bundestagsfraktion dazu drängen, ihren Widerstand gegen die Kampfdrohnen noch in dieser Legislaturperiode aufzugeben. Getragen wird die hierauf angelegte Gedankenführung von ausgewogener Wortwahl, dem Anspruch auf Seriosität und dem Bemühen, auch Gegenmeinungen gelten zu lassen. Nur sollten deren Verfechter so konsequent sein, die NATO zur Disposition zu stellen und das Vertrauen, die Sicherheit Deutschlands sei bei der SPD in den besten Händen, aufs Spiel zu setzen.
Alle Versuche, die SPD als eine Partei hinzustellen, in der Duck-mäuser die Oberhand zu gewinnen drohen und auf eine militärische Schwächung der Bundesrepublik hinarbeiteten, sollten als das entlarvt werden, was sie sind, nämlich tendenzielle Wählerverdummung. Hoffentlich lässt die SPD sich auf diese Spielchen nicht ein. Erst recht, wenn sie von namhaften Partei-mitgliedern ausgehen, haben sie das Zeug dazu, die SPD einer Zerreißprobe auszusetzen.

Samstag, 30. Januar 2021 - 18:16 Uhr
Zwischen Biden-Euphorie und Putin-Schelte

Groß war die Erleichterung, als sich der Sieg Joe Bidens über Donald Trump abzeichnete. Und jüngste Entscheidungen des neuen amerikanischen Präsidenten beflügeln die Hoffnungen auf einen grundlegenden Politikwechsel: Rückkehr zum Pariser Klima-abkommen und zur Mitarbeit in der WHO, Verlängerung eines amerikanisch-russischen Rüstungskontrollvertrages etc. Morgenluft wittern allerdings auch Kalte Krieger. Sie überbieten sich darin, um die Gunst der USA zu buhlen und die Bereitschaft Deutschlands zu signalisieren, amerikanischen Interessen gebührend Rechnung zu tragen, zum Beispiel durch den Import von Frackinggas. Den Nachrichten über den Giftanschlag auf den Putin-Kritiker Alexej Nawalny und über dessen Verhaftung bei seiner Rückkehr nach Moskau folgten prompt und so, als habe man nur auf einen geeigneten Anlass gewartet, Forderungen, Russland stärker zu sanktionieren und die Arbeiten an Nord Stream 2 zu beenden. Es geht schon gar nicht mehr darum, anhand von Fakten zu prüfen, ob Deutschland und Westeuropa russisches Erdgas benötigen oder nicht. Die sachbezogene energiepolitische Debatte wird überlagert von geostrategischen Erwägungen und Wahlkampftaktik. Spitzenpolitiker der Grünen betonen zwar ihre Unabhängigkeit, biedern sich jedoch zugleich den Unionsparteien an und fordern ihrerseits die Abkehr von Nord Stream 2. Lieber ist es ihnen offensichtlich, wenn statt russischen Erdgases Frackinggas aus den USA verfeuert wird.
Joe Bidens Wahlsieg wurde auch begleitet von Ermahnungen, die Bundesrepublik müsse mehr für ihre Sicherheit aufwenden und möglichst schnell das 2%-Ziel erreichen. Dass solche Rufe Musik in den Ohren der Rüstungsindustrie sind, versteht sich von selbst. Solange aber nicht detailliert, transparent und stringent nach-gewiesen ist, wofür die erhöhten Verteidigungsausgaben verwendet werden sollen, solange also mit irrlichternden Zahlen operiert wird, entbehren rüstungspolitische Entscheidungen jeglicher Grundlage. Offen gesagt: Die Pflege der deutsch-russischen Beziehungen liegt bei Heiko Maas nicht in den besten Händen. Seine Einlassungen lassen Einfallsreichtum vermissen und wirken wie Aufgüsse von Statements der Kanzlerin. Hilfreich könnte ein Blick in die Geschichte sein, zum Beispiel auf die außenpolitischen Grundsätze Gustav Stresemanns (Verträge von Locarno, Berliner Vertrag). Gegen Russland Front zu machen und es in die Kooperation mit anderen Mächten zu drängen, kann nicht im Interesse der Bundesrepublik liegen. Sind bereits alle Möglichkeiten zur deutsch-russischen Verständigung ausgeschöpft? Geben Europarat und KSZE gar nichts mehr her?

Samstag, 23. Januar 2021 - 18:21 Uhr
Alldeutsches Geraune

Welche Fee küsst den schlafenden Prinzen wach? Schon zu lange macht er es sich auf der faulen Haut bequem. "Raus aus der Komfortzone!" heißt die Devise. Schluss damit, sich vor dem amerikanischen Präsidenten (Trump) wegzuducken! Schließlich ist ein neuer im Amt, der es sich zur Aufgabe macht, die Demokratie zu verteidigen. Im Innern wie nach außen hin sei die nämlich in Gefahr. Auch in Deutschland seien Kräfte am Werk, die unsere Demokratie zersetzen wollen. Nicht nur in den USA hätten Feinde der Demokratie deren Institutionen angegriffen. Auch in Berlin seien Demonstranten auf die Treppen des Reichstagsgebäudes vorgedrungen. Der Platz der Bundesrepublik sei folglich an der Seite Joe Bidens. Ein "neues Kapitel" in den deutsch-amerika-nischen Beziehungen sei aufgeschlagen. Warum zögere die Bundesrepublik, ihr volles Gewicht als "Großmacht" geltend zu machen? Bereits vor Jahren diagnostizierte DEER SPIEGEL, Deutschland sei eine "Großmacht wider willen" und solle sich trauen, den Platz "an der Seitenlinie" zu verlassen, mehr welt-politische Verantwortung übernehmen: "Germans to the front!" - Es geht überhaupt nicht darum, die Bundesrepublik kleinzureden und davon abzuhalten, sich ihrer Feinde zu erwehren (GG Art. 18, 20). Wachsamkeit ist hier angesagt - und ein gesundes Selbst-bewusstsein. Nichts ist dagegen einzuwenden, dass Deutschland sich mit anderen Staaten zusammentut, wenn es die Demokratie zu bewahren gilt. Problematisch ist jedoch, dies als "Kreuzzug" zu verstehen und dafür zu nutzen, die Aufrüstung voranzutreiben (vgl. die Einträge vom 11.11., 19.11. und 4.12.20). Vielmehr muss es heißen: "Entrüstet euch!" Die Süddeutsche Zeitung plädiert dafür, auf das eine oder andere einträgliche Geschäft (in China) zu verzichten, wenn dies der Verbesserung der deutsch-amerikanischen Beziehungen dient. Doch muss dies bedeuten, dass die deutsche Wirtschaft ihre Interessen in China zurückfährt und statt dessen auf Rüstungsgeschäfte mit den USA setzt? (Bedauerlicherweise hat Deutschland sich wirtschaftlich viel zu abhängig von der Volksrepublik gemacht.)
Annegret Kramp-Karrenbauer fordert, die Bundesrepublik müsse "weltpolitikfähig" werden. Dringend abzuraten ist indessen davon, dass Deutschland sich überhebt und näher liegende Aufgaben im Inneren und in Europa vernachlässigt. Außenpolitik darf nicht militarisiert werden, Deutschland muss der Versuchung wider-stehen, sich in weltpolitische Händel verwickeln zu lassen. Hier sind Augenmaß und Selbstbescheidung gefragt. Hilfreich wäre, wenn diejenigen aus der Deckung kröchen, die anderes beabsichtigen; sie sollten ihre Intentionen präzisieren. Noch sind die Formulierungen vage, diffus, sollen gleichwohl Stimmung machen, den Boden bereiten für eine Neuorientierung deutscher Außenpolitik. Russland hat offenbar seinen Reiz als Feindbild weit-gehend eingebüßt. Der Blick soll geweitet werden, ausufern.

Donnerstag, 21. Januar 2021 - 17:36 Uhr
Die SPD auf dem Wege in die kollektive Selbstzerfleischung

Es ist nicht zu fassen. Wieder einmal nutzt ein namhafter SPD-Politiker "Bild am Sonntag" als Bühne für einen abstrusen Auftritt. Heiko Maas meint, Geimpfte sollten ihre aufgrund des Infektions-schutzgesetzes eingeschränkten "Grundrechte wieder ausüben dürfen". Einschränkend fügte er hinzu, dass zuvor festgestellt sein müsse, dass Geimpfte das Virus nicht mehr übertragen können. Dass solche Nuancen in der allgemeinen Aufregung und hektischen Meinungsmache nicht bemerkt würden, hätte Maas voraussehen sollen. Doch auch in dieser relativierten Form enthält der Vorstoß Zündstoff genug. Weiß Heiko Maas nicht, wo derartige Vorschläge zur Sprache gebracht und diskutiert werden müssen, bevor sie in die Öffentlichkeit hinausposaunt werden? Warum wird dies nicht in Bundeskabinett und Bundestag sowie in den Parteigremien vorgebracht und erörtert? Prompt erfolgten ablehnende Reaktionen wie die von Christine Lambrecht. Sie bekräftigte als Spitzengenossin und Justizministerin ihre Position, dass Geimpfte Nichtgeimpften nicht vorgezogen werden dürften. Geht es vielen prominenten Politikern nur noch darum, von sich reden zu machen - ohne Rücksicht auf Verluste? (Siehe auch den Eintrag vom 24.11.20) Ist das Ansehen der SPD noch nicht genügend ramponiert? Sind die Umfragewerte noch nicht ruinös genug? Doch abgesehen von dem Schaden für die Partei - auch der demokratische Grundkonsens bleibt auf der Strecke, wenn noch nicht Geimpfte als Bürger/Bürgerinnen minderen Rechts gelten. - Etwa zeitgleich distanziert Heiko Maas sich von dem Vorhaben der Genossin Manuela Schwesig, eine noch zu gründende Stiftung damit zu beauftragen, den Bau der Pipeline Nordstream 2 zu Ende zu bringen. Was wird eigentlich aus diesem kostspieligen Projekt? Die USA sind strikt dagegen, und zwar wegen eigener wirtschaftlicher Interessen. Soll ein Kompromiss etwa so aussehen, dass Nordstream 2 zwar zu Ende gebaut wird, aber kein russisches Gas durch die Rohre fließen soll? Mutet die Bundesregierung den Bürgern und Bürgerinnen allen Ernstes zu, ein derartiges Milliardengrab für akzeptabel zu halten?
Zu dem Gesamtbild, das die SPD derzeit abgibt, passt auch der Machtkampf im Landesverband NRW. Hier beansprucht der Vorsitzende der Landtagsfraktion auch den Landesvorsitz für sich. Offenbar will er es Andrea Nahles gleichtun, die auf Bundesebene eine ähnliche Machtfülle besaß und dabei wenig Fortune zeigte.
Bisher nahm ich an, dass Sozialdemokraten darauf bedacht wären, den Eigennutz nicht über das Wohl der Partei zu stellen. Lateinisch socius heißt (Bundes-)Genosse. Entsprechend lautet auch die Anrede unter Sozialdemokraten. Zwischen den Genossen Friedrich Ebert und Philipp Scheidemann kam es zu einem heftigen Streit, nachdem Scheidemann ohne Rücksprache mit Ebert und ohne dessen Einverständnis die Republik ausgerufen hatte. Letzterer ließ sich dennoch zum ersten Reichspräsidenten wählen und übte dieses Amt als "Ersatzkaiser" bis zu seinem frühen Tod aus, ohne sich durch die heftigen Krisen der jungen Weimarer Republik entmutigen zu lassen. - Um den richtigen Weg darf gern gestritten werden. Aber bitte nicht so, dass von der SPD kaum noch etwas übrig bleibt. Es drängt sich der Eindruck auf, dass die Kampfhähne in NRW gar nicht mehr darlegen können, wofür sie sich ins Zeug legen. Von Inhalten, von Programmatik ist schlichtweg nichts zu hören. Dabei steht Nordrheinwestfalen vor einer Fülle von Problemen - als Industriestandort und als Bundesland mit enormen sozialen Verwerfungen und einer hohen Kriminalitätsrate (Beispiel: Duisburg-Marxloh). Dass diese Probleme ungelöst blieben, war der Hauptgrund für den Machtwechsel in Düsseldorf (2017).
Horst Eberhard Richter schrieb ein Buch mit dem Titel "Lernziel Solidarität". Es sei allen Sozialdemokraten im Superwahljahr 2021 ans Herz gelegt.

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