Politik
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Samstag, 2. Oktober 2021 - 17:59 Uhr
"Im Zweifel links" (Jakob Augstein - DER SPIEGEL)
Allein dem Umstand, dass drei linke Politiker Direktmandate gewonnen haben, ist es zuzuschreiben, dass DE LINKE überhaupt noch im, Bundestag vertreten ist. Was für ein Trauerspiel - in vielen Akten. Aber diese Partei hat es nicht anders verdient. So hat sie sich mehr um "sichere Fluchtwege" für Flüchtlinge gekümmert als jum die Belange derer, die ihre Stammwählerschaft bildeten. Bei Landtagswahlen hat sich das bitter gerächt, vor allem in den östlichen Bundesländern. Mit der gleichen Verbissenheit und Humorlosigkeit, mit der sie in der Bundestagsfraktion Sahra Wagenknecht das Leben schwergemacht haben, mit der gleichen Eifersucht und Verbohrtheit, mit der sie diese Genossin fertigzumachen versuchten, indem sie aus deren Buch "Die Selbstgerechten" noch vor dessen Erscheinen folgerten, Sahra verhalte sich parteischädigend und müsse ausgeschlossen werden, arbeiten die Genossinnen und Genossen sich zur Zeit an der NATO ab und vertiefen die Gräben zwischen SPD und ihrer Partei, obwohl beide auf die gleichen Wurzeln zurückgehen.
Sicherlich: DIE LINKE sieht sich zahlreichen Anfeindungen ausgesetzt, vor allem seitens der Christenunion und der FDP. Diesem Ansturm begegnet man am besten mit intellektueller Souveränität sowie einer gewissen Gelassenheit. Leicht ist dies nicht, aber erfolgversprechend. Die Gegner auflassen lassen, sie mit ihrer ganzen intellektuellen und rhetorischen Dürftigkeit bloßzustellen kann hilfreich sein. Wenn Dietmar Bartsch die Wahlrechtsreform als "reine Wählerverarsche" bezeichnete, traf er den richtigen Ton und den Nagel auf den Kopf. Bodo Ramelow beim Regieren über die Schultern zu schauen kann auch nicht schaden.
Ich hege durchaus Sympathien mit dieser Partei und sehe Gemeinsamkeiten mit der SPD, nicht zuletzt in der Sozialpolitik. Wünschenswert wäre, dass DIE LINKE sich vornähme, aus den eigenen Fehlern zu lernen und nicht als Bürgerschreck zu erscheinen. Dass Rüstungsexporte in Krisengebiete verhindert werden müssen, ist konsensfähig. Es ist schon ungeheuerlich, dass im Jemen Patronenhülsen aus deutscher Produktion zu finden sind. Rheinmetall steht an der Börse hoch im Kurs, zieht viele Anleger an, verkörpert gleichwohl nicht das, worauf die Deutschen stolz sein können. Waffen wollen wohl eingesetzt werden, bevor sie verrosten. Kriegsgerät zu horten ist keine Garantie für Sicherheit und Frieden.
"Die Waffen nieder!" forderte Bertha von Suttner im Jahre 1889. Viel schlauer ist die Welt seither nicht geworden.
Mittwoch, 29. September 2021 - 18:52 Uhr
Es reicht, Herr Bundespräsident!
Im September 2021 - der entsetzliche Angriff auf die Zwillingstürme des World-Trade-Center jährt sich zum zwanzigsten Mal - tritt Joe Biden ans Rednerpult der Vollversammlung der UNO und erläutert die Grundsätze der aktuellen und künftigen Außenpolitik der Vereinigten Staaten. Er legt dar, dass die USA zur Durchsetzung politischer Ziele nicht auf Kriege, sondern auf Diplomatie setzen wollten. Das bedeute allerdings nicht die Abkehr vom Anspruch, auch künftig als Weltmacht zu fungieren. Er erklärt: "Wir wollen führen, aber nicht allein." Die Bündnispartner werden also aufgefordert, sich zu beteiligen und Gefolgschaft zu leisten. Und so dauert es nicht lange, bis der deutsche Bundespräsident sich auf den Weg nach New York macht und ebendort eine Rede hält. Aus dem Afghanistan-Debakel seien die richtigen Lehren zu ziehen. Europa, allen voran die Bundesrepublik Deutschland, müsse den "Instrumentenkasten erweitern", und zwar in vierfacher Hinsicht:
diplomatisch,
militärisch,
zivil,
humanitär.
Dass die Bereiche des Zivilen und des Humanitären dem Militärischen nachgeordnet werden, gibt zu denken und wirft die Frage auf, ob derartige Akzentuierungen und Bewertungen in den Zuständigkeitsbereich eines deutschen Bundespräsidenten fallen. Liegt hier möglicherweise Amtsmissbrauch vor? Die Präambel des Grundgesetzes nennt andere Prioritäten. Hier heißt es:
"Im Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott und den
Menschen, von dem Willen beseelt, als gleichberechtigtes
Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu
dienen ..."
Der Bundespräsident möchte doch wohl nicht der deutschen Bevölkerung den Marsch blasen und sie auf militärische Drohgebärden oder gar Konflikte einstimmen! Steinmeiers Worte fügen sich leider in eine stattliche Reihe ähnlicher Einlassungen deutscher Spitzenpolitiker (Einträge 11.11., 19.11.,20; 23.1., 8.2., 7.6., 19.6., 4.8.21). Hinter solchen rhetorischen Ergüssen mit einer so starken Gewichtung des Militärischen im breiten Spektrum der Politik vermutet man eher die anmaßende Attitüde von Oberbefehlshabern. Derartige Reden aktivieren bei mir ein Frühwarnsystem, lassen Alarmglocken schrillen und wecken ungute Erinnerungen an frühere Epochen. Zur Kaiserzeit waren viele Leute, allen voran der Kaiser selbst, stolz auf "Deutschlands schimmernde Wehr". !912 ließ der ausgemusterte Generalstabsoffizier Friedrich von Bernhardi ein Buch erscheinen mit dem Titel "Deutschland und der nächste Krieg". Hierin stellt der Verfasser die deutsche Au0enpolitik vor die Alternative "Weltmacht oder Niedergang". Weltmacht notfalls auch durch Krieg. Dies müsse dem deutschen Volk, das sich jahrzehntelang an den Frieden gewöhnt habe, eindringlich klargemacht werden. Im Jahr darauf folgte als vorsorglich flankierende Maßnahme angesichts der sich häufenden Krisen (1912/1913 zwei Balkankriege) eine Heeresvorlage. Sie sah eine beträchtliche Aufstockung der Sollstärke um 117.000 Mann vor. Im Zuge internationalen Wettrüstens nahm martialisches "Säbelrasseln" zu. Das Deutsche Reich machte sich gefasst auf die Entladung gewaltiger Spannungen in einem großen Krieg. Warner wurden zur Seite geschafft (Jean Jaures) oder blieben ungehört (Philipp Scheidemann).
Soll nun auch die bundesdeutsche Bevölkerung der Kriegsgefahr ins Auge schauen? Politiker, die einer Steigerung der Rüstungsausgaben das Wort reden - von ihnen gibt es nicht gerade wenige - , betonen zwar gern, militärische Stärke diene der Friedenssicherung durch Abschreckung, geraten jedoch bald ans Ende ihrer Weisheit, wenn sich Zwischenfälle ereignen, Konflikte sich zuspitzen (wie jüngst auf dem Balkan, Unvorhersehbares eintritt, aus Versehen auf den falschen Knopf gedrückt wird.
Deutsche Außen- und Sicherheitspolitik der Gegenwart hat sich imperialistischer Abenteuer zu enthalten und muss darauf achten, dass die Bundesrepublik sich nicht stärker als bisher zum Vasallen der USA entwickelt. Wenn die Vereinigten Staaten neue Bündnisse im nördlichen Pazifik schmieden, um chinesischer Expansion entgegenzutreten, geschieht dies in ihrem eigenen nationalen Interesse. Deutschland muss sich nicht daran beteiligen, sonst läuft es Gefahr, in Konflikte verwickelt zu werden. Das Afghanistan-Desaster hat dies zur Genüge gezeigt. Unser nationales Interesse hat andere Schwerpunkte: die Stärkung Europas und die Herstellung eines gutnachbarschaftlichen Verhältnisses zu Russland. In unserem östlichen Nachbarn vorrangig eine Bedrohung zu sehen führt in eine Sackgasse, schadet dem Zusammenwachsen Europas.
Dass Annegret Kramp-Karrenbauer die Fregatte "Bayern" nach Fernost geschickt hat und der Bundespräsident ihr auch noch nacheifert, erfüllt mich mit Sorge. Lieber sollte er sich darauf vorbereiten, dem hoffentlich nächsten Bundeskanzler Olaf Scholz die Ernennungsurkunde zu überreichen. Froh stimmt ebenfalls die Wiederwahl Rolf Mützenichs zum Vorsitzenden der SPD-Bundestagsfraktion. Er steht für ein wesentliches Erbe der deutschen Sozialdemokratie: die Wahrung des Friedens.
Dienstag, 28. September 2021 - 18:09 Uhr
"Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen."
Der Ausgang der Bundestagswahlen am 26. September macht zwei Koalitionen möglich: eine Ampel (SPD. Grüne, FDP) und ein Jamaika-Bündnis. Olaf Scholz präferiert die erstgenannte Möglichkeit und will dementsprechend sondieren. Das Hauptproblem dürften dabei die konträren Positionen zur "Schuldenbremse" und zur Besteuerung von Vermögenswerten sein. Auszuloten ist, ob die FDP sich dazu versteht, Unterschiede gelten zu lassen. Gewinne, die als Investitionen in den Wirtschaftskreislauf zurückfließen, höher zu besteuern gefährdet die Substanz von Unternehmen, ist also kontraproduktiv. Anders verhält es sich bei Privatvermögen. Wenn diese dazu dienen, sich maßlos zu bereichern. ist ein steuerlicher Zugriff des Staates akzeptabel, sofern dieser dem "Allgemeinwohl" zugute kommt. Dabei handelt es sich nicht eine "Neiddebatte" (Paul Ziemiak), auch nicht darum, erfolgreichen und verdienstvollen Persönlichkeiten ihren Wohlstand nicht zu gönnen. Auch das Klischee "sozialistischer Gleichmacherei" verfängt hier nicht. Genau und ohne Scheuklappen das Grundgesetz zu studieren kann weiterhelfen. In Artikel 14 heißt es: "Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet. Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt." Beide Rechte gelten also nicht grenzen- und schrankenlos. Es gibt gesetzgeberische Spielräume. Beim Erbrecht hat sich die Große Koalition darauf verständigt, das Erbe nur in dem Maße zu versteuern, dass der Erbe/die Erbin den Betrieb weiterführen kann. Warum sollte gleiches nicht bei der Besteuerung von Vermögen gelten? Auch andere große Vermögen sind heranzuziehen .Nicht einzusehen ist es zum Beispiel, dass der Intendant des WDR ein größeres Einkommen erhält als der Bundeskanzler/die Bundeskanzlerin. Steuerliche Schonung ist in solchen Fällen fehl am Platze. Besteuerung bedeutet nicht Enteignung. Sonst müssten alle Steuerzahler und -zahlerinnen auf Entschädigung klagen dürfen. Das Grundgesetz unterscheidet zwischen Enteignung und Vergesellschaftung. Für beides ist eine Entschädigung fällig. Gegen einen Mietendeckel wird gern eingewendet, durch ihn entstehe kein neuer Wohnraum. Immerhin aber ermöglicht er, dass Altmieter in ihren Wohnungen bleiben können. Neubauten sind teurer und unterliegen überdies nicht der "Mietpreisbremse". Die "Schuldenbremse" (Artikel 115 GG) wird auch gern als Knüppel benutzt, um Befürworter staatlich finanzierter Zukunftsinvestitionen einzuschüchtern. In CDU/CSU-Kreisen wird der Bundesfinanzminister als "Schulden-Scholz" geschmäht, als ob er im Alleingang gehandelt hätte. Der Artikel 115 nennt keine Zahlen, macht nur die Verhältnismäßigkeit neu aufgenommener Schulden zur Bedingung. Sicherlich ist davor zu warnen, künftige Generationen mit der Rückzahlung von Schulden übermäßig zu belasten. Auch hier ist eine sorgfältige Abwägung erforderlich: Was belastet stärker, das Abtragen neuer Schulden oder das Ausbleiben von Zukunftsinvestitionen? Letztere kommen schließlich auch der Wirtschaft zugute.
Dienstag, 28. September 2021 - 16:09 Uhr
Der 26. September 2021 - ein dreifacher Grund zur Freude
Dass die SPD als Sieger aus den Bundestagswahlen hervorgegangen ist, löst nicht bei allen Glücksgefühle aus - bei mir schon! Olaf Scholz kann frau Merkel im Kanzleramt ablösen. Franziska Giffey wird glückliche neue Regierende Bürgermeisterin von Berlin, also späte Nachfolgerin Willy Brandts. Manuela Schwesig, mit fast 40 % der Stimmen freudestrahlende Siegerin in Mecklenburg-Vorpommern, nimmt Glückwünsche und Blumensträuße entgegen. Dass zwei Frauen diese Erfolge feiern können, freut posthum auch Elisabeth Selbert, eine von vier Müttern unseres Grundgesetzes. Die drei Erfolge lassen erkennen, dass die SPD in den Augen vieler als die politische Kraft gilt, der zugetraut wird, die drängenden Fragen der Zeit anzupacken erste wichtige Schritte zu deren Lösung zu wagen. Die SPD von CDU und CSU gern verdächtigt, der Bundesrepublik zu schaden, erweist sich stark wie eh und je als staatstragende Partei. Auf dem CSU-Parteitag in Nürnberg zitierte Armin Laschet kürzlich Franz Josef Strauß: "Irren ist menschlich. Immer irren ist sozialdemokratisch." Der Kanzlerkandidat von CDU und CSU irrt sich gewaltig! und schaut nun sauertöpfisch drein, weil seine Kanzlerträume unaufhaltsam zerrinnen.
Mittwoch, 22. September 2021 - 18:19 Uhr
"Die Lage war noch nie so ernst!"
Dieses geflügelte Adenauer-Wort gewinnt gegenwärtig an Aktualität, vor allem deshalb, weil den Unionsparteien als Dreifaltigkeit von CDU, CSU und Werteunion, der Machtverlust in Berlin droht. Traditionell setzen sie das Wohl der Bundesrepublik mit einer CDU-geführten Regierung gleich und wittern Unheil, wenn sie nicht das Kanzleramt innehaben. Adenauer blieb dieses Missgeschick erspart. Als er 1961 die absolute Mehrheit im Bundestag verfehlte, wurde er nur wiedergewählt unter der Bedingung, dass er noch vor Ablauf der Legislaturperiode einem Nachfolger das Amt übergeben werde. Dem Kanzler Ludwig Erhard liefen 1966 die FDP-Minister davon, so dass unter Kurt Georg Kiesinger die erste Große Koalition mit Willy Brandt als Außenminister und Vizekanzler ihre Arbeit aufnahm. Auch dem Schwaben war eine längere Kanzlerschaft versagt. !969 löste ihn Willy Brandt ab. Damit wurde für die Unionsparteien zum ersten Mal die Lage wirklich ernst. Unermüdlich arbeiteten sie an Brandts Sturz, was 1972 kläglich misslang. Es folgten weitere zehn Jahre sozialliberaler Regierung, bis Helmut Köhl sich im Kanzleramt breitmachte.
"Wohlstand für alle" (Ludwig Erhard), "Für ein Land, in dem wir gut und gern leben" ( Angela Merkel), so lauteten die vermeintlich markigen Parolen von CDU und CSU. Manche ihrer Politiker verstanden sie auch physisch. Konrad Adenauer spottete über seinen Nachfolger: "Haben Sie schon mal einen Pudding an die Wand genagelt?" Dazu passte auch die dicke Zigarre. Der Protagonist des "deutschen Wirtschaftswunders" reagierte empfindlich auf Kritik. "Pinscher" nannte er Leute. die an seinem Wertesystem zweifelten und beklagten, dass andere Stärken intellektueller und kultureller Natur in der Bundesrepublik zu kurz kämen. Einer von ihnen war der spätere Literaturnobelpreisträger Heinrich Böll. - Dass Helmut Kohl den pfälzischen Saumagen schätzte und auch anderen Genüssen nicht abgetan war, blieb für seinen Leibesumfang nicht folgenlos. Zusehends machten ihm die Knie zu schaffen.
Bei der bevorstehenden Bundestagswahl kann die Lage für die Unionsparteien wiederum ernst werden. Unablässig malen sie das Schreckgespenst eines rot-grün-roten Bündnisses in grellen Farben an die Wand. Diese Parteien seien in ihren Ideologien gefangen und unabweislich eine Gefahr für das Wohl der Bundesrepublik. Dass CDU und CSU selbst in starkem Maße ideologisch durchtränkt sind, steht außer Frage. Ideologie paart sich bei ihnen mit einem bedenklichen Mangel an Ideen. Satte Selbstgefälligkeit und das Schüren von Ängsten sind ihre Markenzeichen. Diese Ängste auch in die Wahlkabinen hineinzutragen und hiervon zu profitieren darf ihnen nicht gelingen. Anderes ist gefragt, nämlich der Mut, notwendigen Veränderungen unerschrocken zu begegnen, sie aktiv zu gestalten und den Politikern bzw. Politikerinnen zu vertrauen, die ihnen reinen Wein einschenken, ihnen sagen, dass ein stetes Wachstum unserem Planeten nur schaden kann, weil es die vorhandenen Ressourcen übermäßig auszuschöpfen droht.
Am 26. September wird auch in Mecklenburg-Vorpommern ein neuer Landtag gewählt. Der CDU-Spitzenkandidat Michael Sack warnt vor einem linken Bündnis, also auch hier die gleiche Angstmacherei. Die Bürgerinnen und Bürger könnten am 27.9. mit Kopfschmerzen aufwachen. Wie wäre es mit Aspirin? Es soll befreiend wirken und dem politischen Verstand aufhelfen, die Sinne schärfen. Stärkt Manuela Schwesig, macht eure Kreuze bei der SPD!
Freitag, 3. September 2021 - 18:51 Uhr
Die große Angst der Christenunion vor einem "Linksbündnis"
Es ist wohl beides im Spiel: die Angst vor einem Machtverlust in Berlin und der verzweifelte, fieberhafte Versuch, den wahlberechtigten Deutschen Angst vor dem Verlust der "bürgerlichen Mitte" einzuflößen, also auch die Angst vor der "roten Gefahr". In der zu Ende gehenden Woche wurde das erste "Kanzlertriell" ausgestrahlt. Armin Laschet versuchte nicht nur ein Mal, Olaf Scholz eine eindeutige Antwort auf die Gretchenfrage abzuzwingen; "Wie hältst du´s mit der LINKEN?" In einem möglichen "Linksbündnis" wäre die LINKE der kleinste Koalitionspartner und hätte kaum die Chance, durch ihre Regierungsbeteiligung eine "andere Republik" herbeizuführen, sondern müsste sich bescheidenere Ziele setzen. Wieder einmal wurde die Co-Parteivorsitzende Saskia Esken bemüht, als wäre sie Mitglied der LINKEN. Aber dem CDU-Kanzlerkandidaten geht es nicht um Fakten, sondern darum, Verwirrung zu stiften und die SPD zu desavouieren. Olaf Scholz war klug genug, sich nicht von Laschet festnageln, sondern diesen ins Leere laufen zu lassen und die Angst vor der "roten Gefahr" für seine Zwecke zu nutzen. Für eine Koalition mit der LINKEN nennt er klare Bedingungen: "ein klares Bekenntnis zur NATO" sowie zu einem starken Europa. Zwar steht im Wahlprogramm der LINKEN (2021), sie strebe eine Auflösung der NATO an und wolle den Nordatlantikpakt durch ein europäisches Sicherheitssystem unter Einschluss Russlands ersetzen. Dies ist aber gegenwärtig reine Zukunftsmusik und so lange illusorisch, bis entsprechende Konzepte unterschriftsreif vorliegen und ratifiziert werden können. Was ein starkes Europa betrifft: Die EU ist gerade drauf und dran, aus dem Afghanistan-Debakel des Westens die falschen Lehren zu ziehen. Auf der Tagesordnung der Konferenz in Slowenien steht die Erörterung des Vorhabens, eine "schnelle Eingreiftruppe" der Europäischen Union aus der Taufe zu heben. Insbesondere der französische Präsident Macron macht Druck, möchte ein militärisch stärkeres Europa und damit eine größere Unabhängigkeit von den USA. Letzteres ist verständlich und liegt auch in deutschem Interesse, muss allerdings nicht bedeuten, dass Europa den USA auch militärisch ebenbürtig wird. Militarismus kann nicht die Antwort auf die drängenden Fragen der Zeit sein, sondern erhöht die Kriegsgefahr. Überdies hätte ein militärisch stärkeres Europa das Scheitern des Westens in Afghanistan nicht verhindern können. Das Afghanistan-Abenteuer der europäischen NATO-Mitglieder war ausschließlich dadurch bedingt, dass die USA nach dem 11.9.2001 den Bündnisfall deklarierten und ihre Verbündeten in den Krieg hineinzogen. Spätestens nach der Entscheidung Washingtons zum Abzug aus Afghanistan verlor der Einsatz der NATO-Streitkräfte jegliche völkerrechtliche Grundlage.
Europa sollte sich davor hüten. sich vor den Karren ehrgeiziger Pläne Frankreichs spannen zu lassen. Wir brauchen auch keine Ausweitung der Fremdenlegion auf alle EU-Mitglieder. Gar nicht erkennbar ist, wo eine "schnelle Eingreiftruppe" aktiv werden sollte und welche Konsequenzen dies hätte. Dass die gegen Kuba gerichtete Invasion bewaffneter Kräfte in der Schweinebucht kläglich scheiterte (1961), sollte ein abschreckendes, warnendes Beispiel abgeben.
Militärische Projekte (Beispiel: FCAS) sollen offenbar von den innereuropäischen Konflikten bzw. Problemen ablenken: die Durchsetzung der Rechtsstaatlichkeit (Polen und Ungarn), angemessene Reaktionen auf die wirtschaftliche Expansion Chinas auf dem Balkan, eine grundlegende Reform der Strukturen der EU. Gelänge dies, verlören EU-Skeptiker an Boden.
Zurück zur Überschrift: Heute stellte Armin Laschet sein letztes Aufgebot vor. Auf ein achtköpfiges "Zukunftsteam" (darunter Friedrich Merz und Karin Prien) gestützt, will er die SPD in einen "Lagerwahlkampf" zwingen, ein "linkes Bündnis" verhindern und dafür sorgen, dass weiterhin "bürgerliche Politik" gemacht wird. - Sich an die erbitterten Gegner der Weimarer Republik wendend, erklärte der Reichskanzler Karl Joseph Wirth am 25. Juni 1922: "Da steht der Feind, und ... dieser Feind steht rechts!" Armin Laschet legt es wohl darauf an, das Vorzeichen zu ändern, und verkündet: "Der Feind steht links." Ich vertraue darauf, dass die SPD dieses Manöver kraftvoll durchkreuzt ,ihren eigenen Weg findet und am 26. September stärkste Kraft wird.
Montag, 30. August 2021 - 17:14 Uhr
Panikmache als Wahlkampfmasche von CDU und CSU
Die Bundestagswahlen am 26. September vor Augen, wollen Unionspolitiker die wahlberechtigten Deutschen glauben machen, die Bundesrepublik befinde sich in höchster Gefahr. Ein "Linksbündnis" drohe, was nur dadurch abzuwenden sei, dass eine breite Mehrheit von Wählern und Wählerinnen ihr Kreuz wacker bei CDU bzw. CSU mache. Warum soll das, was am 6. Juni in Sachsen-Anhalt so gut geklappt hat (Eintrag 7.6.), nicht auch in der heißen Phase des Wahlkampfes die erwünschte Wirkung tun? Damals ging es gegen die AfD, gegenwärtig gegen eine Koalition von SPD, Grünen und Linken. Markus Söder will den Wahlkampf schwerpunktmäßig auf die Verhinderung eines Linksbündnisses abstellen. Dass er "keinen Bock auf Opposition" hat, ist verständlich. Dass er nun aber ausgerechnet dem rechten Sozialdemokraten Olaf Scholz vorwirft, er strebe zusammen mit den Linken eine "andere Republik" an, wirkt einigermaßen kurios und zeugt von der Angst Konservativer vor Veränderung. Der CSU-Vorsitzende ist dabei eines Sinnes mit Paul Ziemiak. An die schmerzlichen Erfahrungen aus der Zeit einer sozialistischen Diktatur in Polen erinnernd und von der Sorge beseelt, ein ähnliches Schicksal könne nun auch die Deutschen treffen, zieht er gegen die Sozialdemokraten vom Leder. Bei Anne Will versteigt er sich gar zu einem tollkühnen Kausalzusammenhang: Dass die SPD das Zweiprozentziel der NATO verzögere und die Beschaffung von Kampfdrohnen für die Bundeswehr verschleppt habe, sei mitverantwortlich für den Rückzug der NATO aus Afghanistan und die empfindliche Niederlage des Westens in Mittelasien. Auch gegen Kevin Kühnert teilt Ziemiak aus. Das Aufrücken Kühnerts zum stellvertretenden SPD-Bundesvorsitzenden zeige deutlich, wohin sich die SPD bewege, nämlich weit weg von der "bürgerlichen Mitte". In die gleiche Richtung weise die Wahl Saskia Eskens zur Parteivorsitzenden. Schlimmes stehe der Republik bevor!
Liebe Genossinnen und Genossen! Lasst euch von solchen billigen Tricks nicht irritieren! Haltet Kurs! Bald endet das Wahlkampfgetöse, und ich bin sicher dass Ihr nach dem 26. September die richtigen Entscheidungen trefft und die Unionsparteien auf die Oppositionsbänke drängt. Mir ist auch nicht bange davor, dass die SPD Gespräche mit den Linken aufnimmt und Gemeinsamkeiten prüft. Es muss möglich sein, die unselige Verknüpfung von CDU-Herrschaft und dem Wohl der Bundesrepublik aufzulösen.
Samstag, 28. August 2021 - 18:49 Uhr
Die SPD : ein rotes Tuch für Armin Laschet
Im Grunde genommen ist er der mustergültige Biedermann, der gern das Parteiübergreifende betont, auf die "bürgerliche Mitte" setzt (Eintrag 21.8.) und den Eindruck vermittelt, er könne und wolle niemandem ernsthaft wehtun. Doch gegenwärtig, da ihm das Abschmieren der CDU in den Umfragewerten angelastet wird, redet er sich auch mal in Rage. Vor allem Markus Söder sitzt ihm im Nacken, spart nicht mit Tritten, heizt ihm anfeuernd ein und greift nach Stierkämpfermanier zu Piken, die den noch zu zahmen Stier schmerzhaft anstacheln sollen. Das so gereizte Tier senkt den Kopf und schickt sich an, den Gegner auf die Hörner zu nehmen, bildlich gesprochen, versteht sich. Gegen alle Widerstände seitens der SPD und der Grünen werde er, Armin Laschet, durchsetzen, dass die Bundeswehr zum Schutz der Soldatinnen und Soldaten mit bewaffneten Drohnen ausgestattet werde. Im Falle der SPD ist der Bundestagsfraktionsvorsitzende Rolf Mützenich der Buhmann, denn mit einer Fraktionsmehrheit hat er verhindert, dass die besagten Drohnen zeitnah beschafft werden können, und die Entscheidung hierüber in die nächste Legislaturperiode verschoben. Mützenich wird vom politischen Gegner nicht ohne Missbilligung nachgesagt, er sei Pazifist. Sei denn jemand, der mit einer Dissertation zum Thema "Atomfreie Zonen" promoviert wurde (1991), überhaupt tragbar in einer parlamentarischen Spitzenposition? Die SPD regiert schließlich mit.
Die umstrittenen Drohnen dürfen nicht nur unter dem Gesichtspunkt militärischer Zweckmäßigkeit bewertet werden, sondern erfordern eine ethische Beurteilung. Die Entwicklungen in der modernen Waffentechnik (20./21. Jahrhundert) haben die Vernichtung menschlichen Lebens zusehends leichter gemacht und der Verantwortung des Menschen für das Töten weitgehend entzogen. Die natürliche Hemmschwelle bzw. Tötungshemmung wird dabei gesenkt, entkräftet, letztlich ausgeschaltet. Die Kampfdrohne, erst einmal programmiert und auf den Weg gebracht, sucht automatisch ihr Ziel und verrichtet ihr Zerstörungswerk, ohne dass der Auslösende dies noch wahrnimmt. (Einträge vom 12.5. und 9.10.2020). Damit erübrigt sich letztlich auch die Frage nach Kriegsschuld und Kriegsverbrechen.
Völlig offen lässt Armin Laschet, wie und wo er sich den Einsatz von Kampfdrohnen zum Schutz deutscher Soldatinnen und Soldaten vorstellt. Afghanistan scheidet inzwischen als Schauplatz aus und bleibt vorerst den Amerikanern vorbehalten. Wohin also mit dem Kriegsgerät? Kommt die Sahelzone in Frage? - Der CDU-Kanzlerkandidat zählt zu den Politikern, die sich mit dem Thema Krieg planspielerisch befassen, das nachbeten, was ihnen von der Hardthöhe generalstabsmäßig vorgelegt und empfohlen wird. Sie scheuen den Schritt in die Kampfzone und ziehen es vor, die gefährlichen, keineswegs unblutigen Ereignisse aus sicherer Distanz zu begleiten und zu verwalten.
Am Freitag, dem 27.8., wurde das jüngste ZDF-Politbarometer bekannt. Danach liegen SPD und CDU/CSU gleichauf, die Grünen leicht dahinter. Darüber kann sich jeder Sozialdemokrat, ob männlich oder weiblich, nur unbändig freuen. Aufbruch, Bewegung, Entwicklung liegen in der Luft. Der Wahlslogan "Keine Experimente!" (Konrad Adenauer) hat ausgedient. Nach langer Zeit des Stillstands und trügerischer Sicherheit rücken die drängenden Fragen der Zeit, die keinen Aufschub dulden, in den Vordergrund: Klimakrise, erneuerbare Energien, umweltverträgliche Mobilität, Ernährung der wachsenden Weltbevölkerung, Maßnahmen gegen das Wettrüsten, Überwindung einer Wirtschaftsordnung, die ausschließlich auf Wachstum und Gewinnmaximierung ausgerichtet ist, und anderes mehr. Kapitalistisches Wirtschaften kann sich die Welt nicht länger leisten. Ein "Weiter so!" verbietet sich. Warnungen vor einer nahenden Katastrophe gibt es zur Genüge. "Die Grenzen des Wachstums. Bericht des Club of Rome zur Lage der Menschheit" (1972), "Ein Planet wird geplündert. Die Schreckensbilanz unserer Politik" (Herbert Gruhl, 1975).
Wahrscheinlich sinnen große Konzerne bereits darauf, mit den Taliban ins Geschäft zu kommen, sich Schürfrechte zu sichern. Afghanistan birgt reiche Bodenschätze, seltene Erden sind begehrt. Der Rohstoffhunger der großen Industrieländer ist gewaltig und wird wohl auch den nächsten G20-Gipfel beschäftigen. Hoffentlich wachsen Gegenkräfte heran! Greta Thunberg fragte zornig: "How dare you?"
Samstag, 21. August 2021 - 18:20 Uhr
Die "bürgerliche Mitte" im Zeichen politischer Mittelmäßigkeit
Der Terminus "politische Mitte" wird häufig von Leuten benutzt, denen alles Streben nach Veränderung und Weiterentwicklung abhold ist und suspekt erscheint. Wahrung der Besitzstände liegt ihnen am Herzen. Und auch wenn Armin Laschet ein "Modernisierungsjahrzehnt" ankündigt, ist dies kaum mehr als eine Worthülse. Wenn schon Bewegung, dann nur notgedrungen, moderat (damit sie niemandem wehtut), bitte nicht radikal oder gar revolutionär. Das Wort "bürgerlich" dient dazu, alles, was links oder rechts von den Unionsparteien zu verorten ist, zu disqualifizieren. Laut Parteitagsbeschlüssen schließt die CDU Koalitionen mit der LINKEN und der AfD aus. Ein Dorn im Auge ist es ihr, dass in Thüringen ein linker Ministerpräsident regiert. Bodo Ramelow will nun aber partout nicht begreifen, warum ihm das Attribut "bürgerlich" abgesprochen wird. Er sei doch das Bürgerlichste, was in Thüringen umherläuft.
Selbst der Bundespräsident sinniert öffentlich darüber, was bürgerlich zu nennen und noch in der Mitte anzusiedeln sei. Hiervon grenzt er die AfD vehement ab. Dabei liegt es auf der Hand, dass Politiker wie Alexander Gauland, Tino Chrupalla, Jörg Meuthen und Alice Weidel Bürgerliche sind. Auch die Behauptung, die AfD stehe in der Tradition der NSDAP, kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Nationalsozialismus tief im bürgerlichen Milieu wurzelte. Die Biographien von Hitler, Goebbels, Göring und weiterer NS-Größen zeigen dies nur allzu deutlich. Selbst renommierte Bildungsbürgerliche wie Martin Heidegger und Gottfried Benn fanden an nationalsozialistischem Gedankengut Gefallen. Zwar blähten die Nazis das Bourgeoise auf, brachten es dennoch nicht zum Platzen.
Auch Paul Ziemiak, seines Zeichens CDU-Generalsekretär, faselt von der "bürgerlichen Mitte". Diese Wortblase ist nicht in strengem Sinne soziologisch zu verstehen, sondern umreißt das politisch Genehme, Akzeptable. Aktuell treibt Herrn Ziemiak die Sorge um, die FDP könne sich von der CDU absetzen und ins "linke Lager" abdriften - mit der Folge, dass die Liberalen nach den Bundestagswahlen eine Koalition mit Rot-Grün eingehen und die Unionsparteien in die Opposition drängen - ein Horrorszenario. Auch andere CDU-Politiker reiten momentan warnend Attacke gegen die FDP.
Es würde hier zu weit führen, auf die Entwicklung des Bürgertums einzugehen. Breit ist das Spektrum vom Besitz- und Bildungsbürgertum, das auch mit dem Aristokratischen liebäugelte und sich nicht ungern adeln ließ, bis hin zum biedermeierlichen Kleinbürger (hier fühlten sich auch Spießbürger zu Hause) - ein bevorzugtes Sujet des Malers Carl Spitzweg. Auch Brechts "Kleinbürgerhochzeit" weist in diese Richtung.
Wortklauberei ist in unseren Tagen fehl am Platze. Auf dem Staatsbürger, ob in männlicher oder weiblicher Gestalt, sollte unser Augenmerk liegen. Der Soldat bzw. die Soldatin der Bundeswehr nennt sich auch "Staatsbürger in Uniform". Ihm stehen die verfassungsmäßigen Grundrechte zu, er ist aufgefordert, am öffentlichen Leben teilzunehmen, zum Beispiel sein Wahlrecht auszuüben, sich umfassend zu informieren. Sozialdemokraten können sich nur darüber wundern, wenn lang und breit um den Begriff "bürgerlich" gestritten wird. Stets waren sie bienenfleißig und bildungshungrig. Sinnvoller ist es für sie, die drängenden Fragen der Zeit anzupacken: den Klimawandel, die Veränderungen in der Arbeitswelt, menschenwürdiges Wohnen, die Integration von Migranten etc. Hier darf es auch radikal zugehen im Sinne von "an der Wurzel packen". Mediokrität hat leicht satte Selbstzufriedenheit, Selbstgefälligkeit und Bequemlichkeit zur Folge. Nach der verheerenden Niederlage bei Jena und Auerstedt ließ der preußische Monarch plakatieren: "Der König hat eine Bataille verloren. Ruhe ist die erste Bürgerpflicht." Was aber, wenn diese Ruhe trügt und Unsicherheit um sich greift? "Dem Bürger fliegt vom spitzen Kopf der Hut ..." (Jakob van Hoddis, "Weltende", 1911):
Mittwoch, 18. August 2021 - 18:36 Uhr
Die Hybris des "politischen Westens" (Steinmeier)
Noch in den letzten Tagen hat der amerikanische Präsident den Abzug der NATO-Truppen aus Afghanistan bekräftigt und . gerechtfertigt. Mit einer gewissen Portion Zynismus lassen sich Joe Bidens Worte auch so verstehen: Das afghanische Volk habe nichts Besseres verdient, als seinem traurigen Schicksal überlassen zu werden. Nicht einmal die gut ausgebildeten und ausgerüsteten afghanischen Streitkräfte hätten ausreichenden Widerstand gegen die vorrückenden Taliban geleistet. Zwanzig Jahre lang habe sich die Bevölkerung Afghanistans als erziehungsresistent und der Wohltaten der westlichen Welt als nicht würdig erwiesen. Der demokratische Westen habe es doch nur gut gemeint.
Aus einer solchen Argumentation spricht allerdings blanker Hohn. Ohne die schrecklichen Gewaltakte vom 11.9.2001 wäre es den USA niemals in den Sinn gekommen, an der Spitze von NATO-Truppen in Afghanistan einzumarschieren. Dies auch noch als demokratische Mission hinzustellen ist missbräuchlich und zeugt von maßloser Überheblichkeit. Demokratie kann nicht aufgepfropft werden, sondern muss wachsen und gewollt sein. Auch die alten Griechen haben Jahrhunderte gebraucht, bis in Athen Demokratie gelebt werden konnte. Und auch in Europa sind demokratische Verfassungen erst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in Kraft getreten und blieben anfangs rudimentär. Die französische Verfassung von 1791 schloss viele Franzosen und erst recht alle Französinnen von den Bürgerrechten aus.
Traurig ist es, dass die Emanzipation der Frauen durch den Sieg der Taliban einen Rückschlag erleiden wird. Doch auch hier ist Geduld, ein langer Atem gefragt. Starke Frauen hat es auch in Europa schon immer gegeben (Walpurga, Hildegard von Bingen). Dass Katharina von Bora als abtrünnige Nonne Martin Luther heiratete und Kinder gebar, zog ihr gewaltigen Hass zu. Wenn ihre Feinde es vermocht hätten, wäre sie wohl als Hexe verbrannt worden. Noch im 18. Jahrhundert erlitten nicht wenige Frauen, als Hexen verfolgt und in spektakulären Prozessen verurteilt, den Tod auf dem Scheiterhaufen. Dass dies für breite Empörung sorgte, lässt die Gegenkräfte erkennen. Frauen wurden gleichberechtigte Partnerinnen, wie zum Beispiel die hochgebildete Eva König. Sie war ihrem Ehemann Gotthold Ephraim Lessing eine ebenbürtige Gefährtin. Dass sie im Kindbett starb, hat dem bedeutenden Schriftsteller unendlich zugesetzt und ihn an der Welt zweifeln lassen(Briefe an Eschenburg). Im 18. Jahrhundert unterhielten emanzipierte Französinnen literarische Salons, genossen Ansehen und Wertschätzung (Mademoiselle de Lespinasse und andere). In Deutschland folgten ihnen Frauen wie Henriette Herz und Rahel Varnhagen von Ense. Nicht vergessen werden sollte auch, dass deutsche Frauen erst 1919 das Wahlrecht erhielten, was auch den Sozialdemokraten zu verdanken ist.
Die westliche Welt sollte den afghanischen Frauen die Kraft zutrauen, sich gegen die Männer zu behaupten und sich von patriarchalischen Fesseln zu befreien. Auf diesem mühsamen Weg kann ihnen uneigennützige, gewaltfreie Unterstützung aus dem Westen dauerhaft weiterhelfen.
Montag, 16. August 2021 - 20:40 Uhr
Armin Laschet huldigt Elon Musk - und fällt über Heiko Maas her
Die Gelegenheit will beim Schopf gepackt werden. Der Multimilliardär Elon Musk lädt zur Besichtigung seines Firmengeländes in Grünheide. Armin Laschet greift mit beiden Händen zu und lässt sich über die verheißungsvolle Baustelle führen, wobei er profundes Fachwissen zum Besten gibt. Dass Elon Musk die Bedenken und Einwände von Umweltschützern mit schallendem Lachen quittiert, stört Laschet nicht, lacht er doch selbst gern, wenn auch nicht immer im passenden Augenblick. Der CDU-Kanzlerkandidat zeigt sich beeindruckt von den Fortschritten beim Bau der Giga-factory und wünscht sich weitere Milliardäre, die ihr Geld in Deutschland investieren. Dass dies auch auf Kosten der Umwelt geschieht, wird von leidenschaftlichen Kapitalisten augenzwinkernd in Kauf genommen. Auch Armin Laschet möchte da nicht beiseite stehen. Ressourcen, so die Wachstumseuphoriker, seien doch noch im Überfluss vorhanden. In Grünheide gedeihen doch Nadelwälder, was darauf schließen lässt, dass von Wassermangel überhaupt nicht Rede sein kann. Wenn Teile der Wälder nun abgeholzt werden und überdies wegen des enormen Wasserverbrauchs der Riesenfabrik der Grundwasserspiegel sinken wird, kann dies in der Gesamtbilanz vernachlässigt werden.
Armin Laschet ficht im Wahlkampf gegen schlechte Umfragewerte, alle Kraft voraus! Die Tour führt ihn auch nach Polen, wo er termingerecht des Warschauer Aufstands (1. August 1944) gedenkt. Wieder im Lande, attackiert er Heiko Maas. Das Auswärtige Amt baue für die Ausreise afghanischer Ortskräfte, die "uns geholfen haben" und nun vor den Taliban fliehen müssen, unverständlicherweise bürokratische Hürden auf, wo doch Eile geboten sei. Mit keinem Wort erwähnt er seine Parteifreundin und Mitkatholikin Annegret Kramp-Karrenbauer, die sich auch viel Zeit gelassen hat und als zuständige Ministerin aktuell damit beschäftigt ist, ihre Luftwaffe nach Kabul zu entsenden. Die Flugzeuge haben Kriegsgerät und Fallschirmspringer an Bord, sollen den Abzug deutschen Botschaftspersonals absichern und dabei helfen, gefährdete Afghanen außer Landes zu bringen. Tausende von ihnen sollen in der Bundesrepublik Aufnahme finden.
Am 13. August veröffentlichte das ZDF sein neues Politbarometer. Aufrichtig freue ich mich darüber, dass Olaf Scholz in der Kanzlerfrage deutlich vorn liegt und die SPD fast ihr Ergebnis von 2017 erreicht. Die vierte Koalition mit CDU und CSU hat ihr arg zugesetzt. Ist "der Genosse Trend" zurück? Leider agiert Olaf als Einzelkämpfer. Wo ist die Mannschaft? Er selbst gestikuliert lebhaft bei Wahlkampfveranstaltungen und knüpft an bewährte Traditionen seiner Partei an. Wenn nur der Eindruck vermieden werden könnte, bei manchen Aussagen handle es sich um phrasengefüllte Seifenblasen. Im Falle eines Wahlsiegs will er den Mindestlohn auf 12 Euro anheben. Eine solche Präzisierung findet aber in anderen Bereichen nicht statt. Warum stellt die Partei nicht ein aktuelles, verfassungskonformes Konzept zum Thema Mieten vor? Der Berliner Mietendeckel ist gescheitert. Das Bundesverfassungsgericht urteilte, die Frage sei durch das Bundesgesetz zur Mietpreisbremse "abschließend" geregelt (?) und das Land Berlin gar nicht zuständig. Hier muss die SPD ansetzen und ein Konzept erarbeiten, das den Anstieg der Mieten wirksam begrenzt, als Gesetz nicht umgangen bzw. ausgehebelt werden kann und einer verfassungsrechtlichen Prüfung standhält. Wenig Sinn macht es, Initiativen anderer Bundesländer abzuwarten und auch diese scheitern zu sehen. Der Bund muss handeln. In Artikel 31 des Grundgesetzes heißt es: "Bundesrecht bricht Landesrecht."
Samstag, 7. August 2021 - 17:20 Uhr
Der noch unvollendete globale Wahnsinn
Vielerorts brennt es auf unserem Planeten: In Australien, in Brasilien, an der Westküste Nordamerikas, in Sibirien, neuerdings auch in Süditalien (Sizilien), Griechenland und der Türkei. Quadratkilometerweise werden Wälder vernichtet. Während in Deutschland, den Zustand der Wälder betreffend, ein Umdenken eingesetzt hat, fehlt es allerdings weltweit an Umsicht, an Einsichten, wie die Erde bewohnbar erhalten werden kann. Vor allem mangelt es an Tatkraft. Kurzfristig ringen Katastrophen verantwortlichen Politikern Lippenbekenntnisse ab. An der Umsetzung in die erforderlichen Maßnahmen hapert es jedoch. Wachstumsphantasien blühen allenthalben und scheinbar unaufhaltsam. So sieht der Bundeswegeplan den Bau neuer Autobahnen vor. Diesen Projekten stehen Wälder freilich im Wege und müssen dem Fortschritt weichen, so das Credo von Verkehrspolitikern. Die Eiskappen an den Polen haben zu schmelzen begonnen, was bei den Anrainerstaaten des Nordpols Begierden weckt, die darunter vermuteten Bodenschätze auszubeuten. Claims sind bereits abgesteckt, was für Rivalitäten sorgt. Das Schmelzwasser lässt den Meeresspiegel steigen, mit absehbaren Folgen für die Menschen, die in Küstennähe siedeln. Klimaforscher haben all dies bereits sattsam bekannt gemacht.
Unsummen von Geld werden gebraucht, um der Erderwärmung wirksam zu begegnen. Statt dessen wird in die Aufrüstung investiert. Der Haushaltsausschuss des Bundestages hat in seiner letzten Sitzung vor der Sommerpause eine Aufstockung der Verteidigungsausgaben um 19 Milliarden Euro beschlossen. Erste Aufträge sind bereits erteilt. Das Geld wäre besser angelegt in die Behebung der Schäden, die durch die gewaltigen Fluten in Rheinland-Pfalz und NRW verursacht wurden. sowie in die Finanzierung von Maßnahmen, die neuem Hochwasser vorbeugen. Wenn Olaf Scholz Bundeskanzler werden sollte, erwarte ich von ihm eine entsprechende Umschichtung im Bundeshaushalt. Verteidigungsausgaben machen nur dann Sinn, wenn nachweisbar dargelegt wird, von wem und wodurch eine Bedrohung unserer Freiheit und Sicherheit ausgeht. Sonst dienen sie nur der Selbstbefriedigung der Rüstungsindustrien, nicht mehr der Abwehr realer Bedrohungen. Die Menschheit läuft Gefahr, sich nicht mehr gegen tatsächliche Feinde zu rüsten, sondern gegen die natürlichen Lebensgrundlagen und damit gegen sich selbst Krieg zu führen.
Indien, mit über einer Milliarde eines der bevölkerungsreichsten Länder, Weltapotheke, Atommacht und Brutstätte der Delta-Variante des Corona-Virus, hat offenbar nichts Wichtigeres zu tun, als in die Landung auf dem Mond zu investieren. Der Weltraum ist inzwischen voll von Satellitenmüll, so dass dieser aufwendig eingesammelt werden muss, um Platz für Neues zu schaffen. Auch die Bundesrepublik verfügt neuerdings zum Stolz ihrer Verteidigungsministerin über ein "Weltraumkommando".
Jahr für Jahr meldet das schwedische Sipri-Institut eine erneute Steigerung der Rüstungsausgaben. Die großen Atommächte arbeiten kostenträchtig an der Modernisierung ihrer Waffen. Dass gleichzeitig Hunderte Millionen vom Hunger bedroht sind, schert sie überhaupt nicht. Hoffentlich bestehen noch Möglichkeiten, diesem Unsinn Einhalt zu gebieten.
Mittwoch, 4. August 2021 - 18:12 Uhr
"The Germans to the front" - wohl nicht zum Schattenboxen
Am 27. Juli 1900 hielt Kaiser Wilhelm II. in Wilhelmshaven seine berüchtigte "Hunnenrede". Er verabschiedete ein Geschwader der Kriegsmarine nach Fernost und gab den Besatzungen mit auf den Weg, sie sollten nicht lange fackeln, sondern kurzen Prozess machen: "Gefangene werden nicht gemacht." Was war geschehen? Die chinesische Organisation der Boxer, geübt im Kunstkampf, hatte sich erfrecht, gegen die imperialistischen Großmächte aufzubegehren. Es kam zu bewaffneten Unruhen, ein deutscher Gesandter, der Freiherr von Ketteler, fiel einem Attentat zum Opfer. Das musste vergolten werden. Die europäischen Großmächte, die USA und Japan, vereint in dem Streben, das chinesische Kaiserreich in Interessensphären unter sich aufzuteilen, rüsteten zum Gegenschlag. Nicht immer erfolgreich. Der britische Admiral Seymour musste nach einer militärischen Schlappe den Rückzug antreten, besann sich auf die Schlagkraft deutscher Truppen und gab die Parole aus: "The Germans to the front!" Der deutsche Schlachtenmaler Carl Röchling hielt den deutschen Vormarsch in einem opulenten Historiengemälde fest und verhalf damit dem deutschen Imperialismus zu Popularität. 1901 musste China sich geschlagen geben.
Circa 120 Jahre später, nämlich am 2. August 2021, eilte Frau Kramp-Karrenbauer ebenfalls nach Wilhelmshaven und verabschiedete die Fregatte "Bayern" zu einer sechsmonatigen Expedition in den indopazifischen Raum. Verabredungsgemäß (Frau Merkel war jüngst bei Joe Biden) soll das Kriegsschiff dort Präsenz zeigen, den Anrainerstaaten, die mal Partner, mal Verbündete genannt werden, die deutsche Hilfsbereitschaft signalisieren und China Respekt einflößen, also der neuen Weltmacht zu verstehen geben, dass sie ihre Besitzansprüche zügeln solle, die demokratische Welt chinesische Übergriffe nicht widerstandslos hinnehmen werde. Der deutschen Verteidigungsministerin kommt es bei alledem gerade recht, dass der Bundestag in die parlamentarische Sommerpause gegangen und auch wegen der bevorstehenden Neuwahlen nur eingeschränkt handlungsfähig ist. Zwar sind die deutschen Streitkräfte eine Parlamentsarmee, aber was will das schon heißen? Die deutsche Außenpolitik kann, Sommerpause hin, Sommerpause her, nicht untätig bleiben. Und so pflichtet auch Heiko Maas seiner Kabinettskollegin bei. Wenn nur nicht einer, der das Grundgesetz ernst nimmt, das Bundesverfassungsgericht anruft und prüfen lässt, ob die neue, militärgestützte deutsche Weltpolitik verfassungsgemäß ist!
Beflissen und vorauseilend gehorsam wie immer, im Auftreten weniger spektakulär und rhetorisch moderater als Seine Kaiserliche Majestät, schärft die Verteidigungsministerin der Besatzung der "Bayern" gleichwohl ein, ihr Auftrag bestehe darin, die Freiheit der Meere, des Welthandels und selbstverständlich auch die Demokratie gegen deren Feinde zu verteidigen. Ob dazu eine einzige Fregatte reicht? Wahrscheinlich werden ihr ganze Geschwader folgen. AKK träumt gar von einem europäischen Flugzeugträger. Die Bundesrepublik Deutschland soll über sich hinauswachsen, sich ihrer geostrategischen Aufgaben bewusst werden und entsprechend handeln.
Paradoxerweise hat gerade der Exportweltmeister Deutschland nicht unwesentlich zum Erstarken der chinesischen Einparteiendiktatur beigetragen. Die freie Welt wird sich darauf einstellen müssen, dass China, lange Zeit Objekt imperialistischer Begehrlichkeit, den Spieß umdreht und seinerseits den Anspruch auf Weltgeltung erhebt.
Freitag, 30. Juli 2021 - 18:54 Uhr
Olaf Scholz im Aufwind - die SPD in der Flaute
Heute, am 30. Juli, melden mehrere Medien, dass Olaf Scholz in der Kanzlerfrage seine Konkurrenten Baerbock und Laschet hinter sich gelassen habe. Das stimmt zuversichtlich, kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Kanzler bzw. die Kanzlerin nicht direkt, sondern von einer Mehrheit im Bundestag gewählt wird. Und hier liegen die Abgeordneten von CDU und CSU zahlenmäßig nach wie vor weit vorn und werden sich mit Klauen und Zähnen gegen den Verlust der Kanzlerschaft zur Wehr setzen, nicht zuletzt dagegen, dass die Wähler und Wählerinnen sich an die Skandale um die Maskenbeschaffung sowie an die Aserbeidschan-Connections von CDU-Abgeordneten erinnern - ein dunkles, aber auch typisches Kapitel in der Christen-Union. Auf Machterhalt bedacht, feuert Markus Söder seinen Amtsbruder Laschet dazu an, für noch bessere Umfragewerte der CDU zu sorgen. Horst Seehofer springt dem CDU-Vorsitzenden zur Seite. Dieser sei "das Holz, aus dem Kanzler gemacht werden". Und wie steht es um die SPD? Wo bleibt die Unterstützung des Kanzlerkandidaten durch maßgebliche Parteigenossen? Stephan Weil schweigt, Manuela Schwesig tut es ihm gleich, um nur zwei Beispiele zu nennen. Leider hat die Solidarität in den Reihen der SPD Seltenheitswert erlangt. Hieran ist bereits Martin Schulz gescheitert, woran auch Olaf Scholz beteiligt war. Es kann aber gegenwärtig nicht darum gehen, alte Rechnungen zu begleichen. Vielmehr ist Hilfestellung für Olaf Scholz gefragt, und zwar auf allen Ebenen (Eintrag vom 21.7.). ES ist zwar die Zeit der Sommerferien, doch ist es riskant, den Wahlkampf für Wochen ruhen zu lassen, den politischen Konkurrenten das Feld zu überlassen und darauf zu setzen, auf den letzten Metern noch punkten zu können.
Gestern oder vorgestern wurde im Ersten Programm berichtet, der Verbrauch von Ressourcen habe bereits Ende Juli das Maß erreicht, das für das ganze Jahr angesetzt ist. Und diese Misswirtschaft wird sich voraussichtlich in den noch vor uns liegenden fünf Monaten fortsetzen. Dass das ZDF zu diesem Thema kein Wort verliert, ist nicht verwunderlich, könnte es doch aufhorchen lassen und die Bequemlichkeit stören. Aber wo bleiben die Stimmen maßgeblicher Umweltpolitiker der SPD? Aus dem Umweltministerium, geführt von Svenja Schulze, ist nichts zu hören, ebenso wenig aus dem Bundesumweltamt. Unter sommerlichen Sonnenschirmen lassen sich die gesetzten Klimaziele nicht verwirklichen. Die CSU betont gern, ins Kanzleramt komme man nicht "im Schlafwagen". Der Appell an die Adresse Armin Laschets, dem ein sonniges Gemüt eigen ist, könnte auch Ansporn sein für die SPD. Wo auch immer Regierungsverantwortung tragend, sollte sie auf nachhaltiger Umweltpolitik beharren, auch mit Umweltverbänden kooperieren. Das Schlimmste, das der SPD im Herbst 2021 passieren könnte, wäre die Landung in einer Zange zwischen CDU/CSU und FDP (Eintrag vom 14.7.). Von diesen wesensverwandten Parteien ist ein Ende der Ressourcenverschwendung nicht zu erwarten. Die besonders von den Liberalen pausenlos propagierte Freiheit wird in absehbarer Zukunft dazu führen, dass "Mutter Natur" uns noch empfindlichere Einschränkungen auferlegt. "Macht euch die Erde untertan!" heißt es in der Schöpfungsgeschichte. Doch unser Planet wird sich das auf die Dauer nicht gefallen lassen, sondern dem homo sapiens Grenzen setzen. Hierauf hat schon Erhard Eppler, der in seiner Partei nicht nur Freunde hatte ("Wer zu früh kommt, den bestrafen die Parteifreunde." , vorausschauend hingewiesen.
Freitag, 23. Juli 2021 - 18:58 Uhr
Taktik und Blendwerk Thüringer Art
Wie konnte es nur dazu kommen, dass der AfD von den anderen Parteien die Regie überlassen wurde?
Vermutlich war es ein Fehler von Rot-Rot-Grün, sich auf die Verschiebung des Neuwahltermins auf den 26. September einzulassen, zuversichtlich darauf setzend, dass sich aus den Reihen der CDU genügend Abgeordnete für die erforderliche Zweidrittelmehrheit finden würden. Besser gewesen wäre es für die Koalition, über die Selbstauflösung des Landtags zum vereinbarten Zeitpunkt abstimmen zu lassen, unabhängig davon, wie sich die anderen Fraktionen verhalten würden, und auf die Gefahr hin, dass die Zweidrittelmehrheit mit Stimmen aus der AfD erreicht worden wäre. Dies zu verhindern war nach dem Debakel vom Februar 2020 eine verständliche, in bester Absicht getroffene Entscheidung. Doch nun haben sich die Fäden verknotet und lassen sich nur schwer wieder entwirren. Heute, am 23. Juli, wird über das von der AfD veranlasste Misstrauensvotum gegen Bodo Ramelow und die damit verknüpfte Wahl Björn Höckes zum neuen Ministerpräsidenten abgestimmt. Die Fraktionen der LINKEN, der SPD und der Grünen haben beschlossen, mit Nein zu stimmen. Gleiches will die FDP tun, obwohl sie der CDU sehr nahe steht. Letztere will sich an der Abstimmung gar nicht beteiligen, was wohl als Enthaltung zu werten ist. Vordergründig betrachtet, spielt hier die Befürchtung eine Rolle, einzelne CDU-Abgeordnete könnten sich auf Höckes Seite schlagen. Dahinter steht aber wohl ein anderes Kalkül, nämlich die entstandene Verwirrung zu ihren Gunsten aufzulösen und in naher Zukunft einen Regierungswechsel in Thüringen herbeizuführen.
Wie ich inzwischen weiß, ist es im Thüringer Landtag anders gelaufen. Nicht die Nein-Stimmen wurden gezählt, sondern die Ja-Stimmen für Höcke. Das Misstrauensvotum ist also gescheitert, was andererseits nicht den Fortbestand der Regierung Ramelow garantiert. Sie bleibt angreifbar. In trauter Einigkeit werden CDU und FDP - nun wieder gemeinsam mit der AfD - den Thüringer Bürgerinnen und Bürgern vor Augen führen wollen, dass Rot-Rot-Grün nicht in der Lage sind, das Land zu regieren. Das Scheitern ist gemäß dieser Kalkulation also vorprogrammiert. Hoffen CDU und FDP darauf, die SPD aus der Koalition Rot-Rot-Grün herauszulösen, für eine "Deutschland-Koalition" zu gewinnen und ihr weiszumachen, dies sei zum Wohle Thüringens "alternativlos"?
Aus diesem Dickicht und Gerangel kann die SPD nur dann unbeschadet herauskommen, wenn sie an dem Bündnis mit Rot-Grün festhält, darauf pocht, dass die Legislaturperiode nicht mit der parlamentarischen Sommerpause endet, die Verantwortung der CDU für die Regierbarkeit des Landes hervorhebt und die CDU als das erscheinen lässt, was sie in Wirklichkeit ist: eine machtversessene, auf finanziellen Zugewinn getrimmte Einrichtung. Helmut Kohl nannte den Spenderclub der CDU "Staatsbürgerliche Vereinigung" - ein trickreicher Euphemismus. Auch Bargeld verschmähte er nicht, ließ es in seiner Jackentasche versschwinden. Hiervon abzulenken und der CDU die Gloriole einer menschenfreundlichen, ertrag- und segensreichen Anständigkeit zu verpassen ist eines der Erfolgsrezepte der sechzehnjährigen Kanzlerschaft Angela Merkels. Letzterer ist es gelungen, ihre Partei nach links zu rücken, im Garten der SPD zu ernten und dies als Markenkern der Unionsparteien zu verkaufen.
Noch in der laufenden Legislaturperiode, also in naher Zukunft sollte die SPD daran mitwirken, einen neuen Anlauf zur Selbstauflösung des Thüringer Landtags zu wagen und Neuwahlen zu veranlassen, unabhängig davon, wie das Stimmverhalten der AfD ausfällt. Dieser Partei sollte die Regie wieder aus der Hand genommen werden. Vor allem muss die SPD im Herbst dieses Jahres darauf bedacht sein, dem Werben von CDU und FDP zu widerstehen. Um jeden Preis mitregieren zu wollen hatte für die SPD noch nie Priorität. Und dies sollte so bleiben.
Mittwoch, 21. Juli 2021 - 16:44 Uhr
Die intellektuelle und soziale Ausdünnung der SPD
Es gab Zeiten, in denen die SPD wie ein Magnet wirkte auf Leute, die den brennenden Problemen in Staat, Gesellschaft und Arbeitswelt nachspürten und auf den Leib rückten, nach Lösungen suchten, auch die grundsätzlichen, philosophischen Fragen anpackten. Gerade in dieser Hinsicht gab es auch Streit auf hohem Niveau: Diskussion über das Gothaer Programm, Revisionismusstreit (Eduard Bernstein). Es folgten die Umbrüche in der Zeit der Weimarer Republik (Philipp Scheidemann als eines der Glanzlichter der SPD), der Kampf gegen den Nationalsozialismus, der Neubeginn nach dem Zweiten Weltkrieg. Vorrangig Sozialdemokraten schrieben an unserem Grundgesetz mit (Carlo Schmid). Wichtig war außerdem, dass die SPD sich auch anderen geistigen Bewegungen als dem Marxismus öffnete (Kurt Schumacher, Godesberger Programm). Warum hat dieses Profil an Anziehungskraft verloren? Warum finden Geistesgrößen wie Peter Glotz keine Nachfolger? Warum sucht die SPD nicht die Zusammenarbeit mit zeitgenössischen Wirtschaftswissenschaftlern wie Heiner Flassbeck und Marcel Fratzscher? Warum ist überhaupt erwogen worden, die Historische Kommission aufzulösen? Statt dessen übernahmen Politiker wie Gerhard Schröder (der "Genosse der Bosse" und Wolfgang Clement (der Superminister) das Ruder. Sie versuchten, den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Scherbenhaufen der Kohl-Ära wegzuräumen, ermöglichten den (außertariflichen) Niedriglohnsektor und nahmen in Kauf, dass die SPD den Rückhalt in weiten Kreisen der abhängig Beschäftigten verlor. Von zaghaften Ansätzen (Diskussion um Hartz IV) abgesehen, ist dieses Erbe bis heute nicht aufgearbeitet und bewältigt. Statt dessen wird an Symptomen herumgedoktert. Der Berliner Mietendeckel ist vor dem Bundesverfassungsgericht gescheitert. Wo bleibt die Antwort der SPD auf Bundesebene, zum Beispiel als Wahlkampfthema? Auch die fällige Steuerreform bleibt in Ankündigungen stecken.
Der Bundesfinanzminister, Vizekanzler und SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz war führend beteiligt an ersten Beschlüssen zur Einführung einer globalen Mindeststeuer für große Konzerne. Dies ist ein zukunftsorientiertes Projekt, das den Mitgliedsstaaten mehr finanzielle Handlungsmöglichkeiten verschafft und internationale Ungleichgewichte beseitigen kann. Das Problem: Über das Vorhaben wird an bestenfalls zwei Tagen in den Medien berichtet, gerät bald ins Hintertreffen, in der Schnelllebigkeit unserer Zeit kein Einzelfall. Hier ist es Aufgabe der SPD, gegenzusteuern, dem vielversprechenden Erfolg nachhaltig Aufmerksamkeit zu verleihen.
Der "Vorwärts", "Zentralorgan" der deutschen Sozialdemokratie, erschien anfänglich dreimal wöchentlich (1876), nach der Bismarckzeit als Tageszeitung (ab 1891). Nach dem Zweiten Weltkrieg schrumpfte das Blatt zur Mitgliederzeitung und geht zur Zeit alle zwei Monate in den Druck. Auch als Debattenforum scheidet der "Vorwärts" (seit 1994 mit kleinem Anfangsbuchstaben) weitgehend aus. Ein Ersatz ist nicht in Sicht. Um so unverständlicher ist mir allerdings, dass SPD-Spitzenpolitiker ausgerechnet der Springer-Presse vorzugsweise an Wochenenden Interviews geben. "Bild am Sonntag" ist nun wahrlich nicht der Boden, auf dem die SPD gedeihen kann. Diese alte Partei muss andere Wege suchen, sich an die interessierte Öffentlichkeit zu wenden, muss die jüngeren Generationen für sich gewinnen. Dass Jessica Rosenthal zur neuen Juso-Vorsitzenden gewählt wurde, ist ein Zeichen der Hoffnung. Sie ist keine Parteikarrieristin, sondern steht als examinierte Lehrerin beruflich auf festen Füßen. Doch welche Aufmerksamkeit, welcher Rückhalt wird ihr vom Parteiapparat zuteil?
Montag, 19. Juli 2021 - 17:49 Uhr
Die SPD bald im maßgeschneiderten Totenhemd? Und das ohne Trauergäste ...
Schafft die "alte Pendlerpartei" (Herbert Wehner) es wieder einmal, die Karten neu zu mischen, den Koalitionspoker anzuheizen und sich feixend die Hände zu reiben? In Sachsen-Anhalt hat sie es anscheinend schon initiiert. Am Freitagabend (16.7.) beschloss der SPD-Parteitag, Koalitionsverhandlungen mit CDU und FDP aufzunehmen (vgl. den vorigen Eintrag). "Ergebnisoffen" oder bereits mit dem Hintergedanken, die erste Deutschland-Koalition auf "Deibel, komm raus!" auf die Regierungsbank zu hieven? - In Thüringen ist die Situation reichlich konfus, weil die Abstimmung über die Selbstauflösung des Landtags abgesagt ist. LINKEN-Fraktion und Grünen-Abgeordnete haben ihre Unterschriften zurückgezogen, weil der entsprechende Beschluss nur mit Stimmen aus den Reihen der AfD zustande gekommen wäre. Die CDU verweigerte sich, entgegen vorausgegangenen Vereinbarungen, und hätte der rot-rot-grünen Koalition genüsslich vorhalten können, sie habe mit der AfD gemeinsame Sache gemacht. Diese Heuchler! - Und wie verhält sich die SPD-Fraktion? Eindringlich bitte ich sie darum, sich nicht daran zu beteiligen, die Regierung Ramelow zu stürzen, und nicht daran mitzuwirken, dass ein CDU-Mensch (z.B. Mario Voigt) als neuer Ministerpräsident inthronisiert wird - also mit der Entwicklung in Sachsen-Anhalt gleichzuziehen. Matthias Fornoff, der Herold des ZDF-Politbarometers, betonte am 16. Juli, einer "Deutschland-Koalition" auch auf Bundesebene (nach den Bundestagswahlen am 26. September) entschieden den Vorzug zu geben - wie das ZDF überhaupt alles daransetzt, eine Regierungsbildung ohne die CDU zu verhindern (vgl. den Eintrag vom 26.6.).
Zumindest in den neuen (ostdeutschen) Bundesländern hat die AfD schon eines erreicht: Keine Regierungsbildung erfolgt, ohne dass die "Altparteien" nicht müde werden zu betonen, sie seien die einzigen demokratischen Parteien und unterschieden sich dadurch von der AfD. Letztere müsse unbedingt von jeglicher Regierungsbeteiligung ausgeschlossen werden. Wenn CDU, die Grünen, die SPD und die FDP die AfD für antidemokratisch halten, sollten sie beim Bundesverfassungsgericht einen Verbotsantrag einreichen. Das Verbot der NPD wurde abgelehnt mit der Begründung, diese Partei sei zu geringfügig, als dass von ihr eine Gefahr für die freiheitlich-demokratische Grundordnung ausgehe. Im Falle der AfD kann dieses Argument nicht greifen; sie ist im Bundestag und in allen Länderparlamenten vertreten. Doch statt den Weg zum Bundesverfassungsgericht anzutreten, benutzen die anderen Parteien die AfD als Joker, als Druckmittel, um sich gegenseitig Entscheidungen abzuzwingen. In Sachsen-Anhalt kann dies eine Rolle gespielt haben. Die Grünen stehen nicht mehr zur Verfügung, also muss die SPD ran, denn LINKE und AfD werden als Koalitionspartner ausgeschlossen. Schon allein diese beiden Parteien in einen Topf zu werfen ist eine glatte Unverschämtheit. Das fatale Ergebnis dieser Kungeleien: Der Einfluss der AfD wächst, und sie kann auf Stimmengewinne hoffen.
Immer wieder diese verflixte AfD! Kann ein Beschluss nur dann sinnvoll und akzeptabel sein, wenn die AfD nicht daran beteiligt ist? Dass Thomas Kemmerich (FDP) mit den Stimmen der AfD zum Ministerpräsidenten gewählt wurde, ist schlimm genug und vor allem auf das Stimmverhalten der CDU zurückzuführen, darf aber nicht alles blockieren. Sonst sind Handlungs- und Regierungsunfähigkeit die Folge .
Ich kann die SPD-Fraktion im Thüringer Landtag nur eindringlich bitten, sich einer Entwicklung wie in Sachsen-Anhalt entgegenzustemmen. Wenn die Regierung Ramelow scheitert, liegt das nicht an der AfD, sondern an der CDU und deren Weigerung, Neuwahlen zu ermöglichen oder Rot-Rot-Grün so lange zu stützen, bis ein neuer Landtag gewählt ist. Diese Verantwortung der CDU muss nachdrücklich und immer wieder hervorgehoben werden. Schließlich ist vor allem die Christenunion für das unchristliche Chaos nach den Landtagswahlen von 2020 verantwortlich. Und sie hat anders als SPD, Linke und Grüne Mühe damit, sich von der AfD abzugrenzen- auch wenn ihre Spitzenfunktionäre gern das Gegenteil behaupten.
Mittwoch, 14. Juli 2021 - 19:02 Uhr
Ein "Trio infernale" in Magdeburg? Ein Vorgeschmack auf die nächste Bundesregierung?
Die Farben Schwarz-Rot-Gold stehen zur Zeit hoch im Kurs. Es sind die deutschen Farben, wie bei jeder Beflaggung zu sehen. Vernachlässigt werden kann dabei aktuell die Unterscheidung zwischen Gold und Gelb. Gelb, vor Jahrhunderten noch als Farbe der Schande verpönt, ist die Farbe der Liberalen, die momentan im Kommen und seit 2017 nach schmerzhafter Pause wieder im Bundestag vertreten sind.
Reiner Haseloff, bei Weitem nicht farbenblind und schon vor dem 6. Juni als Retter der Demokratie hoch gepriesen (vgl. den Eintrag vom 7.6.), hat nach den Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt mehrere Optionen zur Bildung einer neuen Landesregierung. Sondiert wird und dem Vernehmen nach weit gediehen ist eine Koalition zwischen CDU, SPD und FDP. Es wäre die erste "Deutschland-Koalition". Meines Erachtens wäre es unklug und verwegen, wenn die SPD sich als Wahlverlierer (8,4 %) mit den Wahlgewinnern CDU (37,1 %) und FDP (6,4 %) ins Bett legte. Es könnte ungemütlich werden, wenn die drei sich um Kopfkissen und Bettdecke stritten (G. Keller, Die drei gerechten Kammmacher). Kann ich der SPD ernsthaft raten: "Wage es, den Feuersalamander zu küssen!"? Selbst auf die Gefahr hin , leichte Verbrennungen davonzutragen? Das Äußere der Echse ist schwarz und gelb gefärbt. Fressfeinde fürchten die unbekömmlichen Hautsekrete, feuerfest soll sie auch noch sein. In Flammen aufgehen könnte lediglich die SPD. Sollte diese sich auf eine solche Koalition einlassen, müsste sie riskieren, dass in einem Koalitionsvertrag Klima- und Umweltschutz unter "ferner liefen" rangierten. Haseloffs Erwägungen liegen auf der Hand. Er könnte eine Koalition mit der SPD eingehen, täte dies aber wohl ungern, weil dieses Zweierbündnis nur eine Mehrheit von einer Stimme im Landtag hätte. Dies ist jedoch in NRW nicht anders, was nahelegt, dass noch anderes Kalkül im Spiele ist. Daher lädt er auch die FDP zu Gesprächen. Ist dies erfolgreich, erscheint das Ganze in anderem Licht: Zwei (die sich durchaus sehr grün sind) gegen eins, die Zwickmühle ist verlockend.
Sachsen-Anhalt ist von dem eingeleiteten Strukturwandel schwerer als andere Bundesländer betroffen (Kohleausstieg) und wird nicht den Vorreiter machen wollen auf dem mühsamen und kostspieligen Weg zu einem modernen Industrieland. Armin Laschet hat zwar ein "Modernisierungsjahrzehnt" ausgerufen, scheut jedoch die Präzisierung und sorgt sich sehr um das Wohl der weniger von Armut Bedrohten.
Ein Staat, in dem die Regierungsarbeit wochenlang lahmgelegt ist, weil Frau Merkel und Herr Seehofer sich nicht auf eine Obergrenze bei der Aufnahme von Flüchtlingen einigen können (Sommer 2018). Ein Staat, in dem viel Hirnschmalz darauf verwendet wird, ob und wie die Berliner Mohrenstraße umbenannt werden soll. Ein Staat, in dem es nicht mehr angängig sein soll, von "Schwarzfahren" zu sprechen, in dem noch "schwarzgearbeitet" wird (und das nicht zu knapp), dies aber nicht mehr so genannt werden darf. Ein Staat, in dem Astrophysiker bald nicht mehr von "Schwarzen Löchern" reden dürfen, in dem also Rassismusschwätzer den Ton angeben, ist gut beraten, sich auf wesentlich Wichtigeres zu konzentrieren. Und das gerade in Wahlkampfzeiten, in denen Propagandisten um sich schlagen, in denen Wahlforscher sich an der "asymmetrischen Demobilisierung" des Wahlvolks abarbeiten und Politiker zu kaschieren bemüht sind, dass sie die Wählerinnen und Wähler für lauter leicht manipulierbare Dummchen halten. So blöd sind diese jedoch beileibe nicht. Leider bringen die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten informative, zeitkritische, über Tagesaktuelles hinausreichende Sendungen meist erst zu später Stunde. Vorrang genießen Ablenkung und Unterhaltung, nicht zuletzt die vielen Krimis. (Das ZDF bittet zum Leichenschmaus.)
Mein Appell an die Genossinnen und Genossen der SPD: Kümmert euch um die Absicherung des Sozialstaats, die Bewältigung der Migrationsfolgen (an der Integration hapert es noch gewaltig), die Probleme der rasant wachsenden Weltbevölkerung, Maßnahmen gegen die um sich greifende Aufrüstung, die Zukunft des Bildungswesens, die Neuausrichtung der Mobilität. Die ungehemmte Produktion von E-Autos ist nicht der Weisheit letzter Schluss. Wo sollen die Rohstoffe herkommen, etwa Kobalt und Lithium? Soll es wieder einmal darauf hinauslaufen, dass die reichen Industrieländer ihrer luxuriösen Mobilität hemmungslos frönen und die ärmeren, rohstoffreichen Entwicklungsländer ausgebeutet werden?
Die Süddeutsche Zeitung kommentierte das neue Wahlprogramm sinngemäß so: Es steht viel Gutes und Wichtiges drin. Doch wer traut der SPD noch zu, dass sie mit ihren Vorsätzen wirklich Ernst macht? Kurzum: Geht auch die heiklen Themen an, riskiert es, bei vielen Besserverdienenden Kopfschütteln auszulösen, und setzt auf eine kluge, weitsichtige Politik! Dann wird auch die AfD an Zulauf verlieren.
Sonntag, 4. Juli 2021 - 18:36 Uhr
Von der Meeresbrise (sea breeze) zur seefesten Windhose
Sie will partout nicht abreißen, die Kette von Manövern. 2019 NATO-Manöver in Polen. 2020 NATO-Manöver in Norwegen. 2021 NATO-Manöver im Ostseeraum, anschließend ein Großmanöver im Schwarzen Meer. Die gewaltige Kriegsmaschinerie darf nicht einrosten, muss auf Betriebstemperatur gehalten und modernisiert werden. Schließlich wollen auch die Bedürfnisse der Rüstungsindustrien befriedigt werden. Kürzlich ging ein Großauftrag (Volumen: 1,9,Milliarden Euro) an die Firmen Rheinmetall und Krauss-Maffei. Aufgabe: "konsolidierende Nachrüstung" des Radpanzers Puma. Die Raubkatze ist in Fresslaune, ganz egal, woher das Futter kommt. Krauss-Maffei befindet sich übrigens mehrheitlich (60 %) in chinesischem Besitz.
Das Lagezentrum des noch laufenden Manövers liegt in Odessa. Offizieller Gastgeber ist die Ukraine, Co-Gastgeber sind die Vereinigten Staaten. Ca. 30 Staaten beteiligen sich daran, weit mehr, als das Schwarze Meer Anrainerstaaten hat. Jüngst wurde von Zwischenfällen berichtet. Ein britisches und ein niederländisches Kriegsschiff gerieten mit russischem Militär aneinander, ganz in der Nähe der Halbinsel Krim. Russland hatte gefordert, auf das Manöver zu verzichten, was erwartungsgemäß abgelehnt wurde, obwohl es zur Entschärfung der Situation hätte beitragen können. Moskau befürchtet möglicherweise, dass durch gezielte Provokationen die Krim für die Ukraine zurückgewonnen werden solle. Haben wir uns darauf einzustellen, dass die Ukraine demnächst in die NATO aufgenommen wird?
Das Schwarze Meer liegt seit Alters her im Schnittpunkt der Interessen von Großmächten (Krimkrieg 1853-56). Im 19. Jahrhundert schickten die europäischen Großmächte, allen voran England, Österreich(-Ungarn) und Russland, sich an, den "kranken Mann am Bosporus" (das Osmanische Reich) zu beerben. England hatte ein kontinuierliches Interesse daran, dass russische Kriegsschiffe nicht ins Mittelmeer vordrangen (Meerengenvertrag 1841): Die englische Seeherrschaft sollte unangefochten bleiben ("Rule, Britannia, Britannia rule the waves!" . Die Halbinsel Krim war ihrerseits seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts Teil des Zarenreichs und wurde vom gebürtigen Ukrainer Nikita Chruschtschow in den 1950ern durch einen Willkürakt der Sowjetrepublik Ukraine zugeschlagen, blieb aber weiterhin der Stützpunkt der russischen Schwarzmeerflotte, was zu beachten ist, wenn kurzsichtig und polemisch die Rede ist von einer "Annexion" der Krim durch Moskau (2014).
Der Balkan, im Osten an das Schwarze Meer grenzend, war im 19. Jahrhundert und in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg ein ständiger Konfliktherd. Seit dem Berliner Kongress (1878) verfügte die Doppelmonarchie Österreich-Ungarn über das Besatzungs- und Verwaltungsrecht in Bosnien und der Herzegowina. Völkerrechtlich blieben diese Territorien jedoch Teil des Osmanischen Reiches, das mehr und mehr an den Rändern ausfranste. Seine Schwächung durch die Revolution der Jungtürken nutzte die Wiener Regierung dazu, Bosnien und die Herzegowina dem Habsburgerreich endgültig einzuverleiben, was prompt eine europäische Krise auslöste (1908) und der Doppelmonarchie den Hass vieler Südslawen zuzog.
Manöver dienen traditionell dazu, sich auf eine kriegerische Auseinandersetzung vorzubereiten und für den Ernstfall gerüstet zu sein. Genau dieser soll nach den Katastrophen des 20. Jahrhunderts, so wird regelmäßig beteuert, durch eine Demonstration der Stärke verhindert werden. Manöver sollen abschrecken, dem Gegner zeigen, wie ernst es einem ist. Doch wer kann den Erfolg solchen Handelns garantieren? Was passiert, wenn bei diesem Wechsel von Zug und Gegenzug sich menschliches Versagen, ein Fehler bzw. Irrtum einstellt? Schlimmer noch wäre es, wenn der Krieg "automatisch" , zum Beispiel durch Roboter, ausgelöst würde, kein Mensch mehr die Verantwortung für die Schrecken eines Krieges trüge, sondern diese Verantwortung auf künstliche Intelligenz abgeschoben würde.
Im Sommer 1914 fand in Bosnien und der Herzegowina ein groß angelegtes Manöver statt. Das Habsburgerreich wollte Stärke demonstrieren und den südslawischen Völkern zeigen, dass ihr Streben nach Unabhängigkeit und Bildung eigener Nationalstaaten aussichtslos sei. Den krönenden Abschluss des Manövers sollte ein Besuch des österreichischen Thronfolgerpaares bilden. Am 28. Juni fielen dann die tödlichen Schüsse auf Franz Ferdinand und dessen Frau, schlugen ein in eine spannungsreiche, krisengeschüttelte Weltlage. Die diplomatischen Bemühungen waren vergeblich, die Kriegsvorbereitungen gewannen an Tempo, verselbständigten sich und kulminierten in Kriegserklärungen (Anfang August). Der englische Premierminister David Lloyd George konstatierte später in seinen Memoiren, die Nationen seien in den Krieg "geschlittert", ohne zu ahnen, was da über sie hereinbrach. Dies sei auch deshalb geschehen, weil es an fähigen Politikern gemangelt habe. Was werden Politiker und Militärs, die gegenwärtig zündeln und davon überzeugt sind, sie hätten die Lage im Griff, an verharmlosenden Erklärungen bemühen? Glatteis wird als Ausrede nicht hinreichen.
Mag sein, dass das Manöver im Schwarzen Meer nicht den Frieden gefährdet. Schrecklich ist allerdings die Vorstellung, es könnte der Auftakt zu aufwendigeren Operationen sein, etwa im indopazifischen Raum, als Drohgebärden gegen China und Russland.
Albert Einstein hielt zweierlei für unendlich: das Weltall und die menschliche Dummheit. Doch wo wächst das Kraut gegen diese Dummheit? Der USA-hörige NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg hat noch nicht davon gekostet. Wie ein eitler Gockel drehte und wendete er sich vor beiden Häusern des amerikanischen Kongresses, als er dort 2019 das 70jährige Bestehen der NATO feierte und den Beifall seiner Zuhörer genoss. Auch lässt er sich gern bei Parteiveranstaltungen der CDU blicken.
Albert Einstein unterzeichnete mit anderen prominenten Wissenschaftlern im August 1939 einen Brief an den amerikanischen Präsidenten F.D. Roosevelt, in dem davor gewarnt wurde, dass Hitler-Deutschland nach der ersten Kernspaltung (Otto Hahn, Lise Meitner) an der Entwicklung einer Atombombe arbeiten könnte. Die USA müssten ihrerseits eine solche Bombe entwickeln. Im Rückblick betrachtete Einstein seine Unterschrift als einen Fehler. Inzwischen waren die Folgen bekannt. Den gegenwärtig politische Verantwortung Tragenden ist zu wünschen, dass sie ebenso selbstkritisch die Auswirkungen ihrer Aktionen einschätzen können. In dem allgemeinen Gewurstel unserer Tage nimmt die Öffentlichkeit die Ereignisse im Schwarzen Meer kaum wahr. Anderes beansprucht ihre Aufmerksamkeit: die Corona-Pandemie, Fußballmeisterschaften, Urlaubspläne nach der langen Zwangspause. Unbedingt erforderlich wäre ein rechtzeitiges Erwachen, ein genaues Hinschauen auf das, was sich in der großen Politik zuträgt. Es ist gefährlich, wenn ein kleiner Zirkel von Politikern unter sich bleibt und riskante Entscheidungen trifft. Demokratie ereignet sich nicht nur in Wahlkabinen. Der Parlamentarismus kränkelt, wie Bundestagssitzungen zeigen. Ergänzend sollten Bürgerräte ins Leben gerufen werden.
Samstag, 26. Juni 2021 - 15:01 Uhr
Olaf Scholz als Prügelknabe von CDU und ZDF
Noch vor der offiziellen Übergabe des Berichts des Wirecard-Untersuchungsausschusses nahm Peter Frey den Bundesfinanzminister ins Gebet und fragte Olaf Scholz, ob dieser sich nicht bei den zahlreichen Opfern des Wirecard-Kollapses entschuldigen wolle; schließlich sei er der zuständige Ressortchef. Als Scholz darauf nicht wie gewünscht reagierte, resümierte Frey süffisant: "Also keine Entschuldigung." Peter Frey, mit ca. 250.000 Euro Jahresgehalt nicht gerade schlecht bezahlter Chefredakteur des Adenauer-Geschöpfes ZDF, ließ es an Heuchelei nicht fehlen, weiß er doch genau, dass die laxe Aufsicht über den Finanzdienstleister in die Jahre zurückreicht, als Wolfgang Schäuble dem Finanzministerium vorstand. (Eintrag vom 22.9.20) Ausgerechnet dieser altgediente Politiker nahm jüngst den viele Seiten umfassenden Bericht des Untersuchungsausschusses entgegen und ging lächelnd über seine Verantwortung für den Skandal hinweg. Einer seiner Fraktionskollegen, ein CDU-Bundestagsabgeordneter, blies in das gleiche Horn wie Peter Frey und zeigte Olaf Scholz bleckend die Zähne.
Wieder einmal wurde deutlich, wie eng verbunden das ZDF sich den Unionsparteien fühlt. Seit 1959 arbeitete Konrad Adenauer daran, der ARD, also dem Ersten Programm, eine willfährige Fernsehanstalt entgegenzustellen. "Fernsehen Deutschland GmbH" sollte das Ding heißen, das jedoch durch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts verhindert wurde (1961). 1963 strahlte die nun öffentlich-rechtliche Fernsehanstalt die ersten Sendungen aus, blieb allerdings dem Vorhaben Adenauers treu, das Bundespresseamt samt Regierungssprecher durch einen regierungsfreundlichen Sender zu ergänzen.
Dass Olaf Scholz der scheidenden Kanzlerin für die "gute Zusammenarbeit" in den letzten Jahren dankte, lässt den honorigen Kern des SPD-Kanzlerkandidaten erkennen. Dass die CDU sich dafür erkenntlich zeigt, darf bezweifelt werden. Für den Etat 2022 hat der Haushaltsausschuss des Bundestages eine Neuverschuldung von etwa 100 Milliarden veranschlagt. Davon sind 19 Milliarden für den Verteidigungsetat vorgesehen. Zusätzlich zu dem regulären, durch Steuereinnahmen gedeckten Haushaltsposten? Aufgabe der SPD in der neuen Legislaturperiode muss es sein, präzise und öffentlich darzulegen, wofür die enorme Summe ausgegeben werden soll. Läuft das Ganze darauf hinaus, das weltweite Wettrüsten anzuheizen? Sollen nun doch Kampfdrohnen beschafft, US Super Hornets (F/A-18F) bestellt und das riesige neue europäische Rüstungsprojekt FCAS finanziert werden? Die SPD darf sich nicht darauf hinausreden: "Nach uns die Sintflut!" Sie sollte sich dagegen stemmen, dass wie gehabt Volksverdummung betrieben wird. Wahrscheinlich erfolgt die Verabschiedung der Kanzlerin verfrüht. Olaf Scholz und Angela Merkel werden auch nach dem 26. September im Kabinett miteinander zu tun haben, geschäftsführend, versteht sich. Wann eine neue Regierung die Arbeit aufnimmt, steht noch in den Sternen. Gründlich sollte die SPD sich fragen, ob sie sich daran als Juniorpartner beteiligen möchte. Der Weg ins Kanzleramt ist momentan durch gewaltige Hindernisse verstellt, zum Beispiel durch die aktuellen Umfragewerte. Seid auf der Hut, Genossinnen und Genossen, und setzt euch zur Wehr!