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Politik

Mein Blog

Dienstag, 8. März 2022 - 16:50 Uhr
Putins Zerstörungswerk

Ein Regent, der mit seinen Schergen das eigene Volk unterdrückt, ihm geistige Fesseln anlegt, es schamlos belügt und betrügt, der Demonstrantinnen und Demonstranten gegen seinen Krieg niederknüppeln und einsperren lässt; der einen benachbarten Staat mit Krieg überzieht, unsägliches menschliches Leid verursacht, Städte in Trümmer legt und unbewohnbar macht; der große Teile der ukrainischen Bevölkerung zur Flucht zwingt; der das internationale Ansehen Russlands verspielt; der sich mit anderen Diktatoren zusammentut, ansonsten aber zusehends in Isolation gerät. Ein solcher Despot arbeitet zusammen mit seinen Handlangern auf den eigenen Untergang hin. Und dieser ist auch deshalb erforderlich, damit Russland überleben kann.
Wie sollen künftig noch die notwendigen Abrüstungsverhandlungen möglich werden, wenn auf das Wort der russischen Regierung kein Verlass ist? Bis zum 23. Februar hat Putin versichert, er plane keinen Einmarsch in die Ukraine. Und viele haben sich hierauf verlassen. Am 24. 2. wachten wir jedoch in einer anderen Welt auf. Es herrschte Krieg. Olaf Scholz sprach von einer "Zeitenwende". Und in der Tat: Die Eröffnung des Krieges gegen die Ukraine und die Reaktionen des Westens auf diesen Gewaltakt machen den ganzen Irrsinn kriegerischer Auseinandersetzungen sichtbar. Zur Zeit stöhnt auch die Bundesrepublik unter der Last drastisch gestiegener Energiekosten. Es ist die Stunde der Krisengewinnler. Die Treibstoffpreise schnellen in die Höhe, woran sich trefflich verdienen lässt. Sanktionen wie das Ende von Nord Stream 2 werden von russischer Seite mit der Drohung beantwortet, auch die Gaslieferungen durch die Pipeline Nord Stream 1 einzustellen. Große Nervosität an den Börsen und in den zuständigen Ministerien. Der Staat soll es wieder einmal richten, zum Beispiel die Mineralölsteuern senken und Heizkostenzuschüsse finanzieren. Im Handumdrehen steigt die Nachfrage nach Flüssigerdgas (LNG), obwohl dessen Klimaschädlichkeit bekannt ist, von den hohen Kosten ganz abgesehen. Aber wie die Bundesaußenministerin bereits erklärte: Wir scheuen keine Kosten, wenn es darum geht, Putins Aggression zu bestrafen.
Wie lange der furchtbare Krieg noch andauert, ist nicht absehbar. Wünschenswert ist sein baldiges Ende. Hoffentlich kann die menschliche Vernunft sich gegen den Irrsinn des Krieges behaupten. Die europäische Aufklärung hat dem Denken höchste Priorität zugewiesen. "Cogito ergo sum." (Descartes) Der Philosoph Immanuel Kant verfasste unter anderem die Schrift "Zum ewigen Frieden". Manchen mag dies als reines Wunschdenken erscheinen. Dennoch: Es ist überlebensnotwendig, der Vernunft und dem Frieden eine Chance zu geben.

Freitag, 4. März 2022 - 17:17 Uhr
Der Kriegsverbrecher Wladimir Putin

Das Leid, das russische Kampfverbände zur Zeit ihren Nachbarn in der Ukraine zufügen, ist durch nichts zu rechtfertigen. Weder durch mögliche Brüskierungen Russlands von Seiten des Westens noch durch den Hinweis darauf, dass Russland viel in die Entwicklung der Ukraine investiert hat. Hieraus herzuleiten, die Ukraine habe nicht das Recht auf Eigenständigkeit und Souveränität, zeugt von imperialistischer Überheblichkeit. Nicht ein einziges Menschenleben darf nationalistischem Machtstreben geopfert werden. Die Missachtung des Individuums durch den Nationalsozialismus hat die Mütter und Väter unseres Grundgesetzes folgern lassen, den Grundrechten des Menschen oberste Priorität zu verleihen und ihnen alle anderen Verfassungsteile nachzuordnen. Der Staat ist kein Selbstzweck, sondern in den Dienst an den Menschen zu stellen. So beginnt der erste Artikel mit dem Satz: "Die Würde des Menschen ist unantastbar."
Dass Putin seit geraumer Zeit den Schulterschluss mit Diktatoren und Menschenverächtern sucht, lässt auf Borniertheit schließen und bedeutet Zukunftsverweigerung. Das russische Volk wird es sich nicht gefallen lassen, von den Staatsorganen gegängelt und mit Propagandalügen gefüttert und ruhiggestellt zu werden. Aus der Behauptung, die Ukraine müssen "entnazifiziert" werden, spricht blanker Hohn. Solcher Unsinn kann nur von Machthabern artikuliert werden, die den Nationalsozialisten wesensverwandt sind. Hoffentlich wird der russische Präsident sich vor Gerichten verantworten müssen, zum Beispiel vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte oder vor einem Kriegsverbrechertribunal.
Seit Jahren versuche ich, die russische Europapolitik zu verstehen, und halte es für unbedacht, dass die Ukraine 2008 zum Beitrittskandidaten für die NATO erklärt wurde. So wurde dieser Staat hineingezerrt in das Tauziehen zwischen Ost und West. Doch auf solche als Provokation gedeutete Schritte des Westens mit einem Angriffskrieg zu reagieren, ist nicht hinnehmbar und muss geahndet werden. Auch dass russische Volk wird sich auf Dauer nicht weismachen lassen, es handle sich nicht um Krieg, sondern um, eine "militärische Sonderaktion". Die Dinge unverblümt beim Namen zu nennen, ist zur Zeit in Russland strafbar. Doch ein solches Herrschaftssystem ist nicht zukunftsfähig.
Noch vor wenigen Wochen tat Putin so, als verbinde er mit dem Regierungswechsel in Berlin die Hoffnung auf eine Verbesserung des deutsch-russischen Verhältnisses. Doch auch dies hat sich leider als Täuschungsmanöver erwiesen. Das Gegenteil ist eingetreten. Durch den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine werden nun Kräfte gebunden, die für Sinnvolleres eingesetzt werden könnten: für den Kampf gegen den Klimawandel und für die Ernährung der wachsenden Weltbevölkerung, um nur zwei Beispiele zu nennen. Europa droht auf diesen Feldern zurückgeworfen zu werden. Für die 100 Milliarden, die aufgrund der jüngsten Entwicklung in ein Sondervermögen für die Bundeswehr fließen sollen, hätten sich viele Windräder errichten und zahlreiche Photovoltaikanlagen bauen lassen. Das fürchterliche Thema Krieg muss möglichst schnell wieder ad acta gelegt werden, damit sinnlose Zerstörung verhindert und wichtige Zukunftsprojekte angepackt werden können.

Freitag, 25. Februar 2022 - 16:59 Uhr
Die Mär von einem russophilen Netzwerk in der SPD

In den frühen Morgenstunden des 24. Februars 2022 platzte der Knoten und setzte zerstörerische Kräfte frei: Von mehreren Seiten griff auf Purins Befehl russisches Militär die Ukraine an. Prompt reagierte Bundeskanzler Olaf Scholz und verkündete das vorläufige Ende von Nord Stream 2 . Bei seinem Antrittsbesuch in Washington hatte er noch vermieden, dieses Ende als mögliche Option für den Fall eines russischen Angriffs auf die Ukraine ausdrücklich zu nennen, und überließ dies Joe Biden, der seinerseits geflissentlich verschwieg, dass die USA sich von Erdölimporten aus Russland abhängig gemacht haben, um derartige Einfuhren aus Venezuela ausschließen zu können. Das Zögern des Kanzlers wurde vom ZDF übel vermerkt und in eine Reihe gestellt mit dem Verhalten anderer SPD-Politiker wie Gerhard Schröder, Manuela Schwesig und Erwin Sellering. Die SPD sei eben russlandhörig, auf diese Partei sei traditionell kein Verlass. Ein durchsichtiges Propagandamanöver, um der Ampelregierung ein vorzeitiges Ende zu bereiten. Des Kanzlers Entscheidung erfolge zu spät und bleibe unwirksam. Am 20.2. hatte Shakuntala Banerjee sich bereits Rolf Mützenich zur Brust genommen und Ähnliches verlauten lassen. Es sei Zeit, "die Strategie anzupassen" und die Weigerung, an die Ukraine Waffen zu liefern, zu überdenken.
Olaf Scholz war angesichts des russischen Angriffs sichtlich entsetzt, wandte sich in einer Fernsehansprache an die deutsche Bevölkerung und reiste noch am selben 'Abend nach Brüssel, um mit den EU-Regierungschefs Sanktionen gegen Russland zu beraten und zu beschießen. In der Woche zuvor hatten er und Emanuel Macron noch den russischen Präsidenten aufgesucht, um das Schlimmste abzuwenden. Jetzt standen beide Politiker blamiert da. Europa hatte als weltpolitisches Gewicht das Nachsehen, was Wladimir Putin nur recht war. Ob der amerikanische Präsident den Misserfolg des Bundeskanzlers und des französischen Präsidenten bedauerte, vermag ich nicht zu sagen. Möglicherweise bewertet er deren Scheitern als Bestätigung der Führungsrolle der Vereinigten Staaten.
Putins Krieg gegen die Ukraine folgt offenbar einer eigenen menschenverachtenden Logik. Folgende Überlegungen könnten dabei ausschlaggebend sein: Bevor die Ukraine in die NATO aufgenommen wird und Finnland sowie Schweden Schutz in dem Nordatlantikpakt suchen, bevor also an der Westgrenze Russlands, abgesehen von Belarus, ausschließlich NATO-Mitgliedsstaaten Stellung beziehen, schafft Russland Fakten. Zwar hatte Olaf Scholz auf der Münchener Sicherheitskonferenz beschwichtigend betont, die Aufnahme der Ukraine in die NATO stehe gar nicht "auf der Tagesordnung", aber Tagesordnungen können schnell wechseln. Diese Erklärung genügte Putin folglich nicht: Er befahl den Einmarsch in die Ukraine. Ziel sei es, den Nachbarn im Südwesten zu demilitarisieren und - man mag es kaum glauben - zu "entnazifizieren". Russland fühle sich wie 1941 bedroht. Am 23. Februar hatte der russische Präsident noch feierlich den "Tag der Verteidigung des Vaterlandes" begangen. 1941 mag dies angebracht gewesen sein. Heute jedoch erinnert Putins Angriff auf die Ukraine an die Hitlerschen "Blitzkriege". -
Der "politische Westen" muss sich fragen lassen, welchen Anteil an den jüngsten Entwicklungen er zu verantworten hat. Schon die Anfänge der Unabhängigkeit der Ukraine (1991) zeigen Bedenkliches. Die strategischen Atomwaffen aus Sowjetzeiten wurden dem Westen übergeben - gegen das Versprechen wirtschaftlicher und politischer Unterstützung. Im Dezember 2013 wurde der prorussische Präsident Wiktor Janukovytsch gestürzt, weil er sich weigerte, das Assoziierungsabkommen mit der EU zu unterschreiben. Putin bezeichnet dies als "Staatsstreich", was sich bestenfalls formaljuristisch begründen lässt: Die ukrainische Verfassung sah die Absetzung des Präsidenten durch das Parlament nicht vor. -
Die Ereignisse von gestern und heute zeigen eines ganz deutlich: Politisches Machtkalkül walzt alle anderen Lebensbereiche nieder. Auch menschliches Leid hat dahinter zurückzutreten, Tote und Verletzte werden in Kauf genommen.
Während ich dies niederschrieb, habe ich mich immer wieder dabei ertappt, dass ich es Wladimir Putin persönlich übelnehme, dass ich mich so gründlich in ihm täuschen konnte. So mag es auch anderen Sozialdemokraten ergehen, die auf eine Verständigung mit Russland im Sinne einer "friedlichen Co-Existenz" setzten und es nicht für möglich hielten, dass Putin die schlimmsten Befürchtungen real werden lassen und bestätigen würde.

Montag, 7. Februar 2022 - 17:18 Uhr
Das ZDF und die SPD

Lang ist die Reihe der Vorhaltungen gegen die Bundesregierung. Und von Tag zu Tag wird sie länger. In der gegenwärtigen und von mancher Seite aufgebauschten Ukraine-Krise lasse die Bundesregierung die Verlässlichkeit als Bündnispartner vermissen. Unverständlicherweise verweigere sie Waffenlieferungen an die bedrohte Ukraine. Andere westliche Staaten zeigten sich da kooperativer. Nur die Bundesrepublik schere aus der Reihe der Hilfswilligen aus. Sie ziere sich doch sonst nicht bei Waffenlieferungen in Krisengebiete. Erneut zeige sich die allzu große Russlandfreundlichkeit der SPD. Am Ende solcher perfiden Winkeladvokatenlogik steht dann die Schlussfolgerung: Nur deutsche Waffen in ukrainischen Händen können verhindern, dass Putin russisches Militär in die Ukraine einmarschieren lässt.
Gestern Abend war es wieder einmal so weit. Eine Woche nach Theo Koll übernahm Shakuntala Banerjee die Moderation der ZDF-Sendung "Berlin direkt". Bezüglich der Ukraine-Krise und deutscher Waffenlieferungen nahm sie Dietmar Bartsch (Die Linke) ins Gebet. Dass dieser die Position der SPD teilt und Waffenlieferungen ablehnt, nahm sie zum Anlass, ihn mit allen Gleichgesinnten als Weicheier hinzustellen, die mit ihrer unschlüssigen Friedensrhetorik den Frieden in Europa gefährden.
Leider greift dieses Gedankengut auch auf die ARD über. Anne Will hatte wenige Stunden später Anne Applebaum-Sikorski und den unausstehlichen Botschafter der Ukraine in Berlin zu Gast. Beiden wurde ausgiebig Gelegenheit geboten, Russland zu brandmarken. Die US-amerikanische Journalistin ist mit einem polnischen Politiker verheiratet, was auch ihre Ablehnung von Nord Stream 2 erklärt. Solange russisches Gas durch Polen fließt und satte Einnahmen beschert, ist das akzeptabel. Wenn aber dieses Gas an Polen vorbei nach Deutschland geleitet wird, ist das des Teufels. Kevin Kühnert hatte es schwer dagegenzuhalten. Seine Erklärung, die Bundesregierung mit ihrem SPD-Kanzler habe sich zu dem fraglichen Komplex unmissverständlich positioniert, fand in der erlauchten Runde kaum Glauben. Es lebe der Starrsinn.
Joe Biden lässt amerikanische Waffen in die Ukraine liefern. Den Einsatz amerikanischer Truppen zur Verteidigung der Ukraine schließt er hingegen aus. Mit Kritik an der Bundesregierung hält Biden sich zurück, kann sich aber darauf verlassen, dass andere Hunde den Bundeskanzler hetzen werden: eine Abordnung von Mitgliedern des Kongresses und die amerikanische Presse. Hier ist die Skepsis gegenüber Nord Stream 2 allgegenwärtig. Lieber sähe man es, dass Deutschland Fracking-Gas importiert.
Olaf Scholz ist nicht zu beneiden. Sein Antrittsbesuch in Washington verlangt ihm einiges ab. Ich kann ihm und der SPD nur wünschen, dass die Anfeindungen von mehreren Seiten auch Gegenkräfte mobilisieren. Es geht nämlich in erster Linie gar nicht so sehr um Deutschlands Verhältnis zur Ukraine. Manchen "passt die ganze Richtung nicht". Diesen Kräften, und zu ihnen gehört auch das ZDF, ist daran gelegen, Olaf Scholz systematisch zu demontieren und seine Kanzlerschaft vor den nächsten Bundestagswahlen enden zu lassen. Dass die SPD in den jüngsten Umfragewerten geschwächt dasteht, kann SPD-Gegnern wie Friedrich Merz nur recht sein. Seid auf der Hut, Genossinnen und Genossen! Die Konkurrenz schläft nicht. Unermüdlich tut sich der bayrische Ministerpräsident hervor. Im Bläserensemble von CDU und CSU müht Markus Söder sich zur Zeit auf der Querflöte ab. Mit seiner Weigerung, die Impfpflicht für Pflegekräfte vereinbarungsgemäß umzusetzen, möchte er sich dem bayrischen Wahlvolk als Befreier von den Corona-bedingten Einschränkungen empfehlen. Schließlich stehen in naher Zukunft Landtagswahlen an. Da zählt jede Stimme. Bezüglich der geplanten allgemeinen Impfpflicht schwenken andere CDU-Landesfürsten auf Söders Kurs ein, vom neuen CDU-Chef Friedrich Merz ganz zu schweigen, Söder und Konsorten legen den Satz des Grundgesetzes "Die Parteien wirken an der politischen Willensbildung des Volkes mit." so aus, dass den Unionsparteien der Zugriff auf den Staat zusteht, sie ihn also in Besitz nehmen dürfen. Was eine solche Haltung für das Ansehen unserer Demokratie bedeutet, ist abzusehen.

Freitag, 4. Februar 2022 - 17:48 Uhr
Die Herren Autokraten reichen und reiben sich in Peking die Hände

Wenn Wladimir Putin die Eröffnung der Olympischen Winterspiele (4.2.2022) dazu nutzt, den Schulterschluss mit dem chinesischen Staatspräsidenten zu demonstrieren, und bei diesem Verständnis dafür findet, dass Russland sich gegen eine weitere Osterweiterung der NATO wehrt, sollte dies den politischen Westen stutzen und sich fragen lassen, ob er im Umgang mit Russland etwas falsch macht. Dass Putin sich von Mittel- und Westeuropa abwendet und Freunde in Asien sucht, ist auch eine Folge davon, dass der politische Westen Russland ins europäische Abseits drängt. Schon das Konstrukt NATO-Russland-Rat lässt die ungleichen Machtverhältnisse deutlich werden.
Der russische Zar Peter, auch "der Große" genannt, gründete zu Beginn des 18. Jahrhunderts im Morast der Newa-Mündung seine neue Hauptstadt Sankt Petersburg als "Fenster zum Westen" - gegen heftige Widerstände im Innern. Den Bojaren ließ er etwa die Bärte abschneiden. Daher die Redewendung "Der Bart ist ab." Bei der Durchsetzung seiner Politik ließ er es an Gewaltakten nicht fehlen. Seiner Sommerresidenz gab er übrigens den deutschen Namen "Peterhof" - ein weiteres Zeichen seiner Orientierung nach Westen hin.
Diese Entwicklung machte die Dynastie der Romanows auch für andere europäische Herrscherhäuser interessant. Zahlreiche verwandtschaftliche Beziehungen wurden geknüpft. Die russische Zarin Katharina ii. war beispielsweise ein Import aus Schleswig-Holstein.
Der preußisch-schlesische Adlige Hans von Diebitsch wurde Offizier in der russischen Armee und brachte es im Kampf gegen Napoleon zum Feldmarschall. Der preußische Reformer Freiherr vom und zum Stein trat 1812 als Berater in die Dienste von Zar Alexander - auch dies gegen den französischen Kaiser.
Otto von Bismarck war sehr auf ein freundschaftliches Verhältnis zu Russland bedacht und schloss mehrere Abkommen mit dem Zarenreich, zuletzt den Rückversicherungsvertrag.
Der Erste Weltkrieg führte zu einem grundlegenden Wandel. Nach der deutschen Kriegserklärung wurde Sankt Petersburg in Petrograd umbenannt. Der Bruch mit Russland war indessen nicht irreversibel. 1922 unterzeichneten das Deutsche Reich und das bolschewistische Russland den Vertrag von Rapallo.
Gustav Stresemann, maßgeblicher Außenminister der Weimarer Republik, handelte zwar mit den Westmächten die Locarno-Verträge aus (1925), betonte jedoch 1926 durch den Berliner Vertrag, dass die Locarno-Politik nicht eine Abkehr von Russland bedeutete.
Im Interesse der Bundesrepublik muss es liegen, das deutsch-russische Verhältnis pfleglich zu behandeln. Daher wären Waffenlieferungen an die Ukraine zu deren Verteidigung gegen das vermeintlich aggressive Russland ein fatales Zeichen. Hiervon sollte sich die deutsche Außenpolitik auch nicht durch Kritik aus dem Westen abbringen lassen. Auch nicht durch die Agitation des ukrainischen Botschafters in Berlin. Diesem Herrn müssen die 'Flügel gestutzt werden, denn seine undiplomatischen Aktionen konterkarieren die notwendigen diplomatischen Bemühungen um den Erhalt des Friedens in Europa.
Ziel muss es sein, Russland für Europa zu gewinnen, nicht aber, diese Großmacht nach Asien abzudrängen. Die Russlandpolitik eines westlichen Scharfmachers wie Jens Stoltenberg kann für Deutschland nicht zielführend sein. Heute wurde bestätigt, dass er sein Amt als NATO-Generalsekretär aufgeben und in die Zentrale des norwegischen Bankenwesens wechseln will. Dies lässt auf eine Kursänderung der NATO hoffen.
Der deutschen Sozialdemokratie wird allzu gern eine traditionelle Nähe zu Russland vorgeworfen. Von der "fünften Kolonne Moskaus" war zum Beispiel die Rede. Doch die SPD wird dessen ungeachtet einen Weg finden, bei allen innenpolitischen Gegensätzen den Ausgleich mit Russland zu gestalten.

Freitag, 28. Januar 2022 - 18:06 Uhr
Das Zweite Deutsche Fernsehen - eine CDU-Plattform

Das ZDF kann sich nur schwer abfinden mit dem Machtwechsel in Berlin, also dem Gang von CDU und CSU in die Opposition. Es wird keine Gelegenheit ausgelassen, der Ampel-Regierung am Zeuge zu flicken. Hauptangriffspunkt ist die SPD mit Kanzler Olaf Scholz. Diesem werden Unentschlossenheit und Unzuverlässigkeit vorgeworfen; einem solchen Politiker könne man doch nicht die Geschicke Deutschlands anvertrauen. Dass die Bundesregierung keinen Gesetzentwurf zur allgemeinen Impfpflicht vorgelegt hat und die Gesetzesinitiative dem Bundestag überlässt, wird nicht als Respekt vor dem deutschen Parlamentarismus ausgelegt, sondern als Führungsschwäche. So Theo Koll in der Sendung "Berlin direkt" am 23.1.22. Auch die Außenpolitik finde nicht in die richtige Spur. Mindestens dreimal führt der ZDF-Journalist den Kanzler vor mit dessen Erklärung, Nord Stream 2 sei ein rein "privatwirtschaftliches Unternehmen". Damit drücke Scholz sich vor der Entscheidung, die Ankündigung des Endes der Gaspipeline als Druckmittel gegen die Regierung Putin einzusetzen. Hierin zeige sich die alte Unfähigkeit der Sozialdemokraten, im Umgang mit dem autokratischen System Russlands den angemessenen Ton zu finden. Gern zitiert das ZDF Stimmen aus dem Ausland, die deutsche Regierung solle ihre Scheu überwinden, der Ukraine Waffen zu liefern. Dies schwäche die Position des Westens. Schließlich sei die Ukraine akut bedroht und benötige Hilfe gegen eine russische Invasion. Dass sogar Joe Biden es mit russischen Übergriffen auf die Ukraine nicht so genau nimmt, wird dem mächtigsten Mann des Westens nachgesehen. Nicht aber dem Inspekteur der Bundesmarine, wenn dieser äußert, die Krim sei für die Ukraine verloren und der russische Präsident Putin verdiene Respekt.
Der FDP wird nicht verziehen, dass sie der CDU auf Bundesebene untreu geworden ist. Am glimpflichsten kommen noch die Grünen davon. Mit ihnen wollen es sich die ZDF-Journalisten offenbar nicht verderben, leisten sie der CDU doch wertvolle Hilfe, etwa in Hessen, in Schleswig-Holstein und in Sachsen.
Insgesamt kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass das ZDF der CDU bei den Landtagswahlkämpfen dieses Jahres Schützenhilfe leisten möchte, im Saarland, in Schleswig-Holstein und in NRW. Schließlich droht von ferne auch eine Verschiebung der Machtverhältnisse im Bundesrat. Diese Befürchtung wahr werden zu lassen, hat die SPD in der Hand, wenn sie durch eine gute Politik unter Beweis stellt, dass der Aufschwung der europäischen Sozialdemokratie - von manchen wurde sie bereits totgesagt - nicht nur auf eine konjunkturelle Schwäche des Lagers der Konservativen und Reaktionäre zurückzuführen ist.
Seif auf der Hut, Genossinnen und Genossen! Matthias Fornoff, der Herold des ZDF-Politbarometers, lächelt wieder und verkündet voller Genugtuung, die SPD sei in den Umfragewerten deutlich abgesackt und liege nur noch einen Prozentpunkt vor den Unionsparteien (24 zu 23 %). Wird das Zweite Deutsche Fernsehen, ein Adenauer-Geschöpf, noch den Anforderungen gerecht, die an eine öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt zu stellen sind? Es ist im Grunde nicht einzusehen, dass mangelnde Objektivität auch noch mit beträchtlichen Zahlungen aus den Kassen der Gebühreneinzugszentrale belohnt wird.

Sonntag, 23. Januar 2022 - 17:05 Uhr
Willy Brandt, Leonid Breschnew und die Krim

Im September 1971 folgte Willy Brandt einer sowjetischen Einladung, landete mit einer Maschine der Bundesluftwaffe auf der Krim und traf dort Leonid Breschnew, den Generalsekretär der KPdSU. Brandt wusste genau, wen er dabei vor sich hatte. Breschnew hatte im August 1968 den Einmarsch von Truppen des Warschauer Paktes in die Tschechoslowakei angeordnet. Dem Prager Frühling wurde ein gewaltsames Ende gesetzt. Der sowjetische Machthaber verfocht die Breschnew-Doktrin, die den Mitgliedstaaten des Ostblocks nur eine begrenzte Souveränität zubilligte. Au0erdem war bekannt, dass Breschnew eine "Restalinisierung" einzuleiten gedachte. Was also wollte Willy Brandt auf der Krim? Die deutsche Frage sollte offengehalten werden, aber die Existenz der DDR stand nicht zur Debatte. Der deutsche Bundeskanzler wollte ausloten, ob die neue Ostpolitik, also die Verständigung mit Moskau, Polen und der Tschechoslowakei, ausgeweitet werden konnte zu einer neuen Friedensordnung in Europa (Ende des Kalten Krieges). Dieses Vorhaben setzte Mut und Weitsicht voraus. In Jalta, also auch auf der Krim, hatten sich im Februar 1945 Churchill, Roosevelt und Stalin zu einer Konferenz eingefunden und Absprachen getroffen, die letztlich zu einer Spaltung Europas führten. Hieran mag Willy Brandt sich erinnert und gedacht haben, das könne nicht der Weisheit letzter Schluss gewesen sein.
Der SPD-Politiker Michael Roth formulierte in einem Interview mit dem "Tagesspiegel" (20.1.22) den törichten Satz: "Wir dürfen uns ... nicht hinter Willy Brandt verstecken." Wer aber sucht solche Deckung? Gemeint sind offenbar auch die Mitglieder der SPD-Bundestagsfraktion, die Brandts Politik für einen sinnvollen, vielversprechenden Ansatz halten. Ihnen sollen die Augen geöffnet werden für das, was Putin im Schilde führt: die Rückkehr zum alten Glanz der Sowjetunion mittels militärischer Aggression. Dies beweise die russische "Annexion" der Krim (2014):Wer sich ein wenig in der Geschichte der Krim auskennt, kann sich über eine solche "Beweisführung" nur wundern. Seit 1783 und 1792 gehörte diese Halbinsel zum Zarenreich und wurde durch den Ukrainer Nikita Chruschtschow willkürlich in die ukrainische Sowjetrepublik eingegliedert (1954). Staats-und Völkerrecht wurden dabei übergangen. Dass die heutige Ukraine in ihrem Osten die Belange der russischen Minderheit mit Füßen tritt, wird auch gern übersehen. Wann stellt die ukrainische Regierung hier eine friedenstaugliche, auch für die Russen erträgliche Ordnung her? Bequemer ist es allerdings, Putin mit Vorwürfen zu überhäufen und dem russischen Präsidenten zu unterstellen, er beabsichtige einen Einmarsch in die Ukraine.
Zur Zeit herrscht die propagandistisch gefärbte Sprachregelung vor, Russland habe durch die "Annexion" der Krim das Vertrauen des Westens tief erschüttert. Vorsicht sei geboten, man müsse auch auf das Schlimmste gefasst sein. Wer sich anders äußert, wird zurechtgewiesen bzw. zurückgepfiffen, wie jüngst Kay Achim Schönbach, der Inspekteur der Bundesmarine. Vor allem sollte man hier Willy Brandt aus dem Spiel lassen. Er taugt weder als Warnschild vor einer Unterschätzung der von Russland ausgehenden Gefahren noch als Kronzeuge für den sozialdemokratischen Russlandkurs der Gegenwart. Brandt war kein Traumtänzer, was ihn nicht davon abhielt, genau hinzuschauen, welche Möglichkeiten es gab, den Frieden in Europa und der Welt zu sichern. Dieses Erbe verdient es, bewahrt zu werden. Hierauf darf auch mit Krimsekt angestoßen werden.
Apropos: Nach der Bundestagswahl wurden die Ausschüsse neu zusammengesetzt und verteilt. Michael Roth übernahm den Vorsitz im Auswärtigen Ausschuss. Was er bisher von sich gegeben hat, unterscheidet sich freilich kaum von den Einlassungen seines Amtsvorgängers Norbert Röttgen (CDU). Ein Zeichen von Kontinuität? Wie dem auch sei: Deutsche, bundesrepublikanischer Staatsräson verpflichtete Außenpolitik ist erklärtermaßen werteorientiert (was auch die Präambel des Grundgesetzes vorgibt), darf aber nicht in Dogmatismus verfallen. Die mühsam errungene Demokratie und die erst teilweise verwirklichte Einigung Europas eignen sich nicht als Instrumente überheblicher , auf Expansion zielender Außenpolitik. Die Erfahrungen in Afghanistan zeigen das zur Genüge. Die Mitgliedstaaten der EU und die europäischen NATO-Staaten überbieten sich momentan mit Hilfsangeboten an die Ukraine und die vermeintlich durch Russland bedrohten Staaten Osteuropas. Weltpolitisches Gewicht wird jedoch nicht dadurch bewirkt, dass die europäischen Staaten geschlossen auf den außenpolitischen Kurs der USA einschwenken. Joe Biden will der mächtigste Mann der Welt sein und beabsichtigt zu "führen", also die Welt gefügig zu machen. Europa muss sich fragen, ob es sich dem beugen oder nicht lieber ein eigenständiger geopolitischer Partner sein bzw. werden möchte.

Freitag, 14. Januar 2022 - 17:52 Uhr
Wolfgang Ischinger ujnd Jens Stoltenberg: Brüder im Geiste des Kalten Krieges

Wolfang Ischinger, noch Vorsitzender der Münchner Sicherheitskonferenz und bestens vernetzt durch Mitgliedschaft in einer Vielzahl von Organisationen, traut den Sozialdemokraten nicht recht über den Weg. Er warnt die SPD vor "einseitiger Abrüstung", wobei ihn die Sorge umtreibt, diese Partei strebe den Abzug der US-amerikanischen Atomwaffen aus Deutschland an. So wird er auch von den Unionsparteien als einer der Ihren in Anspruch genommen. Ähnliches gilt für Jens Stoltenberg, noch NATO-Generalsekretär mit Ambitionen, ins norwegische Bankgewerbe einzusteigen. Er kann ohne Weiteres als Scharfmacher in NATO-Kreisen betrachtet werden, wenig interessiert an Entspannung im Verhältnis zu Russland. Mit seinem Namen verbinden sich etliche NATO-Manöver in Nord- und Osteuropa. Unermüdlich warnt er vor der Gefährlichkeit Russlands. Jüngst in Brüssel und Brest.
Ischinger und Stoltenberg - beide fungieren als Herzschrittmacher der NATO - betonen gern, Russland habe nicht das Recht, die Bedingung zu stellen, dass die Ukraine niemals in die NATO aufgenommen werden dürfe. Auszugehen ist hierbei von der NATO-Russland-Grundakte (1997), einem Vertrag mit dem Ziel einer "Partnerschaft für den Frieden". Hierin erkannte Russland die Souveränität aller Völker und Staaten sowie deren Recht an, zur Sicherung ihrer Existenz frei über Bündnisse zu entscheiden. Nur mit einer gehörigen Portion an rabulistischer Unverfrorenheit kann hieraus gefolgert werden, Russland habe der Osterweiterung der NATO zugestimmt.
Zu dieser Frage fand in den 1990er Jahren in den Vereinigten Staaten eine breite und ernsthafte Diskussion statt. Bedenkenswert ist meines Erachtens der Einwand, eine solche Erweiterung des Nordatlantikpaktes schwäche die demokratischen Kräfte in Russland und verleihe im Gegenzuge denen Auftrieb, die in Gorbatschows Politik einen Irrweg sahen, der alten Sowjetunion nachtrauerten und die Rettung in einem autokratischen System erblickten. Und diese "Betonköpfe" drohen seit einiger Zeit die Oberhand zu gewinnen. Daher nimmt es nicht Wunder, wenn Putin Diktatoren bzw. Autokraten wie Lukaschenko und Tokajew an der Macht hält und jegliche "Revolutionen" in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion unterbinden will. Der Westen erweist demnach der Demokratie einen Bärendienst, wenn er Putin weiterhin schwächt bzw. dessen Stellung in Russland untergräbt. Wenn der Westen an seinem Putin-feindlichen Kurs festhält, wird das Schicksal Alexej Nawalnys kein Einzelfall bleiben.
Die Ukraine versucht derzeit Druck auf Deutschland auszuüben. Die Bundesrepublik müsse ihren Widerstand gegen Waffenlieferungen an die Ukraine aufgeben, solle die Gaspipeline Nord Stream 2 auf dem Grund der Ostsee ungenutzt vor sich hin rotten lassen und sich für die Aufnahme der Ukraine in die NATO einsetzen; der "Schlüssel" hierzu liege in Deutschland. Das könnte den Herren so passen! Ist der ukrainische Botschafter in Berlin noch eine erwünschte Person? Man sollte ihn nachdrücklich in die Schranken weisen. Es sollte nicht so weit kommen, dass Deutschland sich an den Kosten für die Sanierung des maroden Gasleitungsnetzes der Ukraine beteiligt oder für die Stationierung von NATO-Truppen in der Ukraine aufkommt. Die Bundesrepublik ist nach den USA der zweitgrößte Geldgeber in der NATO und sollte bei der Verwendung dieser Mittel ein Wörtchen mitreden.
Kurzum, liebe Genossinnen und Genossen: Lasst euch nicht abbringen von den Bemühungen um eine Verständigung mi Russland! Gerhard Schröder lud lud Wladimir Putin in den Bundestag ein, und der russische Präsident erklärte, der Kalte Krieg sei vorbei. Hieran gilt es festzuhalten,

Montag, 10. Januar 2022 - 16:19 Uhr
Deutsche Politprominenz im Fangnetz von BILD

Kaum ein Wochenende vergeht, an dem BILD am SONNTAG nicht ein Interview mit einer relevanten polirischen Persönlichkeit präsentiert. Aus zweiter Hand erfährt hiervon dann auch das Rundfunk- und Fernsehvolk. Sinnvoller wäre die umgekehrte Reihenfolge. Erster Adressat müssen die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten sein. Sonst wird den BILD-Blättern ein Übermaß an Bedeutung verliehen. Gerade sozialdemokratische Politikerinnen und Politiker sollten sich davor hüten, sich in die Niederungen des BILD-Journalismus hinabzubegeben. Zeitungen wie BILD und BILD am SONNTAG berichten zum einen darüber, dass große Brüste "Albträume" erzeugen können, und zeichnen andererseits ein gruseliges Russlandbild. Einige Kostproben:
"Putin schickt Blut-General nach Kasachstan.
Er metzelte in Syrien und überfiel die Krim."
"Aufstand gegen Putins Diktator-Freund"
"Putin profitiert vom Blut der Kasachen."
"Gelingt die Revolution der Kasachen?"
Dass bei der Niederschlagung des "Aufstands" auch deutsche Waffen eingesetzt werden, wird von BILD verschwiegen. Es passt nicht in das gängige Freund-Feind-Schema. Dass BILD nicht objektiv informieren, sondern dumpfe Emotionen befeuern will, liegt auf der Hand. Unter solchen Voraussetzungen ist es natürlich undenkbar, dass ein aufrechter westlicher Politiker sich um Verständigung mit Russland bemüht. Wer macht sich schon mit "Bluthunden" gemein?
Im Zuge dieser antirussischen Propaganda bekommt auch die deutsche Sozialdemokratie ihr Fett weg:
"Kühnert fordert Streit-Ende um Nord Stream 2.
Solidarität aus der Führungsriege der Sozial-
demokraten für Putins Gaspipeline!"
Leider neigen auch manche Sozialdemokraten dazu, in Russland den "Aggressor" zu sehen. Dass die ehemalige Weltmacht sich durch das Vordringen der NATO in die Defensive gedrängt fühlt, kommt ihnen dabei offenbar nicht in den Sinn. Auch die USA nahmen es nicht hin, dass in ihrem "Hinterhof", nämlich auf Kuba, russische Mittelstreckenraketen stationiert werden sollten. Warum wird nicht auch russischen Sicherheitsinteressen Verständnis entgegengebracht? Leider ist nicht zu leugnen, dass der Westen unter dem Deckmantel von Demokratie offensive Machtpolitik betreibt. Kasachstan und die Ukraine dürfen nicht zu einem neuen Afghanistan werden.

Mittwoch, 29. Dezember 2021 - 18:35 Uhr
Wladimir Putin contra Michail Gorbatschow

Gestern wurde bekannt, dass Russlands oberstes Gericht die Menschenrechtsorganisation "Memorial" verboten hat. Steht das Ende der Entstalinisierung bevor? Soll Aufklärung durch Verklärung abgelöst bzw. ersetzt werden? Soll das russische Volk umlernen und Väterchen Stalin als den Politiker wahrnehmen, durch den die Sowjetunion ihre größte Ausdehnung erfahren hat? Der Russland zur Weltmacht werden ließ? Stalin stellte alle kalt, die ihm als Gegner erschienen. Von "Säuberungen" war dann die Rede. Sogar der berühmte Regisseur Felsenstein geriet ins Fadenkreuz seiner Schergen. Zu einem Schauprozess kam es zwar nicht, aber Stalin erzwang Korrekturen an Felsensteins Film "Iwan der Schreckliche", wohl aus der Sorge heraus, das Publikum könne Parallelen zwischen dem Zaren und dem russischen Diktator ziehen. Mag sein, dass viele Russen es leid sind, an die Verbrechen der Stalin-Ära erinnert zu werden, dass Glorifizierung vergangener Größe willkommener und wünschenswerter erscheinen möchte. In Deutschland ist der Prozess der Aufarbeitung der Verbrechen der Nazi-Zeit noch immer nicht abgeschlossen, was nicht wenige Deutsche beklagen oder missbilligen. "Vergessen ist Gnade und Gefahr zugleich", soll der erste Bundespräsident Theodor Heuß gesagt haben. Wer möchte nicht zu den "Begnadeten" gehören? Doch die Gefahren des Vergessens bzw. Verdrängens sind nicht von der Hand zu weisen.
Bei den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen wurde der Straftatbestand "Völkermord" ausgespart, obwohl dieser Begriff seit 1944 häufig Verwendung fand. Die Verurteilung von Nazis wegen Völkermordes hätte allerdings auf die Siegermächten USA und Großbritannien zurückfallen können. Schließlich wies auch ihr Verhalten gegenüber fremden Völkern dunkle Stellen auf, die als Genozid hätten ausgelegt werden können. Also vermied das Tribunal die Schaffung eines Präzedenzfalles.
Auch die junge Bundesrepublik hatte sich dem Nazi-Erbe zu stellen und tat sich dabei nicht leicht. Durch das grobmaschige Netz der Entnazifizierung schlüpften beispielsweise einflussreiche Politiker wie Hans Globke und Hans Filbinger. Erst der hessische Staatsanwalt Fritz Bauer leitete die Auschwitz-Prozesse ein (1963-65) und zog sich dadurch Feindseligkeiten zu. Er zählte auch zu denen, die eine Verjährungsdebatte in Gang setzten. So wurde 1979 vom Bundestag beschlossen, dass die Straftat Mord nicht verjährt.
Das Verbot von "Memorial" soll wohl aber auch unterbinden, dass die russische Gerichtsbarkeit aktuelle Fälle politischer Justiz aufgreift und hinterfragt. Dies steht in diametralem Gegensatz zu dem, was Michail Gorbatschow anstrebte: "Glasnost" (Transparenz). Durch Offenheit zwischen dem Staat und seinen Bürgern sowie Bürgerinnen sollten diese Vertrauen fassen können in die politische Führung. Er machte auch bekannt, dass russisches Militär für die Morde von Katyn verantwortlich war und dass der Hitler-Stalin-Pakt ein geheimes Zusatzprotokoll enthielt, das den Überfall Deutschlands auf Polen begünstigte.
Gorbatschow wird von Teilen des russischen Volkes angelastet, er habe den Zerfall der Sowjetunion betrieben. Dies stimmt jedoch nicht. Der letzte Präsident der Sowjetunion wollte diese reformieren, weil er davon überzeugt war, dass der Ostblock nur dann würde bestehen können, wenn den Mitgliedstaaten mehr Selbständigkeit eingeräumt würde (Abkehr von der Breschnew-Doktrin). Er handelte einen neuen Unionsvertrag aus, vor dessen Inkrafttreten er allerdings gestürzt wurde - von Altkommunisten und dem Radikalreformer Boris Jelzin, der an die Stelle der Sowjetunion die Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) setzte.
Unverständlich ist mir, warum die russische Regierung der Risslandskepsis oder gar -feindlichkeit immer neue Nahrung zuführt. Wladimir Putin gratulierte zwar Dmitri Muratow, dem Chefredakteur der "Nowaja Gaseta", zur Verleihung des Friedensnobelpreises 2021, mahnte ihn sogleich jedoch zur Vorsicht; andernfalls drohe seiner Zeitung das Aus wegen unbotmäßiger Agententätigkeit für das Ausland. Woher rührt diese Ängstlichkeit? Sicherlich ist es ärgerlich und kann als Affront verstanden werden, wenn das Europaparlament dem Putin-Gegner Alexej Nawalny den Sacharow-Preis verleiht und die sofortige Freilassung des Inhaftierten fordert. Aber warum macht die russische Regierung es ihren Gegnern im Westen so leicht, die Propagandatrommel lautstark erschallen zu lassen? Wenn in einer Urteilsbegründung Kinkerlitzchen aufgeführt werden wie "Verstoß gegen Bewährungsauflagen", brauchen sich die russischen Machthaber nicht zu wundern, wenn im Westen Zweifel an der russischen Rechtsstaatlichkeit laut werden. Sind die Fronten derart verhärtet? Hoffentlich sind deutsche und mit ihnen europäische Staatsmänner willens und bereit, ihrem russischen Gegenüber über Gräben hinweg die Hand zu reichen, damit der unselige Abtausch von Schlag und Gegenschlag ein Ende findet. Ist es schon zu lange her, dass amerikanische und russische Soldaten sich bei Torgau in die Arme fielen? Zwar gibt es den gemeinsamen Gegner, nämlich das Dritte Reich, nicht mehr. Doch warten auf die Europäische Union und Russland wichtige Aufgaben wie Abrüstungsverhandlungen und andere friedenssichernde Vereinbarungen. Wann ist mit den ersten Schritten zu rechnen?

Mittwoch, 22. Dezember 2021 - 18:28 Uhr
Wenn Außenpolitik alberne Züge annimmt

Sehnlichst scheint das Auswärtige Amt auf das Urteil des Berliner Kammergerichts zum "Tiergartenmord" gewartet zu haben. Unmittelbar danach wurden zwei russische Diplomaten zu "unerwünschten Personen" erklärt und ausgewiesen. Russischer "Staatsterrorismus" auf dem Boden der Bundesrepublik könne nicht geduldet werden. Moskau reagierte prompt und erklärte, das Urteil sei "politisch motiviert", und stritt jegliche Beteiligung staatlicher Behörden an dem Verbrechen ab. Mit weiteren Schritten ließ Russland sich ein paar Tage Zeit. Dann wurden im Gegenzug zwei deutsche Diplomaten ausgewiesen. Berlin bezeichnete diese Maßnahme als "unbegründet"; sie führe zu einer weiteren Verschlechterung der deutsch-russischen Beziehungen. Ja was haben denn die Schlauköpfe am Werderschen Markt anderes erwartet? Oder haben sie von vornherein mit dieser Reaktion gerechnet und sie in ihre Kalkulationen einbezogen? Einfallsreich wäre beides nicht. Unwillkürlich drängt sich die Frage auf, ob ein solcher Schlagabtausch nicht eher ins Reich der Kindereien gehört.. Darf man auf die Fortsetzung gespannt sein?
Die deutsche Außenpolitik nach dem Machtwechsel in Berlin lässt noch keine klare Linie erkennen. Der Kanzler und die Außenministerin reisen getrennt nach Paris und Brüssel und geben dort ähnliche Erklärungen ab. Wiederholt wird Russland vor der Verletzung von Grenzen gewarnt. Die Zusammenziehung von Truppen in der Nähe der Grenze zur Ukraine gebe Anlass zu ernster Sorge. Dass die russischen Aktionen als Warnung an den Westen gemeint sind, den Bogen nicht zu überspannen, nicht auch noch die Ukraine in die NATO aufzunehmen, sondern russisches Sicherheitsinteresse zu achten, will auch in Berlin wohl niemandem einleuchten. Schließlich ist auch Herr Selensky nach Brüssel gereist und hat dort gemeinsam mit Politikern aus den Kaukasus-Staaten Wünsche angemeldet: Aufnahme in die EU und die NATO, und das möglichst bald; die weltpolitische gebiete dies. Zu diesen Ansinnen sollte sich Deutschland unmissverständlich positionieren und die russischen Bedenken ernst nehmen. Das Normandie-Format soll wiederbelebt werden - hoffentlich unter russischer Beteiligung. Denkbar wären Verhandlungen über einen Nichtangriffspakt bei weitreichender Neutralität der Ukraine. Ideenreichtum ist gefragt - und "Staatskunst" (Gerhard Ritter). Der NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg ist hiervon weit entfernt.
Bei der Tagung der Staats- und Regierungschefs in Brüssel wurde deutlich: In vielen Fragen ist die Europäische Union uneins; wenn es gegen Russland geht, herrscht erstaunliche Einmütigkeit.

Dienstag, 21. Dezember 2021 - 17:40 Uhr
"-innen" und nicht recht bei Sinnen

Cecile Schortmann, eine der vier Moderatorinnen der "Kulturzeit", berichtete jüngst über die nächste "documenta" im Jahre 2022. Die Leitung liege bei einem Kollektiv aus "Asiat-innen". Einem modischen Trend folgend, gespreizt und artifiziell artikulierend, brachte sie dieses Unwort über die Lippen. Die Zäsur zwischen "Asiat" und "innen" soll wohl betonen, dass beide Geschlechter beteiligt seien, unterbricht jedoch nach Hackermanier den natürlichen Sprachfluss, erzeugt einen verbalen Verschnitt und soll wohl den weiblichen Bewohnern Asiens Gleichberechtigung neben den männlichen Asiaten garantieren. Ob dies gelingen kann, ist allerdings fraglich, fördert die Abtrennung des Suffixes "innen" doch den Eindruck, die Frauen Asiens seien nur ein Anhängsel ihrer männlichen Artgenossen ohne eigene Lebensfähigkeit. Müssen die Nutzer und Nutzerinnen des öffentlichen Rundfunks diesen Unfug auf Dauer über sich ergehen lassen und dafür auch noch Gebühren zahlen? Die Gleichstellung von Mann und Frau (Artikel 3 GG) bedingt, dass beispielsweise von Europäerinnen und Europäern gesprochen wird. Und das Konstrukt "Asiat-innen" wird auch den Männern nicht gerecht. Sollen sie ihre grammatische Daseinsberechtigung in den beiden letzten Buchstaben der weiblichen Form suchen bzw. finden? Soll die Silbentrennung dann so erfolgen: "Asiat-inn-en"? Jeden Sprachbewussten lässt dies nur den Kopf schütteln.
Die Gleichberechtigung der Frauen gehört seit jeher zu den Grundwerten der SPD. Diese Partei kann auf eine Vielzahl bedeutsamer Frauen in ihren Reihen zurückblicken: Elisabeth Selbert, Annemarie Renger, Jutta Limbach, um nur einige zu nennen. Olaf Scholz hat bei der Besetzung der Ministerämter auf Parität geachtet. Die neue Juso-Vorsitzende ist eine Frau (Jessica Rosenthal). Die weiblichen Mitglieder der SPD sind Genossinnen, keine Genoss-innen. Sprache lebt von Entwicklung, nicht von Verunstaltung. Der Drucker Balhorn sollte keine Nachahmer bzw. Nachahmerinnen finden

Freitag, 17. Dezember 2021 - 18:03 Uhr
Kommt zur Sache, Genossinnen und Genossen!

Sicherlich gibt es Grund genug zur Freude und zum Feiern. Zum vierten Mal ist ein Sozialdemokrat deutscher Bundeskanzler geworden: Olaf Scholz. Lars Klingbeil sieht ein "sozialdemokratisches Jahrzehnt" heraufziehen und erklärt: "... wir haben noch wahnsinnig viel vor!" Doch was heißt das konkret? Wann tritt der versprochene Mindestlohn von 12 Euro in Kraft? Wo bleibt die Milliarde, die den Pflegekräften zugesagt wurde? Die SPD sollte sich nicht auf ein kurzes Gedächtnis der Wählerinnen und Wähler verlassen, sondern zeitnah Wort zu halten versuchen. Warum schweigt Hubertus Heil? Es mag gute Gründe dafür geben, dass zur Zeit die Außenpolitik im Vordergrund steht. Der Amtseid des Kanzlers und seiner Kabinettsmitglieder bezieht sich jedoch primär auf "das Wohl des deutschen Volkes".
Durch die Wahl zum Co-Vorsitzenden der SPD ist Lars Klingbeil noch stärker in den Fokus öffentlicher Wahrnehmung gerückt. Die politischen Gegner werden keine Gelegenheit auslassen, ihm am Zeuge zu flicken und mit ihm die ganze SPD bloßzustellen. Die Nähe zur Rüstungsindustrie könnte für ihn zum Problem werden und seinen Kräften Fesseln anlegen. Enge Beziehungen zur Rüstungsindustrie mit entsprechenden Nebeneinkünften (2019 immerhin 147.000 Euro) können hinderlich werden, wenn es darauf ankommt, sich kritisch mit den Wünschen der Waffenlobby an die Politik auseinanderzusetzen. Es erscheint ratsam, auf diesem Felde die notwendige Distanz und Neutralität zu wahren.
Und dann dieses zählebige Geziehe und Gezerre um Nord Stream 2. Auch hier müssen die Fakten auf den Tisch. Welche und wessen liegen bei diesem Projekt im Widerstreit? Sind zusätzliche russische Gaslieferungen für Deutschland und Europa entbehrlich? Dient Nord Stream 2 ausschließlich russischem Interesse, wie manche Politiker glauben machen wollen? Taugt die Aussetzung der Zertifizierung überhaupt als Druckmittel gegen Russland und dessen vermeintlich aggressives Verhalten? Die Gemengelage ist kompliziert genug. Umso wichtiger ist es, das Knäuel zu entwirren und Strang für Strang auf seine Bedeutsamkeit hin zu prüfen und zu bewerten.
Noch ein paar Worte zur Ostukraine. Die Sowjetunion hat in diesem Gebiet viel in den Aufbau einer Schwerindustrie investiert. Dabei sind hier auch zahlreiche Russen angesiedelt worden. Keiner von ihnen hat mit dem Zerfall der Sowjetunion gerechnet und daran gedacht, von seiner alten Heimat abgeschnitten und in der Ukraine als Ausländer oder "Separatist" betrachtet zu werden. Warum ist nicht schon längst über Lösungen verhandelt worden, die den Bedürfnissen der russischstämmigen Ukrainer entgegenkommen? Etwa im Sinne von Enklaven mit weitreichender Selbstverwaltung?
Lang ist die Reihe von Warnungen und Drohungen an die Adresse Russlands. Wo bleiben die zur Entspannung und Verständigung ausgestreckten Hände westlicher Politiker in Richtung Moskau? Kluge Politik des Westens hat den Sicherheitsinteressen Russlands Rechnung zu tragen und darauf zu verzichten, NATO-Truppen in der Ukraine zu stationieren. US-Raketen an der russischen Grenze stellen eine weitere Provokation dar. Derartige Basen stehen bereits in Polen und Rumänien. Die deutsche Sozialdemokratie sollte alles daransetzen, eine Demütigung der vormaligen Führungsmacht des Warschauer Paktes zu vermeiden. Vor einem halben Jahr hat die Bundesregierung des Überfalls deutscher Truppen auf Russland im Juni 1941 gedacht. Dazu will es nicht passen, wenn eine sozialdemokratisch geführte deutsche Regierung sich daran beteiligt, Russland mit weiteren Sanktionen zu überziehen und dies mit aggressivem Verhalten Russlands zu begründen. Ohne die Verständigung mit Moskau durch die neue Ostpolitik Willy Brandts gäbe es die deutsche Wiedervereinigung nicht.
Übrigens: Kein US-Amerikaner hat jemals damit leben müssen, dass an seinen Landesgrenzen fremde Truppen in Stellung gebracht worden wären. Präsident Biden kann gar nicht nachvollziehen, was es bedeutet, ein gegnerisches Militärbündnis vor seiner Haustür zu haben. Solches sollte er auch seinem russischen Amtskollegen nicht zumuten. Ich bin davon überzeugt, dass Präsident Putin die roten Linien des Westens kennt, seinerseits jedoch auch erwartet, dass die NATO Zurückhaltung übt. Nicht nur der chinesische Diktator Xi Yin Ping sollte Verständnis für das russische Sicherheitsbedürfnis zeigen.

Freitag, 26. November 2021 - 17:13 Uhr
Herdenimmunität nur mit Leithammeln?

Zur Zeit, mitten in der vierten Corona-Welle, werden Schuldige gesucht, wird der Politik Versagen vorgeworfen. Dabei ist der Staat nicht untätig geblieben. Seit Januar 2020 ergehen Einladungen zu einer Corona-Schutzimpfung. Es wurden Impfzentren eingerichtet. Seit Monaten wird durch Fachleute darauf hingewiesen, dass die Schutzwirkung der Vakzine nach etwa sechs Monaten nachlassen könne und eine Booster-Impfung zu empfehlen sei, vornehmlich für ältere Menschen. Woche für Woche wird freitags per Pressekonferenz dringend an die Bevölkerung appelliert, sich impfen zu lassen. Die anfangs erwähnten Klagen zeugen mithin von Ignoranz, von althergebrachtem obrigkeitsstaatlichen Denken, von bedenklicher Unselbständigkeit und entbinden von der Verantwortung jedes Einzelnen für sich selbst und seine Mitmenschen. Der Staat habe alles zu richten! Eine solche Haltung läuft dem Wesen von Demokratie zuwider, verhindert mündiges Handeln.
Die Ampel-Parteien haben vernünftig begründet, warum sie eine Verlängerung bzw. Fortsetzung der gesetzlich befristeten "Feststellung einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite" und damit einen generellen Lockdown vermeiden wollen. Sie rufen damit keineswegs das Ende der Pandemie aus. Doch kaum ist das novellierte Infektionsschutzgesetz beschlossen und in Kraft getreten, wird schon von einer falschen Entscheidung gesprochen. Die täglich ansteigenden Zahlen von Neuinfektionen seien hierfür ein klares Indiz. Ralph Brinkhaus beklagt ein "falsches Signal", befeuert so die parlamentarische Schlammschlacht mit der durchschaubaren Absicht, bei den Wählerinnen und Wählern zu punkten. Propaganda statt Sachlichkeit. Hierzu passt es auch, dass irgendwann im Spätsommer das Gerücht verbreitet wurde, die Zahl der Geimpften sei vermutlich höher als vom RKI gemeldet; man nähere sich also der Herdenimmunität. Alles also halb so schlimm! Verantwortliche Kommunikation sieht anders aus.
Ebenso verantwortungslos ist es andererseits, dass die Ampel-Parteien das Wahlalter auf 16 absenken wollen. Sechzehnjährige auf politische Entscheidungen loszulassen bedeutet eine Überforderung der noch Minderjährigen. Mitten in der Pubertät sind sie überwiegend mit sich selbst beschäftigt und haben mit den Mühen des Erwachsenwerdens zu kämpfen. Häufig sacken vor allem die Jungen in ihren schulischen Leistungen ab, bleiben gar sitzen. Geschlechtsreife befähigt noch nicht dazu, sachlich fundierte politische Entscheidungen zu treffen. Nicht ohne Grund sind Kinderehen unzulässig. Lassen wir folglich den Heranwachsenden die erforderliche Zeit, zu Persönlichkeiten heranzureifen. Demagogen mögen dies anders sehen, mit trügerischen Erwartungen locken und in Jugendlichen willfähriges "Stimmvieh" wittern. Überlassen wir nicht ihnen und der Berieselung durch "social medias" wie Facebook und Instagram das Feld!

Samstag, 20. November 2021 - 18:21 Uhr
Präsidiales Lamento zum Volkstrauertag

Das Staatsoberhaupt der Bundesrepublik Deutschland wird nicht müde, deutsche Schuld- und Reuebekenntnisse auszusenden. So auch am 14. November, dem diesjährigen Volkstrauertag. Wenn angesichts der vielen von Deutschen verübten Gräueltaten "die Erinnerung versagt" (so Steinmeier), ist es an der Zeit, innezuhalten und sich zu fragen, ob vielleicht das rechte Maß verloren gegangen ist. Das kollektive Gedächtnis ist nicht grenzenlos belastbar. Wo in der Welt ist das Volk zu finden, das es erträgt, unablässig an seine Schandtaten erinnert zu werden, ohne dessen überdrüssig zu werden oder gar aufzubegehren? Klugheit gebietet es , den Menschen nicht zu überfordern und ihm nicht Übermenschliches abzuverlangen. In Extremsituationen ist die Grenze zu unmenschlichem Handeln leicht überschritten. Selbst Juden sind nicht dagegen gefeit, sich an ihresgleichen zu vergehen. In Konzentrationslagern gab es "Judenräte" (Hannah Arendt), und auch Margot Friedländer ist Opfer von (jüdischen) "Greifern" geworden.
Allenthalben werden Anzeichen und Handlungen beklagt, die auf neu aufkeimenden Antisemitismus hinweisen. Es gibt einen dafür zuständigen Bundesbeauftragten (Felix Klein). Doch bei der Bekämpfung neuer Judenfeindlichkeit ist wenig damit gewonnen, dass der Bundespräsident nach New York reist und dort mit der Leo-Baeck-Medaille ausgezeichnet wird. Solche Ehrungen werden in hehren Zirkeln vollzogen - fernab hässlicher Realitäten. Gewagter und vermutlich ergiebiger wäre es, sich dem Attentäter von Halle gegenüberzusetzen und zu ergründen zu versuchen, was ihn zu seinen Taten am höchsten jüdischen Feiertag bewogen hat. Dies mag mühsam sein, auch scheitern, wäre gleichwohl eines Versuches wert. Um dem Antisemitismus wirksam entgegenzutreten, ist es wichtig, genau hinzuschauen, von wem mit welcher Biographie und warum derartige Verbrechen begangen werden. Es muss erkundet werden, was die Täter überhaupt von Juden wissen, ob sie jemals mit einem Juden zu tun hatten, diesen wirklich kennengelernt haben, und was sich hinter ihrem judenfeindlichen Handeln verbirgt. Antisemitismus ist nicht neu. Lange Zeit wurden Juden als "Brunnenvergifter" verdächtigt, was ebenso absurd wie niederträchtig war und Ähnlichkeiten mit Hexenverfolgungen aufweist. Häufig war der Versuch im Spiel, Verantwortliche für das eigene Missgeschick bzw, Unglück zu finden und abzustrafen.
Misslich ist es, wenn der Zentralrat der Juden in Deutschland (Josef Schuster) den Bundespräsidenten dafür kritisiert, dass dieser am 9. November nicht nur des Pogroms von 1938, sondern auch der bedeutenden Ereignisse von 1918 und 1989 gedachte. Kritikwürdig ist allenfalls, dass in der Reihe der Gedenktage der 9.11. 1923 fehlte, der Tag, an dem der Hitler-Putsch scheiterte und der im Zusammenhang mit dem Pogrom von 1938 steht.
Nicht genug gewürdigt werden kann das Tun Margot Friedländers seit ihrer Rückkehr nach Deutschland. Sie kommt nicht, um anzuklagen und ins Gewissen zu reden, sondern legt lebendiges Zeugnis davon ab, was Menschen ihren Mitmenschen anzutun in der Lage sind, und ruft zur Wachsamkeit auf: Das Geschehene darf, gerade weil es einmal möglich geworden ist, sich nicht wiederholen.
Zu den deutschen Merkwürdigkeiten des 20. und 21. Jahrhunderts gehört es, dass nach dem Zweiten Weltkrieg alte Nazis, geduldet und gefördert von politisch Verantwortlichen wie Konrad Adenauer, unbehelligt weiterarbeiten konnten. Dies wurde möglich und hingenommen, weil es den alles überbrückenden und daher Gemeinschaft heischenden Feind gab: den Kommunismus. Als Vorkämpfer des Antibolschewismus hatten sich die Altnazis bereits bewährt. - Gegenwärtig beschäftigt uns indessen die Aufgabe, dem Vergessen entgegenzuarbeiten, die Erinnerung wachzuhalten. Bei allen Reden, die in diesem Zusammenhang gehalten werden, muss jedoch bedacht und beachtet werden, an wen sich die Redner wenden und von wem die Warnungen verstanden werden sollen. Sonst laufen die Worte ins Leere. Sie müssen das Fassungsvermögen der Zuhörer berücksichtigen und stets die Bereitschaft, zuzuhören und zu verarbeiten, im Auge behalten. Hierfür bietet sich der 27. Januar an. Wichtig ist es, Schwerpunkte zu setzen und Überdruss zu vermeiden. Nicht alle Jahrestage der Befreiung von Konzentrationslagern müssen ausführlich in Erinnerung gebracht werden. Weniger kann mehr sein.

Samstag, 6. November 2021 - 18:08 Uhr
Die Flucht des Kapitals in die Arme der FDP

Sollte es Olaf Scholz gelingen, die neue Bundesregierung aus SPD, den Grünen und FDP zu bilden, müssten CDU und CSU für wenigstens vier Jahre die Oppositionsbank drücken. Damit verlören maßgebliche Teile der Wirtschaft, organisiert zum Beispiel in BDI und VDA, einen wichtigen verlängerten Arm in die Politik. Ersatz muss her, und wenn sich die FDP hierfür gewinnen lässt, wird damit keineswegs Neuland betreten. In den Koalitionsverhandlungen knirscht es zur Zeit und hoffentlich nur vorübergehend. Strittig ist vor allem die Finanz- und Umweltpolitik. Die Freidemokraten sind bestrebt, sich als erratischen Block gegen Steuerhöhungen und weitere Staatsverschuldung zu profilieren. Das hört die kapitalorientierte Unternehmerschaft gern und setzt verstärkt auf liberale Qualitäten wie enge Verflechtungen mit der Wirtschaft und dazugehörige Einflussmöglichkeiten der FDP. Sie ist auf diesem Feld nicht unerfahren, geriet deshalb auch mit den Sozialdemokraten aneinander. Im Herbst 1982 entließ Helmut Schmidt seinen Wirtschaftsminister Otto Graf Lambsdorff, der sich daraufhin dem neuen Kanzler Helmut Kohl andiente und unter diesem demselben Ressort vorstand. Wenn er 1984 als Minister zurücktrat, hatte dies auch mit dem lieben Geld zu tun. Eine Anklage wegen Steuerhinterziehung war zugelassen worden, und der anstehende Prozess verhieß nichts Gutes. Dieser mündete in die Verurteilung zu einer Geldstrafe in Höhe von 180.000 DM. Dies war jedoch leicht zu verschmerzen, flossen dem Grafen doch aus dem Etat des Wirtschaftsministeriums 515.000 DM zu - zur Begleichung seiner Anwaltskosten. Ein solches Gebaren ist nicht untypisch für einen beträchtlichen Teil der FDP. Für viele liberale Politiker ist es kein Widerspruch, einerseits den Staat zur Sparsamkeit anzuhalten und sich andererseits aus öffentlichen Kassen zu bedienen. Überwiegend vom juristischen Fach, kennen sie sich bestens in Gesetzeslücken aus, auch in Steuerschlupflöchern.
Friedrich Karl Flick, Großunternehmer und Multimilliardär, wusste, wofür Politiker wie Helmut Kohl und Otto Graf Lambsdorff empfänglich waren. Mit Eberhard von Brauchitsch als Gallionsfigur steckte er viel Geld in die "Pflege der politischen Landschaft" und konnte sicher sein, dass sich dies auszahlte etwa in Form gesetzgeberischer Wohltaten. Helmut Kohl erhielt weit mehr als eine halbe Million DM, Lambsdorff wurde ebenfalls bedacht. Auch die SPD konnte sich über eine eher bescheidene Zuwendung von 40.000 DM freuen. Schließlich wollte der Flick-Konzern sich nicht Parteilichkeit vorwerfen lassen. Die Flick-Machenschaften wurden aufgedeckt, die Affäre auch juristisch aufgearbeitet - mit Hindernissen. Auffällig oft stellten sich Gedächtnislücken ein. Worauf auch Olaf Scholz ein Lied zu singen weiß. Wo steht er in dem augenblicklichen Gerangel um einen Koalitionsvertrag? Neigt er eher zu den Positionen der Grünen und seines Noch-Vorsitzenden Norbert Walter-Borjans, oder tendiert er zur FDP? Bedenklich wäre es, wenn er den Liberalen so weit entgegen käme, dass Christian Lindner der nächste Finanzminister würde. Ein US-amerikanischer Wirtschaftswissenschaftler hat dem FDP-Vorsitzenden "vorsintflutliche" Denkmuster bescheinigt. In den Freiburger Thesen (1971) fordert die FDP ein Grundrecht auf eine menschenwürdige Umwelt. Hiervon ist die FDF zur Zeit offensichtlich weit entfernt. Ganz in der Tradition des Nationalökonomen Adam Smith setzt sie auf die Kräfte des freien Marktes - ohne Rücksicht auf die Endlichkeit der natürlichen Ressourcen. Alles soll auf Wachstum ausgerichtet sein. Stolz weisen die Liberalen darauf hin, dass sie vor allem bei den jungen Leuten Stimmen dazugewonnen hätten - hoffentlich auch solche, die den Umweltaktivisten (Glasgow) nahe stehen, diese nicht als wirklichkeitsfremde Spinner abtun und belächeln. Was nicht in unsere Zeit passt, wäre ein Erstarken von Yuppies.

Freitag, 29. Oktober 2021 - 17:32 Uhr
Der Bundestag vergibt eine Chance zur Stärkung der Einheit

Für mich schwer verständlich, hat der 20. Deutsche Bundestag sich in seiner konstituierenden Sitzung am 26. Oktober nicht dazu verstanden, mit einer erforderlichen Mehrheit auch den von seiner Fraktion vorgeschlagenen AfD-Abgeordneten Michael Kaufmann in das Bundestagspräsidium zu wählen. Schlimm wäre es, wenn zwischen den anderen Fraktionen so etwas wie ein Kartell bestünde mit dem Ziel, die AfD-Abgeordneten auszugrenzen. Begründung für eine solche Absprache: Die AfD stehe in der Tradition des Nationalsozialismus und folglich nicht auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Dies weckt Zweifel daran, ob diejenigen, die sich entsprechend äußern, mit Ideologie und Herrschaftssystem des NS hinreichend bekannt sind. Der AfD-Abgeordnete Kaufmann ist habilitierter Ingenieur aus Thüringen und hat im Erfurter Landtag als dessen stellvertretender Vorsitzender Erfahrungen gesammelt. Am 26.9. hat die AfD in den ostdeutschen Bundesländern beträchtlich an Stimmen zugewonnen. Ihren Wählerinnen und Wählern nun erneut zu attestieren, sie seien "diktatursozialisiert" (M. Wanderwitz) und stünden der Demokratie ablehnend gegenüber, spricht ihnen die politische Reife ab und degradiert sie zu Bürgern und Bürgerinnen zweiter Klasse. Dies zementiert die Spannungen zwischen alten und neuen Bundesländern.
Das Dilemma begann bereits im Wahljahr 2017: Im Sommer beschloss der Bundestag, in dem die AfD noch nicht vertreten war, eine Änderung der Geschäftsordnung. Nicht das Lebensalter, sondern das Dienstalter, gemessen an den Jahren der Parlamentszugehörigkeit, sollte darüber entscheiden, wer als "Alterspräsident" dem neuen Bundestag vorsitzen würde. Dies konnte von der AfD so verstanden werden, dass sie ausgeschlossen, nicht also, wie zu erwarten war und befürchtet wurde, Alexander Gauland, langjähriges CDU-Mitglied (bis 2013), sondern Wolfgang Schäuble Alterspräsident werden sollte. Die Ausgrenzung setzte sich darin fort, dass im neuen Bundestag (September 2017) niemand gern neben den frisch gewählten AfD-Abgeordneten sitzen wollte. Dieses Los fiel der nun oppositionellen FDP zu, die jetzt sagt: "Schluss damit!" und den Schwarzen Peter der Unionsfraktion reichen möchte.
In Artikel 38 des Grundgesetzes heißt es: "Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages ... sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen," Dieser Satz schließt das imperative Mandat aus, verpflichtet aber alle Parlamentsmitglieder auch dazu, nicht in erster Linie Parteiinteressen zu verfolgen, sondern stets das Wohl der Allgemeinheit zu berücksichtigen. Hieran müssen sich auch die Abgeordneten der AfD messen lassen, es gilt jedoch ebenfalls für die Lobbyisten anderer Parteien. Das Wort Lobby bezeichnet eigentlich Räumlichkeiten außerhalb des Sitzungssaals, doch Lobbyisten hocken auch innerhalb des Plenarsaals beharrlich auf ihren Plätzen und wirtschaften nicht selten in ihre eigenen Taschen.
Die SPD hat das Sozialistengesetz überstanden und auch in der Folgezeit bewiesen, dass ihr "gemeingefährliche Bestrebungen" fern liegen und fremd sind. Als einzige Partei hat sie im März 1933 das Ermächtigungsgesetz abgelehnt. Dies alles macht sie über jeden Verdacht erhaben, mit dem Rechtsextremismus zu liebäugeln, und befähigt sie zu dem Versuch, der Ächtung der AfD entgegenzuwirken. Wenn die AfD tatsächlich verfassungsfeindlich agiert, muss dies verfassungsrechtlich geprüft und bestätigt werden. Eine "Beobachtung" bleibt vage und unzulänglich. Inkonsequent ist es, die AfD unterschwellig zu befehden, aber den Weg nach Karlsruhe zu scheuen. Unentschlossenes Dahinschlingern in der Grauzone ermöglicht es der AfD, sich in den Augen ihrer Wählerschaft als verfolgte Unschuld in Szene zu setzen und auf weitere Stimmengewinne zu hoffen. Als Alternative bietet sich an, der AfD Gelegenheiten zu geben, sich als verfassungskonform zu erweisen und zu zeigen, dass auch ein Bundestagsvizepräsident von der AfD den Pflichten dieses Amtes nachkommt.
Der Alterspräsident Wolfgang Schäuble hat als amtierender Bundestagspräsident eine Wahlrechtsreform zugelassen, die er nun anzweifelt. Der Bundestag müsse, so der dringende Rat, das Wahlrecht erneut novellieren. Das Ergebnis solchen Herumeierns besteht in dem neuerlichen Anwachsen der Abgeordnetenzahl. Reichen zwei Zungen aus, um solch ein Kunststück ins Werk zu setzen?

Freitag, 22. Oktober 2021 - 18:45 Uhr
Spiegelfechterei nebst Eiertanz um die "Schuldenbremse"

Nach dem Wort "Schuldenbremse" sucht man im Grundgesetz vergebens. Von Krediten ist hier die Rede, auch von Investitionen. Die Nettokreditaufnahme ist an strenge gesetzliche Bedingungen geknüpft. Auch in den Verhandlungen über die Bildung einer Ampel-Regierung ist sie von Belang. Für notwendige Zukunftsinvestitionen wird viel Geld gebraucht - darin sind sich die Verhandler einig. Doch woher nehmen? Steuererhöhungen werden ausgeschlossen - so will es die FDP. Die Suche nach Schleichwegen hat begonnen. Im Gespräch ist, dass bundeseigene Unternehmen wie die Deutsche Bahn weitere Schulden aufnehmen könnten. Auch die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) wird als Geldquelle genannt. Fragen wie die, ob für die Kredite Zinsen fällig werden, wer diese bezahlen soll, ob und wie diese Kredite zurückgezahlt werden, bleiben in dem Wirrwarr ausgeblendet. Es wird der Eindruck erweckt, das Geld liege in Unmengen herum, warte nur darauf, eingesackt und wieder ausgegeben zu werden. Einem finanzpolitischen Laien mag es gestattet sein, eine schillernde Seifenblase vor sich schweben zu sehen, die schon bei geringer Berührung zerplatzen kann. Nur Finanzgenies und Finanzjongleure vermögen offenbar noch, sich die Sorge vom Leibe zu halten, der ganze Schwindel werde in naher Zukunft auffliegen, oder der unbedarften Öffentlichkeit weiszumachen, es sei alles gar nicht so Schlimm. Dass Jens Weidmann seinen Platz als Präsident der Deutschen Bundesbank vorzeitig räumt und somit auch aus dem Rat der Europäischen Zentralbank ausscheidet, hält sich nur einen Tag lang in den Schlagzeilen. Dass er wiederholt vor der lockeren Geldpolitik der EZB und der damit einhergehenden Inflationsgefahr gewarnt hat, gibt zu denken. Eine plausible Antwort auf die Frage, woher die EZB die unzähligen Milliarden für den Aufkauf von Staatsanleihen nimmt, um sie sogleich wieder in den Wirtschaftskreislauf zurückzupumpen, ist bei mir noch nicht angekommen. Können Luftbuchungen ausgeschlossen werden?
Was macht eigentlich den Unterschied aus, ob die Deutsche Bahn sich weiter verschuldet oder ob der Bund als deren Eigner Kredite aufnimmt? Wenn die DB zusätzliche Schulden macht: Wer bedient diese Schulden? Erhöht die Deutsche Bahn dann die Fahrpreise, und ist dann nicht der Bund wiederum als Nothelfer gefordert, der ohnehin jährlich Milliarden aus dem Etat zuschießen muss, um den Bahnbetrieb aufrecht zu erhalten? Fragen über Fragen ...
Die Freidemokraten haben sich festgelegt: keine Steuererhöhungen und keine "Aufweichung der "Schuldenbremse". Ob dies klug ist angesichts der enormen finanziellen Belastungen der öffentlichen Haushalte, sei dahingestellt. Bedauerlich wäre, wenn es den Liberalen vorrangig darum ginge, das Gesicht zu wahren. Momentan steigen die Energiepreise. Und auch hier ergibt sich die Frage, ob die Lösung der Probleme allein dem Markt überlassen werden kann. Erwogen wird, den Minderbemittelten staatliche Zuschüsse in Aussicht zu stellen. Kaum jemand wagt es, die Ursachen für
das Ansteigen der Energiekosten zu benennen. Auch Ideologie steht dem im Wege. Kräftig geschürt wird die Angst, Russland könne zusätzliche Gaslieferungen für machtpolitische Zwecke missbrauchen. Wladimir Putin könnte im Gegenzuge darauf hinweisen, dass Russland vom Westen missbraucht werde. Zur Zeit tagen in Brüssel die NATO-Verteidigungsminister (21./22.10.). In ihren Reihen wuselt auch der norwegische NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg und versucht die europäischen NATO-Mitglieder in Stellung zu bringen- gegen Russland, das für die NATO ein Überlebensgarant zu sein scheint. Man will sich mit Milliardenaufwand rüsten für den Fall russischer Aggressionen. Die Konfliktfelder sind rasch ausgemacht: die nordöstliche Ostsee (das Baltikum) und das Schwarze Meer. Soll demnächst auch die Ukraine in die NATO aufgenommen werden? Wahrscheinlich dürfen wir uns auf neue Seemanöver einstellen nach dem Muster der "Meeresbrise" (Sea Breeze), zuletzt durchgeführt im Sommer dieses Jahres (Eintrag vom 4.7.), und zwar im Rahmen der "Partnerschaft für den Frieden". Willkommen sind auch Staaten, die nicht der NATO angehören. All dies dient nicht der Entspannung und der internationalen Abrüstung. Frostige Zeiten scheinen uns bevorzustehen, wenn nicht energisch und mutig gegengesteuert wird.
Die Bundesrepublik täte gut daran, die "Zertifizierung" von Nord Stream 2 voranzubringen. Im wohlverstandenen nationalen Interesse. Es wäre grotesk, diese teure Rohrleitung ungenutzt auf dem Boden der Ostsee ruhen zu lassen. Ich kann dem sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer nur zustimmen: Russland ist ein verlässlicher Gaslieferant - und kann uns aus der Energiepatsche helfen. Oder wollen wir dies dem ukrainischen Präsidenten überlassen? Wolodomir Selenski liegt bereits auf der Lauer und wittert seine Chance.

Mittwoch, 13. Oktober 2021 - 19:39 Uhr
Der Große Zapfenstreich als Fluchtversuch

Am heutigen Abend soll vor dem Reichstagsgebäude der Bundeswehreinsatz in Afghanistan durch einen Großen Zapfenstreich gewürdigt werden. Darin liegt die Gefahr, den Blick darauf zu verstellen, dass und warum dieser Einsatz gescheitert ist. Früh fragte sich die Bundeskanzlerin Angela Merkel, ob dder Rückzug des Westens aus Afghanistan nicht am Sinn des langen Militäreinsatzes zweifeln lassen müsse. Diese Frage stelle sich vor allem für die Angehörigen der 59 Toten. Wozu das Ganze? Hierauf folgten unzählige Versuche, der Öffentlichkeit einzureden, es sei "nicht umsonst" gewesen. So verständlich und ehrerbietig diese Versuche auch sein mögen: Die Frage beantworten sie letztlich nicht. Beklagt wurde auch der überstürzte Abzug der NATO-Truppen im Sommer dieses Jahres. Überraschend kam dieser freilich nicht. Schon vor geraumer Zeit ließ Trump mit den Taliban über ein Friedensabkommen verhandeln. Joe Biden verschob den Abzug der US-Truppen um Monate nach hinten. Wollten die Verbündeten dies einfach nicht wahrhaben? Schneller als erwartet nahmen die Taliban Kabul ein. Der beschleunigte Abzug der Streitkräfte sowie der "Ortskräfte" kam einer Flucht nahe. Forderungen nach einer Aufarbeitung des Scheiterns wurden laut. Irrsinnigerweise wurde in diesem Zusammenhang suggeriert, das Desaster sei die Folge einer unzureichenden Kampfkraft der NATO-Streitkräfte. Höhere Verteidigungsausgaben seien erforderlich. Noch heute Mittag ließ sich ein ZDF-Journalist in diesem Sinne vernehmen. Die Bundeswehr sei eine Parlamentsarmee, folglich sei der Bundestag in der Pflicht und müsse eine Aufstockung des Verteidigungshaushalts beschließen.
Der Irrinn beginnt bereits damit, die Auslandseinsätze der Bundeswehr als "Friedensmissionen" zu deklarieren. Übergangen wird dabei, dass der Schritt zu Kampfhandlungen nicht weit zu sein braucht. Schönrednerei und Vernebelung sind jedoch fehl am Platze. Klarheit und Ehrlichkeit sind gefragt. Zu den unbequemen und gern verdrängten Realitäten gehört wohl auch, dass Armeen sich ihrem Wesen nach schwer damit tun, sich darauf zu beschränken, ihre Kampfkraft in Manövern zu erproben. Schließlich bleibt der Feind dabei imaginär, nicht einmal zum Greifen hahe. Hieraus die notwendigen militärpolitischen Schlüsse zu ziehen ist eine Kunst und setzt Einsicht in Realitäten voraus.
Sicherlich ist es schmerzhaft, sich eingestehen zu müssen, dass von dem Afghanistan-Krieg vorwiegend die Rüstungsindustrien profitiert haben. Doch nur ein ungetrübter Blick auf die Wirklichkeit, auch "Realpolitik" genannt, ermöglicht kluges staatsmännisches Handeln.
Die deutsche Wiederbewaffnung nach dem Zweiten Weltkrieg nahm in Kauf, dass im Ernstfall Deutsche gegen Deutsche kämpfen würden. Bundeswehr gegen Nationale Volksarmee. Ein Horrorszenario. Daran änderte sich auch nichts dadurch, dass die Bundesrepublik den "real existierenden Sozialismus" der DDR anzuerkennen sich weigerte. Die BRD erhob den Alleinvertretungsanspruch (Hallstein-Doktrin) und sprach von der "sogenannten DDR" oder setzte Gänsefüßchen: "DDR". Erst die neue Ostpolitik Willy Brandts und Egon Bahrs brachte die Kehrtwende (Grundlagenvertrag 1972). 1974 traten die Nationalmannschaften der beiden deutschen Staaten gegeneinander an. Sogar Franz Josef Strauß fand sich zur Anerkennung der DDR bereit und stützte das Honecker-Regime durch einen Milliardenkredit (1983/84). Egon Bahr hatte das Ziel formuliert: "Wandel durch Annäherung". 1989 kollabierte dann die DDR, was die Wiedervereinigung ermöglichte.
Der zur Zeit möglichen neuen Bundesregierung unter Olaf Scholz fällt die Aufgabe zu, an dieses Erbe anzuknüpfen und sich nicht durch verquere Ideologien a la CDU/CSU irritieren zu lassen. Franz Josef Strauß stellte Willy Brandt das Zeugnis aus, einen "Saustall" angerichtet zu haben. Wie gewaltig er sich irrte!

Donnerstag, 7. Oktober 2021 - 17:27 Uhr
Christian Lindner und Volker Wissing : hoffentlich keine Hasardeure

Als beispielhaft für einen gestandenen Liberalen kan Thomas Dehler gelten. Unbestritten ein fähiger und rechtschaffener Jurist, achtete er durchaus auch darauf, finanziell nicht unter die Räder zu kommen, und brachte es zu einem stattlichen Vermögen. Als kennzeichnend für seine Aufrichtigkeit und Geradlinigkeit ist seine Haltung gegenüber dem Nationalsozialismus zu nennen. Dehlers Ehefrau Irma Frank war Jüdin. Unbeirrt hielt er an ihr fest und trotzte allen Anfeindungen der Nazis, denen seine "Mischehe" ein Dorn im Auge war. Als Anwalt vertrat er im Dritten Reich die Interessen von Opfern der Arisierungspolitik, was sich nicht stetig, aber unter dem Strich auch auszahlte.
Nach dem Zweiten Weltkrieg war er an der Gründung der FDP beteiligt, wurde unter Adenauer Justizminister, lag mit Theodor Heuß über Kreuz und sparte nicht mit Kritik am noch jungen Bundesverfassungsgericht, dem er vorhielt, sich in politische Belange einzumischen. Es ging dabei um die Frage, ob die Wiederbewaffnung Deutschlands verfassungskonform sei. Dehler warnte in diesem Zusammenhang vor dem Geist des Sozialismus.
Die Crux des deutschen Liberalismus besteht darin, sich zum einen für die individuellen Freiheitsrechte stark zu machen und staatliche Ein- bzw. Übergriffe abzuwehren, zum anderen der Gefahr ausgesetzt zu sein, den Mantel der Freiheit als Umhang für die Geschäftstüchtigkeit zu benutzen. Dieser Mantel ist einerseits weit, andererseits aber, was die Vermögensverteilung betrifft, eng auf Taille zugeschnitten. Schlechter dran sind diejenigen, die ihr Dasein unterhalb der Gürtellinie fristen. Wirtschaftliche Not schränkt Freiheit ein. - Die FDP finanziert sich vornehmlich durch Großspenden von 10.000 Euro an aufwärts. Hierdurch kamen seit dem Jahr 2000 fast 44 Millionen Euro zusammen. Die Partei der Mittelständler ist freilich auch dem Großkapital nicht abgeneigt. Fiskal- und steuerpolitisch stehen die Liberalen für Zurückhaltung des Staates, lehnen Steuererhöhungen rundweg ab und befürworten die strikte Einhaltung der "Schuldenbremse". Größere Vermögen sollen unbedingt geschont werden. Gegenwärtig besteht die Gefahr, dass die FDP den Bogen überspannt und eine Verständigung mit der SPD und den Grünen aufs Spiel setzt.
Im Herbst 1966 liefen dem zweiten Bundeskanzler Ludwig Erhard die vier FDP-Minister davon, weil die Liberalen die für einen ausgeglichenen Haushalt erforderlichen Steuererhöhungen nicht mittragen wollten. Diese Entwicklung machte den Weg frei für die Bildung der ersten Großen Koalition (1966-69).
Nach den Bundestagswahlen laufen zur Zeit Sondierungen zum Zustandekommen der neuen Bundesregierung. Noch sind die Unionsparteien nicht gänzlich aus dem Rennen geworfen. Wenn die Verhandlungen für eine Ampel-Koalition scheitern sollten, böten sich zwei Möglichkeiten für eine weitere Teilhabe an der Macht: Verhandlungen zwecks Bildung einer Jamaika-Koalition oder das Angebot an die SPD für eine weitere Koalition mit einem sozialdemokratischen Kanzler. Ziemlich häufig betonen die Liberalen ihre Vorliebe für ein Bündnis mit CDU und CSU; lediglich der desolate Zustand der Unionsparteien stehe dem momentan im Wege. Die FDP sollte ihre Trümpfe nicht grenzenlos ausreizen. Es könnte sonst ein böses Erwachen geben, nämlich dann, wenn die beiden größten Fraktionen über alles Trennende hinweg noch einmal zueinander fänden.
In der 72jährigen Geschichte der Bundesrepublik war die FDP mehr als 40 Jahre an der Bundesregierung beteiligt, in unterschiedlichen Koalitionen, was ihr den Ruf der "alten Pendlerpartei" (Herbert Wehner) eintrug. Wenn die FDP auch künftig Wert darauf legt, vorwiegend als Interessenvertretung der Besserverdienenden angesehen zu werden, stellt sie sich wahrscheinlich gegen die Erhöhung des Mindestlohnes auf 12 Euro. Stimmt sie dem jedoch zu, kann sie einen Beitrag zur Überwindung gesellschaftlicher Spannungen und Gegensätze leisten. Schon vor Jahren erschien der SPIEGEL-Titel "Geteilte Nation. Reich wird reicher, arm bleibt arm". Soll dies auch auf Dauer gelten?

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